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Beethovens unsterblichste Geliebte …

… war natürlich die Musik.

Aber warum fragen wir weiter nach der Frau, die er mit Worten bedacht hat, wie keine andere, – oder nur eine andere. War es Josephine, war es Antonie?

Nun hat wieder einmal ein Berufener eine Entscheidung getroffen, die zugleich einer posthumen Scheidung gleichkommt: Josephine war’s, nicht Antonie. Aber die größte Musik hat der Meister doch dieser, und nicht der anderen gewidmet.

Der Artikel endet allerdings mit Worten, die alles relativieren:

Eine solche „Rekonstruktion“ der Ereignisse wirke zwar „plausibel“, doch balanciere das Ganze „auf der hauchdünnen Grenze zwischen Fakten und Fiktion“. Es zählt die Intuition: Nur Beethovens Musik kann das definitive, immer neu zu sprechende Schlusswort sein.

Eben: die Diabelli-Variationen und die Sonate op. 110, obwohl man – wie auch schon mal behauptet wurde – auf deren Kopfthema den Namen Josephine singen kann (s.u.), und die Sonate op. 111 (diese zumindest in der englischen Publikation) sind Antonie gewidmet, die Sonate op. 109 jedoch Antoniens Tochter Maximiliane. (Der Widmungsbrief ergibt eine Geschichte für sich.)

Ich beziehe mich auf den Wochenend-Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 19./20. September 2015, Seite 67 (Rätsel-Seite) :

Dem Geheimnis auf der Spur / „Mein theuerstes Wesen“ / Wer war Beethovens „Unsterbliche Geliebte“? Der mysteriöse Liebesbrief des Komponisten gibt bis heute Rätsel auf. Von Wolfgang Schreiber.

Im Text erfährt man, dass der Artikel sich auf den belgischen Musikwissenschaftler Jan Caeyers mit seiner „exzellenten Beethoven Biografie“ stützt („Der einsame Revolutionär“, 2012).

Während meine Überzeugung sich in erster Linie auf die uralte Biographie von Maynard Solomon stützt. Ich bin bereit umzuschwenken, wenn denn die Wahrscheinlichkeit für die andere Lösung (Josephine) soviel größer ist. Ich neige zwar dazu, mir sofort ein Buch zu kaufen, sofern es mir wirklich zu meinem Glück zu fehlen scheint, dieses jedoch nicht, selbst wenn wenn es von erlauchten Rezensenten propagiert wird:

Der Brief „An die unsterbliche Geliebte“

Und Carl Czerny, Schüler von Beethoven, wird als „lebende Jukebox“ tituliert, die im Hause des Fürsten Lichnowsky auf Opuszahl-Zuruf des Hausherrn das gewünschte Werk aus dem Interpretenärmel schüttelt. Oder wenn Beethoven als „Composer in residence“ des Theaters an der Wien bezeichnet wird, als seien die Arbeit an der Oper „Leonore“ und deren qualvolle Erweiterung zum späteren „Fidelio“ eine angelsächsische Frühgeburt der Salzburger Festspiele gewesen. Und wenn er erörtert, ob Antonie von Brentano als eine der „Unsterbliche Geliebte“Kandidatinnen in die engere Wahl komme, dann folgert Caeyers, die schöne, aber verheiratete Dame, deren Mann dauernd um sie war, habe wohl kaum mit Beethoven „ein Aufhupferl in der Damentoilette“ hinlegen können.

Wenn Caeyers aber gleichzeitig das Lebensdrama der jungen Witwe Josephine von Brunsvick entwirft, die, einst Klavierschülerin des sofort entflammten Meisters, sich zweimal unglücklich verehelichte, doch in einer gewissen Nacht in Karlsbad wohl mit Beethoven schlief, das daraus entstandene Kind aber ihrem Ex, mit dem sie gerade in Scheidungsverhandlungen stand, unterschob, dann wird der Biograph trotz aller illustrierten Bettvorlegerei zum nüchternen Aktenkundler, der den berühmten, nie abgeschickten Brief „An die unsterbliche Geliebte“ (es muss Josephine gewesen sein!) vom 3. Juli 1812 liest wie eine Anleitung zum überglücksschwänglichen rasenden Unglücklichsein. Und der voyeuristisch so glanzvoll wie dezent unterhaltene Leser nimmt es gerne hin, wenn dann dem lyrisch-poetisch punktierten Beginn der As-Dur Sonate op. 110 ein sehnsuchtsstammelndes „Joooo-se-phiii-ne“ rhythmisch unterlegt wird.

Quelle Frankfurter Allgemeine Zeitung 7.3.2012 Der Lebenslaufbursche Ludwigs des Großen / Die Beethoven-Biographie von Jan Caeyers lässt nichts aus, erklärt viel und hält sich raus: Vermessung eines epochalen Klangraums, gebaut von einem Ungewöhnlichen. Von Gerhard Stadelmaier. (Siehe hier).

Nein, das Buch kommt mir nicht ins Haus! Der Ton gefällt mir nicht! Ein Stammeln zu Beginn dieser Sonate??? Ich glaube, der Mann ist von allen „überglücksschwänglichen rasenden“ Geistern verlassen.

Ich empfehle die Lektüre des Kapitels aus der Solomon-Biographie von 1977/1979 ISBN 3-570-00054-0 und zwar Seite 186 bis 212, vor allem aber zum Gegenchecken der Fakten die durchaus kritisch sichtenden Wikipedia-Artikel:

Unsterbliche Geliebte,   Josephine Brunsvik,   Antonie Brentano

Zitatauswahl:

Gegen Josephine als Adressatin sprechen allerdings die fehlenden Nachweise zu einer Reise nach Prag und Karlsbad.

Zusammengenommen erscheint es äußerst fraglich, ob Josephine im Sommer 1812 Wien überhaupt verlassen hat. Ist das tatsächlich nicht der Fall, kommt sie als mögliche Adressatin des Briefs nicht in Frage.

Ursprünglich wollte Beethoven alle drei letzten Klaviersonaten (op. 109, 110 und 111) Antonie Brentano widmen.

Nachtrag 20.10.2015

Zitat aus einem Brief des Freundes B.S., dessen Meinung ich sehr schätze:

Noch eine kurze Anmerkung, wenn Du erlaubst: Die Beethoven-Biografie von Jan Caeyers habe ich mit großem Gewinn gelesen (und kleine Teile daraus auch in meinem Musik-Buch „verwertet“). Ja, der Ton, den Du anhand Deiner Zitate schiltst, ist wirklich komisch, wobei ich denke, daß das eher einer unzulänglich-flapsigen Übersetzung geschuldet sein dürfte, denn Cayers argumentiert ja größtenteils sehr ernsthaft, das sieht ihm sonst eigentlich nicht ähnlich. Und ich bin auch kein Experte der Geschichte(n) um den Brief an die „unsterbliche Geliebte“ – aber das, was im Untertitel steht, also „der einsame Revolutionär“, führt Cayers sehr gut aus, und darauf kam es mir an. Er erklärt detailliert die Napoleon-Begeisterung (und auch die für die französische Revolution, also gegen das Wiener Herrschaftssystem), aber auch, wie Beethoven sich aus Gründen davon abwendet. Und er beschreibt gleichzeitig die eigentlich fast unaushaltbare Einsamkeit Beethovens, die vielleicht aber doch auch Movens seines Werkes war (zumindest „unter anderem“). Also, ich habe das gesucht in dem Buch, was ich dort auch gefunden habe, und würde Deinem Verdikt „kommt nicht ins Haus“ deutlich widersprechen!

(Also: bei Gelegenheit – um der Gerechtigkeit willen – doch dieses Buch von Cayers inspizieren. Allerdings erscheint mir gerade das Thema Revolution & Napoleon erschöpfend beschrieben in dem Buch von Martin Geck und Peter Schleuning: „Geschrieben auf Bonaparte“ Beethovens „Eroica“: Revolution, Reaktion, Rezeption. Rowohlt 1989. Ja, lieber Freund: der stärkste Akzent auf Prometheus, das würde auch zu Dir passen!)