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Gestern

6. Februar 2018

Der Tag war ziemlich gelungen. Morgens Quartett-Probe in Refrath mit Beethovens Streichquartett op.130 (Sätze 1-3). Ein (doch gar nicht so selten wiederkehrendes) Erlebnis, wie anders es ist, die Stimme eines Quartetts geübt zu haben, alternierend mit dem Hörvergleich (CD Auryn-Quartett), auch mit einigen Versuchen, den Zweite-Geigen-Part mit Knopf im Ohr synchron zur Aufnahme zu spielen. Und dann zu vergleichen, wie man es in Wirklichkeit bei der Realisierung erlebt oder erarbeitet, bzw. das Erarbeiten erlebt. Es ist nicht einfach Begeisterung, die sich einstellt, zugleich auch „Befremdung“; das liegt an Beethoven, es liegt an der Komplexität des Werkes, der konsequenten Verteilung auf vier Individuen. Von der CD gehört, verläuft es ja nun mal in einer nicht irritablen Perfektion. Ich denke an das Gespräch zwischen vier vernünftigen Personen, – Goethe hat wohl ein damals geläufiges Diktum abgewandelt -, die Vernünftigkeit der anderen Teilnehmer braucht Toleranz, weil sie in der Musik ja gleichzeitig reden wollen, und man kann ihre Geltung nicht in Zweifel ziehen. Die Bewunderung für den Komponisten wächst mit dem Gelingen.

Ich hatte mir vorgenommen nachzuforschen, was eigentlich Basil Lam mit der Anspielung auf den langsamen Satz der Jupiter-Sinfonie gemeint hat (vielleicht mein kleines Lieblingsthema, weniger ein Thema als eine Abschiedsformel vor dem Doppelstrich, dachte ich, hatte es schon Ende der 80er Jahre unterstrichen. Ohne am Ort gründlich nachzuschauen).

Lam Mozart bei Beethoven

Was Basil Lam meint, ist folgende harmonische Sequenz (übrigens in den Triolen grifftechnisch verteufelt schwer in der zweiten Geige, auch rhythmisch als Geige-Bratschen-Uhrwerk) :

Beethoven 130 3 Beethoven

Mozart Jupiter 3 Mozart

Als ich gegen 14 Uhr nach Hause kam, war die sehnlich erwartete Guinea-Postsendung eingetroffen. Die Chance, an das Erlebnis der 90er Jahre mit dem Ensemble Famoudou Konaté anzuknüpfen, damals dank Johannes Beer und der CD mit seinem Analyse-Booklet. Es muss sich im Blog wiederfinden. Auch die Website-Verbindungen zur Arbeit des Autors Thomas Ott und Famoudou Konaté. Auch die Frage: was macht eigentlich Johannes Beer? Damals bei der Veranstaltung in der Essener Zeche Carl plante er eine Ausbildung für die Waldorfschule. Im Ernst, ich war enttäuscht: Afrika und Anthroposophie, das schien mir dermaßen absurd, – jedenfalls nicht vorstellbar, wenn man je Eurythmie gesehen hat.

Rechnung Guinea

Guinea Ott + CD Institut für Didaktik populärer Musik 1997

Abends Live-Übertragung des Gürzenich-Konzerts ONLINE. Ich wollte in meinem Arbeitszimmer ausharren und nicht im Wohnzimmer das Spiel Leverkusen gegen Bremen sehen. Ohne verhehlen zu wollen, dass ich mir oft den Spaß mache, beim Fussball-Fernsehen an die Team-Arbeit des Orchesters zu denken (wo allerdings die Gegnerschaft der Mannschaften kein Spiegelbild findet). Und: Musik ist natürlich kein Sport, nur der „Ernst“ ist von ferne vergleichbar. Auch das Können der Einzelnen. Nur nicht das Gesamtergebnis und der Ertrag. (Siehe auch hier.) Es geht um etwas völlig anderes.

Orch & Indiv 46 Screenshot 2018-02-06 21.58.06 Screenshot Gürzenich-Orchester

Am späten Abend bleibt noch genügend Zeit für die Verlängerung des DFB-Spiels. Toll. Aber würde ich jetzt den Rest des Spieles, das ich nicht gesehen habe, in der Aufzeichnung nachholen? Nein. Das Konzert jedoch werde ich – wenn es weiterhin abrufbar ist – mindestens noch einmal hören. Wahrscheinlich erst, nachdem ich mich mit einzelnen Aspekten näher beschäftigt habe. Und insbesondere den Boulez, bei dem ich noch nicht aufs „bloße“ Erfassen des Werkes eingestellt war, alles andere kannte ich ja als „Werk“ seit Jahrzehnten. Und das bedeutet seltsamerweise, dass man um so aufmerksamer zuhört. Um nochmal den Sport zu erwähnen: da interessieren anschließend die Tore und die Kabinettstückchen, auch die emotionalen Probleme, ein bisschen natürlich auch die Strategie, aber alles andere ist vergangen und gewissermaßen bedeutungslos – was interessiert mich der DFB-Pokal??? Oder diese lächerlichen Welt-Dopingveranstaltungen? Am Sport interessiert mich eigentlich nur, inwieweit und warum er die Enkel interessiert. In ihrem Alter hat es mich ja auch zeitweise sehr beschäftigt. Und wenn sie jetzt mit mir im Stadion sitzen, ärgert es mich doch, wenn sie insgeheim mit dem Gegner halten, nur weil dessen Heimat näher bei München liegt…

Nachtrag 15.02.2018

Falls ich mal weiteren Stoff suche zu Goethes ewig zitiertem Vergleich „Streichquartett / Gespräch“. Heute (gestern 14.2.) im VAN-Magazin, das Kuss-Quartett:

William Coleman: Und warum man grundsätzlich im Quartett spielt: Irgendwas ist am Quartett offenbar faszinierend. Es ist kein großes Orchester und trotzdem hat man die gleichen Komponisten, die gleichen Gefühle. Es sind nicht vier Solisten, sondern ein Gespräch, ein Kampf unter vier Menschen. Alle müssen eine eigene Meinung haben. Und der Versuch, das zusammenzubringen – irgendwas muss dran sein, das es faszinierend macht.

Text: Merle Krafeld