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Nicht von dieser Welt, doch greifbar

(Ins Unreine, ab Samstag 8. November)

Francisco de Zurbarán

Es wird soviel von Stoffen und Stofflichkeit geredet, von der Kostbarkeit der Materialien, der Greif- und Tastbarkeit der Oberflächen, Kleider-Mode (?), der Vater war Stoffhändler, das Sackleinen des Heiligen Franciscus, das voluminöse Lendentuch Christi, und wenn man das Kreuzigungsbildnis in einen matt erleuchteten Altarraum stelle, könne man es nicht von einem realen Kruzifix unterscheiden. Im Film entbrennt eine Betrachtung zwischen dem Kurator Beat Wismer und einem spanischen Zurbarán-Kenner mit folgendem Verlauf:

„Wir wissen nicht, ob das der Maler der Kreuzigung ist. Steht der Maler vor einer Skulptur? Steht er vor einer realen Kreuzigung? Und dann gibt es noch ein sehr interessantes Detail: Hier sieht man eine Landschaft, oder zumindest einen Teil der Landschaft.“

„Da stimme ich Ihnen zu. Es ist in der Tat ein Konzept-Gemälde. Für mich gibt es ein entscheidendes Element in diesem Bild. Das Element des Maßstabs. Die Christusfigur ist nur ein wenig kleiner als die Figur des Malers. Dadurch suggeriert es uns, weil es das im Unklaren lässt, dass die Figur auf der rechten Seite, der Maler, auf ein Abbild von etwas schaut. Es ist möglicherweise eine Skulptur – wie Sie sagen -, es könnte aber auch ein gemaltes Bild sein. Es könnte aber auch das Gemälde einer Skulptur sein!? Möglicherweise auf den heiligen Lukas, der traditionell als Maler dargestellt wurde.“

„Oder eine Vision?“

„Oder eine Vision! In der Tat. Es ist oft gesagt worden, – und ich denke, dass etwas Wahres daran ist -, dass es sich hierbei um ein Selbstportrait des Künstlers handelt. Nicht unbedingt um ein normales Portrait. Es kann sich dabei auch um ein konzeptuelles Portrait handeln. Eine Selbstprojektion des Künstlers auf das Bild des Malers. Wir sehen also den hl. Lukas, der den gekreuzigten Christus betrachtet.“

Zurbarán Selbst Screenshot 2015-11-08 11.16.01 Screenshot aus der DVD (s.u.)

Wenn man sich an Navid Kermanis Beschreibung desselben Bildes erinnert, wird schnell klar, wie naiv sie ist:

Jesus im selben Saal des Prado noch auf einem weiteren Bild gekreuzigt zu sehen, jetzt mit einem Maler zu seinen Füßen, entweder Lukas, so heißt es auf der Tafel neben dem Gemälde, oder in bitterer Selbsterkenntnis Zurbarán selbst, der begeistert darüber, ein so spannendes, ausdrucksstarkes und noch dazu lebendes Modell gefunden zu haben, am Kreuz hochblickt, die Palette bereits in der Hand, statt dem Gemarterten zu helfen, ihm Wasser zu reichen, Hilfe zu rufen, damit jemand die Nägel aus seinen Händen und Füßen zieht, und wenn es keine Hilfe gibt, wenn Gott auf Erden nicht einmal seinem eigenen Sohn hilft, dann die Hände vor Verzweiflung in den Himmel zu strecken oder auf den eigenen Kopf zu schlagen, weil Gott dann auf Erden vermutlich niemandem hilft. Oder straft er etwa nur diejenigen, die ihm am nächsten stehen, läßt zynisch den Amtsträger, den Reichen, den Künstler triumphieren? „This work subtly refers to the idea that art’s greatest merit is its potential for use in the service of religion“, heißt es auf der Tafel weiter, die ein anderes Gemälde meinen muß.

Quelle Navid Kermani: Ungläubiges Staunen. Über das Christentum / C.H.Beck München 2015 (Seite 161 f)

Zurbarán DVD a       Zurbarán DVD rück

ZITAT

Zurbaráns Zeit war zutiefst geprägt von der spanischen Mystik. Das zuweilen Erstarrte seiner Bilder, vor allem im Frühwerk, ist wohl auch jenen Formeln geschuldet, mit denen die katholische Kirche die Macht über die anmaßenden Körper und Geister zurückerobert: durch Dekrete zur religiösen Malerei, die sie in der Folge des gegenreformatorischen Konzils in Trient 1563 erlässt.

(…)

Ein einziges Mal scheint Zurbarán sich selbst gemalt zu haben, um 1655/60, in dem „Gekreuzigten mit einem Maler“. Gewiss ist es nicht und doch offensichtlich: Der alte Maler steht, in tiefe Kontemplation versunken, zu Füßen des verstorbenen Gekreuzigten und hebt seinen Blick zu Christus. Die rechte Hand hat er ans Herz gelegt, in der linken hält er eine Palette mit Pinseln. Er trägt eine malvenfarbene Tunika, was manch einen veranlasste, darin die Figur des Apostels Lukas zu sehen, den Patron der Maler. Schemenhaft dunkel hinter dem Kreuz schimmert ein Berg, vielleicht Golgatha. Und hier ist es wieder, dieses Verrätselte, das Spiel, das Zurbarán treibt. Aber ob Selbstbildnis oder nicht, interessant ist vielmehr, dass er hier wortlos sagt: Ich habe das gemalt. Und dass man darüber spekulieren kann, ob Zurbarán hier nicht auch seine eigene Fähigkeit als Maler göttlich beglaubigen lässt.

Quelle Ingrid Berner: Drama und Erleuchtung Göttliche Verklärung bedeutete bei Francisco de Zurbarán immer auch tiefe Menschlichkeit. Jetzt ist der faszinierende Maler in Düsseldorf zu erleben. In: WELTKUNST Eine Sonderveröffentlichung des ZEIT Kunstverlags Hamburg Herbst 2015 www.weltkunst.de

Schließlich sieht man sogar ein, dass die schönsten Bilder vielleicht doch nicht im Museum zum wahren Leben erwachen, sondern dort, wo sie am zugedachten Platz verblieben sind. Hier zum Beispiel:

Zurbarán Guadelupe 1 Screenshot 2015-11-08 09.46.46  Zurbarán Guadelupe 3 Screenshot 2015-11-08 09.47.21

Zurbarán & Musik Screenshot 2015-11-08 10.48.47

Der Heilige Hieronymus wehrt sich hier gegen die schönen Frauen und die Verführungskraft ihrer Musik. Wohl doch kein Engelskonzert?

Es ist ein Wunder, wie eine bloße Ausstellung von Bildern Menschen in Bewegung setzen kann, wie sie neue Ansprüche an sich selbst stellen, um diesen Ansprüchen durch Bilder gerecht zu werden. Vielleicht auch mit leiser Empörung zu reagieren – wie ich, bei all den Bildern von der Maria Immaculata, die nicht auf dem Boden steht, sondern auf Wolken, aus denen Kinderköpfe hervorlugen, – an der Wand zu lesen wie es zu dieser Serie kam (auch vom Vorschriften-Kanon zu erfahren, der auflistet, wie eine Immaculata-Visualisierung beschaffen zu sein hat), zu lernen, dass die ganze absurde Geschichte von der Unbefleckten Empfängnis auf eine Stelle in der Offenbarung des Johannes zurückgeht, im Sinn zu haben, was gerade in der ZEIT anlässlich der zu uns flüchtenden Männer aus dem Osten zu lesen war: wie der Blick des Mannes auf alleinstehende (auch: „allein flüchtende“!) Frau unweigerlich beschaffen ist (Quellenangabe folgt). Frage nach dem „Trompe-l’œil“, Frage nach dem senkrecht hängenden Petrus, der nicht in Düsseldorf, wohl aber in diesem Film vorkommt (und – wo er mir zum erstenmal begegnete – in Navid Kermanis Buch Seite 157 ff) usw. Nachlesen in meinem alten Lieblingsbuch: „Meisterwerke der Malerei. Von Rogier van der Weyden bis Andy Warhol“ herausgegeben von Reinhard Brand, der erste Essay darin von Robert Suckale über Rogier van der Weydens Kreuzabnahme, die „Leserichtung“ bei der Bildbetrachtung, hochinteressant der Zusammenhang mit der Rhetorik des Quintilian, eine in christlichem Sinne gefilterte: durch Augustinus). Auch noch anwendbar auf Bachs musikalisch-rhetorisches Verfahren.

Die Ausstellung in Düsseldorf: HIER  (dort auch runterscrollen: man sieht einen kurzen Ausschnitt aus der DVD)

Wikipedia-Artikel zu Zurbarán, auch zahlreiche Werke des Meisters (vergrößerbar!), als viertes Der Heilige Lukas, dargestellt als Maler der KreuzigungsszeneHIER

DIE ZEIT 30.01.2014  Nicht von dieser Welt. Das großartig stille Werk des spanischen Malers Francisco de Zurbarán – eine Wiederentdeckung in Brüssel. Von Hanno Rauterberg. HIER

FAZ 23.10.2015 Ein Evergreen für die Augen Glühende Askese und mystische Versunkenheit:
Francisco de Zurbarán malte mit dem Pinsel Caravaggios und den Augen eines Inquisitors.
Eine Düsseldorfer Ausstellung entdeckt den spanischen Barockmaler. Von Andreas Kilb. HIER