Schlagwort-Archive: die Online-Generation

Was ist unsere Gegenwart?

Süddeutsche Zeitung 31.Mai 2016

Gegenwart 1960 Gegenwart 1963 JR Queneau Zeltner-Neukomm

SZ Queneau Neu SZ Feuilleton 31. Mai 2016 Seite 12

Zitat darin von Gerda Zeltner-Neukomm 1961 („im Jahr des Erscheinens der ersten deutschen Übersetzung durch Eugen Helmlé und Ludwig Harig“):

Ebenso unheimlich wie lustig. Diese Stilübungen wollen nicht einmal mehr literarische Konventionen zerstören, sie gehen vielmehr ganz selbstverständlich von der Voraussetzung aus, daß die Vernichtung bereits stattgefunden hat. Da nichts der Rede wert ist, bleibt nur, daß die Rede sich selber wert sei, und sie wird um so munterer, je wesenloser der Anlaß ist.

Dieser Bezug auf das, was ich vor Jahrzehnten kennengelernt habe, ist mir soviel wert, dass ich ich mich komplikationslos für das Neue begeistern kann, wenn nur das Begeistern nicht so maßlos altmodisch wäre.

Eine andere Schlagzeile im Feuilleton der Süddeutschen lautete gestern folgendermaßen:

Millionen für ein zerwühltes Bett / Warum befriedigt der Kunstbetrieb vor allem Luxusbedürfnisse? Und was passiert, wenn Kreativität zur Norm wird? Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich sucht Antworten. Von Till Briegleb. (Siehe auch hier)

Ein sehr guter Bericht, die beiden Bücher habe ich bestellt, sie sind aber nicht – wie sonst – von heute auf morgen zu bekommen, sondern es dauert länger. Wahrscheinlich wegen dieses Berichtes.

Ullrich analysiert die Generation von marktbestimmenden Superreichen, denen „Kunst“ lediglich zum persönlichen „Souveränitätsgewinn“ dient – wobei dieser um so höher ausfällt, je größer die Lücke zwischen offensichtlicher Wertlosigkeit des Objekts und dem dafür bezahlten Preis ist. Er beschreibt die willfährige Deutungspropaganda abhängiger Kuratoren und Katalogtextverfasser, die auch dem offensichtlichsten Markenprodukt aus einer Künstlerwerkstatt mit gestelzter Prosa Relevanz andichten.

Und er belegt umfassend und mit durchaus scharfen Kommentaren, wie sich eine konsum- und statusgelenkte Gesellschaft diesem Mechanismus völlig ergibt. Inhaltlich orientiert man sich an einer Gruppe sehr reicher Menschen, die mit ihren Kaufentscheidungen jede Diskussion überflüssig machen. Wenn für ein zerwühltes Bett Millionen bezahlt werden, dann muss es Ausdruck von Tiefsinn sein. Nach dieser Logik funktioniere inzwischen die inhaltliche Wertschöpfung, und alle Marktbeteiligten, vom Sammler zum Kunstvermittler, vom Künstler bis zum Museumsbesucher, ja selbst die Kritiker und Kunsthistoriker bedienen dieses System.

Quelle wie oben fettgedruckt: Millionen für ein zerwühltes Bett / Von Till Briegleb / Süddeutsche Zeitung 31. Mai 2016 Seite 12

Mehr davon, wenn die beiden Bücher bei mir eingetroffen sind… (siehe zunächst hier).

Die dritte große Geschichte in dieser einen Tageszeitung (und es gibt noch mehr, z.B. die Seite über den Gotthard-Tunnel, die Seite mit dem lustigen Konterfei des Fußballspielers Boateng und über die perfide rhetorische Strategie der AfD, dann über das – wohl doch nicht so aufregende – Geheimnis der Grabkammer des  Tutenchamun: es gibt Tage, an denen Zeitungen inhaltlich nicht zu bezahlen sind), die dritte große Geschichte also für mich ist die über

Die Teenie-Flüsterin / Die Journalistin Nancy Jo Sales versteht amerikanische Jugendliche wie kaum eine Zweite. In ihrem neuen Buch gibt sie Eltern verstörende Einblicke in das geheime Online-Leben ihrer Kinder. / Von Anne Philippi.

Sie (…) landete in einer „Zweiten Welt“, wie ein Mädchen diese Welt in Sales Buch beschreibt: Die Welt der Texting-Apps und Social-Media-Plattformen, ein Paralleluniversum, das weder Papa noch Mama verstehen und auch nicht verstehen sollen. Sale traf 13-19-Jährige in zehn Staaten der USA, sprach mit ihnen über ihre zweite Welt, über ihre frühe Ehe mit einem Smartphone. Eine 16-Jährige in Los Angeles sagte, Social Media zerstöre ihr Leben. „Aber wenn wir damit aufhören, haben wir kein Leben mehr.“ Mädchen ihres Alters lebten mit dem Telefon. Und das gilt auf der ganzen Welt.

(…)

„Hier geht es um eine ganz neue Medien-Kultur“, sagt Sales. „Eine, in der nach Regeln gespielt wird, die immer weniger mit Spaß zu tun haben.“

(…)

Die Geschäftsmodelle der Tech-Welt basieren jedenfalls auf einer Kultur, deren Teilnehmer häufig am Asperger Syndrom leiden, der wohl berühmtesten psychischen Krankheit im Silicon Valley: eine spezielle Form des Autismus, welche die üblichen menschlichen Kontakte verhindert oder äußerst unangenehm erscheinen lässt. Menschen, die darunter leiden, kreieren dann Apps, die Asperger eher verschlimmern statt verbessern, also eine Art Henne-Ei-Problem: Wer war zuerst da? Menschen mit Asperger oder Menschen, die mit ihren Apps andere zu Asperger-Patienten machen?

Quelle Süddeutsche Zeitung 31.Mai 2016 Seite 31 MEDIEN (Titel wie oben fettgedruckt) Die Teenie-Flüsterin / Von Anne Philippi / über die Journalistin Nancy Jo Sales und ihr Buch „American Girls: Social Medias and the Secret Lives of Teenagers“.