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Wie konservativ bin ich?

Zweifel an der alten Philosophie

Habe ich etwas nicht mitbekommen? Die neue ZEIT, wie immer am Donnerstagmorgen, lässt mich stutzen, – nach der Lektüre zur Mann-Familie:

Golo (…). Der Hutzelzwerg, der hölzerne, hat Charakter. Er ist der Einzige, der ein eigenständiges Werk schaffen wird, abgerungen einer immer wieder aufflackernden Depression. Und er ist die einzige Stimme der Vernunft in Fragen der politischen Wirklichkeit. Sein Vater liegt verlässlich daneben und schafft es, wie Lahme nebenbei bemerkt, sich bei einer Prophezeiung über den Russlandfeldzug in zwei Sätzen gleich viermal zu vertun.

Jawohl, es mag sein, dass Konservative sich furchtbar irren. Unwillkürlich stelle ich mir heimlich die Frage, die als Titel über diesem Blog-Eintrag steht. Genügt nicht schon die Tatsache, dass ich heute abend das Streichquartett in der Philharmonie so wichtig finde, – und wie ich zufrieden zur Kenntnis nahm, dass ihnen die Moderne so am Herzen liegt. Kurtág und Jörg Widmann, ist es das? Und dann stutze ich bei dem Schluss einer Kolumne von Thomas E. Schmidt über das „Kulturgutschutzgesetz“:

Das Ganze wirkt so bizarr, weil der Zustrom von Flüchtlingen derzeit die Nabelschau „Was ist deutsch, und woran zeigt sich das?“ ziemlich überflüssig macht. Selbst die CDU-Kanzlerin signalisiert, dass solche Debatten obsolet geworden sind. So gelangt die Bundeskulturbeauftrage mit ihrem Gesetz ganz langsam in die Nähe der kulturell Verängstigten wie Botho Strauss oder Rüdiger Safranski. Irgendwann berühren sich die politischen Stränge wieder.

Dass Strauss genannt wird, wundert mich nicht, aber was ist mit Safranski, dessen Buch über „Das Böse“ – neben allen anderen – mir eine Weile zum Leitfaden des Denkens wurde? Ich lese den größeren Artikel über „Unsere Willkommenskultur“.

Die Moderne, schreibt der Soziologe Zygmunt Bauman, verflüssigt sich, und in dieser liquid modernity entstehen unregierbare chaotische Räume. Ausgerechnet dort, wo der amerikanische Hegemon seine größte Niederlage erlitt, im Irak, der Wiege der Menschheit, kehrt etwas Anfängliches zurück, eine Gewalt in mythischer Dimension. Und auch die Flüchtlinge erscheinen als apokalyptische Metapher. Wie sie mit ihren Habseligkeiten durch die Wildnis der Zivilisation irren, sehen sie aus wie die ersten Menschen, wie Gestalten der Frühe in der späten Moderne. Der Flüchtling ist das, was nach dem Zerfall politischer Räume übrig bleibt, er ist das nackte Leben auf der Flucht.

Und irgendwo im weiteren Text kommt der Hinweis, auf den ich warte:

So erscheinen die Flüchtlinge als Vorboten des Ungewissen, und selbst kluge Menschen sagen über sie Verächtliches, darunter katholisierende Schriftsteller und kleine Philosophenkönige, alle Retter des deutschen Geistes.

Jetzt erst fällt der Groschen, und ich gebe bei Google ein: „Safranski über Flüchtlinge“. Und kann mich kaum noch retten… Muss ich jetzt meinen Tag von Grund auf anders gestalten? Sogar das Stichwort „Musik“ erscheint weiter unten… Wollte ich nicht etwas über „Innerlichkeit“ schreiben? Wie deutsch geht es eigentlich noch, verdammt noch mal! Aber es war doch wenigstens kritisch gedacht, oder? (Ja, aber schon wieder mit Bezug auf Religion, also Pietismus und so.)

Safranski Screenshot 2015-10-29 09.03.48

Ich werde mir vorläufig mit den Quellenangaben helfen, denn der Ablauf des heutigen Tages ist doch vorgegeben. Z.B. hier. Mit Matthias Matussek, ausgerechnet dem Vatikan-Sympathisanten.

Quelle der Zitate: DIE ZEIT 29. Oktober 2015 Seite 45f und Seite 51 Unsere Willkommenskultur Klar schaffen wir das, aber vielleicht anders als gedacht: Die rechten Protestbewegungen und die konservativen Eliten könnten sich in der Flüchtlingskrise verbünden und über den Ausnahmezustand befinden. Ein Szenario von Thomas Assheuer / Wer wir sind, soll uns die Kunst sagen Das Kulturschutzgesetz sichert das Nationale – überflüssigerweise. Von Thomas E. Schmidt / Ein öffentliches Unglück Tilman Lahme durchleuchtet in „Die Manns. Geschichte einer Famili“ die schwierigen Verhältnisse in diesem Künstler-Clan. Wer sich ein idealisiertes Bild vom „Zauberer“ Thomas bewahren will, mache einen Bogen um diese großartige Chronik. Von Michael Maar.

P.S.

Offenbar ist mit dem „katholisierenden Schriftsteller“ im ZEIT-Zitat derselbe gemeint, den ich als Vatikan-Sympathisanten bezeichnet habe, und ich neige zu der Ansicht, dass das einzige, was man nun Safranski anlastet, die besorgte Tendenz des Eisenbahn-Gesprächs ist, das Matussek – vielleicht nur wichtigtuerisch, aber jedenfalls mit Prominentenklatsch-Tendenz – in der WELT kolportiert hat. Eine Indiskretion. Der Philosoph hat möglicherweise „ins Unreine“ geplaudert, mich interessiert aber nur, was er nach reiflicher Überlegung selbst veröffentlicht. – Jedenfalls würde ich es keineswegs als peinlich konservativ empfinden, wenn sich z.B. jemand weigerte, über Kopftücher zu diskutieren statt über Freiheit. Mir wird unwohl, wenn ich Kermani lese, nicht weil ich so konservativ bin und die Aushöhlung der abendländischen Werte befürchte, sondern weil ich es schrecklich konservativ finde, zwischen Christentum und Islam vermitteln zu sollen.

Wenn Safranski wirklich zu Matussek gesagt hat, „dass unsere Verfassung über der Scharia stehen muss. Dass Grundsätze und Werte wie Gleichberechtigung unantastbar sind.“  Was ist daran verwunderlich, außer der Tatsache, dass es durchaus aufs neue gesagt werden muss, wenn viele Einwanderer das nicht wissen? Es klingt vielleicht hart und konservativ: „Die Verfassung steht über dem Koran.“ Aber was wäre denn dann unkonventionell oder sogar revolutionär?