Schlagwort-Archive: Claus Leggewie

62 Minuten zur realen Situation

TV: nicht nur konsumieren, sondern nach-denken, analysieren

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Hier  ttt Titel-Thesen-Temperamente / ab Minute 1:00 bis 6:16 Blom, Leggewie (5 Minuten)

Unser Wohlstand ist immer die Armut von anderen.

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zdf Lanz Screenshot 2016-02-02 07.41.12 Zum AnHÖREN nächstes Wort klicken:

Hier In der Sendung Markus Lanz: Albrecht von Lucke ab 4:26 bis 16:45 (12 Minuten)

Parteien-Strategie / das heißt: die AfP ist ein Gefäß für alle eher autoritär orientierten Menschen aller Parteien. Und für alle jene, die Sorge haben, dass dieser Staat kippen würde.

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Hier  Richard David Precht & Alexander Kluge / die ganze Sendung „Komplexe Welten – Ratlose Menschen“ (45 Minuten)

Trotz allem: Orientierung! Narration! Zusammenhang!

Einleitung Precht:
„Wir leben heute in der komplexesten Welt, die es je gab. Das globalisierte und digitalisierte Zeitalter liefert uns eine unüberschaubare Menge an Daten und Informationen über alles. Doch je mehr wir wissen, um so weniger scheinen wir zu wissen, was wir glauben und was wir tun sollen. Wie sollen wir leben? Was sind die richtigen persönlichen und politischen Entscheidungen? Es scheint, als ob wir es nicht mehr schaffen, die Fülle der Informationen zu durchdenken und zu gewichten.
Darüber rede ich mit dem Filmemacher, Fernsehproduzenten und Schriftsteller Alexander Kluge.“

Kongs große Stunde (Kluge 2015): 1. Satz – „Wieder einmal hatte die Menschheit sich übernommen.“

Das erinnert mich sehr an die aktuelle Situation: haben wir uns mit allem übernommen? Leben wir in einer Welt, in der wir zu viele Informationen haben? In der wir keine Zusammenhänge mehr stiften können und verloren zu gehen drohen?
A.K.: Ich glaube, dass das nie anders war.
PR Also, Sie denken jetzt daran, dass in früheren Zeiten die Menschen ihre Lebenswelt als ähnlich überfordernd erlebt haben wie wir heute?
A.K.: Sie haben’s selbst mal geschrieben: im 12. Jahrhundert, also sehr weit zurück, in der Zeit Barbarossas, ist es so, dass das Jahrhundert so schnell vorangeht, so viel Wechsel hat, die Gesellschaft sich dauernd ändert, dass man zweimal im Leben lernen muss, man muss also als 50-, 60-Jähriger nochmal auf die hohe Schule. Das ist der Zeitpunkt, wo die Universität begründet wurde. Ja, ein glanzvolles Jahrhundert, aus Not.

PR Man müsste also umgekehrt fragen: hat es mal Jahrhunderte gegeben, in denen die Menschen mit der Geschwindigkeit, mit der die Welt sich weiterentwickelt, im Einklang waren, nicht überfordert?

A.K.: Eigentlich kenne ich solche Jahrhunderte nicht. Als es mal augusteisch werden sollte, so um 1600, da kam der 30jährige Krieg. Als die Klassik sich mal so richtig einrichtet, kommt die Romantik, kommen Napoleons Kriege, ja, als die vorüber sind, kommt wieder Unruhe, neue…

PR Ist vielleicht so: je statischer, totalitärer, auf Ewigkeit programmiert ein Gesellschaftswurf ist, um so schneller wird er sich wieder ändern.

A.K.: Das können Sie sagen. Oder Sie können umgekehrt sagen: wenn Milch und Honig einfach fließen, und die gebratenen Tauben in den Mund … reisen, dann bewegt sich die Gesellschaft nicht. Hermann Parzinger hat das sehr eindrucksvoll beschrieben: im Süden von Ägypten – wo später die Pharaonen sein werden – gab es diesen Luxus, wo die Natur so reich war, dass die Menschen dort die Bronzezeit versäumten, die Eisenzeit versäumten, und sich überhaupt nicht entwickelten, und später unterjocht wurden durch das, was aus Libyen, aus der Wüste, aus der Not heraus kam.
PR … d.h. der ganze Fortschritt – nicht nur beim Menschen, sondern in der Natur – ist abhängig von sich schnell wandelnden Umweltbedingungen. Wenn die Umweltbedingungen immer gleich bleiben, wie in der Tiefsee, da gibt es Organismen, die dort vielleicht 200 Millionen Jahre überleben, weil nichts passiert… Und da, wo der Umweltdruck besonders hoch ist, ändern sich die Menschen. Das klingt so, als ob ein überfordernder Zustand vor allem positiv zu interpretieren sei, nämlich als Chance der Weiter- oder gar Höherentwicklung.

A.K.: … und da ist ein Fehler noch drin in dem Gedanken, nämlich: sie müssen früher mal Glück gehabt haben, und sozusagen ’n Stück Ruhe gehabt haben, z.B. an der Mutterbrust, ja, oder in einer Gesellschaft, die einen Moment lang Nischen hatte, und dann anschließend kommt die Herausforderung, und jetzt können sie sie beantworten.

PR Weil, das Veränderungspotential entspringt nicht aus der Veränderung, sondern muss vorher da sein und wird dann aktualisiert.
Haben Sie nicht gleichwohl trotzdem den Eindruck, dass wir in einer Zeit leben, die auf enorme Art und Weise mit sich überfordert ist, dass wir eine Politik haben, die es schwer hat, in großen Zusammenhängen zu denken, die vor den Herausforderungen, vor denen wir stehen, beispielsweise vor der Flüchtlingskrise, eigentlich viel zu klein, viel zu überfordert, viel zu eng, viel zu sehr in kleine Sachverhalte verstrickt ist, um dieses Thema auch nur ansatzweise bewältigen zu können? (weiter ab 4:20) Nur noch Stichworte:

7:50 Aufstieg des Kapitalismus. „World com“. Aufflackern von Tribalismen. Energie, die darin liegt. Kulturelle Gleichschaltung durch die Medien – wie Lava über allem. 10:00 Die eine Welt global, die des Kreon, aber die andere, Antigones, bleibt persönlich. Liebesbeziehungen, die den Erdball umspannen, globale Beziehungen, mit denen man Geld verdient. „Autobahnen“ – „Dornröschen“. Welt der kommerziellen Wirklichkeiten – was grenzen sie aus? Pläne – Geschichten, die keinem Plan folgen. Flüchtlinge. 13:00 Lebensläufe immer partikular, plötzlich aber verschränkt mit dem Ganzen. Dieses Lebendige ist das, was man erzählen kann. Internet = neue Öffentlichkeit. Piazza! Reibung. Internet als Maschine der Bestätigung von Vorurteilen. 15:00 Spiegel online, alles in einem Satz sagen müssen, Amazon-Empfehlungen, Wohlfühl-Gesellschaften, Liebesgeschichten, Mensch kein rationales Wesen, Konjunktiv, Optativ im Griechischen, Grammatik der Gefühle, Fiktionsbedürftigkeit des Menschen, dagegen Matrix des Marktes, zugleich wachsendes Bedürfnis nach Geschichten, „das ist absolut wahr, was Sie sagen“, nackte Information kann den Menschen nicht befriedigen, Partisanen in uns, das Anarchische im Menschen ist so stark 20:00 Verschwörungstheorien. Was Menschen empfinden bleibt authentisch. Geburt – nicht digitalisierbar. Menschen erfinden Geschichten nach dem Muster der Medien. Man muss aber „buddeln“, um das Authentische zu finden. 22:40 „Mein Sohn macht in der Schule die Bürgschaft von Schiller“. Hollywood als Schulaufgabe. Das technische Denken als Quelle der Phantasie. „Die Pyramiden bluten“. Was ist Freund? Was ist Versprechen? Schiller als Erzähler, als Illusionist. 25:00  Was ist Tyrann? Der eine menschliche Regung zeigt. Man kann genauso die Bösartigkeit der Welt aus der Geschichte ablesen, denn nichts aus der Ballade „Die Bürgschaft“ ist wahrscheinlich, und dennoch sagt Schiller: das Unwahrscheinliche wird Ereignis, – andernfalls: wäre diese Geschichte uninteressant. Ein so phantasiebegabtes Tier wie der Mensch müsste an der Realität verzweifeln, wenn er sie ernst nähme. Arno Schmidt: Nur die Phantasielosen flüchten in die Realität und zerschellen dann – wie billig – daran. Wenn sich nun die Fiktionsbedürftigkeit und die Information nicht mehr trennen lassen… Umkippen der Stimmung nach den Ereignissen am Kölner Hbf., im größten Teil der Medienereignisse geht es um Auflösung detektivischer Zusammenhänge, aber wir versuchen nicht mehr, die großen Zusammenhänge zu begreifen, man verwechselt die dramaturgischen Ereignisse mit der realität… A.K. : „Aber war das je anders?“ Gutenberg Druckerkunst Pamphlete mit Aufrufen zum Krieg, also viel Schrott. Luther? Viel Unfrieden gestiftet. 30Jähriger Krieg = die Summe alles Gedruckten – in einer Welt, die völlig überfordert ist mit alldem, und da hat man sich doch auch orientiert: da gibt es plötzlich in 5 Jahren einen Blitzfrieden, plötzlich konnte jeder seine Meinung kundtun, plötzlich wird Öffentlichkeit geschaffen. Die Öffentl. zwingt die Monarchen sich zu vertragen! Die gleiche Öffentl., die vorher den Krieg begünstigt hatte. Vergleich mit Arzt, Körper und Infektion. Ähnliche Überforderung durch Internet? Adorno: Weder von der Macht der Verhältnisse dumm machen lassen noch von der eigenen Ohnmacht. Stichwort „Angst“: 30:00 A.K.: Ich würde versuchen gegenzusteuern, poetisch sehr leicht, ich hol mir den Ovid, den Ossip Mandelstam etc. ich hol mir andere Poeten zu Hilfe. Und kann da wie mit einer Droge durch Illusionstätigkeit, durch Narration, durch Erzählen die Angst eindämmen. 30:30 PR Was wären heute die wichtigsten Narrative, um heute die Angst vor dem Islamisierung oder Überfremdung? A.K. : ZUSAMMENHANG! D.h. Wenn ich den IS sehe, kommt mir schon das Grauen, und ich kann dagegen poetisch nichts ausrichten. Habe mal versucht mit Helge Schneider FILM …ging nicht. Jetzt nehme ich Karl May… „Im Lande des Mahdi“… dadurch dass eine Geschichte erzählt wird, bin ich entspannt. … neben der Realität. Dass diese Realität noch andere Zeichen hat. PR: Über historische Zusammenhänge reden, um Menschen die Angst zu nehmen? Karl May „Durchs wilde Kurdistan“. Reiseroute der Flüchtlinge. Hat aber mit Wirklichkeit gar nichts zu tun, er ist kein Forscher. Deutscher Provinzler, der sich mit der Welt beschäftigt. PR: Inwieweit könnte ein Narrativ in der heutigen Angstkultur helfen? (Viele Menschen haben heute Endzeitphantasien.) 35:00
A.K.: Kants kleines Buch „Sich im Denken orientieren“. Wie ein Horizontwanderer… Vertrauen entwickeln – egal ob durch Wahrheitssuche oder durch Erzählung und Fiktion. Vertrauen! „Die Medien leben von einem Minderwertigkeitskomplex“ der Gesellschaft. Sie dürften sich nicht zentralistisch organisieren, sie müssten Tunnelbau betreiben. PR: dass wir eine impressionistische, pointilistische Art haben, die Informationen aneinanderzureihen, ohne sie in einen Zusammenhang zu bringen.
A.K.: Machen wirs doch mal praktisch: „Nathan der Weise“ von Lessing. Moslem, Christ, Jude. Wenn ich das mit Ihnen zusammen zu dichten hätte… neu schreiben. Die Geschichte selber kann uns immun machen gegen die größten Irrtümer. 1. Weltkrieg, 79 Friedensgelegenheiten. Wo läge der glückliche Ausgang heute, den wir im Moment nicht sehen? Frühere Flüchtlingsbewegungen, Ungarn 1956. USA. 40:00 Emigrant, der die Heimat mit sich fortträgt, um sie in der Ferne wieder zu restituieren. „Wenn wir – Syrien hier erneuern – damit etwas zu tun hätten!“ Unsere Emigranten 1848, die breite Teile der USA mitbegründen, aus Galizien, nationalhymne Deutschlands außerhalb entstanden, in Erinnerung an, Urmythos vom alten Ehepaar Philemon und Baucis, eines Tages kommen Gäste, Götter, was sie nicht wissen, sie opfern etwa, teilen mit ihnen, werden belohnt, dürfen sich wünschen, am gleichen Tag zu sterben und wachsen später als Baum zusammen. Der Preis, dass man glücklich wird, – ist die Gastfreundschaft. Kant: diese Gastfreundschaft ist Naturgesetz. Wenn unser Planet rund ist, Kugel, müssen wir einander begegnen, daraus folgt, dass wir uns freundlich aufnehmen müssen, wenn es uns nicht verletzt. „ein Mensch, der die Grenzen dicht macht, gewinnt vielleicht Ruhe, aber kein Glück.“ Ein letztes Maß an Spontaneität. Keine Mauern zusätzlich zu denen, die es in der Welt schon gibt. Es gibt keinen Ort, an dem soviel Geschichten entstehen, wie dort, wo man mit Gästen zusammensitzt. 44:18 ENDE