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Aktuelles in Kürze

Heute wurde der Beitrag Indische Musik in der Elbphilharmonie (Hier) um 1 Foto und 2 Links mit Raga Jog ergänzt.

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Heute Nacht habe ich zu später Stunde im WDR-Fernsehen die Gruppe CAN gesehen. Eine skurille Vorstellung von Anfang der 70er Jahre, eine Form von Anti-Musik, einziges Rückgrat: das unerbittlich durchgezogene Schlagzeug. (Heute Morgen eruiert: da saß der soeben verstorbene Jaki Liebezeit in seinen frühen Jahren.) Das Exotischste nicht der japanische Sänger oder Solo-Zeilen-Schreier, dessen Gesicht hinter senkrecht verklebten langen Haarsträhnen verborgen war, sondern das jugendliche Publikum: sofern die Trauergestalten nicht vom Veitstanz (oder von Drogen) geschüttelt waren, standen sie in lethargischer Haltung herum, verlegen, als seien sie hier zwangsverpflichtet. Die Lustlosigkeit des Lebens in Perfektion. Ein schrecklicher Ernst, wie mitten im Krieg…

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Oder??? Ich lasse hier gleich die spontan gemailte Kritik von Freund BS folgen und bin bereit umzuschwenken: ich war schon ziemlich müde letzte Nacht):

Deinen Absatz zu Can finde ich allerdings etwas hart. Das war schon eine o.k.e Gruppe, im Nachhinein betrachtet, ich konnte damals (da war ich ja noch ein Teenager) nicht viel damit anfangen, wie mit der ganzen deutschen Popmusik der 1970er Jahre, ich habe mal Amon Düül in Oberbayern im Wald auf einem kleinen Festival gesehen, das fand ich sehr merkwürdig, Kiffermusik, die mich vor Rätsel stellte. Klaus Schulze und den Hamel fand ich furchtbar. Und Can hab ich auch nicht goutiert. Aber in den letzten Jahren doch allmählich kapiert. Liebezeit und Czukay haben ja bei Stockhausen studiert und einer war auch sein Assistent, und mit ihrer Gruppe haben sie zusammen mit dem Japaner, der Autodidakt war, versucht, einiges davon in die Rockmusik einzubringen, was sie im (WDR?)Elektronik-Studio in Köln gelernt hatten. Das ist, aus heutiger Sicht, nicht alles schlecht und manchmal sogar interessant. Es ist eben auch immer eine Musik gegen die (Nazi-)Väter-Generation, und gleichzeitig gegen die britische Popmusik dieser Zeit. Und als „Krautrock“ einer der wenigen Beiträge der bundesdeutschen Popmusik zum internationalen Pop- & Rock-Katalog (neben Kraftwerk, mehr ist da ja nicht…). Ich glaube Dir sofort, wie die Tanztypen aussehen mit ihrem Ausdruckstanz, ich finde es aber ungerecht, das so zu schreiben – die Armen, sie konnten ja nichts (wenig?) dafür, so zu sein, wie sie waren. Und wie die Leute mit ihren Batik-T-Shirts bei Folkfestivals tanzen, ließe sich leider im Großen und Ganzen ähnlich beschreiben. I don’t blame them. Ich hoffe, es gibt keine Aufnahmen davon, wie ich in den 1970 „frei“ getanzt habe. Grins.

Ja!! sehr guter Einwand. Ich war selbst einer, der Nachsicht brauchte. Oder immer noch braucht. (JR)

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Auch merken: im Nacht-Gespräch V.D.Precht (mit BILD!-Chef Nikolaus Blome) gab es von ihm eine gute Prognose in Kurzfassung. Aufsuchen im ZDF HIER. Seltsam am Verlauf des Gesprächs: wie nachdenklich ein BILD-Journalist werden (oder sein?) kann.

Richard David Precht (betr.: Angst) a.a.O. 7:44 bis 9:23

[Wir stehen] vor einem Umbruch, der strukturell der größte seit 250 Jahren ist. Also vor 250 Jahren entstand in England die liberal-demokratische, kapitalistische Gesellschaft, die langfristig, über einen langen Weg auch von Korrekturen durch die Arbeiterbewegung usw. zur sozialen Marktwirtschaft geführt hat und zu den bürgerlichen Gesellschaften, die wir heute kennen. Das war die Grundlage, die erste industrielle Revolution. Und diese industrielle Revolution hat aus Ländern, aus Bauernländern, Länder(n) von Fabrikarbeitern gemacht, hat den Handel explodieren lassen, die Industrialisierung vorangetrieben usw., wir ernten heute sehr weitgehend die Früchte dieser Entwicklung.

Und jetzt haben wir wieder eine technische Revolution, die genauso einschneidend ist, wie die, die [es] damals gab. Und in den nächsten 20, 30 Jahren wird sich unsere Leistungsgesellschaft, unsere Industriegesellschaft, wie wir sie kannten, vollständig auflösen zugunsten einer anderen Gesellschaft, die sehr übel sein kann, die vielleicht auch gut sein kann, und das ist es, was die Leute überall spüren, dass es eben nicht mehr weiter geht wie bisher. Business as usual ist nicht mehr möglich angesichts der gewaltigen Umbrüche. [Blome: …aber das wissen die Deutschen! Das weiß die Mitte! Jeder zweite Deutsche, der arbeitet, arbeitet in einem Beruf, den er nicht erlernt hat, er hat schon mal den Job gewechselt. Der hat schon einmal komplett sein Leben eingerichtet.] Wir reden da von Szenarien, die im Augenblick da in Davos besprochen werden, die die Oxford-Studie zur Zukunft der Arbeit und viele andere nahelegen, dass in 20 Jahren mutmaßlich – genaue Zahlen gibt’s nicht, aber mutmaßlich – jeder Zweite in Deutschland keiner Lohnarbeit mehr nachgehen wird. 9:23

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Kürzlich eine Passage von Dariusz Szymanski aufgeschrieben (und dabei gegrinst):

ich hab jetzt was von Goethe gelesen, das war so ein Theaterstück, das war die Iphigenie, glaube ich, genau, und die wurde irgendwo aufgeführt, und dann habe ich in der Zeitung gelesen, mein Gott, das ist ein furchtbares Stück, das kann man überhaupt nicht mehr auf die Bühne bringen. Wann würde man bei uns sagen, mein Gott, die Neunte von Beethoven, die ist furchtbar, die kann man eigentlich gar nicht mehr spielen. Das wird bei uns nicht gemacht, also wir machen eigentlich immer Beweihräucherung, wir machen sozusagen…

(siehe hier)

Dazu folgender Text:

In der Märchenwelt der Klassik werden die Mächte des Bösen verzaubert. Alles Verzerrte, Verquälte, Unproportionierte, Unorganische, Unproduktive, Subversive, Chaotische erscheint hier nicht ausgeschlossen, sondern – gebannt. Unter den magischen Auspizien ihrer unheilsam heilsamen Erklärungszwanghaftigkeit entwickelt das zugleich rationale und magische Denken der „Klassik“ ein Weltbild mit autonomen Gesetzen: so gesehen, als skurille, versponnene Träumerei, wäre selbst Iphigenie möglicherweise noch einmal spielbar.

Quelle Jürgen Wertheimer: Goethes Glück und Ende, oder: Vom verhängnisvollen Schicksal, Klassiker zu sein / in: Über das Klassische Herausgegeben von Rudolf Bockholdt Suhrkamp Taschenbuch Materialien Frankfurt am Main 1987 / Seite 101-109

Bei dieser Gelegenheit entdeckt (Wikipedia Jürgen Wertheimer), über JWs Standpunkt:

Ein-Deutigkeit sei artifiziell und werde im Konfliktfall konstruiert und inszeniert, um Vielfalt zu negieren, zu tarnen, zu verstecken oder beiseitezuschieben, so Wertheimer in einem Beitrag von 2002. Im Normalfall, den es zu verteidigen und zu emanzipieren gelte, seien unspektakuläre Sätze wie jene möglich, die der Bekleidungskonzern Benetton den Jugendlichen Yussef sagen lässt, in einem Kollektionskatalog vor dem Hintergrund des israelisch-palästinensischen Konfliktfeldes: Er sei froh, ein Mischling zu sein. Wertheimer argumentiert, Benetton wolle keine Heile Welt- oder Multikulti-Idylle verkaufen, sondern es gehe darum, en passant „ein Gefühl für die innere Vielfältigkeit und Komplexität normaler Lebensläufe in Konfliktfeldern herzustellen.“

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Heute muss ich an „Khor Halat“ (Kurdistan / Kobane) weiterarbeiten. Eine interessante Frage ist aufgetaucht: gibt es dort „enharmonische Verwechslung“ oder eine Arte von Collagetechnik in der Kombination zweier (!) Melodien? Vielleicht ist es eine Idee des Komponisten (!) Sohrab Pournazeri.

13:05 Uhr Arbeit an diesem Stück (Skizze inzwischen ausgetauscht) beendet. Es fehlt allerdings noch der Clou, den ich erhoffe (siehe dort).

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Beim Klavierüben – wieder mal das Wohltemperierte Cl. I Praeludium e-moll – neu überdacht, was es mit dem rollenden Bass der linken Hand auf sich hat, der aus einer Übung für Friedemann hervorgegangen ist. (Siehe im gescannten Text HIER Seite 415 ab vorletzte Zeile und weiter). Dieser Bass hat zweifellos etwas zu bedeuten – soll Bach die wunderbare Melodie für nichts erfunden haben – oder nur, um uns parallel dazu wissen zu lassen „Übung macht den Meister“? Niemals. Der Bass weiß doch gar nichts mehr von der Übung, er übermittelt vielmehr etwas Ähnliches wie der Anfangschor der Johannespassion! Und wie ist die rollende Figur dort zu deuten? Sicher nicht als Wehen des Heiligen Geistes, wie es angeblich Martin Geck vermutet. (Dieser unfassbare Geist weht eher so ähnlich wie in der Motette „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“, also durchaus nicht wie ein Donnergrollen.) Mit anderen Worten: es dürfte ein neuer Blog-Artikel daraus werden. Ich habe einen plausiblen Hinweis gefunden, der vielleicht sogar bei der nachfolgenden Fuge weiterhilft, der spitzigen, zweistimmigen Fuge, die vom Teufel reden mag, aber nicht vom Heiligen Geist.

Und damit endet dieser etwas zusammengewürfelte Blog-Artikel, der seit dem 5. Februar ein paar zufallsgebundene Aktivitäten festhalten sollte. Es ist 20:45 Uhr, 7. Februar.