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Beethoven op. 111

Ein Blick auf den „Vorsatz“ EE 2018

Nach 10 Tagen kann ich sagen, dass dieses Exerzitium funktioniert, aber vielleicht nur, weil keine Zusatzaufgabe mich behindert hat. Bach „läuft“, nur die Beethoven-Sonate bin ich gestern erst angegangen, ein alter Widerstand, irrational. Ich habe das Adagio immer geliebt, ohne mich heranzutrauen, aber der erste Satz hat einen unauflösbaren Widerstand ausgelöst, – die schlichte Ursache: mit dem Pathos der verminderten Septime samt zugehörigem Septakkord mochte ich mich nicht identifizieren (anders als Adorno einst meinte, dem ich ansonsten zustimmte). Der Anfang der „Pathétique“ lag auf einer ganz anderen Ebene, vor allem begegnete er mir viel früher, nämlich auf einer 78-Platte mit Edwin Fischer; ich höre heute noch innerlich die Wendestellen mit. Damals (1956?) fand man nichts zu schwer, es muss furchtbar geklungen haben. Später, im Kölner Studium hat eine pianistisch hervorragende Kommilitonin (Helga Oeste), die Sonate in einer Vortragsstunde gespielt, und ich empörte mich (ihr zuliebe), dass der Direktor Heinz Schroeter äußerte, eine so junge Frau könne keinen späten Beethoven spielen. (Ich dachte: „Schau dich doch selber an!“)

Gut, das ist meine Vergangenheit. Heute ist alles anders. Der langsame Satz war immer das heimlich treibende Motiv, die Schwierigkeit des ersten Satzes die offensichtliche Hemmung. Jetzt müsste ich eine neue Grundlage schaffen, in Gestalt verbaler Interpretationen, z.B. in Thomas Manns „Doktor Faustus“ (wieder kommt Adorno zum Vorschein) oder dem was sonst noch greifbar ist. „Beethoven. Interpretationen seiner Werke“ Band II / Laaber, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994, 1996. Ansonsten, wie immer eigentlich an erster Stelle: Jürgen Uhde „Beethovens Klaviermusik Band III / Reclam 1974, 1991. Dazu die üblichen Monographien (an erster Stelle Maynard Solomon).

Die Interpretation im ersteren Werk (William Kinderman) scheidet seit gestern als indiskutabel aus. Jürgen Uhde bleibt. Wichtig erscheint mir zunächst der Hinweis, dass die Widmung an Erzherzog Rudolph nicht so aussagekräftig ist, wie es mir schien: „Als die Titelplatte in diesem Sinn gestochen war, konnte Beethovens nochmalige Sinnesänderung, das Werk Frau Antonie Brentano zu dedizieren, nicht mehr berücksichtigt werden.“ (Seite 563)

Beethoven op 111 Noten Seite 1

EE2018 Beeth.111 Satz 1 in Zeitlupe: es wird gehen, nicht so schwer wie ich dachte…

EE2018 Bach WTK Bd.II H-dur Prael. u Fuge memoriert, nach Riemann ist diese Fuge „der eigentliche Epilog des Wohltemperierten Klaviers“. Mich fasziniert eine (hier rot gekennzeichnet) Enklave im Praeludium mit einer regelrechten Begleitung (ähnlich dem späteren Alberti-Bass):

Prael H Alberti-Bass

Und so sieht es in Bachs Handschrift aus, dem Faksimile, einem übergroß dimensionierten Band, 14 Zeilen auf einer Seite. Auf dem Foto sieht man gerade noch den Mittelstreifen, links den Rest der 1. Seite des Praeludiums, dann die ersten beiden Systeme der neuen Seite: sie beginnt also mit der oben so genannten, und im Druck rot gekennzeichneten Enklave. Er fuhr vielleicht (!) auf dieser Seite nach einer Pause fort, ein bisschen vom Mutwillen (?) gepackt, ihm ging ein neues Thema durch den Kopf, samt einer neuen, geradezu frech unkontrapunktischen Begleitung, ehe er zum gebrochenen toccatenhaften Stil zurückkehrte. Könnte es nicht so gewesen sein? Ich bin mal wieder begeistert.

Fuge in H Enklave Faksimile rechte Hand eine Terz tiefer lesen!

Später werde ich den ersten Satz der Beethoven-Sonate hören; in einer gewissermaßen ungeprüften Aufnahme. Ich will den Spieler beim Spielen auch sehen können.

(Fortsetzung folgt)

Endgeiler Journalismus

„Doofe Frage: Aber was denken Sie, während Sie Beethoven spielen?“ 

Levit Uslar ZEIT Schlagzeile

Angenommen, es geht um den Anfang der Waldstein-Sonate, die repetierten Achtel, warum einen das umhaut (den Moritz jedenfalls), dann meint Igor:

Weil er einfach so unglaublich geil ist. Weil er so aberwitzig abgeht. Weil er so bebt. Es ist ein Erdbeben. Herzschlag dreihundert. Es ist pures Leben. Du kannst auf dem Klavier kein Vibrato erzeugen, das geht nicht, du schlägst den Ton an, der Hammer berührt die Saite, Punkt, der Ton verklingt. Wie entsteht ein Vibrato, wie kriegt man das Klavier zum Vibrieren? Es ist ein endgeiler Anfang.

Es gibt Unsinn, der vielleicht Sinn ergibt, wenn man hinzurechnet, dass eben das Herz überfließt. Mit Vibrato hat der Anfang ja nun wirklich nichts zu tun, aber da zugleich vom Erdbeben, Herzschlag, vom puren Leben die Rede ist, könnte man es so hinnehmen. Aber wie lange? Und ohne Musik?

Ich finde durchaus, dass man dieses Interview lesen sollte. Schon um zu erfahren, wie jemand einem bekanntlich sehr guten Beethoven-Pianisten 32 Fragen über Beethovens 32 Sonaten stellen kann, ohne dass dabei etwas Triftiges zum Vorschein kommt. Nicht jeder Pianist muss wie Alfred Brendel reflektieren können. Aber Levit hätte Anspruch auf einen Gesprächspartner, der nicht einfach nur alle Sonaten verbal abgeklappert haben will. Die Sprachnot selbst angesichts der Musik könnte Thema sein, doch hier hilft niemand, der den Musiker nur auf falsche Fährten lockt.

Ich sage: Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht über die Hammerklaviersonate nachdenke. Woran das liegt? Da könnte ich mich jetzt hinsetzen und ein Buch darüber schreiben.

Bitte nicht! Vor allem soll er Mode-Musik-Meinungsmacher meiden und weiterhin spielen, nichts als spielen! Egal, was er sich dabei denkt…

Was passiert in meinem Kopf, wenn ich spiele? Ich sehe immer Menschen. Immer. Und immer andere Menschen. Ob ich sie kenne, weniger oder mehr mag oder liebe: Ich bin menschenfixiert.

Gut. Aber nicht mit ihnen reden!!! Und nichts aufschreiben, und die auch nichts aufschreiben lassen! Es ist besser sich auf das zu beschränken, was längst gesagt wurde:

Je häufiger ich eine Sonate spiele, je mehr ich damit arbeite, desto weniger verstehe ich sie, desto mehr entfernt sie sich von mir, desto glücklicher werde ich damit, und desto öfter will ich sie spielen.

Soweit Igor Levit. Aber …

Quelle DIE ZEIT 19. Mai 2016 Seite 41 Es ist so unheimlich geil/ 2020 ist Beethoven-Jahr, der 250. Geburtstag des Komponisten. Der deutsch-russische Pianist Igor Levit, als Virtuose gefeiert, bereitet sich schon jetzt auf das große Jubiläumsjahr vor. Moritz von Uslar stellt ihm 32 Fragen zu Beethovens 32 Klaviersonaten.

Aber … ist das nicht ein Satz von Karl Kraus? „Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück.“ Nur das Glück fehlt hier noch. Oder ist es die Zeit? Oder die Reife? Und dann schlage ich die Radio-Zeitung auf und erinnere mich ruckartig, dass mysteriöse Aussagen in der Werbung für klassische Musik Hochkonjunktur haben, weil sie doch so superrätselhaft ist. Das ist einfach der Preis der Event-Publicity. Und das gilt auch für mich: Je weniger ich eine Sache zu verstehen vorgebe, desto eher vertrauen mir die Leute, die auch nichts davon verstehen. Danke! Ich scherze nur! Ich weiß wirklich nix. Ich bin nur geil auf Musik.

Bronfman Beethoven Foto (Ausschnitt) WDR/Imago