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Goldberg-Bass und Kanon

Nein, der Bass der Goldberg-Variationen stammt nicht von Goldberg ebensowenig wie sie ihm gewidmet sind. Der Bass war Allgemeingut wie viele andere auch, etwa der (ein) Bass der Chaconne, der Passacaglia u.a., man sehe unter Ground, Ostinato oder Division (divisions sind bereits Variationen über einem Ground). Hier ein Beispiel von John Banister aus „The Division-Violin“  (Playford 1685, Bachs und Händels Geburtsjahr!):

Banister Ground (bitte anklicken! Ground in der letzten Zeile)

Goldberg Bass „Ground“ und Goldberg-Bass Var. 30 in B

Bei Wikipedia findet man die originale Folge der Fundamental-Töne des Bachschen Themas in G (Own edition of the „Fundamental-Noten“ of BWV 988, J. S. Bach’s Goldberg-Variationen User: Dr. 91.41 3.12.2008)

Goldberg BWV988_Fundamental-Noten

Der Bach-Forscher Christoph Wolff vermutet, dass die Goldberg-Variationen „von Anfang an in das Gesamtkonzept der Clavier-Übung eingebunden waren und deren grandioses Finale darstellen.“ Und weiter schreibt er:

Die Variationen basieren auf einem 32 Takte umfassenden Thema, das in der Baßstimme einer Aria eingeführt wird und dessen Anfangsteil identisch ist mit dem Ostinato.Baß von Händels Chaconne avec 62 variations HWV 442, einem Werk, das 1703-1706 entstand und 1733 innerhalb dessen Sammlung von Suites de Pièces pour le Clavecin veröffentlicht wurde. Die Chaconne war als Einzelstück bereits 1732 bei Witvogel in Amsterdam erschienen, einem Verleger, der Bach als Vertriebsagenten der Cembalowerke des deutsch-holländischen Virtuosen Conrad Friedrich Hurlebusch bemühte […]. Bach wird die Amsterdamer oder Londoner Ausgabe von Händels Chaconne gekannt haben, und ihm muß der schlichte zweistimmige Kanon (einschließlich der Mängel seiner kontrapunktischen Konstruktion) aufgefallen sein, der die Schlußvariation bildet. Seine Betrachtung des von Händel verwendeten traditionellen achttönigen Ostinatomodells löste jene Art komplexer Kettenreaktion aus, wie sie im Nekrolog beschrieben wird: „Er durfte nur irgendeinen Hauptsatz gehöret haben, um fast alles, was nur künstliches darüber hervor gebracht werden konnte, gleichsam im Augenblicke gegenwärtig zu haben.“ Und so resultierte Bachs forschendes Experimentieren mit dem kanonischen Potential des achttönigen Themas in einer Serie von Vierzehn Kanons BWV 1087, die er später in sein Handexemplar des vierten Teils der Clavier-Übung eintrug. Im Fall des Variations selbst beschloß Bach, sich weder vom engen Grundgerüst der acht Fundamentalnoten noch von den begrenzten Möglichkeiten eines rein kanonischen Werks in seiner Kompositionsarbeit einschränken zu lassen. Und so erweiterte er den ursprünglichen Ostinatobaß beträchtlich, sa daß er der harmonischen Untermauerung einer Aria dienen konnte, deren bezwingende Melodie raffiniert von der Baßstimme ablenkt und damit auch vom eigentlichen strukturellen Rückgrat des Variationenzyklus.

Quelle Christoph Wolff: Johann Sebastian Bach S.Fischer Verlag Frankfurt am Main 2000 ISBN 3-10-092584-X (Seite 407) Die Anmerkungsziffern wurden in diesem Zitat weggelassen.

Die erwähnte Händel-Chaconne (Anfang – vgl. den Bass mit dem Bachs – und Ende, mit dem von Wolff hervorgehobenen Kanon der Var. 62):

Händel A

Händel Z

Und all dies hat letztlich auch mit dem Notenblatt zu tun, das uns Bach auf dem berühmten Porträt zur Kenntnisnahme vorzuweisen scheint. Ein Kanon, der offenbar jetzt erst endgültig entschlüsselt ist. Wie Jan Brachmann am 18.04.2014 in der FAZ berichtete:

Der Musikverleger Johann Anton André hatte 1840 eine Lösung präsentiert, die annehmbar, aber nicht ganz frei von Stimmführungshärten ist. Jetzt hat der englische Dirigent John Eliot Gardiner eine neue Lösung gefunden, die glatt aufgeht und ziemlich verblüfft: Man muss das Notenblatt umdrehen und gegen das Licht halten. Dann sieht man die fehlenden drei Stimmen [„Canon triplex a 6 vocibus“]. Dabei wird jede Notenzeile gespiegelt und ist rückläufig (im Krebsgang) zu lesen. Es handelt sich also um einen dreifachen Spiegelkrebskanon. Durch die Umkehrung der Blickrichtung wird aus Alt – Tenor – Bass die Stimmenfolge Bass – Tenor – Alt. Mitgeteilt ist diese elegante Lösung in Gardiners neuem Buch „Music in the Castle of Heaven. A Portrait of Johann Sebastian Bach“ (London 2013)

Bach (1)

Eine angenehme Vermittlung des Grundwissens und solcher Neuigkeiten zur Entschlüsselung des Kanons finden wir in den beiden Filmen, die das Bachhaus Eisenach in Auftrag gegeben hat. Manches wird Ihnen bekannt sein, manches ist noch einmal – munter wie für Kinder – zubereitet, aber: lassen Sie sich darauf ein. So werden Sie es nicht vergessen, und selbst die Zahlenmystik Bachs wird auf eine Weise dargestellt, dass man sich nicht in fruchtlose Spekulationen verwickelt sieht.

Das Musikbeispiel, das Sie im ersten Film bei 1:52 hören werden – die unterste Zeile des Notenblattes, das Bach in der Hand hält -, ist im gedruckten „Vierzeiler“ dieses Artikels (s.o.) die erste. Aber Achtung, es kommen andere hinzu, auch solche Stimmen, die gar nicht dazustehen scheinen, und sie ergänzen sich zu einem Wunderwerk, dessen von Bach ersonnenes schriftliches Kürzel der Maler Haussmann getreu wiedergegeben hat, – auch wenn man es in der obigen Reproduktion nicht genau erkennen kann. Ebensowenig wie die volle Zahl der 14 Knöpfe an der Jacke…

HIER (klicken!) Sollte es nicht gelingen, verwenden Sie das seltsame Suchwort „buchstabenschubser“.