Schumann-Projekt, dritter Teil

Streichquartett op. 41 Nr. 3

Zu Beginn der Frust: es macht keinen Spaß, diese zweite Geigenstimme zu üben. Man muss also wohl das Gesamtergebnis im Ohr haben. Ich habe es noch nie in meinem Leben gehört. Eine riesige Chance! Ich betrete also Neuland, wenn ich mit dieser Aufnahme beginne, und der Botticelli im Hintergrund stimmt mich froh.

Info über das Quatuor Ebène HIER.

Ich markiere die formalen Angelpunkte: Einleitung, die fallende Quinte 0:08 bis 0:52 / Haupttempo (Thema beginnt mit fallender Quinte) ABA 0:53 – 1:23, ab 1:23 heftiger Neuansatz, Entschluss nicht zu „zerfließen“, dennoch Thema – mit Bratsche – auf neuer Ebene, verebbt in 1:34, ab hier neuer Charakter, synkopisch-nervös, bzw. alle schlagen nach , nur die 1. Geige spinnt motivisch geradlinig weiter: bis 2:17, hier im pp innehaltend, bis 2:30 bereits epilogisch ausklingend. Abschlussgedanke bis 2:41. Wiederkehr des Anfangsmotivs als letzter Gruß bis 2:46. Wiederholung dieser ganzen Exposition (ohne Einleitung) bis 4:42. Und noch einmal scheint der Anfang wiederzukehren, wird aber abrupt unterbrochen bei 4:49. Eine heftige „Suche“ beginnt. Wer in den Schemata der Formenlehre denkt, wird dies als „Durchführung“ erkennen und als Ziel eine Reprise erwarten, – die aber aus bleibt oder nur zögerlich eingelöst wird, ab 5:28. Stattdessen nachdenkliches Innehalten. Und das Cello führt nun unmittelbar in den zweiten Abschnitt, der in der Exposition ab 1:34 auf den Plan trat und dort als „neuer Charakter“ bezeichnet wurde. Im weiteren verläuft nun alles nach dem Muster der Exposition, wenn auch in anderer Tonart. Bis 6:48 (oben „epilogisch ausklingend“). Der „Abschlussgedanke“ – er fungiert hier wie eine nachgelieferte „korrekte“ Reprise –  führt jetzt zu einer kleinen Climax, „künstlich“ ins piano gedehnt, fallende Quinte im Cello als Ausklang. 7:20 Ende des ersten Satzes.

So etwa würde ich den Verlauf des ersten Satzes mit Worten begleiten, nur um auf das aufmerksam zu machen, was geschieht, was also „eigentlich“ sowieso von jedem zu hören ist. Aber erst wenn das ganz klar ist, könnte man zu deuten beginnen. (Aber im Grunde gehörte oben das Wort „Suche“ schon in den Bereich der Deutung.)

Ich schaue, was der schon mehrfach zitierte Arnfried Edler zu diesem Satz zu sagen hat. Er hebt im Vergleich zu den beiden anderen Kopfsätzen des op. 41 diesen hervor:

Einzig die Durchführung des A-Dur-Quartetts Nr. 3 macht eine Ausnahme: in diesem Stück, wo sich Schumann der klassischen Thematik am nächsten befindet, schrumpft die Durchführung auf eine einzige kurze Sektion mit den beiden kontrastierenden Motiven des Hauptthemas zusammen, dessen Wiedererscheinen in der Reprise dafür gestrichen ist, so daß die gesamte Durchführung (TT 102-145) gewissermaßen den Hauptthemenkomplex in der Reprise vertritt. Doch stellt diese Konzentration der Form einen absoluten Sonderfall dar; sie erinnert an Schuberts Finale des d-Moll-Streichquartetts. Zu bemerken ist, daß das kontrapunktische Element, das auch schon in der Exposition hervortrat, in der Durchführung eine erhöhte Bedeutung gewinnt, jedoch zumeist in Gestalt isolierter Episoden, als eine besonders hervorgehobene Transformation des Materials unter anderen.

Quelle Arnfried Edler: Robert Schumann und seine Zeit / Laaber-Verlag 1982  (Seite 167)

(Fortsetzung folgt in einem späteren Beitrag, z.B. hier)

Ein lastender Termin vorüber. Ein guter Tag. Ein neues Buch:

Gülke Musik und Abschied a Gülke Musik und Abschied b  Seite 178:

Klassische Formen nehmen unsere Wahrnehmung bei der Hand, nur zu gern lassen wir sie gewähren. Sie bestimmen die Grade der Aufmerksamkeit – hier ein wichtiges Thema, das uns ganz und gar einfordert, dort eine modulierende Passage, bei der es nicht vonnöten ist etc. – insgesamt eine freundlich- sachbezogene Bevormundung, polemisch gesehen: Herrschaftsmittel eines Systems, welches vorschreibt, was wichtig und was nicht wichtig ist, und der Unbefangenheit des Hörens, dem radikal offenen Ohr entgegenarbeitet.

Dessen aber bedarf neue Musik, heute zumal angesichts permanent und meist falsch beanspruchter Ohren. „Daß nur ein Hören, das sich dem individuellen Stück mit Haut und Haar ausliefert und es nicht nur ohne Vorurteile, sondern ohne Erwartungen einer bestimmten Form von Sinn aufnimmt, zur Tiefendimension der sich ereignenden Musik vordringt“ – dessen ist sich Hans Zender sicher und versteht „Ereignis“ durchaus im emphatischen, von Heidegger und in George Steiners „Realer Gegenwart“ gemeinten Sinn. Nur allzu sehr im Recht, lässt er beiseite, dass Erwartungen – erfüllte, enttäuschte, im Verlauf vorgegebene – beim Hören allemal dabei, wir darauf angewiesen sind, zwischen mehr und weniger wichtig zu entscheiden, dass selbst dumpfe Vorahnungen von sinnvoll Gestaltetem von Erwartungen irgendeines roten Fadens grundiert sind. Jegliches Neue muss sich zu schon Vorhandenem verhalten, auch sich dagegen definieren – und ist, so sehr es den Blick abwenden will, auf den Bezug angewiesen.

Quelle: das oben abgebildete Buch von Peter Gülke. ISBN 978-3-7618-2401-6

Nachtrag (einige Tage später)

Der Wert dieses Buches ist in Worten gar nicht auszudrücken. Zu bedauern bleibt nur, dass der Text zur Musik oft so schwierig ist, dass Nicht-Musiker, die Ähnliches erlebt und gefühlt haben wie der Autor, nämlich den Tod eines geliebten Menschen, nicht auf die Idee kämen, intensiver hineinzuschauen. Ich würde es auch an Freunde verschenken, die eine ganz andere Musik lieben als die, die darin behandelt wird. Vielleicht mit dem Hinweis, nur die kursiv gedruckten Texte zu lesen: Am Abend zuvor, die Selbstgespräche I bis V und Ad finem, dann etwa den Text „Todes-Erfahrung“ auf Rilke, die Totenrede „Vox humana“ auf Dietrich Fischer-Dieskau. Man wird dies alles ein Leben lang nicht vergessen. Es gibt kein zweites Buch von diesem musikalischen und menschlichen Rang. Man kann nicht umhin, schließlich auch in die Musiktexte abzudriften und eine ernsthafte Neigung zu entwickeln, all diese Erfahrungen nachzuvollziehen. Bis auf die eine, unausweichliche.