Schubert & Tod

Zweischneidige Höraufgabe

kopatschinskaja-schubert-vorn kopatschinskaja-schubert-rueck Alpha 265 (Foto Julia Vesely)

Dem Rätsel der runden Gebilde im Wald – ich denke sinnloserweise an „Arrival“, aber auch an ein geschmackvoll eingesetztes Soundsystem  – kann ich im Video nachgehen.

Seltsam: der Flirt (oder die Identifizierung) dieser Geigerin mit dem fiedelnden Tod. Es ist (nur) eine Verkleidung, die aus andern Gründen befremdet als der Tod mit seiner Knochenfiedel.

geiger-tod-kopatschinskaja Aus der Fotoserie im Booklet

geiger-tod-rethel Aus meinem Bücherschrank

Quelle Volksbücher der Kunst: Alfred Rethel / Velhagen & Klasings Volksbücher Nr. 22 / Bielefeld & Leipzig 1911 (Seite 32)

Der Eindruck, dass die Inszenierung des „Mädchens“ als Tod – eine bloße Performance-Idee – vor allem als Denkfehler ankommt. Was aber noch nichts über die musikalische Interpretation und Gesamtkomposition sagt. Trotzdem: Erlebt man denn die Szene von innen oder von außen? Ist es nicht eine einsame Konfontation? Wenn man Tr. 5 – die Variationen über „Der Tod und das Mädchen“ – hört, irritiert nicht die angestrengte Tendenz zur Aufhebung der Individualität, wenn die 1. Geigenstimme chorisch gespielt, die Divergenz sogar hörbar wird? Warum soll man die panische Akivität des verlorenen Ichs auf viele Schultern verteilen?

Ich vermute, dass die Live-Wirkung auf der Bühne eine ganz andere ist, die Gruppe, die sich einig ist, jederzeit das solistische Quartett gemeinschaftlich zu übernehmen, hin und wieder einzelne Stimmen nach Bedarf heraustreten zu lassen, Zerbrechlichkeit zuzulassen. Bei 10:45 bis über 11:00 droht es zu misslingen und klingt leicht schäbig. Man fragt, ob man so mit Schuberts Tod verfahren darf: schon im Solisten-Quartett geht es hart an die Grenze. Und wenn ein Schubert-Satz zum Ende kommt, eine Erwartungspause entsteht, darf da eine andere, schwer einzuordnende  Realität antworten, z.B. Gesualdo, der nur aus unserer Entfernung doppelt erratisch wirkt? Schuberts wildes Scherzo also mit Verzögerung, ja, gewiss, es büßt seine Wirkung nicht ein. Natürlich nicht. Und die Kammerorchester-Version passt gut zum rabiaten Tonfall. Ist ein gemeinsames Wüten gemeint?

Ich denke an den Abend mit dem Kelemen-Quartett zurück (hier). Entscheidend war die Live-Aufführung auf und jenseits der Bühne, die Licht-Regie, die Verteilung im Raum, aber das Haydn-Quartett blieb doch ein Ganzes. Ich glaube gern, dass auch der aufgeteilte Schubert in Berlin – samt Intermedien – ein erschütterndes Ereignis war (vielleicht ohne das kokette Spiel mit dem Knochenkostüm?) und man wusste, alle Sätze werden eintreten, der letzte gewissermaßen durch Kurtágs „Kafka“ (Tr.9) herbeigeschrieen.

Und man muss nicht die Litanei vom Ganzen des Werkes herbeten, das man erstens kennt und das sich auch innerhalb des neuen Ganzen herauskristallisiert. Schwierig ist nur, die großen Quartett-Versionen, die man (vielleicht) im Ohr hat, nicht zu vermissen. Der Nachhall am Ende der CD enthält doch eine Spur zuviel Kammerorchester?

Vielleicht ist die Performanz der Musik wirklich ein Weg, den man neuerdings immer wieder gehen muss. Hélène Grimauds „Water“, Igor Levits „Goldberg“-Stille mit Marina Marina Abramović und vieles andere. Vor allem führt er die Neue Musik zurück in die „Gemeinschaft“. Oder verwandelt Alte in Neue Musik. Nehmen wir Kai Schumann mit „Insomnia“ hier. Ich wette: im Konzert wenigstens mit dem Thema der Goldberg-Variationen kombiniert. Oder … haben Sie 10 Minuten Zeit? Ob mit freundlicher Zuneigung oder leisem Widerstand – mir kann es egal sein. Der Komponist ist anwesend und darf entscheiden.