Neues von Berthold Seliger

Wer wissen will, wie in etwa (oder auch im Detail) das Musikgeschäft läuft, besitzt längst sein aufschlussreiches Buch über „Das Geschäft mit der Musik. Ein Insiderbericht“ (Berlin 2013 Edition Tiamat). Und wer darüberhinaus auf dem laufenden bleiben will, der liest regelmäßig seinen Presserundbrief, dessen Version 1/16 soeben eintraf, – Berthold Seliger.

Ich zitiere Auszüge und empfehle eiligen Lesern (gibt es die hier?) das Video zum Echo 2015 (am Ende dieses Beitrags).

Auf der Womex in Budapest gab es eine Session mit dem schönen Titel „Why Curation Will Save the Music Industry – The Power of Guidance in the Era of Algorithms“.
Und wer waren die Referenten? WDR-Funkhaus Europa-Chef Francis Gay und die Chefin des Lollapalooza-Festivals Berlin. Also ausgerechnet jenes Festivals, das so ziemlich das mainstreamigste und langweilste Konzertprogramm aller deutschen Festivals im abgelaufenen Jahr aufzuweisen hatte. Ganz so, wie man sich ein zum weltgrößten Konzert-Konzern Live Nation gehörendes Festival eben vorstellt, in dem die großen Namen zusammengebucht (oh, Verzeihung: zusammenkuratiert) werden, von denen man sich die größtmöglichen Profite verspricht, zu dessen Programm aber garantiert keine unbekannten Weltmusik-Acts gehören.
Wie man es schafft, ausgerechnet auf so ein Podium ausgerechnet bei der Womex ausgerechnet eine Vertreterin des weltgrößten Livemusik-Konzerns, der allüberall die kulturelle Vielfalt erschwert, Werbung für ihr Festival machen zu lassen, während unter den akkreditierten Womex-Teilnehmer*innen doch nun wahrlich genug Vertreter*innen unabhängiger Festivals aus ganz Europa zu finden gewesen wären, bleibt ein Rätsel. Und ein beträchtliches Ärgernis.

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Lollapalooza Berlin 2016 hat zwar noch keinen Spielort, aber kommerziell ist bereits alles am Start: „Kommen Sie mit. Zum Melt!, zum splash!, zum Lollapalooza oder dem ‚Pure&Crafted’. Wir bieten umfassende Sponsoringberatung ‚aus einer Hand’ – und haben eine passende Medialisierung sowie Streaming-Pakete ebenfalls im Angebot“, flötet die „Festivalvermarktungsabteilung“ des HUG-Konzerns in einer Mail Ende November 2015, „Copyright © 2015 Intro GmbH&Co.KG“.
In dieser Mail steht in bemerkenswerter Offenheit, warum man Festivals wie Melt oder Lollapalooza (mit-)veranstaltet:
„Die zunehmende Fragmentierung jugendlicher Zielgruppen macht ein Engagement in jungen Umfelder immer schwieriger. Im Vergleich dazu wächst der Festivalmarkt seit Jahren und gehört zu den attraktivsten Möglichkeiten, eine Marke in jugendlichen Umfeldern zu platzieren. Musik bedeutet Emotion und Leidenschaft: Unternehmen, die sich in diesem Umfeld engagieren, werden in Umfragen überwiegend als positiv bewertet – wenn das Engagement glaubwürdig und authentisch ist. Wir bieten in unserem Netzwerk dazu optimale Marketing-Plattform quer durch alle musikalische Genres, „Millenials“ ohne Streuverluste direkt und nachhaltig anzusprechen und Markenbotschaften zu platzieren.“
Die einen kuratieren also das Ding, in dem die anderen ihre Markenbotschaften platzieren. Eine Marketing-Plattform ohne Streuverluste.
Wenn Sie dachten, da gehe es um Musik – awcmon, das haben Sie nicht wirklich gedacht, oder? So naiv sind Sie schließlich nicht? Wollen Sie M.U.S.I.K. erleben? Dann fahren Sie besser zum Fusion, nach Haldern, Roskilde, Rudolstadt oder zum Beispiel nach Barcelona zum Primavera Festival. Oder besuchen Sie den Musikclub Ihres Vertrauens.

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Doch nicht nur die HUG-Unternehmensgruppe weiß, worum es wirklich geht (nämlich nicht um Kultur, sondern zuvörderst um Sponsoring und Profite). In Münster hat sich Anfang 2015 eine „Translate Entertainment GmbH“ gegründet, die „Programmplanung, Beratung, Künstlerbuchung und Organisation zum Beispiel für Corporate Events, Incentives, Galas und Stadtfeste“ sowie „inhaltliche und unternehmerische Konzeptionen für Veranstaltungen abseits vom traditionellen Konzertgeschäft“ anbietet.
Leute, die solche Firmen gründen, sprechen amtliches Musikindustriesprech, und das hört sich dann so an: „Vor Kurzem realisierte Translate für den Klambt Verlag einen IncentiveEvent mit Nena, konzipierte für einen Kunden aus dem TV ein LiveProdukt im Kids Entertainment und buchte bereits große Acts auf Veranstaltungen von Mercedes Benz, Telekom, HapagLloyd sowie weiteren Unternehmen.“ (laut „Musikmarkt“)
Gesellschafter der Firma sind Till Schoneberg mit seinem Konzertbüro Schoneberg und Florian Brauch und Florian Böhlendorf von Sparta Booking sowie Markus Hartmann von Green Entertainment. Worum es geht, fasst Translate Entertainment-Geschäftsführer Kevin Bergmeier im „Musikmarkt“ so zusammen: „…auf individuelle Anforderungen wie beispielsweise die musikaffine Inszenierung einer Marke, Entwicklung von EventKonzepten und den Einsatz eines VIP, eines Künstlers, dessen Musik oder Stimme in einer Werbekampagne können wir zielgerichtet eingehen.“

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Echo? Das ist diese von der Lobbyorganisation der deutschen Musikindustrie veranstaltete Dauerwerbesendung, die das Staatsfernsehen stundenlang im Abendprogramm auszustrahlen pflegt. Alles, was Sie über den Echo @ ARD wissen müssen, habe ich anhand des Echos 2015 in weniger als zwei Minuten auf einem YouTube-Video zusammengefasst:

Autor des oben zitierten Textes und des Videos: Berthold Seliger / siehe auch hier.