Lascaux 4 ist fertig? Was geht uns das an!

Die Kinder des Prometheus

Heute in der Tageszeitung (Solinger Tageblatt 10. Dezember 2016)

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Man muss es gesehen haben und vielleicht Fragen gestellt haben über eine Zeit, die ca. 35 000 Jahre zurückliegt. Als wir „Menschen“ geworden waren. Ich (WIR) beginne(n) HIER. Und habe jetzt den Parzinger neben mich gelegt.

Neben der Kunst und der Sprache bildet die Musik eine weitere wichtige Form der Kommunikation, deren älteste Zeugnisse uns aus dem Jungpaläolithikum bekannt sind. Der Mensch des Aurignacien machte Musik, und zwar – zumindest – mit Hilfe von Flöten aus Vogelknochen und Elfenbein, den ältesten bekannten Musikinstrumenten der Menschheit. Während es nicht ungewöhnlich scheint, aus hohlen Röhrenknochen Flöten herzustellen, so ist die aus Elfenbein gearbeitete Flöte aus dem Geißenklösterle, Schwäbische Alp, einzigartig (Abb….). Sie stellt die erste aus Elfenbein gefertigte Hohlform dar – ein kleines Kunstwerk, das nur mit größtem Aufwand zu erschaffen war. Es führt uns einmal mehr die herausragenden technischen Fertigkeiten der Menschen im Aurignacien vor Augen. Es dürfte kein Zufall sein, dass sich diese Flöten in jenen Höhlen der Schwäbischen Alp fanden, aus denen auch überragende beispiele frühester Plastiken bekannt sind. Der Kontext zwischen bildender Kunst und Musik könnte deutlicher nicht sein. Sie in den Rahmen von Kult und Ritual einzuordnen, ist sicher eine erlaubte Interpretation.

Quelle (aller Zitate und der folgenden Karte): Hermann Parzinger: Die Kinder des Prometheus / Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift / C.H.Beck München 2015 (Zitat oben: Seite 89)

Siehe linke Hälfte der Karte, Mitte: Weinberghöhle. Vgl. auch Geißenklösterle. Ganz links, grüner Schriftblock neben „Atlantischer Ozean“, 2.Wort von oben: „Lascaux“

aurignacien-parzinger Scan aus „Kinder des Prometheus“ S.78f

Interessant erscheint die Tatsache, dass die Tiere überwiegend in ruhigen Positionen, mitunter zwar auch in Bewegung dargestellt wurden, jedoch nie in aggressiver Haltung. Szenen etwa, in denen Raubtiere ein anderes Lebewesen reißen oder gar Menschen bedrohen, fehlen völlig in der eiszeitlichen Kunst. Es ist mehrfach darüber spekuliert worden, inwieweit diese künstlerische Ausdrucksform als kultische, ja magische Handlung zu deuten sei. Versuchte der Mensch damals, über die Kunst Einfluss auf die Natur zu nehmen? So hat man vermutet, dass das Zeichnen der Tiere möglicherweise ihre Kraft und ihr Bedrohungspotential bändigen sollte; demnach wäre das Kunstschaffen des frühen Menschen gleichsam ein Weg gewesen, sich der Tierwelt und der natürlichen Umwelt insgesamt zu bemächtigen.

Doch die Deutung der Eiszeitkunst bleibt ein hochspekulatives Unterfangen, bei dem sich kaum sicherer Grund für die Argumentation gewinnen lässt. Schon früh wollte man in diesen Bildern belege für schamanistische Rituale erkennen; insbesondere die oben erwähnten Mischwesen und abstrakte Zeichen wurden mit Trancephasen der Schamanen in Verbindung gebracht. Belegen lässt sich das alles nicht. Die Bilder der Eiszeitkunst sind weitgehend hermetische Repräsentationen ihrer Zeit. Wenn man ihnen diese Fremdheit zugesteht, bedeutet das nicht, dass man der jungpaläolithischen Kultur – unter Einbeziehung dieser Kunstäußerungen – animistische Züge absprechen müsste. Aber wir wissen einfach nicht, ob diese Bilder Platzhalter für Ahnen waren oder in Verbindung mit Jagdmagie, Initiationsriten oder anderen kultischen Handlungen entstanden und zu interpretieren sind. Mit Sicherheit dürfen wir aber davon ausgehen, dass die so reich mit Wandmalereien ausgestatteten Höhlen wie jene von Lascaux oder Altamira oder auch die vielen anderen in Portugal bis Norditalien auch als Kultplätze gedient haben.

Die Eiszeitkunst hat – wie auch immer sie im Einzelnen zu deuten sein mag – die menschliche Kulturgeschichte über 25 000 Jahre lang nachhaltig geprägt. Ihre uns erhaltenen Zeugnisse sind nicht in spontanen, emotionalen Einzelaktionen entstanden; vielmehr wurden die Bilder nach und nach häufig planvoll angefertigt. Viele Generationen haben sie gesehen und ihre Botschaften fortgeschrieben und erweitert – ein Prozess gesellschaftlicher Tradition, an der jeweils die ganze Gruppe teilgenommen hat. Kunst und Symbole des Eiszeitalter konnten nur entstehen und sich entwickeln, weil geeignete soziale und kognitive Vorbedingungen gegeben waren. Solche Darstellungen setzen die Fähigkeit, ja das Bedürfnis zur Mitteilung und zur Kommunikation von ganz bestimmten Inhalten und Botschaften voraus.

Diese Kunst basiert ferner auf der Fähigkeit, in der Vergangenheit zu lesen und in die Zukunft zu denken.

Quelle Parzinger a.a.O. Seite 87f