Keimzelle Familie nach 1933

(Fortsetzung des Beitrags „Zeitlosigkeit“ vom 17. Februar 2017 HIER.)

Es mag manch einem übertrieben scheinen: aber da ich nun einmal im eigenen Haus auf diese Zeitdokumente gestoßen bin, die Aufschluss geben über Vorstellungen von Privatheit im sog. Dritten Reich, will ich sie festhalten. Und die leicht provozierende Überschrift mag darauf hinweisen, dass ich kein Lob der deutschen Gemütlichkeit im Sinne habe. Mir fällt zum Beispiel auf, dass die Sphäre der Familie in einem traulichen Bild beschworen wird, das dem damals längst vergangenen Jahrhundert entstammt (1863). Bemerkenswert, dass der Vater fehlt.

Wohnmöbel nach 1933 1 … …Wohnmöbel nach 1933 2 … …Wohnmöbel nach 1933 3 … …

Familie unter Lampe Rumpf (näher am Original)

Wohnmöbel nach 1933 4 Doch der Vater?

Nein, „der denkende Mensch mit seinen schaffenden Händen“.

Wohnmöbel nach 1933 5 Gut- und Schlecht-KriterienWohnmöbel 6 … …Wohnmöbel 7 … …Wohnmöbel 8 … …

Aus dem alten Band „Deutsche Lyrik seit Goethe’s Tode“ (ausgewählt von Maximilian Bern, 10. Auflage 1886) stammt das Schwab-Gedicht, das meine Oma noch in den Kriegsjahren mit singender Stimme auswendig rezitiert hat. Es stand auch noch in den Lesebüchern der Zeit zwischen den Weltkriegen. Demnach war es durchaus nicht so, dass das Unheil ausgeklammert wurde. Davon zu hören, erhöhte die Gemütlichkeit. Die Oma erzählte sogar auch selbst von einem Blitz, der einmal dort – sie zeigte auf eine Stelle in der äußeren Wohnzimmerwand – eingeschlagen habe, dann zur Tür hinaus und die Treppe heruntergezischt sei und bei den Kühen im Stall vorbei ins Freie und in die Erde gefahren sei. Sie rezitierte oder erzählte dies natürlich auch nicht gerade, wenn ein reales Gewitter sich ankündigte oder draußen schon tobte. Vielmehr sorgte sie dafür, dass Scheren von der Nähmaschine am Fenster in der Schublade verschwanden, damit sie den Blitz nicht anzogen.

Gewitter Gedicht Schwab

Was meine Großmutter wirklich über die Zukunft dachte, weiß ich nicht. Fest steht, sie erwartete ein Strafgericht, ohne es mit dem Krieg in Verbindung zu setzen. Sie drohte immer mal wieder mit dem Tag des Hammagedon (sic!) und gab der Hoffnung Ausdruck, dass wir Kinder mit ihr zusammen zu den 144.000 gehören, die überleben werden. Das Fotodrama-Buch aus dem Jahre 1914 war eine ihrer Quellen:

Zukunftsvisionen

Ihre Tochter, meine Mutter schrieb am 22. Februar (das heutige Datum!!!) 1944 an meinen Vater, der hoch im Norden – im finnischen Kirkenes – stationiert war, den Brief, aus dem der folgende Ausschnitt stammt (Übertragung aus der Handschrift JR). Sie befand sich mit uns Kindern vorübergehend in ihrem Elternhaus auf der Lohe bei Bad Oeynhausen; auch ihr Bruder Ernst war zu einem Heimatbesuch von der Ostfront gekommen, wohl dem letzten in seinem Leben:

Ich habe immer noch keine Post von Dir. Seit dem 5.II. ist alles still geblieben, und ich weiß nicht, ob Du nun wieder gut in Kirkenes bist, und ob es Dir gut geht. –

Es geht uns hier gut. Die Kinder sind vergnügt und ausgelassen, haben besten Appetit und gehen mit solcher Fröhlichkeit unter die kalte Waschung, daß es eine Lust ist. Gestern hatten sie und auch wir ein großes Erlebnis.

Ernst, die Kinder und ich machten uns mittags in schöner Sonne auf nach Wittelmeyers, mitten während eines tollen Alarms, auf den wir hier keine Rücksicht nehmen. Unterwegs waren wir Zeuge der Luftschlacht, die sich über uns abspielte. Die Jäger machten sich mit einer Verbitterung dahinter, daß man die Bomber z. T. einzeln in Unsicherheit ihre Straßen suchen sah. Dann wurden auch diese Einzelnen noch gestellt, und einen sahen wir brennend abstürzen, einen viermotorigen Bomber. Es war ein grausig schönes Bild. Ernst war begeistert, und Bernd zitterte vor Erregung. Heute morgen wollte er schon um 8° nach draußen, um seinen Spielkameraden von diesem Erlebnis zu berichten. –