Ein Vorschlag, Chopin zu verbessern

Nur für aufgeklärte Pianisten

Chopin verschlimmbessert Mittelteil Impromptu Op.29 „gesäubert“ (s.u.)

Brief an K. zu op.29

Du fühltest Dich also an das andere Impromptu (cis-moll) erinnert, nur dass Dir hier (im As-dur) vieles weniger glatt einging, vor allem wenn der Mittelteil beginnt, – so merkwürdig stockend in der linken Hand, mit nachgelieferten Basstönen, leeren Stellen am Taktanfang, unnötigen Dissonanzen zwischen Melodieton rechts und Akkord links und anderes mehr. Man hat den Eindruck, er ist erst auf der Suche nach der richtigen Melodie, sie gelingt ihm nicht richtig. Daher diese Ausweichungen … und schließlich der Neubeginn eine Oktave höher.  – Tja, das habe ich mir fast gedacht, deshalb habe ich versucht, die Melodie von Anfang an zu verbessern, nur in der linken Hand habe ich alles beim alten gelassen. Fürs erste jedenfalls. Ich frage mich (und Dich), warum die linke Hand eigentlich die Melodie nicht geradlinig unterstützt. Sondern ihr immer wieder den Vortritt lässt. (Das hört ja später auf, da gibt es dann keine Pause mehr auf der ersten Zählzeit. Warum nicht?)

(Ein Blick auf die – in der Erinnerung – fast verwechselbaren Melodien:)

Chopin Impromptu cis-moll Mittelteil op.66 (posth.) *1834 publ. 1855

Chopin Impromptu Fis-dur F-Teil op.36 *1840

Weshalb diese typologische Ähnlichkeit noch nirgendwo behandelt wurde, ist mir ein Rätsel. Stattdessen immer wieder die Erwähnung Bellinis. Hat schon jemand seine Melodien daraufhin untersucht? Zu den Impromptus und zur verspäteten Veröffentlichung des op.66 siehe zunächst Wikipedia hier. Dort ist auch dessen Anfangsmotiv mit einem angeblich ähnlichen von Moscheles zusammengestellt. Wesentlicher scheint mir jedoch die Abwandlung dieses Motivs, dergestalt, dass es – wie auch das am Anfang von op. 29  – auf den Kern der Ur-Melodie verweist! Vollends wunderbar wird die ökonomische Inventionsarbeit des Komponisten, wenn man diesen As-dur-Anfangstakt nach Ges-dur transponiert und dann auf die ersten Takte des Impromptu op. 51 schaut.

Impromptu cis Motiv op.66 Impromptu As Motiv op.29 Impromptu Ges Motiv op.51

Und weiter!

Impromptu As Melodie op.29 Übergang zum Mittelteil und Melodie orig.

Alle Beispiele aus der von mir präferierten Ausgabe Paderewski / Instytut Fryderyka Chopina Polskie Wydawnictwo Musycznet Warschau 1949 / Sämtliche Werke 1960 erworben in Ost-Berlin.

Brief an K. zu op.29

Als nächstes käme der Schritt, in Worte zu fassen (freie Fahrt für Phantasie!), was der Komponist von hier an mit der schrittweise verfremdeten Melodie sagen will. Warum spielt er sie nicht einfach von A-Z, wie ich das oben angedeutet habe? Warum unterbricht er sich selbst, moduliert so geheimnisvoll, kehrt zurück, warum sagt er die Dinge immer wieder zweimal, einmal stark, einmal den eigenen Worten (Tönen) nachsinnend, warum geht er nicht direkt auf die Spitzentöne zu, nach denen er aufwärts „die Hände reckt“?  Was ist das Ziel seiner Aussage? Das Fortissimo oder die Rückkehr ins atemlose Figurenwerk? Virtuosität oder Unrast! Charmante oder – panische Unrast. Ja, ist es denn überhaupt heiter gemeint? Und am Schluss – der zerfallende Choral – ist das wirklich ein auflösendes, erlösendes Ende?

Du findest selbst die Antwort.

Liebe K., ich habe noch einen Vorschlag, Chopin bei seinem Impromptu zu Hilfe zu eilen, – er hat sich verzählt: er setzt lauter Vier-Takt-Gruppen hintereinander, das ist klar, aber dann plötzlich, in Takt 16 verzählt er sich. (Achtung: möglicherweise bluffe ich?) Oder er kann sich nicht bremsen, wenn er einmal chromatisch in Fahrt ist, – da hilft nichts, es wird doch einfach zuviel!!! Schon bin ich zur Stelle und kann Überflüssiges nahtlos heraustrennen, schau nur:

 Impromptu As leicht verkürzt

Siehst Du, jetzt sind wir pünktlich bei der Wiederkehr des Anfangs. Die Pünktlichkeit ist eine deutsche Tugend, von der weder Polen noch Franzosen viel halten. Da dürfen wir nachhelfen!

Du sagst: es ist gar keine Wiederkehr, er geht jetzt einen ganz anderen Weg?! Siehst Du, auch mit der Logik hapert es bei diesen Romantikern… Ein guter Formaufbau verläuft wie eine gute Melodie, nämlich quadratisch.

Streng logisch denkende Musiker nennt man daher auch Quadratköpfe.