Die Trompeten des Tutanchamun

Hintergrund einer SPIEGEL-Geschichte

Es gibt immer mal wieder Gelegenheit für jedermann, als Seiteneinsteiger Zugang zur Musikethnologie zu finden. Aber es scheint nicht zu genügen, einer wirklich fremden Musik zu begegnen, sie soll möglichst auch noch aus der tiefsten Tiefe der Geschichte aufsteigen, darüberhinaus aber doch mit Klavier und Sinfonieorchester aufführbar sein, so dass man sie leichter fassen kann.

Ein Urteil ist nicht schwer: Jemand, der eine Leier zusammengebaut hatte, deren Pläne er einem 3400 Jahre alten Dokument verdankte, entlockte ihr elegische Tonfolgen und meinte: „Es klingt sehr fremdartig, aber es ergibt Sinn.“

Ja, wenn wir nur wüssten, was das ist: musikalischer Sinn. Dann hieße es hier wohl korrekterweise: es ergibt keinen Sinn.

Der SPIEGEL brachte jüngst einen Bericht, der solche Fragen wieder aufwarf, und es ging los, mit Pauken und Trompeten:

Mehr als 3000 Jahre lang waren sie verstummt. Dann erweckte ein britischer Militärtrompeter die Instrumente wieder zum Leben: In einer Liveübertragung der BBC ließ er die Trompeten des Tutanchamun erklingen.

Die beiden Instrumente, das eine silbern, das andere aus Bronze, waren im Grab des Pharao gefunden worden.

Die Vorführung des BBC bewies, dass ihnen die Jahrtausende in der Gruft nichts anhaben können. Voll, durchdringend, lebendig klangen ihre Fanfaren. „Die silberne Stimme hallt aus einer glorreichen Vergangenheit zu uns herüber“, verkündete der Radiosprecher. 150 Millionen Menschen weltweit hörten zu.

Es war ein Gänsehautmoment der Archäologie. Und er wird einzigartig bleiben. Ein Praxistest wie an jenem Sonntagnachmittag des Jahres 1939 wird sich wohl nie wiederholen lassen. Denn kein Kurator wäre mehr bereit, eines der wenigen erhaltenen Musikinstrumente des Altertums dafür herauszugeben.

Quelle DER SPIEGEL 13/2016 Seite 112 Hymne auf die Göttin In Mesopotamien erklangen einst Trommeln, Harfen, ganze Orchester. Jetzt ist es Forschern gelungen, den Klang der jahrtausendealten Musik zu rekonstruieren. Von Johann Große.

Heute ist ein ähnlicher Tag: angeblich steht es kurz bevor, dass man Einblick in bisher unbekannte Hohlräume des Tutanchamun-Monuments bekommt. Die Totenkammer der Nofretete? Einerseits wieder ein neuer „Gänsehautmoment“, zweifellos. Andererseits schreiben wir den 1. April.

Es kann nicht schaden, ein paar Hinweisen nachzugehen. Gibt es die Trompeten des Tutanchamun? Haben sie Mundstücke, die einen Hinweis zur Anblastechnik und zum Klang geben? Siehe zunächst unter „Scheneb“ in Wikipedia.

Und nun etwas näher an die BBC-Quelle: Recreating the sound of Tutankhamun’s trumpets  Hier

Tatsächlich ist im Text zweimal vom Mundstück die Rede. Der Sohn des Trompeters Lucas, der das Originalinstrument 1939 gespielt hat, erzählt: „I was astonished with the quality of it, he said. How the original trumpeters played them is totally beyond me… [my father] used modern mouthpieces but the actual expertise he used is quite astonishing.“ Es ist aber auch die Rede davon, dass man von einem früheren Fehlversuch wusste, als nämlich die silberne Trompete einmal vor König Farouk gespielt werden sollte: „[The] story goes that the precious instrument shattered, possibly because of a modern mouthpiece being inserted to play it. According to Mr Keating’s colourful account, Mr Lucas was left as shattered as the trumpet and needed hospital treatment. The instrument, at least, was repaired.“

Die Geschichte gibt Anlass zu Zweifeln: man muss sich nur erinnern, welche Bedeutung der Pionier der „neuen“ Alten Musik, Nikolaus Harnoncourt, der Form des Mundstücks bei Blechinstrumenten beimaß, so kann man sich leicht vorstellen, wie authentisch der Klang eines altägyptischen Instrumentes mit modernem Mundstück sein kann. Man muss auch nur eine afrikanische Trompete wie die Kakaki gehört haben, um damit zu wissen, dass eine alt-ägyptische Trompete keinesfalls so klingen wird wie die in Verdis „Aida“. Aber das weiß gewiss auch die Autorin der BBC-Sendung, Christine Finn. Hören Sie ihre Sendung HIER , am besten gleich auf 0:55 vorfahrend.

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Merkwürdig, wie im Spiegel-Artikel die Geschichte von der pharaonischen Trompete mit der des uralten Saiteninstrumentes aus Mesopotamien verbunden wird. Nicht genug, dass man über diese Instrumentenkörper verfügt, man suggeriert, dass man auch ihres Geistes habhaft werden kann. Denn jeder weiß, dass es damals wie heute letztlich um Töne geht, also wohl auch um Musik. Wie wenn es nur zweitönige Fanfaren wären? Oder ein vieltöniges Gewaber? Nein, man weiß doch, – glaubt genau zu wissen, was es damit auf sich hat:

… wie keine andere Form der Kunst spricht die Musik direkt die Gefühlswelt an: versöhnliche Melodien wecken Sehnsüchte, aufputschende Rhythmen versetzen in Elstase, verschlungene Harmonien entführen in mystische Sphären. Was könnte besser geeignet sein, einen Zugang zum Lebensgefühl untergegangener Kulturen zu öffnen?

Mein Vorschlag: versuchen Sie es doch der Einfachheit halber zunächst mit lebenden Kulturen, – begeben Sie sich beispielsweise nach Nouakchott und hören Sie sich die diffizile Kunst der mauretanischen Griots an, „mit Originalinstrumenten“ und nicht nur im Vorübergehen, sondern täglich 3 Stunden lang, – was ist dann mit dem Lebensgefühl, den Gefühlswelten, den Sehnsüchten, Ekstasen und verschlungenen Harmonien? Da ist alles vor allem eines: fremd, fremd, fremd und will kein Ende nehmen. Und all die großartigen romantischen Projektionen funktionieren gerade in der Musik nicht eine Viertelstunde!

Und dann hören Sie sich die älteste Musik der Welt an, ein Fake sondergleichen, der auch im App DER SPIEGEL angeboten wird (ab 1:16):

Wie sagte doch Wotan vor Zeiten? Eines nur will ich noch: das Ende – das Ende!