Archiv der Kategorie: Kultur

Klassische Schönheit

Zur historischen Auffassung (1795)

Juno Ludovisi (Wiki) s.a. hier

Was Friedrich Schiller dazu sagt:

Der Mensch, wissen wir, ist weder ausschließend Materie, noch ist er ausschließend Geist. Die Schönheit, als Consummation seiner Menschheit, kann also weder ausschließend bloßes Leben sein, wie von scharfsinnigen Beobachtern, die sich zu genau an die Zeugnisse der Erfahrung hielten, behauptet worden ist, und wozu der Geschmack der Zeit sie gern herabziehen möchte; noch kann sie ausschließend bloße Gestalt sein, wie von spekulativen Weltweisen, die sich zu weit von der Erfahrung entfernten, und von philosophirenden Künstlern, die sich in Erklärung derselben allzusehr durch das Bedürfniß der Kunst leiten ließen, geurtheilt worden ist:Zum bloßen Leben macht die Schönheit Burke in seinen philosophischen Untersuchungen über den Ursprung unsrer Begriffe vom Erhabenen und Schönen. Zur bloßen Gestalt macht sie, soweit mir bekannt ist, jeder Anhänger des dogmatischen Systems, der über diesem Gegenstand je sein Bekenntniß ablegte: unter den Künstlern Raphael Mengs in seinen Gedanken über den Geschmack in der Malerei; Anderer nicht zu gedenken. So wie in allem, hat auch in diesem Stück die kritische Philosophie den Weg eröffnet, die Empirie aus Prinzipien und die Spekulation zur Erfahrung zurückzuführen. sie ist das gemeinschaftliche Objekt beider Triebe, das heißt des Spieltriebs. Diesen Namen rechtfertigt der Sprachgebrauch vollkommen, der alles das, was weder subjektiv noch objektiv zufällig ist und doch weder äußerlich noch innerlich nöthigt, mit dem Wort Spiel zu bezeichnen pflegt. Da sich das Gemüth bei Anschauung des Schönen in einer glücklichen Mitte zwischen dem Gesetz und Bedürfniß befindet, so ist es eben darum, weil es sich zwischen beiden theilt, dem Zwange sowohl des einen als des andern entzogen. Dem Stofftrieb wie dem Formtrieb ist es mit ihren Forderungen ernst, weil der eine sich, beim Erkennen, auf die Wirklichkeit, der andere auf die Nothwendigkeit der Dinge bezieht; weil, beim Handeln, der erste auf Erhaltung des Lebens, der zweite auf Bewahrung der Würde, beide also auf Wahrheit und Vollkommenheit gerichtet sind. Aber das Leben wird gleichgültiger, so wie die Würde sich einmischt, und die Pflicht nöthigt nicht mehr, sobald die Neigung zieht; eben so nimmt das Gemüth die Wirklichkeit der Dinge, die materiale Wahrheit, freier und ruhiger auf, sobald solche der formalen Wahrheit, dem Gesetz der Nothwendigkeit, begegnet, und fühlt sich durch Abstraktion nicht mehr angespannt, sobald die unmittelbare Anschauung sie begleiten kann. Mit einem Wort: indem es mit Ideen in Gemeinschaft kommt, verliert alles Wirkliche seinen Ernst, weil es klein wird, und indem es mit der Empfindung zusammentrifft, legt das Nothwendige den seinigen ab, weil es leicht wird.

Wird aber, möchten Sie längst schon versucht gewesen sein mir entgegenzusetzen, wird nicht das Schöne dadurch, daß man es zum bloßen Spiel macht, erniedrigt und den frivolen Gegenständen gleichgestellt, die von jeher im Besitz dieses Namens waren? Widerspricht es nicht dem Vernunftbegriff und der Würde der Schönheit, die doch als ein Instrument der Kultur betrachtet wird, sie auf ein bloßes Spiel einzuschränken, und widerspricht es nicht dem Erfahrungsbegriffe des Spiels, das mit Ausschließung alles Geschmackes zusammen bestehen kann, es bloß auf Schönheit einzuschränken?

Aber was heißt denn ein bloßes Spiel, nachdem wir wissen, daß unter allen Zuständen des Menschen gerade das Spiel, und nur das Spiel es ist, was ihn vollständig macht und seine doppelte Natur auf einmal entfaltet? Was Sie, nach Ihrer Vorstellung der Sache, Einschränkung nennen, das nenne ich, nach der meinen, die ich durch Beweise gerechtfertigt habe, Erweiterung. Ich würde also vielmehr gerade umgekehrt sagen: mit dem Angenehmen, mit dem Guten, mit dem Vollkommenen ist es dem Menschen nur ernst; aber mit der Schönheit spielt er. Freilich dürfen wir uns hier nicht an die Spiele erinnern, die in dem wirklichen Leben im Gange sind und die sich gewöhnlich nur auf sehr materielle Gegenstände richten; aber in dem wirklichen Leben würden wir auch die Schönheit vergebens suchen, von der hier die Rede ist. Die wirklich vorhandene Schönheit ist des wirklich vorhandenen Spieltriebes werth; aber durch das Ideal der Schönheit, welches die Vernunft aufstellt, ist auch ein Ideal des Spieltriebes aufgegeben, das der Mensch in allen seinen Spielen vor Augen haben soll.

Man wird niemals irren, wenn man das Schönheitsideal eines Menschen auf dem nämlichen Wege sucht, auf dem er seinen Spieltrieb befriedigt. Wenn sich die griechischen Völkerschaften in den Kampfspielen zu Olympia an den unblutigen Wettkämpfen der Kraft, der Schnelligkeit, der Gelenkigkeit und an dem edlern Wechselstreit der Talente ergötzen, und wenn das römische Volk an dem Todeskampf eines erlegten Gladiators oder seines libyschen Gegners sich labt, so wird es uns auf diesem einzigen Zuge begreiflich, warum wir die Idealgestalten einer Venus, einer Juno, eines Apolls nicht in Rom, sondern in Griechenland aufsuchen müssen.Wenn man (um bei der neuern Welt stehen zu bleiben) die Wettrennen in London, die Stiergefechte in Madrid, die Spectacles in dem ehemaligen Paris, die Gondelrennen in Venedig, die Thierhatzen in Wien und das frohe, schöne Leben des Corso in Rom gegeneinander hält, so kann es nicht schwer sein, den Geschmack dieser verschiedenen Völker gegeneinander zu nuancieren. Indessen zeigt sich unter den Volksspielen in diesen verschiedenen Ländern weit weniger Einförmigkeit, als unter den Spielen der feineren Welt in eben diesen Ländern, welches leicht zu erklären ist. Nun spricht aber die Vernunft: das Schöne soll nicht bloßes Leben und nicht bloße Gestalt, sondern lebende Gestalt, d. i. Schönheit sein, indem sie ja dem Menschen das doppelte Gesetz der absoluten Formalität und der absoluten Realität diktiert. Mithin thut sie auch den Ausspruch: der Mensch soll mit der Schönheit nur spielen, und er soll nur mit der Schönheit spielen.

Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Dieser Satz, der in diesem Augenblicke vielleicht paradox erscheint, wird eine große und tiefe Bedeutung erhalten, wenn wir erst dahin gekommen sein werden, ihn auf den doppelten Ernst der Pflicht und des Schicksals anzuwenden; er wird, ich verspreche es Ihnen, das ganze Gebäude der ästhetischen Kunst und der noch schwierigern Lebenskunst tragen. Aber dieser Satz ist auch nur in der Wissenschaft unerwartet; längst schon lebte und wirkte er in der Kunst und in dem Gefühle der Griechen, ihrer vornehmsten Meister; nur, daß sie in den Olympus versetzten, was auf der Erde sollte ausgeführt werden. Von der Wahrheit desselben geleitet, ließen sie sowohl den Ernst und die Arbeit, welche die Wangen der Sterblichen furchen, als die nichtige Lust, die das leere Angesicht glättet, aus der Stirne der seligen Götter verschwinden, gaben die Ewigzufriedenen von den Fesseln jedes Zweckes, jeder Pflicht, jeder Sorge frei und machten den Müßiggang und die Gleichgültigkeit zum beneideten Loose des Götterstandes: ein bloß menschlicherer Name für das freieste und erhabenste Sein. Sowohl der materielle Zwang der Naturgesetze, als der geistige Zwang der Sittengesetze verlor sich in ihrem höhern Begriff von Nothwendigkeit, der beide Welten zugleich umfaßte, und aus der Einheit jener beiden Nothwendigkeiten ging ihnen erst die wahre Freiheit hervor. Beseelt von diesem Geiste, löschten sie aus den Gesichtszügen ihres Ideals zugleich mit der Neigung auch alle Spuren des Willens aus, oder besser, sie machten beide unkenntlich, weil sie beide in dem innigsten Bund zu verknüpfen wußten. Es ist weder Anmuth, noch ist es Würde, was auf dem herrlichen Antlitz einer Juno Ludovisi zu uns spricht; es ist keines von beiden, weil es beides zugleich ist. Indem der weibliche Gott unsre Anbetung heischt, entzündet das gottgleiche Weib unsre Liebe; aber, indem wir uns der himmlischen Holdseligkeit aufgelöst hingeben, schreckt die himmlische Selbstgenügsamkeit uns zurück. In sich selbst ruhet und wohnt die ganze Gestalt, eine völlig geschlossene Schöpfung, und als wenn sie jenseits des Raumes wäre, ohne Nachgeben, ohne Widerstand; da ist keine Kraft, die mit Kräften kämpfte, keine Blöße, wo die Zeitlichkeit einbrechen könnte. Durch jenes unwiderstehlich ergriffen und angezogen, durch dieses in der Ferne gehalten, befinden wir uns zugleich in dem Zustand der höchsten Ruhe und der höchsten Bewegung, und es entsteht jene wunderbare Rührung, für welche der Verstand keinen Begriff und die Sprache keinen Namen hat.

*     *     *

2009 in Weimar, auf der Suche nach dem Schiller-Haus

Alles über Goethes Juno HIER von Georg Jäger (Germanist, München)

Widmung (Skizze)

Zu Bachs Partiten

betr. auch die Violin-Partiten (siehe „Loure“ hier in E-dur und in der Französischen Suite in G-dur)

Quelle Hermann Keller: Die Klavierwerke Bachs  / Edition Peters Leipzig 1950

Die Partiten / Titel-Wiedergabe in meiner Henle-Urtext-Ausgabe (1970/1979), deren Vorwort von Rudolf Steglich stammte, – dessen frühe Schrift (s.u.)  wiederum für mich erst im Jahre 1985 eine verlässliche Perspektive eröffnete, die eigentlich durch viele Begegnungen vorgezeichnet waren: Gustav Leonhardt, Franzjosef Maier, Sigiswald Kuijken und seine Brüder, Anner Bylsma, Jörg Demus, Paul Badura-Skoda, Reinhard Goebel, Rachel Podger, Isabelle Faust, die CDs von Christian Tetzlaff („Sei Solo“ = „ich bin allein“?) u. das wiederkehrende Phänomen, dass jemand die eigene  Referenz-Aufnahme nach Jahrzehnten durch eine neue ersetzt, als sei alles im Fluss.

Sonderdruck Möseler 1962

Jahresgabe 1960 der Internationalen Bach-Gesellschaft Schaffhausen (JR 10.4.86)

(Fortsetzung folgt)

Emil Staiger und die Lyrik

Über allen Gipfeln

Wieder einmal kehre ich in die 60er Jahre zurück, um die Zeitspanne, die mich von meinen Anfängen trennt, zu ermessen. Damals gab es kein Wikipedia, kein Internet, das fällt bei jedem Thema, das ich neu angehe, als erstes ins Gewicht. Wie schwierig war es damals, einen Überblick zu gewinnen, auch: sich von bestimmten Ansätzen zu lösen. Wenn man einmal drei Bände von Emil Staiger erworben und studiert hatte – und zwar mit Begeisterung -, glaubte man, mit diesen Themen fürs Leben vorgesorgt zu haben. Und nach 50 Jahren erinnert man sich vor allem daran, dass der Mann plötzlich nicht mehr zitierbar war, – war nicht der neue Geist der 68er schuld daran? Aber das dauerte ja noch 7 Jahre … heute weiß man über den Zeitrahmen in 1 Minute mehr als damals in Wochen.

Danach erst kam Wolfgang Kayser „dran“, der schon 1960 gestorben war, dessen Standardwerk aber erst in dem Augenblick kontaminiert erschien, als ruchbar wurde, was heute in Wikipedia hier als erstes auffällt. Rudolf Walter Leonhardt schrieb in der ZEIT zum 29. Januar 1961 einen ergriffenen Nachruf, – ebenfalls ahnungslos? Andererseits: ich sollte „Das sprachliche Kunstwerk“ unbedingt aufs neue konsultieren. Es ist kein ideologisches Werk. Unverzichtbar seine „Geschichte des deutschen Verses“, darin insbesondere die Neunte Vorlesung über Brentano und über „Des Knaben Wunderhorn“, eine neue Welt des Rhythmischen und des Klanglichen tut sich auf. (Staiger und der Bezug auf die Musik ab Seite 124 ff !)

Besitz JR 6.XII.61

Wikipedia zu Emil Staiger hier

Züricher Literaturstreit hier

Tondokument Staigers Rede „Literatur und Öffentlichkeit“ hier

Nachruf 30.04.87

Kaum ein anderer Literat hat so einsichtig über Musik gesprochen, wenn er über Lyrik nachdachte, wie Emil Staiger. Vielleicht niemand sonst bis zu Thrasybulos Georgiades, dessen grundlegendes Buch über“ Schubert / Musik und Lyrik“ 1967 (2.Auflage 1979) erschien. Also nach Staigers „Grundbegriffen der Poetik“ 1959 (Atlantis Verlag), und daraus jetzt die folgenden beiden Seiten, dann der Anfang der Übersicht des Georgiades-Werkes:

Emil Staiger

Georgiades Inhalt (Über allen Gipfeln)

Wandrers Nachtlied u.a. – der Text im Umfeld der ersten Gesamtausgabe 1827

Eine Gedicht-Interpretation (zu Wandrers Nachtlied 1 und 2) Auszug

Autor: Reinhard Lindenhahn

Quelle Arbeitsheft zur Literaturgeschichte WEIMARER KLASSIK von Reinhard Lindenhahn / Cornelsen Verlag Berlin 1996 (siehe hier)

Übrigens: ich habe vor wenigen Jahren (2016) schon einmal zum „Nachtlied“ recherchiert, an Ort und Stelle: hier , ohne mich an Emil Staiger zu erinnern. Nicht zu vergessen auch dieser Link zu Wikipedia: hier.

Der folgende Textausschnitt soll (mich) daran erinnern, von der oben erwähnten Arbeit über „Die Geschichte des deutschen Verses“ überzugehen zu dem interessanten Verhältnis zwischen Dichtung und Musik, und zwar anhand der Schubertschen Vertonung des Goethe-Gedichtes (und auch im Vergleich zu anderen Vertonungen), so wie es Georgiades in seinem großangelegten Buch über Musik und Lyrik (SCHUBERT) unternimmt.

Verlag Vandenhoeck & Ruprecht 2. Aufl. 1979

Diese präzise Sensibilität der Liedbetrachtung ist ohne Vergleich; sagen Sie nur vorweg, in welchem Vers Goethes die entscheidende „Brechung“ stattfindet (s.o. Seite 109 „Ein gleiches„), und lesen Sie die Begründung des Autors…

Dietrich Fischer-Dieskau 1969, – in studentischen Zeiten war er jahrelang das Nonplusultra des Liedgesangs; irgendwann aber begann man zu diskutieren, ob er nicht zu einer gewissen Manieriertheit des Vortrags neigte. So vollkommen seine Technik, witterte man doch die Absicht, die verstimmt. Wie hier zu Anfang in den Worten „überrallen“ Gipfeln, oder im leicht übertrieben inbrünstigen, zweiten „warte nur“. Es gibt nichts Empfindlicheres als solche Musik, solche Verse, und es trifft am Ende selbst den, der eine solche Differenzierung überhaupt erst in die Liederabende eingebracht hat.

SUFI RUMI

Noch eine Übung zur Toleranz?

„Stirb, stirb und fürchte nicht den Tod …“

Wer war Rumi? Siehe Wikipedia hier – Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī

Ein iranischer Journalist, der in Kalifornien lebt, begibt sich auf Spurensuche nach Konya

https://www.noaharjomand.com/about hier

die CD mit Ghalia Benali & Constantinople

das Rumi-Gedicht Tr. 4

Der Liebesbegriff in der islamischen Mystik: https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/1562159/full.pdf HIER ganzer Text / hier biographische Info

ZITAT aus dieser Arbeit von Barbara Lorenz (Graz, 2016) S.53

Das dem Propheten zugeschriebene Postulat des Sterbens, bevor man stirbt findet bereits in der Lebensgeschichte von Hallaj, der Rumi in mehrerlei Hinsicht beeinflusste, einen deutlichen Niederschlag. Rumi wählt mitunter durchaus ungewöhnliche Bilder für
diesen Prozess, so etwa das Kochen von Kichererbsen, das Bild des
„Gegessenwerdens“, aber auch das Opfer Abrahams. Es ist dieses notwendige
Nicht-Sein, um zu werden und zu sein. Grundlage der Suche aller Meister nach dem
Zerbrochen-werden und Nicht-sein. Ein ghazel aus dem Diwan bringt es zum
Ausdruck:
Stirb, stirb, bis diese Liebe tot ist! Wenn du in Liebe gestorben bist, wirst
du die unvergängliche Liebe gewinnen. Stirb, stirb und fürchte nicht den Tod! Denn
du wirst die Himmel gewinnen, wenn du dich über dieses irdische Sein erhebst.

Stirb, stirb und trenne dich von deinem niedrigen Selbst! Denn dieses niedrige
Selbst ist eine Fessel, und du gleichst einem Gefangenen! Stirb, stirb und komm
heraus aus dieser Wolke (deiner Ichhaftigkeit). Kommst du aus dieser Wolke heraus,
bist du der leuchtende volle Mond. Sei still, sei still, da Schweigen mit dem Tod
verwandt ist! (Aber) die Stimme deines Schweigens ist voller Leben!

Auf der vorhergehenden Seite 52 zitiert Barbara Lorenz ein berühmtes Rumi-Gedicht, das auch  in einem schönen Wikipedia-Artikel behandelt wird (Rezeption persischer Literatur im deutschsprachigen Raum – betrifft an dieser Stelle besonders Friedrich Rückert): nachzulesen hier.

Siehe, ich starb als Stein und ging als Pflanze auf / Starb als Pflanze und nahm drauf als Tier den Lauf. / Starb als Tier und ward ein Mensch. Was fürcht’ ich dann, / Da durch Sterben ich nie minder werden kann! / Wieder, wann ich werd’ als Mensch gestorben sein, / Wird ein Engelsfittich mir erworben sein, / Und als Engel muss ich sein geopfert auch, / Werden, was ich nicht begreif’: ein Gotteshauch!

Zugleich muss ich gestehen, dass es mir mit Rückert immer etwas zwiespältig erging: seine Verse hatten für mich immer etwas Kunstgewerbliches, Holpriges, Gezwungenes, geliebt habe ich sie immer nur dank der Musik, mit der sie sich verwandelten, von Schubert, Schumann bis Gustav Mahler.

Und wenn ich in die Titelei dieses Artikels noch einmal die „Toleranz“ eingefügt habe, hat dies den Grund, dass ich den Essay von Rüdiger Bubner nicht aus den Augen verlieren will, – ein Wunder der Logik, der klaren Gedankenentwicklung. Zugleich Markzeichen einer Spaltung, die mir Anfang der 60er Jahre immer bewusster wurde: seit einer ersten Nietzsche-Begegnung 1955 neigte ich dazu, mich seiner apollininisch-dionysischen Polarität zu bedienen. Sie erschien mir in unterschiedlichsten Verkleidungen, sagen wir: in den Gestalten von Hamsun versus Adorno, oder Hermann Hesse vs. Gottfried Benn. In Robert Musils Hinweis auf eine „taghelle Mystik“ schienen sie mir vereinigt. (Sehr merkwürdig auch die Zerebralität Anton Weberns und seine theosophischen Träume.) Aber wer spricht noch von Vereinigung? Dialektik ist Alles.

Und all dies spielt eine Rolle beim Hören dieser Rumi-CD und beim Lesen des begleitenden Textes, den kreisenden Assoziationen, der Erinnerung ans Auswendiglernen des genialen Goethe-Gedichtes, das ich mit Tinte an die Fensterscheibe meines Zimmers am Paderborner Weg geschrieben hatte (mit Blick auf die in der Tiefe liegende Stadt – Bielefeld): „Sagt es niemand, nur den Weisen, weil die Menge gleich verhöhnet, das Lebend’ge will ich preisen, das nach Flammentod sich sehnet.“ Und heute nun dies:

Lese ich hier von Rumi, dem „Meister der Meister“, und der Frau, die seine Geliebte und Muse wird? Und die Illustration zeigt offenbar einen männlichen Derwisch, ebenfalls der weitere Text, nebst Hinweis, dass die anderen Schüler des Meisters eifersüchtig wurden? Kein ganz zufälliger Lapsus. Es ist ein großes Thema, dieser Austausch der Geschlechter in der orientalischen Lyrik.

Aber im Fall des Schams-e Tabrizi gibt es leicht Aufkärung: z.B. hier .

Der Fehler stört: er beruht auf einer Gedankenlosigkeit der Übersetzung, – offenbar aus der französischen Fassung, wo es sich allerdings um die männliche Form handelt, abgesehen von dem Wort „muse“, dort steht nämlich: „et celui qui devient son bien aimé et muse“ – auf deutsch also eine klärende bzw. verschlimmbessernde Version, – wozu, um Gottes Willen, denn das??? Ich will es gerne so verstehen:

Doch ob Rumi und Schams einzig in ihrer Liebe zu Gott vereint waren oder ob ihr Miteinander auch erotische Elemente barg, kam nie ans Tageslicht. Und da Rumi ein respektabler, wenn nicht gar hochverehrter Bürger der Stadt war, sorgte das Verhältnis der beiden Gottessucher zwar immer wieder für Gerede, wurde aber hinter vorgehaltener Hand diskutiert.

So im DLF Skript 7.10.2015 siehe hier , eine gut zu lesende Einführung. Die Stadt, von der hier die Rede ist, heißt Konya.

Meine Erinnerung an die alten Mauern Baktriens (Fotos JR 1974 bei Balkh/Nordafghanistan)

 

  

Habe ich es gewusst, als ich die Bilder machte? Hier in Balch/Baktra wurde Rumi am 30. September 1207 geboren. Die Familie verließ die Region vor Dschingis Khans Mongolensturm 2019 und kam (über Mekka) „nach Anatolien (Rūm, daher der Beiname Rūmī), das damals von den Rum-Seldschuken beherrscht wurde“ (Wikipedia).

Und noch etwas ist unvergessen: dass die Sängerin Ghalia Benali mir schon 2010 Respekt eingeflößt hat, als sie sich an das Erbe der großen Ägypterin Oum Kalthoum heranwagte. „Al Atlal“!!! (Siehe auch im Blog hier!) Jetzt hat sie gemeinsam mit Kiya Tabassian ein großes Thema erschlossen, das nahtlos zu ihrer herrlichen Stimme und diesem hochmusikalischen Ensemble passt.

Lebenslieder?

Wie in der Popwelt über Klassik gesprochen wird

Immer mal wieder beschäftigt mich die Frage, wie andere Menschen eigentlich ohne klassische Musik auskommen.

Anders gefragt: welche Rolle spielt die klassische Musik für die Mehrheit unserer Gesellschaft? Tut sie bei ihnen keinerlei Wirkung? Oder: was ist es denn, was die Leute bewegt, wenn sie sich außerhalb der Klassik mit Musik beschäftigen? Und richtig zuhören. Nicht nur mitwippen. Oder tanzen. Was zwingt sie, nach Wiederholung zu verlangen?

Man schaue auch hier. Und hier.

Das beschäftigt mich also nicht nur am Rande, es betrifft ja mich selbst „existenziell“, wenn ich mich z.B. mit Enkelinnen und Enkeln unterhalte, deren Wohlergehen mir alles andere als gleichgültig ist. Auch die Frage der Toleranz spielt da eine Rolle: dulde ich es (nehme ich es hin), wenn abfällig über „Opas Musik“ gesprochen wird. Oder denke ich: es ist unwichtig, wenn sie in diesem Punkte „dumm“ sind?  (Sind sie nicht: sie denken auch bei ihrer Musik.) Ist es auch egal, wenn sie nicht lesen? Oder nur Krimis? Oder ihre Zeit mit Computerspielen ausfüllen. Ist heute ALLES anders? Hat die UMWERTUNG aller Werte längst stattgefunden? Aber anders als Nietzsche gedacht hat. Seinen Namen kennt niemand mehr. Die Umwertung ging in Richtung Entwertung. Klassik aber braucht einen Vorschuss an positiver Bewertung und eine frühe Eingewöhnung in das Ritual, z.B. die Erfahrung, in einem Liederabend – hinter dem gekünstelten Ritual – so etwas wie die Inkarnation einer Wahrheit zu erleben. . . . . »das weite Meer schon dunkelt, laß ausruhn mich von Lust und Noth, bis daß das ew’ge Morgenroth den stillen Wald durchfunkelt.«

Als ich noch „an der Macht“ war, folgte ich einem antiautoritären Prinzip der Erziehung, soweit ich es vermochte. Summerhill wurde ja überall diskutiert. Ich selber lehnte nachträglich die in meiner Kindheit zuhaus „genossene“ Erziehung ab. Meine Mutter war später entsetzt, wenn mein Söhnchen „Blödmann“ zu mir sagte und ich nicht reagierte. Wir redeten ja viel miteinander, ohne Wörter dieser Art zu benutzen, es gab viel Freiheit. Aufklärung hatte eine große Bedeutung. Alles konnte zur Diskussion gestellt werden, gerade auch die „Würde“ der Eltern, nur eins nicht: dass man Musik lernt. Wenn man wartet, bis das Kind selbst entscheiden kann, ist es zu spät. Was im täglichen Leben konkret bedeutete: Klavier zu lernen soll wenigstens in einer Musikerfamilie selbstverständlich sein, das lernt man genau so wie Lesen und Schreiben. Der sinnvolle Gebrauch der Finger! Feinmotorik! Klavier ist das abendländische Instrument schlechthin, wie die Laute für den Orient. Aber gern – nach freiem Wunsch des Kindes – auch ein zweites Instrument. Auch Jazz, Pop und alles andere stand offen, – sobald die klassische Pflicht erledigt war.

Aber das ist hier nicht mein Thema, sondern nur der Hintergrund meines Interesses an anderen Menschen, gerade solchen, die ohne meine Themen zufrieden sind. Ein dazu passendes Grundthema wäre dabei im Hintergrund eben auch – wie gesagt: TOLERANZ. (Ein Extra-Artikel ist in Planung.)

Und Barbara Schöneberger ist ein Phänomen. Oft schwer zu ertragen, schrille Mode präsentierend, zuweilen auch schlechte Sendungen, laut und aufdringlich, imponiert sie doch immer wieder mit ihren Einfällen und ihrer Fähigkeit, auch ernstere Themen mit guter Laune anzugehen. Unverkennbar: Menschlichkeit. Ich weiß, dass ihr Vater Soloklarinettist beim Bayerischen Staatsorchester war. Sie ist also mit (neben) klassischer Musik aufgewachsen. In die folgende Sendung bin ich durch Zufall geraten und habe sie nicht abschalten können. Kein Versuch, mich jetzt vorsichtig zu distanzieren. Im Gegenteil: ich will sie lesen lernen.

HIER

Ab ca. 12:00 Die Mutter erzählt: sie konnte schon als kleines Kind – vielleicht so zwischen zwei und drei Jahren – so locker 200 Lieder singen. Vater: sie ist wach geworden morgens und hat eigenmtlich schon gesungen, sie hat nie geweint, wenn sie aufgewacht ist. (ab 12:23 hört man das Kind singen!  „aber der Wagen der rollt“) Mutzke: „und du konntest tatsächlich so 200 Lieder auswendig singen?“ „Ja, und wenns nicht so wäre, dann würdfe ich das… nicht jetzt grade demontieren…“ (wendet sich an die Mama, die im Saal sitzt:) „stimmt das, dass die Barbara damals tatsächlcih 200 Lieder …? “ Mutter: „Ja, Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Fasching…“ etc. etc.  „Wenn der böse Weingeist dem Papa in das Bein beißt“ /  bis 13:56 dann Vater gesagt sie soll mal „Opernsängerin werden“ sie fand es aber total uncool, Opernsängerin! Mutzke: Und dann solltest du auch noch Klavier lernen! Sie: „Aber das Instrument und ich sind keine besonderen Freunde geworden.“ – „Jetzt habe ich natürlich wieder ein Klavier und so einen Chopin-Walzer krieg ich schon noch hin.“ Dann das Thema Rachmaninow (ab 14:35), Mike Schott (?) spielt das Thema des Klavierkonzertes Nr.3… ab 14:56 er musste es und tat für Mutzke sein Bestes, aber natürlich hat das Thema in dieser vollgriffigen Form keinerlei Wirkung. Wer Rachmaninow kennt, denkt an den Anfang dieses Konzertes, wie es aus dem Nichts kommt, und nur dann hat es die Aura einer fernen Erinnerung.

*     *     *

Soviel zu Barbara Schönebergers klassischer Musikausbildung. Mit ihrem Rachmaninow-Wunsch hat sie bei mir ein auditives „déjà-vu“ ausgelöst. Das rechne ich ihr hoch an.

Hören Sie doch den Anfang des „originalen“ Konzertes, ertragen Sie das Ritual des Konzertsaales, des Orchesters, des Publikums, hören Sie nur das Klavier mit seiner archaischen Melodie. Können Sie aussteigen? Nein, cool ist das nicht, auch wenn es noch so cool gespielt wird. Sie wollen es wiederhören. Und als ein „Lebenslied“ könnte man es sich in der Popwelt durchaus vorstellen. Hier.

*     *     *

Ich kann so nicht enden, quasi mit einem großen Fingerzeig in die reine Welt des Konzertsaals. Zu Anfang des Artikels sprach ich noch von der Welt der Enkel:innen, ohne zu erwähnen, dass die Anspielung auf das Wort TOLERANZ nicht einen heimlichen Richterspruch verbrämen sollte. Daher folgt hier ohne großen Kommentar ein neues Lebenslied der Enkelgeneration, – ich habe sie allerdings nicht befragt, sondern nur vertrauensvoll die neue ZEIT gelesen  -, Schlagzeile im Feuilleton Seite 46: Glänzendes Vorbild.

Zitat Wikipedia (s.hier):

Redakteure des Eye Weekly Magazins schrieben: „Es gibt keinen Zweifel daran, dass Beyoncé eine der besten Sängerinnen in der Popwelt ist, vielleicht sogar die beste lebende […].“[

In der ZEIT nachzulesen HIER. Um welche Stelle geht es? s. im Video bei 3:35

Theaterapplaus

Ist das „Buh“ eine ernstzunehmende Reaktion?

Es ist bestimmt originell, einen solchen Zeitungsartikel zu schreiben, – aber will man ihn auch lesen? Ich habe das authentische Buhen nur ein ein- oder zweimal miterlebt (ich bin nicht der typische Opernbesucher), vor Jahrzehnten in Köln: wie dieselben Herrschaften, die an der Garderobe ihre Schuhe wechselten, nachher einen armen Tropf von Tenor, der einige hohe Töne nicht mühelos geschafft hatte, mit diesem Urlaut schmähten. Er tat mir leid. Aber auch die Opernbesucher:innen. Es erinnerte mich an Berlin, an die Uraufführung von Schönbergs „Moses und Aron“, Hermann Scherchen hielt dem Publikum eine Standpauke, – und ich war sicher, die Buhs galten nicht der Oper an sich, sondern allein dem „Tanz ums Goldene Kalb“ und dabei nur der Tatsache, dass die Ausführenden nackt waren oder zu sein schienen, ein offen demonstrierter Sittenverfall. Ende der 50er Jahre, nein, 1960. Ich war begeistert. Doch das typische Opernpublikum ist eben anders (wir andern sind tumber, nein, viel zu etepetete), – unvorstellbar, dass ein Streichquartett ausgebuht wird. (Der Eclat mit dem Cembalisten Esfahani in Köln – das galt seinen Worten, dem Erklärenwollen Neuer Musik und einem Konglomerat von Missverständnissen.)

Was Brembeck über das Buh nach einer Bolero-Aufführung in Madrid schreibt, hat wohl mit dem Dilettantismus der typischen „Bolero-Freunde“ zu tun, die auch unruhig werden, wenn sie erleben, dass es vor und nach dem Adagio des „Concierto d’Aranjuez“ noch andere Sätze gibt. Vermutlich kommt das Buh – genau wie das Bravo – aus dem mediterranen Theaterleben, draußen ist schönes Wetter, kein Zufall, dass die im Artikel erwähnte Beifallspleite nach Kuijkens Zweitem Brandenburgischen beim Granada-Festival in der Alhambra passierte. Der arme Trompeter. Ich habe das vor Jahren woanders, aber bei demselben Stück erlebt (in Aachen) und beim Schluss-Chor des Weihnachts-Oratoriums – ich glaube in Bellinzona – , dass nämlich die lahmen Lippen dieses einen Musikers ein abschließendes Desaster verursachten, das man nie vergisst. Man wollte als Mitwirkender und Ohrenzeuge vor Scham im Bühnenboden versinken. Aber niemand im Saal hätte die Idee goutiert, den Unglücksraben mit Sitzkissen zu bewerfen. Ekelhaft.

Ein Triumph darf nicht misslingen. Wenn doch, sollte er auch nicht bewertet werden. So wenig wie ein Flugzeugabsturz.

Ich vermute, der Rezensent hat das Buh so allgemein zum Thema gemacht, um sich nicht von völlig inakzeptablen Geniestreichen distanzieren zu müssen. Er meint, der Protest sei in jedem Fall produktiv, jedenfalls immer geeignet, ein verschnarchtes Publikum aufzurütteln und die mutigen Regie-Täter durch Zurufe zu markieren. Ja, es ist richtig, das liegt nur

daran, dass deren in der Oper gängigen Abweichungen von den Regieanweisungen der alten Stücke sofort ins Auge stechen. Fast schon Randale gab es, als der Regisseur Jossi Wieler den Protagonisten in Wagners „Siegfried“ das neu geschmiedete Schwert Nothung in einem Klosett abkühlen ließ. Im derzeitigen Bayreuther „Ring“ hat Wotan keinen Speer, er wird genau so wie das Schwert Nothung durch eine Pistole ersetzt, und der Feuerzauber auf eine Kerze reduziert. Auch diese Verbannung lieb gewonnener Utensilien ist manchem ein buhwertes Sakrileg.

Wieso muss man eigentlich die Musik ernstnehmen und in der Substanz unangetastet zur Wirkung bringen, wenn alles andere destruiert wird? Warum darf man nur das musikalische Libido- und Feuer-Pathos nicht deutlicher ironisieren und z.B. mit Sirenengeheul anreichern? Spürt denn niemand sonst in der lammfrommen Herde des Publikums etwas von der satanischen Bedrohung, die vom Orchestergraben ausgeht? Seid ihr noch alle da!? – – – Zurück ins Kasperletheater!

Diebstahl oder kulturelle Aneignung?

So geht es mir oft (Stoffsammlung):

Ein Thema beschäftigt mich, oft aufgrund interessanter Lektüre, es übersteigt mich, ich halte das fest, was ich im Hinterkopf behalten will. Der (oder das) Blog ist mein Hinterkopf (-köpfchen), manchmal mehr ES, manchmal mehr ÜBERICH, und das ICH sagt: für alle Fälle aufbewahren, zur eventuellen Aufarbeitung. Es ist nicht von mir. Aber manches wusste ich längst. Anderes wollte ich immer schon gewusst haben. Ich schaue aus dem Fenster: die Sonne geht unter, sie zieht sich aus den Bäumen zurück. Morgen früh wird alles anders aussehen. Allerdings nur, wenn ich dies festgehalten habe.

Fensterplatz SG-Ohligs 5.8.22

Jens Balzer und Hansjörg Ewert

Was ist (dagegen) Zöglingsmusik?

Maximilian Hendler hier Musikästhetik und Grenzen im Kopf. Die politischen
Konsequenzen des Gefühlskults in der Musik

Kaser: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/RDFVYYETUCPFQLDPV64BCT5NFYJSQVWQ HIER

Eine Rezension: HIER

Bach, Vater und Sohn Beispiel: 2 mal Magnificat (s.a. Collegium aureum 1966)

https://www.zeit.de/2022/32/kulturelle-aneignung-kunst-musik HIER (Ewert)

https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2013/01/Text-Essay-Dieb-oder-Neuerer-neu HIER (Balzer)

Die ganze Oper „Euryanthe“ HIER (Warum? siehe Ewert.)

Was ist los mit Goebel?

Er ist siebzig, ganz anders und immer noch derselbe.

Hier

Goebel im Tagesspiegel 28.07.22

In Goebels Welt (August 2021)

Wie er das 19. Jahrhundert trägt

als ein Bündel Energie

und doch immer liebenswürdig.

Man sagt gern: Bleib, wie Du bist!

Mit herzlichen Glückwünschen – JR und ER 31.07.22

*     *     *

Neues von Goebel in der FAZ HIER

Grünewalds Körper

Fragen vorm Isenheimer Altar

Neulich stellten sich angesichts einer Bildbetrachtung (siehe hier) scheinbar nebensächliche Fragen ein, die ich (mir) separat beantworten möchte. Man weiß ja, dass Leonardo da Vinci neben seinen berühmten Gemälden auch Kriegsgeräte für den praktischen Gebrauch hergestellt hat, also kann man wohl im Fall des Malers Grünewald bei zusätzlichen Berufsbezeichnungen ebenso davon ausgehen, dass er nicht nur gemalt, geschnitzt und gemeißelt hat, sondern dass er im Umgang mit der Materie noch ganz andere Fähigkeiten entwickelt hat. Aber es hat gedauert, ehe ich herausgefunden habe, wofür denn ein „Wasserkunstmacher“ zuständig ist. Inzwischen weiß ichs und halte die entsprechende Quelle für alle Zeiten fest, – siehe insbesondere einen der ersten Links im folgenden Text, von mir fettgedruckt:

Was ist ein Wasserkunstmacher? (Quelle: DeWiki Austria-Forum hier)

Wie bei vielen anderen Künstlern seiner Zeit umfasste das Berufsverständnis einen sehr weiten Bereich von Tätigkeiten. 1510 sollte er den Brunnen auf Burg Klopp bei Bingen am Rhein reparieren, er zählte daher zu den sogenannten Wasserkunstmachern (heute würde man wohl Wasserbauingenieur sagen). Als oberster Kunstbeamter bei Hofe hatte er aber auch Neubauten zu beaufsichtigen und leitete in dieser Funktion die Umbauarbeiten in der Aschaffenburger Burg, dem Vorgängerbau von Schloss Johannisburg. Seine dortige Tätigkeit wurde der Nachwelt wohl nur deshalb überliefert, weil die Arbeiten misslangen und es zu einem Prozess kam (Kemnatprozess 1514–16).

Die Prozessakte, die neben seinem Testament als eines der wichtigsten „Grünewalddokumente“ galt, jedoch im Zweiten Weltkrieg im Stadtarchiv Frankfurt verbrannte, ließ erkennen, dass der Künstler den Großteil der Zeit des Prozesses nicht selber anwesend war. Dies stimmt mit der überlieferten Entstehungszeit seines Hauptwerks, dem Isenheimer Altar, zusammen, den er wohl zwischen frühestens 1512 und spätestens 1516 schuf. Die jüngere Forschung hat ins Spiel gebracht, dass er in der genannten Zeitspanne nicht in Isenheim selbst, sondern der nächsten größeren Stadt, Straßburg, tätig war.

Danach, also etwa 1516, trat Grünewald als Hofmaler in den Dienst des neuen Erzbischofs von Mainz, Albrecht von Brandenburg. Für diesen war er erneut als oberster Kunstbeamter des erzbischöflichen Hofes in der Residenzstadt Halle an der Saale für die Überwachung von Bauvorhaben zuständig. In dieser Funktion wurde er beauftragt, als Wasserkunstmacher eine Wasserleitung von Haibach zur Stiftskirche in Aschaffenburg zu planen und deren Bau zu überwachen.

Um 1526 schied Grünewald aus dem Hofdienst und ließ sich in Frankfurt am Main nieder, was oft in Zusammenhang mit Sympathien für die rebellierenden Kräften des Bauernkrieges gesehen wird. In der freien Reichsstadt verdiente er seinen Lebensunterhalt als Seifenmacher; er wohnte in dem Haus Zum Einhorn bei dem Seidensticker Hans von Saarbrücken. Im Sommer 1527 übersiedelte er wieder an seine frühere Wirkungsstätte Halle, wo er eine Mühlenzeichnung für Magdeburg anfertigen sollte. Freunde des Künstlers teilten dem Magistrat der Stadt am 1. September 1528 mit, dass er verstorben sei.

Soweit so gut.

Aber was ist mit Grünewalds Körper? Mit seinem eigenen und mit seinem Gefühl für andere, z.B. den Körper Christi. Warum diese Frage gerade an ihn, den Ungreifbaren, den großen Unbekannten, von dem kein einziges, wirklich beglaubigtes Selbstportrait überliefert ist? Ich erinnere mich an die Theorie von den zwei Körpern des Königs (siehe hier) und an deren Erfinder (hier) Ernst Kantorowicz. Und hoffe, darüberhinaus dann zu meinem Ausgangspunkt, einer Seite der ZEIT vom 28. Juli 2022, zurückkehren zu können, wo sich eigentlich sehr bald musikalische Fragen eingestellt haben, nämlich zur „historisch informierten Praxis“.

von Jörg Scheller

Natürlich ist mir als erstes aufgestoßen, dass dieser Artikel – leicht schockierend – sofort signalisiert, dass er eine höchst moderne Sicht auf die abgebildete Kreuzigungsszene vermitteln will. Und zwar mit den Worten: „Es ist ja nicht so, dass Jesus immer so drauf war. Am Anfang seiner Laufbahn wirkte er cool.“ (Das Wörtchen „fit“ fehlt mir grad noch.)  Damit wird der imaginierte Blick zuerst auf eine andere Darstellung gelenkt, nämlich die erste überhaupt, die sich am 432 n. Chr. entworfenen Hauptportal der Basilika Santa Sabina auf dem Aventin in Rom befinden soll. Womit ein enormer Bildungsvorsprung des Autors umrissen ist, den ich ihm gern zugestehe und auch stante pede auszugleichen suche, indem ich das Internet bemühe, Wikipedia sei Dank!

siehe Wikipedia hier

Irre ich mich? hier soll die erste bekannte Kreuzigungsszene der Geschichte zu sehen sein? Es passt nicht ganz. Zitat:

Jesus steht, die durchbohrten Hände den Betrachtern zugewendet, in Gekreuzigtenpose mit schwer zu deutendem Gesichtsausdruck vor einer Mauer. Kruzifixe der Romanik wiederum präsentieren ihn als Triumphator. Souverän erwidert er vom Kreuz herab die Blicke der Betrachter. Von Todeskampf keine Spur. Der Gefolterte ist evident fit und lebendig.

„Evident fit“, könnte stimmen, ja, allerdings irre ich mich! dies (oben) ist das Fresko in der Apsis, es geht aber um den Eingang der Kirche, die gemeinte Szene befindet sich aber keineswegs „am Hauptportal der Basilika“, sondern auf der Flügeltür dieses Hauptportals (siehe hier). Das obige Bild stammt aus dem Jahr 1569. Auf der Holztür von 432 erkennt man irgendwie den Bezug zur Kreuzigung,  der „schwer zu deutende Gesichtsausdruck“ ist allerdings, wenn ich recht sehe,  weder zu deuten noch überhaupt als Andeutung zu ahnen. Man vergrößere nur nach Belieben…

Das Hineinlegen ist manchmal attraktiver als das Auslegen, und so geht es weiter:

Grünewald war mit hoher Wahrscheinlichkeit von frühen lutherischen Predigten beeinflusst und entsprechend bemüht, die Heilsgeschichte auch ästhetisch zu reformieren, das heißt: unmittelbar erlebbar zu machen. Das mag aus heutiger Sicht überraschen, wird die Reformation doch vor allem mit Bilderstürmerei in Verbindung gebracht. [usw.]

Wenn der Isenheimer Altar tatsächlich in die Zeit 1512-1516 zu datieren ist, die Reformation aber mit den 95 Thesen begann, die Luther 1517 an die Türe der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt haben soll, wie sollte Grünewald schon frühe Predigten Luthers gehört haben? Und wo?  Zitat:

Luther hatte sich klar gegen kunstfeindliche Reformatoren abgegrenzt und betont, »daß ich nicht der Meinung bin, daß durchs Evangelion sollten alle Künste zu Boden geschlagen werden und vergehen, wie etliche Abergeistliche fürgeben, sondern ich wollte alle Künste, sonderlich die Musica, gerne sehen im Dienst des, der sie geben und geschaffen hat«.

Das wäre schön gesagt, steht aber geschrieben erst im Vorwort des Geistlichen Gesangbüchleins von Johann Walther, das Luther mit einer Vorrede versehen hat: veröffentlicht im Jahre 1524. Mehr über die Wittenberger Ereignisse der Jahre vorher hier.

Die Leiden Christi mit großer Schärfe darzustellen, war in dieser Zeit aber seit etwa 1500 geradezu verbindlich geworden, wie man bei Altdorfer, Dürer, Cranach und anderen Meistern studieren kann. Neu war es vielleicht, die körperlichen Spuren der Leiden auch in Spitälern so drastisch zu demonstrieren, dass die kranken Menschen wirklich glaubten, damit nicht allein zu sein. Ein Sinn dahinter wurde unmittelbar nachvollziehbar. Das Antoniter-Kloster in Isenheim war eine durchaus katholische Einrichtung. Wenn der ZEIT-Autor auch an Luther anschließt:

Zudem richtete sich das ursprüngliche Retabel nicht nur an Kleriker, sondern auch an Kranke, die in der Antoniter-Präzeptorei von Isenheim, wo der Altar ursprünglich aufgestellt war, behandelt wurden. Vermutlich führte man sie vor die Bildwerke, um ihre physische Genesung metaphysisch zu unterstützen – Komplementärmedizin, wenn man so will. Im Gekreuzigten konnten sie eine veritable Identifikationsfigur finden: Schaut, auch der Messias hat gelitten! Und dieses Leiden war nicht abstrakt, sondern real. Entsprechend tut sich hinter Jesus ein innerweltlicher Himmel auf. Vor der Restaurierung schien sich dieser in weitestgehend homogenem Schwarz zu erschöpfen. Nun aber sind Graustufen erkennbar, die den realistischen Eindruck verstätken. Auf den übrigen Tafeln des Ensembles empfehlen sich Heilige wie Antonius, Sebastian, Maria und Paulus als charakterfeste Vorbilder.

Schließlich die Frage: Welchen Effekt hat die Restaurierung auf das komplexe Gesamtwerk?  Dieses Beispiel – so der Autor – beweist, dass erst die restauratorische Kärrnerarbeit, die naturwissenschaftlich informierte Untersuchung und Sorge ums Detail, seriöse und werkadäquate Deutungen ermöglicht. Inwiefern?

Dank des restaurierten Zustands kann man jetzt viel stärker Bezüge zur Gegenwart herstellen und diese mit dem ganzen Körper erleben. Trennende Schichten zwischen Gestern und Heute sind im buchstäblichen Sinne abgetragen worden – auf dem Kettenhemd eines Soldaten in der Auferstehungsszene etwa tritt ein Blutfleck zutage, den der Firnis verborgen hatte. Vor allem das Leiden am Kreuze erscheint in seiner direkten Drastik als unzeitgemäßes, aber gerade deshalb erhellendes Symbol in Gesellschaften, die sich den Kampf gegen Schmerzen aller Art auf die Fahnen schreiben. In der Begegnung mit Grünewald spürt man, wie der Versuch, Schmerz gänzlich zu eliminieren – sei es durch freizügigen Gebrauch von Opioiden oder im Bemühen, noch die subtilste »Mikroaggression« zu unterbinden, mit dem Verlust von Intensität, Ekstase und vielleicht auch mit dem Verlust zumindest zeitweiliger Erlösung einhergehen kann.

Der Autor verweist schließlich auf den Philosophen Leszek Kolakowski als Kritiker einer (christlichen) Religion, die den Wert des Leidens nicht mehr akzeptiert. Bei einer notorischen Ausklammerung von Leid und Schmerz fehlten einer Kultur elementare Erfahrungen. Kolakowski: „Im körperlichen Schmerz werde ich vom Körper, der ich bin, aufgegeben. Ich höre auf, er zu sein, und werde zur Erfahrung dieses Körpers, das heißt eben zur Erfahrung des Leidens.“  Der Schmerz bedeute, dass man nicht einfach Körper ist, sondern dass ein Unterschied zwischen dem Selbst und seiner Physiologie bestehe. Es ist leicht, dies kritisch auf unsere Gesellschaft und ihre Techniken der Schmerzvermeidung zu beziehen. Der Autor kommt am Ende zu einem Fazit, das nicht so sehr überrascht, wenn man an den Kosmos der barocken Affekte vorausgedacht hat:

Der Isenheimer Altar erschöpft sich eben nicht in der Betonung von Verwesung und Verfall, Leid und Schmerz. Nur in geschlossenem Zustand des Altars stehen diese im Vordergrund. Hinter ihnen, gewissermaßen in der Latenz,  explodieren in der zweiten und dritten Wandlung der Altarflügel Pracht, Luxus, Freude, Fantasie, Kreativität, Ekstase. Grünewald und Hagenau legen nahe, dass Schmerz und Freude, Leid und Sinnstiftung zwei Seiten derselben Medaille sind. Eliminiert man das eine, eliminiert man das andere.

Und wenn ich Bachs Weihnachtsoratorium neben seinen Passionen sehe, frage ich mich, worin der Unterschied in der Weltsicht besteht.

Des weiteren verliere ich mich in der seltsamen Sammlung eines Comic-Zeichners HIER. Dürer, Hans Baldung Grien, Lucas Cranach usw.

Zum Abschied ein besonders cooles Foto vom Isenheimer Altar HEUTE (Herkunft privat) :

… ach vorüber, Nacht der Liebe

Vom Lohengrin zum Tristan

Meine Assoziationen sind für Außenstehende vielleicht nicht interessant, mich dagegen begleiten sie unentwegt, und für Nahestehende waren sie schon vor 55 Jahren unvermeidlich. Ich beanspruche jedoch weiterhin mildernde Umstände, wenn ich auch die aktuelle ZEIT und das heutige Bayreuth egozentrisch historisierend lese und sehe.

Googeln Sie doch den ganzen Artikel, nachdem Sie den kleinen mittigen Abschnitt gelesen haben, der mit der Titelzeile beginnt. „Die Musik sagt ja alles“. Ich dachte an das, was ich mir bei den letzten Zeilen meiner Schulmusik-Staatsarbeit gedacht habe: dass dort nach dem letzten Liebestod-Akkord die wahre Mystik ihr Werk vollenden könnte, aber sicher nicht in Bayreuth. Oder was auch immer ich gedacht habe. Im Jahre 1967 änderte sich ja gerade die ganze Lebensausrichtung, wie ein Brief erzählt, der in dieser Arbeitskopie damals wieder an mich zurückkam. (Daher die Namen Hans Hickmann und Marius Schneider) .

Die Musik sagt ja alles. Auf dem Papier mag das ein wenig ideenlos wirken, im Zuschauerraum sorgt es (abgesehen von den notorischen Zuspätkommern nach den Pausen und vom kollektiven Klatschen in den Liebestod-Schluss hinein) für enorme Ruhe und Konzentration. Das ist nicht immer leicht auszuhalteb bei Außentemperaturen von bis zu 36 Grad, es wäre aber unfair, dies der Regie anzulasten. (ZEIT Florian Zinnecker)

Immerhin: neben Adorno – Simone de Beauvoir und Sir Galahad

Ja, und dann interessierte mich heute noch, was mir im Lohengrin der frühen Jahre nie aufgefallen war:

In den letzten Takten der Lohengrin-Generalprobe habe Klaus Florian Vogt in der Titelpartie librettogetreu das Wort »Führer« gesungen, zum Missfallen einiger Zuschauer, so wurde berichtet. Die Zeile »Führer-Skandal im Festspielhaus« mag der Zeitung einige Klicks beschert haben, auch wenn die Diskussion um die fragliche Stelle seit Jahrzehnten ergebnislos schwelt. Natürlich ließe sich ein Wagner-Text von 1853 verändern. Aber wo dann damit aufhören? Im Zweifel ist doch das Störgefühl an den fraglichen Stellen weit wichtiger als die Illusion, es gebe zwischen Wagners Weltbild und unserem heutigen nicht wenigstens ein paar kleine Differenzen. (ZEIT Florian Zinnecker)

Das finde ich auch und lese nochmals im Text-Buch nach. Tatsächlich, da spüre ich Differenzen.

Seite 172  Der König und die Edlen (Lohengrin umringend):

O bleib! O zieh uns nicht von dannen! / Des Führers harren deine Mannen!

Seite 174 Lohengrin:

Seht da den Herzog von Brabant! Zum Führer sei er euch ernannt!

Bitte nicht missverstehen! Ebensowenig wie Elsas abschließendes: „Mein Gatte! Mein Gatte!“