Archiv der Kategorie: Instrumente

Was machte Igor Levit sprachlos?

Zu einem interessanten Porträt-Film

https://www.arte.tv/de/videos/092276-000-A/igor-levit-no-fear/ HIER verfügbar bis 21.06.24

Pressetext:

Igor Levit: No fear

Das inspirierende Porträt eines Künstlers auf seinem Parcours zwischen traditioneller Karriere und neuen Wegen in der Welt der Klassik: Der Film begleitet den Pianisten Igor Levit bei der Aufnahme neuer Werke, seiner Zusammenarbeit mit seinem kongenialen Tonmeister, mit Dirigent*innen, Orchestern und Künstler*innen.

Igor Levit ist ein Ausnahmekünstler im mitunter etwas gediegenen Universum der klassischen Musik. Seit er auf den großen Bühnen steht, meldet er sich immer wieder öffentlich und politisch zu Wort – eine Überlebensstrategie, die er in seinem Leben und in seiner Musik verfolgt. Er füllt die großen Konzertsäle rund um die Welt und spielt bei Eiseskälte im Dannenröder Forst aus Protest gegen dessen Rodung. Er legt die gefeierte Aufnahme aller Beethoven-Sonaten vor und widmet sich dann Schostakowitsch und Ronald Stevensons atemberaubender „Passacaglia on DSCH“. [ab 38:15 bis 50:20] siehe dazu Levits Video hier und zum Komponisten Wikipedia hier .

Er schlägt die Brücke vom Alten zum Neuen, von der Musik zur Welt, dorthin, wo die Menschen sind.
Der Dokumentarfilm von Regina Schilling („Kulenkampffs Schuhe“) begleitet den Pianisten bei der Erkundung seines „Lebens nach Beethoven“, bei der Suche nach den nächsten Herausforderungen, nach seiner Identität als Künstler und Mensch. Das Kamerateam beobachtet ihn bei der Aufnahme neuer Werke, bei der Zusammenarbeit mit seinem kongenialen Tonmeister, mit Dirigenten, Orchestern und Künstlern, bei seinem Eintauchen in die Musik, seiner Hinwendung zum Publikum, diesen unwiderstehlichen Wunsch zu teilen.
Dann bremst Covid dieses Leben unter ständiger Hochspannung von einem Tag auf den anderen aus. Über 180 gebuchte Konzerte werden abgesagt. In dieser Situation des unfreiwilligen Stillstands ist Levit einer der Ersten, der erfinderisch wird und mit seinen allabendlich gestreamten Hauskonzerten eine musikalische Lebensader zwischen sich und seinem Publikum auf Instagram und Twitter aufbaut. Während dieses Prozesses entdeckt er eine neue Freiheit, abseits der Zwänge des Tourneebetriebs, der Veröffentlichungen und der Vermarktung.

Regie: Regina Schilling / Jahr: 2022

Ab 55:22 Blick auf Salzburg / er beginnt, dem Kollegen Markus Hinterhäuser (Intendant der Salzburger Festspiele) von Keith Richards zu erzählen (Muddy Waters), und der andere erwähnt (allzu beflissen?) die Traurigkeit Chet Bakers. Gut seine kurze Bemerkung über die Oboe /diese Vergeblichkeit der Imagination, die manche Klavierlehrer einem auferlegen… bis 58:07

Nachhilfe in Sachen Blues

↑ siehe bei 4:24 (Muddy Waters)

Diese Beispiele dienen nicht nur der Exemplifizierung dessen, worüber kurz die Rede war, sondern auch der Nachprüfung, was davon übrig bleibt, wenn man es in extenso hört. Stimmt das Erinnerungsbild oder sollte man Vorsicht walten lassen? Das ist keine rhetorische Frage, die Antwort kann auch lauten: nein, ich sollte diese Musik auf jeden Fall länger auf mich einwirken lassen, und selbstverständlich gilt das gleiche für die Beethoven-Sonaten: wenn jemand, der sie studiert hat, beiseitelegen will – etwa um eine andere Form der Unmittelbarkeit zu erleben – ist das etwas anderes, als wenn man ihre Lebendigkeit nie wahrgenommen hat. Die Äußerungen die ein Mensch tut, der so Klavierspielen kann, dass unsereins nur staunt und die traumhafte Fingergerfertigkeit bloß hörend bewundert, darf niemand sonst „1 zu 1“ übernehmen. Und zum Beispiel die Ausdruckskraft eines einzigen Tones von Muddy Waters ausspielen gegen die ersten 25 Sekunden der Sonate op. 110, etwa hier. . .

Wohin mit all der Musik?

In die Ohren oder aus dem Sinn

Vor 25 Jahren erschien ein Buch, das im Titel viel versprach und auch entsprechend viel Stoff anbot, aber doch keine Schlagzeilen machte. „Soviel Musik war nie – Eine musikalische Kulturgeschichte“ von Klaus Peter Richter (München 1997).

Heute – gegen Ende des Jahres 2023 – sprach ich mit einem weltoffenen Orchestermusiker und fragte ihn, was er zur aktuellen Lage der Musik meine, – nach dem vielberedeten Einbruch der Publikumsfrequenz und der üblichen Teilschuldzuweisung an Corona.

„Alles Quatsch. Es gibt einfach zuviel Musik!“ war seine lapidare Antwort. Dabei meinte er alle Musikszenen, ohne die eine oder andere als besonders verwerflich zu brandmarken. „Es ist die Omnipräsenz der Musik, ihre beliebige Abrufbarkeit in den Medien, in der analogen Öffentlichkeit und auf dem Markt.“ Alldas habe im Kern an Bedeutung verloren, während gleichzeitig die Werbung für alle Musiksparten zum Himmel schreit. Ja, dachte ich, und wenn ich anspruchsvoll bin, kommen sie mir mit ihren Rarissima sogar nachgelaufen, in enzyklopädischen Prachtausgaben, von denen man zu meiner „Blütezeit“ nur träumen konnte.

Schluss, – ich beklage mich nicht, vorläufig schwelge ich und resümiere. Was liegt also griffbereit auf dem ultimativen Gabentisch?

natürlich! es lebe Bach!

ach! die 50er Jahre!

  5 CDs, – zuviel?

Inhalt der CDs

Übersicht der Instrumente

Prolog zu den Tonaufnahmen 7 CDs

Ich will auch das anfangs erwähnte Buch, das aus dem vorigen Jahrhundert berichtete, unter neuen Aspekten nochmal durchschauen. Gab und gibt es denn zuviel Musik oder zuwenig Leute, die soviel hören wollen?

längst nicht genug …

Thema Flöte

Geschichte und Gegenwart

Potsdam hier

daraus der Pressetext:

Unter Dorothee Oberlingers künstlerischer Leitung wird sich das Gesamtensemble der preußischen Künste weiterhin jährlich mit Musik und Oper und wechselnden Themen, die die kulturhistorischen Verbindungen zur Stadt Potsdam und zum Land Brandenburg programmatisch fantasievoll fassen, als sommerlicher Treffpunkt internationaler Künstler präsentieren.

Dabei wird das kreative Zusammenspiel der Künste mit interdisziplinären Konzepten, die die Verbindung der Künste untereinander suchen, verstärkt ausgelotet. Der Austausch findet – ganz im universalen Geiste Sanssoucis – zwischen den verschiedenen Kunstformen statt: Malerei, Architektur, Literatur, Tanz und Theater, aber auch Mode, Gartenkunst und sogar Sport oder Zirkuswelt werden auf ihr Verhältnis zur Musik befragt und ermöglichen neue, kreative Allianzen.

Dabei bleibt die zentrale Ausrichtung auf die sogenannte Alte Musik und historisch informierte Aufführungspraxis auf höchstem künstlerischen Niveau bestehen und bietet einen fruchtbaren Nährboden für die Künste, die den Gedanken und lebendigen Geist der Aufführungspraxis in sich tragen und Impulse setzen, um die Musik aller Zeiten zu erschließen und neu zu beleuchten.
Die verborgenen Preziosen des Potsdamer Repertoires, das mehr als 450 Jahre Musikgeschichte umfasst, wiederaufzuführen, ist dabei ein wichtiges Ziel.
Dennoch werden Ausflüge und Brücken zu anderen Genres wie Jazz, Pop, Elektronik, Volksmusik, ethnischer Musik, aktueller Musik etc. nicht fehlen.

In den nächsten Jahren bereichert ein Flötentag die Festspiele, naheliegend bei der großen internationalen Prominenz des Flöte spielenden Friedrich II. und seines Flötenlehrers Johann Joachim Quantz, dem Hof-Compositeur und Cammer-Musicus mit dessen „Versuch einer Anleitung die Flöte traversière zu spielen“. Hier werden jährlich renommierte Flötisten aus aller Welt, die verschiedenste Flöteninstrumente wie Traverso, Blockflöte, Csakan, Ney, Panflöte oder Shakuhachi spielen, zu Gast sein.

Die Festspiele werden ebenfalls mit der neu eingeführten Lunch-Konzertreihe junge Nachwuchs-Ensembles der Alten Musik verstärkt fördern.

Rezension von Frauke Adrians:

Quelle: das Orchester, Zeitschrift für Musiker und Management 1_24 . Seite 40f

Siehe zum Motto „In Freundschaft“ hier. Dort auch das Panorama aller Konzerte hier. Nirgendwo – soweit ich sehe – der in der Rezension genannte Name des „Kultur-Managers“ Folkert Uhde. Doch, – hier. Konzert „Gruppenbild mit Dame“ (Film ansehen).

Zu der in der Rezension angestrichenen Stelle (betr. die drei Freunde auf dem genannten Gemälde) siehe hier im Blog. Neu ist mir der Hinweis hier, dass es sich bei dem dritten Musiker (neben der Lautenistin) wohl nicht um Johann Theile handelt, sondern möglicherweise um Johann Philipp Förtsch. Zitat:

Das Notenblatt hat einen Kanon über den Psalm 133,1: Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen, ein unbekanntes Werk, das Bezug nimmt auf die Freundschaft und Zusammenarbeit der Musiker als „gelehrte Musiker“, also nicht nur als technisch geschulte Instrumentisten, sondern als Kenner der geistigen Inhalte der Musik.

Erinnerung an das Thema Flöte 1983:

Matt Molloy hier  Shakuhachi hier

(in Arbeit)

Tönender Atem

TAJIMA Tadashi, Shakuhachi

Die CD der Reihe World Network (WDR/Network Medien) (1995) ©1999 Text: Pof. Dr. Robert Günther und Yamaguti Osamu (s.a.hier). Zum Titelfoto: „Robert Günther sagte mir einmal, dass das Photo mit Tajima Tadashi vor dem Bambus in ihrem Garten in Köln Rodenkirchen entstanden ist. Seitdem hat dieses (eher) eine ‚ferne‘ Situation ikonisierende Photo für mich etwas ‚Familiäres‘: Ganz Fernes ist so plötzlich ganz nah.“ (Uwe U. Pätzold)

 

vermittelt durch Heinz-Dieter Reese

1. Daha no kyoku (Die Wellen schlagen) ab 0:31

2. Shika no tône (Fernes Röhren der Hirsche) ab 6:01 (CD Tr.2)

3. Tsuru no sugomori (Nistende Kraniche) ab 13:50 (24:52) CD Tr.7

Eine Empfehlung zum weiteren Studium:

https://schwabe.ch/Die-Welt-in-einem-Ton hier / Das Buch ist heute (27.11.23) bei mir angekommen: eine wunderbare weltmusikalische Unterhaltung!

Rückseite

Inhaltsverzeichnis

Aus dem Vorwort – zu den Fragen, wie man zu den Musikbeispielen kommt – und: wer ist überhaupt der zweite Autor des Buches? – hier:

Wie geht der griechische Dudelsack?

aus dem Film:

https://www.arte.tv/de/videos/099704-000-A/dudelsaecke-musik-und-klaenge-der-aegaeis/ hier

Arte-Text

Dudelsäcke, Musik und Klänge der Ägäis

Der Dudelsack ist als fester Bestandteil der Folklore Südosteuropas in Albanien, Nordmazedonien, Bulgarien und Griechenland, aber auch in der Türkei anzutreffen. Dem leidenschaftlichen Engagement einer Gruppe von Dudelsack-Liebhabern ist zu verdanken, dass die alten Traditionen bewahrt werden …

Der Dudelsack alias Askavlos [alias Tsambouna] begleitet von jeher bäuerliche Feste und Tänze. Das traditionelle Instrument wird allein oder mit Schlagzeugen und Lauten kombiniert gespielt und ist als fester Bestandteil der Folklore Südosteuropas in Albanien, Nordmazedonien, Bulgarien und Griechenland, aber auch in der Türkei anzutreffen. Dem leidenschaftlichen Engagement einer Gruppe von Dudelsack-Liebhabern ist zu verdanken, dass die alten Traditionen bewahrt werden und heute neue Ausprägungen in der zeitgenössischen Musikszene Griechenlands finden.
Von den kleinen Inseldörfern in der Ägäis bis in die Konzertsäle der modernen Städte macht der Film mit dieser mündlich überlieferten Tradition, die sich über Jahrhunderte erhalten hat und heute ein großes Comeback erlebt, bekannt. Festivals wie auf Santorini, Naxos oder Ikaria ziehen jüngere Menschen an, und der Asklavos (s.o.) hat nicht nur in Griechenland, sondern in der ganzen Welt viele begeisterte Anhänger.

Regie: Yorgos Arvanitis 2020

Wikipedia Tsambouna hier

Zitat daraus:

Um die Melodie rhythmisch zu gestalten, werden Vorschläge und Triller ausgeführt. Die Grifflöcher der parallelen Spielpfeifen werden jeweils von demselben Finger abgedeckt. Da die beiden Spielrohre nicht völlig identisch gestimmt sind, entstehen Schwebungen, die den Ton verstärken und die für die tsambouna charakteristisch sind.

Dieses Schwebungsprinzip (auch Schwebungsdiafonie) ist eine besondere Form der Mehrstimmigkeit auf dem Balkan, wie sie zum Beispiel in Südalbanien als Iso-Polyphonie bekannt ist. Nur auf der Insel Karpathos gibt es einen zweistimmigen diafonen Gesang der Frauen, der sich aus der Nachahmung der tsambouna-Doppelpfeifen entwickelt hat. Ähnliche schwebende Klänge produzieren die dalmatinische Doppelflöte dvojnice (auch als diple bezeichnet) und das Balkan-Doppelrohrblattinstrument sopila.[1]

Rudolf M. Brandl: Die „Schwebungsdiafonie“ im Epiros und verwandte Stile im Lichte der Psychoakustik. In: Rüdiger Schumacher (Hrsg.): Von der Vielfalt musikalischer Kultur. Festschrift für Josef Kuckertz. Zur Vollendung des 60. Lebensjahres. (Wort und Musik. Salzburger Akademische Beiträge) Ursula Müller-Speiser, Anif/Salzburg 1992, S. 57

Brandl a.a.O.

Musikalische Handwerkskunst

Peter Lamprecht ist ein Phänomen

Diese CD-Box mit allen Bach-Suiten

Man muss es genau lesen und verstehen: Nicht nur die Bach-Suiten, dieses zentrale Werk aller Cellisten in der Welt, wurden hier solistisch (Bass-Instrument ohne Begleitung) und in eigener Regie eingespielt, was ja bei Künstlern durchaus erwartet wird, aber auch die Instrumente wurden vom Interpreten selbst geschaffen, eine handwerkliche Meisterleistung: das Cello und die Viola da Gamba ganz und gar, das historische fünfsaitige Cello aus Ungarn (Suite VI) perfekt restauriert. Nicht genug: Die Tonaufnahmen wurden mit eigener Technik erstellt, realisiert und geschnitten, eine unglaubliche Arbeit (Toningenieur und Tonmeister in einer Person!), und schließlich auch noch Booklet und Box (letztere – zugegeben – als Fertigteil), die drei CDs umfasst.

Es ist kaum zu begreifen, wieviele verschiedene Begabungen hier ineinandergreifen und funktionieren müssen. Und am Ende ist es Musik, ein Dokument ganz großer Musik – von Johann Sebastian Bach.

Viele Jahre lang, als Peter Lamprecht noch Solocellist der Bergischen Symphoniker in Solingen war, sind wir hier mit barocken Programmen gemeinsam aufgetreten, ehe wir feststellten, dass wir praktisch am selben Tage des Jahres 1967 in der Kölner Musikhochschule Reifeprüfung gemacht haben. Während des Studiums sind wir uns – obwohl gleichaltrig – seltsamerweise nicht begegnet. Unter seinen Begabungen, die in den Jahren der Solinger Praxis hervortraten, ist eine noch nicht genannt: die pädagogische. Sein Sohn Christoph ist dank solider Ausbildung (zuhaus) ebenfalls ein renommierter Cellist und Kammermusiker geworden (hier).

Besonderen Dank schulde ich Peter Lamprecht, weil er meine kostbare afghanische Laute RUBAB, die vor ein paar Jahren durch einen Sturz vom Wohnzimmerschrank lädiert war, mit größter Sorgfalt restauriert hat: nun ruht sie dort auf dem schwarzen Eichenbrett, und kein Tag vergeht, an dem ich dort vorbeigehe, ohne dass ich an den Spieler des Instrumentes 1974 in Kabul  zurückdenke, Ustad Mohammad Omar, und zugleich an den liebevollen Rubab-Restaurator in Solingen, Peter Lamprecht.

Mohammad Omar 1974 (Foto JR)

Und da die heutige Präsenz des Internets es erlaubt, in jene Zeit zurückzukehren und dies gar im Zeichen des alten afghanischen Instrumentes, das nun wiederum mich und den außergewöhnlich vielseitigen Solinger Künstler auf besondere Weise verbindet, uns beide aber, ob wir es wissen oder nicht, auch mit jenem bedeutenden Musiker, den ich damals im fernen Kabul kennenlernen, hören und aufnehmen durfte: nicht ahnend, dass eine solche Zeit der freien Musik dort nie mehr wiederkehren würde… darum steht jener am Ende dieses Artikels – zu Ehren eines Solinger Interpreten.

Indisches Konzert in Köln (aktuell)

Karnatische Violinen 22. Juli 2022 18.00 Uhr

Wo? Bürgerzentrum Ehrenfeld Venloerstraße 429 Köln siehe events

Beispiel eines Konzertes: Ranjani Memorial Concerts 2021

Ranjani Hebbar is remembered in Udupi by her parents and her well wishers through ‚Ranjani Memorial Trust‘ established in 2014. The trust is organizing educative concerts and helps those who promise to dedicate themselves for the cause of Indian classical music. The Trust has been arranging concerts during the week of Ranjani’s birthday i.e, 9th September every year for the past 7 years to commemorate this great artiste and bring forth many more Ranjanis of today.

Biographische Infos: HIER und hier

Zum obigen Youtube-Video:

1. Raga-Interpretation: Raga Kalyana Vasantam / Alapana bis 2:23, dann 2. Geige plus Mrdangam etc. (Grundton auf D) / Rh wechselt bei 4:30 Mel. zur oberen Oktave  / bei 6:14 Rückkehr / Ende bei 8:35

Über den Raga: https://en.wikipedia.org/wiki/Kalyanavasantam

Persönliches: Wohlwissend, dass die indische Pädagogik keiner Notenschrift bedarf, sondern gesungene Tonsilben zum Einüben verwendet, man ist damit perfekt im Tonraum lokalisiert (organisiert) – sehe ich (je)den Raga beim Hören im westlichen Notensystem vor mir, den Grundton immer als C (egal ob er absolut auf D oder G „sitzt“, immer also das eingestrichene C auf der Hilfslinie direkt unter den fünf Linien). Als sei dies das Do im Do-re-mi-System, das SA im indischen SA-RE-GA-System. Ich höre in der ersten Minute die melodische Linie Es-d-c, unterhalb davon bis zum tiefen F etwas Ornamentales  mit dem übermäßigen Sekundschritt h-as darin, und auch: dass oberhalb dann der Ton f eine prominente Rolle spielt (nicht etwa g), länger ausgehalten. Ich vermerke mit Sympathie das Erreichen der höheren Oktave c und dort später das gleiche Motiv Es-d-c nach Minute 1:30, wo die zweite Geige sich in der tiefen Oktave dazugesellt hat. Virtuos wird von der ersten Geige die gesamte Skala eingeflochten, als sei sie uns allen längst präsent. Das ist schön genug. Ich halte beide Geigen im Auge (d.h. im Ohr). Wunderbar wie sie auf dem Ausgangspunkt C im zartesten Pianissimo wieder zueinanderfinden.

Mir ist klar, dass für viele vieles, was ich hier aufliste, völlig überflüssig scheint, sie hören lieber intuitiv, erfüllt – vielleicht – von einem „ozeanischen Gefühl“. Sie hören unerschöpfliche Improvisationen im wesenlosen Weltraum der Musik, aber – soweit ich das indische Denken verstehe (wer kann das schon?) – funktioniert es in diesen Fragen sehr präzise und definitiv: bei einer der frühen WDR-Aufnahmen mit karnatischer Musik – ich habe sie miterlebt, 24.03.73, Josef Kuckertz hat uns vermittelt – spielte das Dwaram-Ensemble, im Zentrum auch ein Violin-Duo, den Raga Kalyani, etwa 45 Minuten lang, perfekt in jedem Detail, virtuos, ohne die geringste Unsicherheit, – und dann brachen sie plötzlich ab, alles ungültig, der Geigerin war 1 falscher Ton unterlaufen, ein Tönchen, ein ragafremdes, und damit war alles Gelungene hinfällig. – Und da sollte ich als hergelaufener deutscher Geiger beschwichtigen und sagen: ist nicht so schlimm, „das merkt doch keiner“? Niemals. Und für die, denen die folgende knappe Datendarstellung zu weitläufig ist, sage ich trotzdem vorweg: das ist noch keine Katastrophe, die Hauptsache ist: zu begreifen, dass es nur das Mindeste ist, was man als Inder/in gelernt haben muss, bevor ein „Konzert“ für andere sinnvoll ist. Vielleicht nicht genau so, wie es in meiner westlich geprägten Auswahl steht, sondern in 10.000 Tagen des Übens und Studierens amalgamiert, in Monaten des Formelsingens, in Stunden des Fleißes und der Verzweiflung.

Die Skala dieses Ragas (+ Song) im folgenden Beitrag mitüben (Achtung: Grundton hier auf G)

Weitere Ragas (lexikalisch) hier (https://www.ragasurabhi.com/carnatic-music/ragas.html)

2. Raga-Interpretation: Raga Murali (?) ab 8:37 Alapana bis 20:16 Ende bei 39:04

3. Raga-Interpretation: Raga Abhogi ab 39:04 (ohne Alapana) Ende bei 51:45

https://en.wikipedia.org/wiki/Abhogi

Ein Meilenstein der Ragakunde war 1999 der „Raga Guide“ (mit 4 CDs), der allerdings in erster Linie die Nordindischen (Hindustani-) Ragas betraf. Abhogi findet man aber auch darin, weil der Raga südindischen Ursprungs ist. Für Notenleser sehr instruktiv, da nicht nur die Skala, im Aufstieg anders als im Abstieg, wiedergegeben ist, sondern auch eine melodische Verlaufsform.

Beim bloßen Hören könnte man meinen, es handle sich um einen petatonische Raga mit den Tönen C- d – f – a – c , bis bei 39:32 plötzlich in der höheren Oktave deutlich der Ton „es“ – im Text = „flat Ga“ – auftaucht.

4. Raga-Interpretation: Raga Khamboji ab 51:45 bis 1:03:55 Rh Ghatam-Solo + Morsing-Solo Ende bei 1:26:16

5. Raga-Interpretation: Raga Ahir Bhairav ab 1:26:28 Alapana bis 1:30:28 Ende bei 1:34:00

https://en.wikipedia.org/wiki/Ahir_Bhairav

aus Raga Guide s.o.

  Seite 250f aus Walter Kaufmann: „The Ragas of North India“ Published for the INTERNATIONAL AFFAIRS CENTER by INDIANA UNIVERSITY PRESS Bloomington USA & London 1968

Konzert im Bürgerzentrum Ehrenfeld 22.7.22 ab 18 – 21 Uhr

  Die Brüder Mysore & Sumanth Manjunath

Das Ensemble

Herbert Lang

Was ist Spic Macay? Selbstdarstellung hier

(Fotos: JR)

E-dur (und kein Ende)

Zunächst einmal zur Schreibweise Ich konnte mich nie entschließen, dem neueren Brauch der Großschreibung von Adjektiven wie dur und moll zu folgen. Ich wollte nicht rechthaben, aber es widerstrebte mir. Und nun fühle ich mich dank der Lektüre des Henle-Artikels zwar nicht völlig ins „Recht“ gesetzt, aber doch zusätzlich berechtigt, so zu verfahren.

Warum aber übe ich seit einiger Zeit mit Vorliebe Werke mit E-dur-Vorzeichen? Auf der Geige – wie immer – die entsprechende Kreutzer-Etüde und die Bach-Partita BWV 1006 – am Klavier, dazu tendierend, die A-moll-Fuge des Wohltemperierten Klaviers nach monatelangem (lähmendem) Studium in der Übe-Praxis aufzugeben, stattdessen die große E-dur-Fuge mit Ernst und Liebe in die Finger zu locken. Man sollte sie auswendig können, indem man sie begreift. Als zweite Aufgabe bei Bach – nach der jetzt mit Vergnügen wiederholten Französischen Suite G-dur (dank der Anregungen durch Andreas Gilger) die in E-dur, die ich vor Jahrzehnten mal mit „Leimer-Gieseking“-Methode auswendig lernen wollte. Was mir im Kopf nicht recht gelungen ist, aber mit Fingern durchaus.

Neu aber wäre – nach Jahren der Enthaltsamkeit – aufs Neue: Beethoven, einer Neigung widerstehend, die späte E-dur zu wiederholen, lieber also die frühe, die mich in jungen Jahren aus nichtigem Grund gequält hat. Begeistert hatte mich nur die Durchführung des ersten Satzes („Sehnsucht“), wirklich studiert habe ich dann in Berlin nur das Finale, den Mittelsatz wohl zig-mal „vom Blatt“ gespielt. Woher kommt plötzlich die Anziehungskraft eines Beethoven-Werkes, das vor 1800 entstanden ist? Warum nicht meine Lieblingssonate, die wie mit seltsamen Vogelrufen beginnt (Pirol + Nachtigall), nämlich die in G-dur op.14, Nr.2 ? Nein, die davor, E-dur op. 14 Nr.1. Danach werde ich gewiss automatisch weiterüben. In Erinnerung an die 80er oder 90er Jahre, als ich auf Biegen und Brechen sämtliche Beethoven-Sonaten – nicht gespielt – aber geübt haben wollte, und zwar so, als wollte ich sie einmal im Ernst spielen. Ein frommer oder auch nur ehrgeiziger Wunsch. Die Zeiten sind vorbei…

maßgebliche Anregung: der Kommentar von Donald Francis Tovey – aber vorher: der eher zufällige Blick in die Noten. Das Sechzehntel-Motiv, das mich immer schon geärgert hat. Warum eigentlich? Nachdenken beim Blick auf diese verdammte Stelle brachte mich auf technische Gedanken. Das reibungslose Übersetzen der Hände. Langsam. Mit Körpergefühl. Sonst nichts. Fingersatzfragen vielleicht. Gut gelöst in der Ausgabe von Conrad Hansen (nicht bei Tovey), mit Bleistift ergänzt durch meinen älteren Bruder, dessen Fluchen mir in Erinnerung blieb. Mein Vater konnte kein geduldiges und wachsames Üben vermitteln. Nachsicht mit sich selbst zu haben, nein, – zu üben. Nachsicht üben eben. Keine Schlamperei. Man übt menschlicher, wenn man wirklich weiß, warum. Wie wunderbar menschlich Tovey das Üben der Takte 5-6 anmahnt! In einem Tempo, in dem „die zum Verzweifeln heimtückischen Takte“ ohne Symptome der Vergiftung gelingen, obendrein mit dem Ziel, das „ais“ am Ende des Taktes 6 absichtsvoll zu lancieren… Oder wie meint er das? Das Rätsel damals war: wie konnte der Komponist nur auf diese Idee kommen: diese sinnlosen Sechzehntel einzubauen, reine Schikane! Weiß ich es heute besser? (Das muss sich jeder fragen, ohne eine schnelle Antwort durchgehen zu lassen.) Im Hintergrund lauerte damals auch die Enttäuschung über das zweite Thema, es sagte mir gar nichts, „schön“ wird es erst, wenn es fast zuende ist. Und dann die Fortführung. Das war übrigens auch beim ersten Thema so: die erste Zeile nimmt man gern hin, aber dann beginnt die „Zerstückelung“, und erst wenn es wieder ins Fließen kommt, ist man positiver gestimmt. Er weiß also wie es geht. Aber muss man dies alles in Kauf nehmen, nur damit man zu dem Überschwang des Ausdrucks „nach dem Wiederholungszeichen“ (auch das noch!) kommt?

Da hilft nichts, man muss den Sinn der „Zerstückelung“ erfassen. Schon die enttäuschende Schlussgeste nach dem viertaktigen, doch wohl vielversprechenden Aufstieg:

Der Quartsprung des allerersten Taktes, der sich scheinbar erwartungsvoll in die Höhe streckt, wird am Ende ausgefüllt. Ein zu früher Schlusspunkt. Selbst beim bloßen Zuhören reagiert man leicht verdutzt, – das war’s schon? Man sollte aus Enttäuschung produktiv werden: die Sechzehntel üben, als sei es die Hauptsache, sie nun auch wirklich nebensächlich perfekt hinzusetzen, kurz: spielerisch. Ja, gewissermaßen nächäffend, perfekt, aber beiläufig. Und plötzlich ist es Ernst. Die Vorschlagsfigur links, der melodische Sextsprung rechts, Expression! Schwer auszudrücken…

Ich versuche mich also in einer Sprache auszudrücken, die ich damals, in der Zeit der Erstbegegnung, wohl verstanden hätte, aber nicht zu sprechen gewagt hätte. Zu simpel! Und heute bin ich entsetzt, wenn ich frühe Liebesbriefe lese, die den Namen nicht verdienen. Trennungsschmerz, sicher, das erkenne ich, aber was für ein Nebenhergerede, was für ein Misstrauen, was für ein Nicht-Wagen-Wollen.

Aber hätte ich mich ausgerechnet in der Musik – der Sprache der Gefühle – auf eine fundierte Musik-Text-Analyse eingelassen? Mein Bruder jedenfalls, der die Sonate vor mir studierte, lehnte das von vornherein ab, auch Gedicht-Analysen fand er unerträglich; „zergliedern“ – gar etymologischen Reflexionen folgen – ich hätte es anders genannt, konnte mich daran begeistern und liebte das Gedicht nachher um so mehr.

Es ist nicht leicht, die Menschlichkeit einer solchen Analyse wahrzunehmen; man hört ja nichts, die Stimme des Erklärers fehlt, vor allem die lebendige Stimme des Klaviers, das die Beispiele schon während des Redens beredt darstellt oder andeutet. Hier – im Buch der Analysen – regt sich etwas, sobald man auf den Satz stößt: „Echte Musik beginnt dort, wo es unmöglich wird, ihre Wirkung in Worten zu beschreiben.“ Dann dürfen gern weitere 10 Seiten folgen, das Vertrauen ist da, und es täuscht in diesem Fall durchaus nicht. (Quellenangabe folgt später.) Lediglich meine Lieblingsstelle seit Jugendzeiten, die Durchführungsmelodie, scheint mir etwas stiefmütterlich behandelt. Obwohl der Hinweis darauf, dass die Tonart C-dur, auf die es hier hinausläuft, in der Reprise wiederum als neue Schattierung (gegenüber der Exposition) auftritt, nicht gerade trivial ist. Im Klavierunterricht genügt ein Fingerzeig. Für uns sind harmonisch komplizierte Vorgänge seit Max Reger und Richard Strauss so normal geworden, dass man die Bedeutung der scheinbar einfacheren Modulationen oft nicht mehr adäquat würdigt, oder erst willentlich in den Fokus rücken muss. Worum ich mich hiermit bemühe: es geht um den „simplen“ Übergang von der Tonart des Hauptthemas (E-dur) in die des Seitenthemas (H-dur Mitte Takt 22):

Hier ist die Beschreibung des Vorgangs:

Die Modulation selbst hat den Effekt eines plötzlichen Umkippens des scheinbar so mächtigen Tonmassivs im Hauptthema (T.16). Je mehr die Tonika im Laufe von 12 Takten des Themas gefestigt wird, desto stärker ist der Eindruck ihrer plötzlichen willkürlichen Zerstörung: Nach einem drohenden Aufstieg in Takt 13-15 verschieben sich alle Töne plötzlich gleichmäßig um einen Halbton nach oben (T.16). Im Ergebnis wird die Haupttonart E-Dur (sic!) der ihr fremden und widersprüchlichenlokalen Tonika Fis-Dur gegenübergestellt – als hätte man dem Hauptthema seine Grundlage entzogen und als habe es nichts mehr, worauf es beruhen könnte. Es entstehen unwillkürlich revolutionäre Assoziationen: Erschütterung der Grundlagen, Thronsturz, revolutionäre Behauptung einer neuen Macht: E-Dur plus Fis-Dur bedeutet unvermeidlich eine neue herrschende Tonika H-Dur. Nach der Wirkungskraft kann man eine solche Umwandlungsmodulation mit dem Übergang nach G-Dur im Finale der 5. Symphonie (ebenfalls eine stürmische Umwandlung innerhalb von nur einem Takt) vergleichen (T.35-36).

Jeder kennt die Stelle,- ohne sie noch als Besonderheit zu vermerken („nur ’ne Modulation“). Aber wenn man vom Klavier aus, bei der „stillen“ Sonate in E, drauf verwiesen wird…

Ich höre mit gemischten Gefühlen zwei verschiedene Versionen der Sonate, finde die eine zu langsam, die andere zu schnell. Und mir ist klar, dass der Laie dazu neigt, sich nicht von Geschwindigkeit beeindrucken zu lassen; er hängt am Detail. Der Profi aber hasst es, wenn die Musik ausgewalzt wird, er hat den Zug zum Ganzen. Was will ich sein? Vielleicht ist es gut, sich als Interpret gar nicht festzulegen, ehe man die Sonate technisch perfekt kann (aber: gibt es das überhaupt?). – Noch eine weitere Möglichkeit gibt es, sich aufs Glatteis zu begeben: Beethoven hat ja auch eine Streichquartett-Fassung dieser Sonate geschaffen, – kann eine solche Interpretation, die sich gewissermaßen vom Material des „Klavierkastens“ gelöst hat, als Maßgabe dienen? (Zur Diskussion auch noch folgendes.)

ALFRED BRENDEL :  HIER (mit stehendem Bild)

DANIEL BARENBOIM : HIER („live“ Video)

MICHEL KORSTICK : HIER (mit Notentext)

Streichquartett: HIER 

(Fortsetzung folgt hier: Schrei nicht so!)

Bach E-dur, erster Schritt: neue, übersichtliche Analyse herstellen, nicht in der praktisch „erarbeiteten“ Ausgabe, dem dort gegebenen Hinweis auf Froberger aber sofort nachgehen, eigtl. als Nebensache:

Bach WTK II BWV 878

Nach einer genaueren Form-Betrachtung (mit Czaczkes‘ Hilfe, dazu später mehr) sehen die Noten dann, wenn ich es knapp fasse, folgendermaßen aus:

  Bach WTK II BWV 878

Fuga in E – (erwähnt bei Keller, Dürr, Czaczkes) eine Vorgängerin bei Johann Caspar Fischer:

Fuga 1715 Wiki (!!) Ariadne Musica

Und nun zu Froberger:

Froberger Ricercare IV

Vergleichende Studie zu verschiedenen (anderen) Ricercares siehe hier

Johann Jacob Froberger: Ricercare IV / Markus Märkl an der Orgel (extern hier)

(Fortsetzung folgt)

Weiteres E-dur-Stück, das in „meine“ Serie gehört: Chopin-Etüde in E, die ich seit einem Jahr als coole Technik zu begreifen suche (nicht als Schwärmerei, wie in der Zeit, als mein Vater sie noch bei Familienfeiern spielen musste, – wenn nicht gerade die „Harfen-Etüde“): nach der Entdeckung, dass die erste Seite eigentlich ohne rechtes Pedal legatissimo gelingen müsste. Erst dann wird sie sehr schwer, – und nicht erst im Mittelteil.

Christian Schneider – unvergessen

Die Oboe und TIBIA

Ein Nachruf auf Christian Schneider in TIBIA

Am 20. Juni 2021 ist der Oboist und Professor an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und ehemaliger Mitherausgeber der TIBIA, Prof. Christian Schneider, verstorben. Mit ihm verlieren wir einen der prägendsten Hochschulpädagogen für Oboe der letzten Jahrzehnte, einen renommierten Musiker, einen leidenschaftlichen Sammler und Kenner ethnischer Oboeninstrumente, einen akribischen Forscher, einen feinfühligen und großherzigen Menschen.

Christian Schneider wurde 1942 in einer Musikerfamilie geboren: Sein Vater Michael Schneider war gefragter Konzertorganist und Hochschullehrer, seine Mutter und sein Großvater hatten Klavier und seine Großmutter Gesang studiert. Christian Schneider selbst lernte zunächst Geige, musste aber bald feststellen, dass seine Hand dafür zu groß und sein fünfter Finger zu kurz waren: So wechselte er im Alter von 15 Jahren zur Oboe, die ihm ein Nachbar in die Hand gab — und hatte auf diesem nahezu zufälligen Weg sein Instrument gefunden: Bis ins Alter hinein begannen seine Augen bei einem schönen Oboenton zu glänzen, dessen Nähe zur menschlichen Stimme ihn von Beginn an faszinierte. Zum Studium zog es Christian Schneider ins geteilte Berlin, wo er an der Hochschule der Künste (heute UdK) Oboe bei Karl Steins, Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker unter Furtwängler und dann Karajan, sowie Musikwissenschaften an der FU studierte. Im Anschluss an sein Studium wurde Christian Schneider Solo-Oboist zunächst der Bochumer Symphoniker und von 1972–1992 der Düsseldorfer Symphoniker/Deutsche Oper am Rhein.

Auch außerhalb des Orchestergrabens war er als Oboist aktiv, unter anderem in gemeinsamen Konzerttourneen mit seinem Vater, bei zahlreichen Einspielungen für verschiedene Plattenfirmen — und in den ersten Ensembles, die sich der Historischen Aufführungspraxis verschrieben hatten: Gut erinnere ich seine Erzählungen von seinem ersten Auftritt mit dem Collegium Aureum, für den er wohl recht kurzfristig angefragt worden war und also nur einige wenige Wochen hatte, um sich auf einer wohl „scheußlichen“ Kopie einer Barockoboe zurechtzufinden… Es folgten Engagements bei der Capella Coloniensis, der Camerata Instrumentale und der Hamburger Telemann-Gesellschaft, und auch wenn er seine Tätigkeit als Barockoboist schließlich einstellte und seinen spielerischen Fokus wieder voll auf die moderne Oboe richtete, blieb er der „Szene“ und ihren Protagonisten stets überaus freundschaftlich und wohlwollend verbunden: Dies belegt auch seine Tätigkeit als Mitherausgeber der TIBIA, für die er zahlreiche Fachartikel zu oboengeschichtlichen Themen sowie Musikerporträts verfasste (s. u.).

Überhaupt war es Christian Schneider eine Herzensangelegenheit, seine Erfahrungen und sein Wissen mit anderen zu teilen und an die jungen Generationen weiterzugeben: Parallel zu seinen musikalischen Aktivitäten unterrichtete er zunächst als Lehrbeauftragter und ab 1992 als ordentlicher Professor in der Nachfolge Helmut Huckes die Oboenklasse an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und bildete dort eine Vielzahl junger Oboisten aus, die bis heute prominente Stellen an Hochschulen und in führenden Orchestern wie dem Gürzenich Orchester Köln oder dem Bayerischen Staatsorchester bekleiden. Als wacher Zuhörer und einfühlsames Gegenüber widmete er sich mit größter Aufmerksamkeit seinen Studenten und neben seinen hervorragenden fachlichen Fähigkeiten war es diese menschliche Feinfühligkeit und Offenheit, die ihn zu einem einzigartigen Pädagogen machten: Er motivierte seine Studenten dazu, ihren individuellen Weg zu finden und zu gehen und unterstützte sie darin nach Kräften. Beispielsweise war er derjenige, der mir als Schülerin, von meiner Begeisterung für die Blockflöte und die Alte Musik wissend, eine Barockoboe samt Rohr in die Hand drückte („Probier’ doch mal“) und den Kontakt zu seinem Freund Alfredo Bernardini herstellte: Eine Starthilfe und Unterstützung, für die ich ewig dankbar bin.

Auch in internationalen Meisterkursen in Europa, Japan und den USA ging Christian Schneider seiner Leidenschaft fürs Unterrichten nach. In bester Erinnerung sind auch die Sommerkurse in der Nähe seines Hauses in Südfrankreich, die stets mit Besuchen auf Rohrholzplantagen der Firma Rigotti verbunden wurden.

Eine weitere große Leidenschaft hatte Christian Schneider für Oboen der Traditionellen Musik: Unvergessen bleibt die Atmosphäre in seinem Arbeitszimmer in einer schönen Düsseldorfer Altbauwohnung, in welchem neben Büchern hunderte Oboen aus allen Ecken der Welt an den Wänden vom Boden bis unter die hohen Decken aufgereiht standen: ein einmaliger Anblick. Was im Jahr 1974 mit einem Geschenk, einem Volksinstrument aus Afghanistan, begonnen hatte, wurde zu einer regelrechten Sammelmanie, stets verbunden mit akribischer Forschung. Reiselust für abenteuerliche Reisen mit seiner Frau in die entlegensten Winkel Asiens, Kontaktaufbau und -pflege zu Spezialisten, größte Achtung vor den Traditionen fremder Kulturen und eine unglaubliche Begeisterung für die unterschiedlichsten Oboenklänge waren der Nährboden für diese einzigartige Instrumentensammlung, die immer wieder auch in Ausstellungen präsentiert wurde. Nach seinem Ruhestand im Jahr 2007 widmete sich Christian Schneider mit besonderer Aufmerksamkeit der Dokumentation seiner Sammlung; eine mühevolle Arbeit, die durch gesundheitliche Probleme zunehmend erschwert wurde. Dank der unendlichen Unterstützung durch seine Frau liegt nun im Privatdruck der Band Der Magische Klang — Eine Reise in die Welt der traditionellen Oboeninstrumente vor, der in seiner so liebevollen und in jeglicher Hinsicht hochwertigen Gestaltung ein wunderbares Zeugnis dieser einzigartigen Leidenschaft darstellt. Die Sammlung selbst ist inzwischen als Teil der Ethnologischen Abteilung der Staatlichen Museen zu Berlin an Christian Schneiders Studienort zurückgekehrt.

Die Welt der Oboisten, die Welt der Hochschullehrer, die Welt der Instrumentensammler, das Team der TIBIA trauert um einen ihrer bedeutendsten Protagonisten und ist dankbar für viele Jahre des gemeinsamen Musizierens, der intensiven Ausbildung, der bereichernden Gespräche, der guten Zusammenarbeit und der klugen Ratschläge. Auf den Bühnen, in den Hochschulen und in der Forschung rund um die Oboen dieser Welt wird sein Schaffen noch lange nachklingen.

Clara Blessing (Quelle des Textes und der unten folgenden Liste: www.moeck.com/tibia/ Portal für Holzbläser)

abrufbar HIER

oben: Köthener Bachfesttage 2018, Eröffnungskonzert | Midori Seiler, Clara Blessing, Köthener BachCollektiv (Vimeo Folkert Uhde u.a. hier)

Beiträge von Christian Schneider in der Zeitschrift Tibia (in chronologischer Folge):

Biographisches zu Clara Blessing, die den Nachruf auf ihren Lehrer Christian Schneider geschrieben hat. Sie gehört heute schon zu den herausragenden Erscheinungen der jungen Generation, die das Spiel der historisch adäquaten Instrumente nicht als exotische Sonderleistung betrachtet, sondern als selbstverständliches Ausdrucksmittel, wie man im obigen Vimeo überzeugend erleben kann. Weiteres auf der Website (mit Klangbeispielen) : hier.

Im folgenden die früheste Aufnahme, die mir von Christian bekannt ist (mit moderner Oboe):

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15 Jahre später 

oben: Rundschau 26. November 1986

unten: Christians letztes Werk. (Das Foto im Epilog zeigt ihn mit „historischer“ Oboe.)

Erhältlich über Clara Blessing hier.