Archiv der Kategorie: Geschichte

Greifbares aus der Weltgeschichte Nahost

Beziehungsweise: schwer Begreifbares, betreffend Palästina

(Sie haben keine Zeit? Dann gehen Sie bitte an den Schluss dieses Artikels!)

Solinger Tageblatt 28. Okt. 2023 Seite 2

Meist befällt mich beim Anblick von Chronologien bleierne Müdigkeit, und doch dreht es sich in Diskussionen oft um Details („wer hat angefangen?“ / „Wer hat zurückgeschlagen?“), die sich nur anhand penibel belegter Datenabläufe klären lassen. Nicht durch ein vages historisches Gefühl. Und wenn ich merke, wie trügerisch sein kann, achte ich auf jede vertrauenswürdige Nachhilfe.

Schließlich will ich im Gespräch mit Enkeln nicht Vorurteile sprechen lassen. Oder etwa rekapitulieren, was ich einst im biblischen Unterricht über die „Kinder Israel“ gelernt habe. Es geht um den gegenwärtigen Zustand des Nahen Ostens – und wie es dazu kommen konnte. Und was wir damit zu tun haben. Stichwort Schoa. Wie weit muss ich zurückgehen, – mein Vorurteil sagt: bis Pontius Pilatus, nein viel weiter, viel früher, Römerherrschaft, nein, Zerstörung des Salomo-Tempels 70 vor Christus. Zerstreuung der Juden in alle Welt. Blieben denn keine in Palästina? Gingen die (muslimischen) Araber nicht erst mit Mohammed, also viel später auf  Eroberungstour. Seit 630 nach Osten, Norden und Westen, hier bis an den Atlantik, nach Spanien, wo sie Mauren (Mohren) genannt wurden, während die weißesten Kreuzritter um 1000 in umgekehrter Richtung expandierten. Und das Osmanische Reich? Ich gerate ins Schlingern.

Ich fange lieber bei der Tageszeitung an, prüfe, ob eine parteipolitische Tendenz in der Berichterstattung erkennbar ist, ob ich weitere Quellen zu Rate ziehen sollte, – aber – schnell muss es gehen. Da draußen verändert sich ständig die Lage, nicht nur im Nahen Osten, sondern: die Weltlage. Nur nicht die Flinte ins Korn werfen – Schluss auch mit den falschen Bildern – Fakten, Fakten, Fakten!

Journalismus, das ist es! Damit fang ich an: da gibt es immerhin, schaut doch selbst, diese (s.o.) „Sieben folgenschwere Mythen“! Liebe Enkel und Enkelinnnen, das ist wohl auch für Euch geeignet, falls das stimmt mit der allgemein kürzeren Aufmerksamkeitsspanne, – uns Alten geht es ja nicht anders, die Realität hat keine Geduld mehr. Ich nehme, was ich greifen kann.

https://rp-online.de/politik/analyse-und-meinung/die-mythen-der-palaestinenser-und-israelis-im-nahostkonflikt_aid-100047045 HIER Autor: Martin Kessler

Der Begriff „Palästinenser“ Wiki hier

Israel Wikipedia-Artikel hier / Vorweggenommen seien die folgenden ZITATE:

Das Gebiet des heutigen Israel gilt als Wiege des Judentums sowie auch der beiden jüngeren abrahamitischen Religionen. Es stand seit 63 v. Chr. nacheinander unter römischer, byzantinischer, sassanidischer, arabischer, osmanischer und britischer Herrschaft. Die dort seit rund 3.000 Jahren ansässigen Juden (biblisch: Israeliten, Hebräer) wurden im Laufe der Geschichte mehrmals vertrieben oder zur Emigration gedrängt (jüdische Diaspora). Vom ausgehenden 19. Jahrhundert an bestanden unter europäischen Juden, nicht zuletzt aufgrund der in Europa zunehmenden Judenverfolgung, Bestrebungen, im damals osmanischen Palästina wieder einen jüdischen Staat zu errichten (Zionismus, benannt nach Zion, dem Tempelberg).

Der Aufstand der Makkabäer 165 v. Chr. brachte Israel noch einmal für etwa 100 Jahre staatliche Unabhängigkeit. 63 v. Chr. begann die Zeit der römischen Oberherrschaft. Die Römer gliederten das Gebiet in zwei Provinzen auf: Syria im Norden, Judäa im Süden. Im Jüdischen Krieg wurden Jerusalem und der Jerusalemer Tempel 70 n. Chr. vollkommen zerstört. Der letzte jüdische Aufstand in Israel gegen die römische Herrschaft (Bar-Kochba-Aufstand) wurde 135 n. Chr. niedergeschlagen. Ein Teil der jüdischen Bevölkerung wurde vertrieben. Das Land selbst wurde seither „Palästina“ genannt. Diesen Namen, der auf das seinerzeit bereits in den Nachbarvölkern aufgegangene Volk der Philister zurückgeht, erhielt das Land aufgrund eines Erlasses von Kaiser Hadrian, um die Erinnerung an die judäischen Bewohner zu tilgen, deren Aufstand er niederschlug. Trotzdem blieb Palästina – neben Rom und seinen Provinzen in Europa und Nordafrika sowie abgesehen von Mesopotamien (Babylonien) – ein Zentrum des Judentums; bis ins Mittelalter hinein waren sowohl die babylonischen als auch die palästinischen Rabbinen wegweisend für die Entwicklung der jüdischen Religion und Lebensweise auch außerhalb dieser Gebiete.

Im Zuge der islamischen Expansion geriet das Gebiet 636 unter arabische Herrschaft. Seit dieser Zeit wurde Palästina mehrheitlich von Arabern bewohnt. Die Kreuzfahrer beherrschten von 1099 bis 1291 das von ihnen so bezeichnete „Lateinische Königreich Jerusalem“. Es folgten die Mamluken von 1291 bis 1517 und dann die osmanische Herrschaft von 1517 bis 1918. Keine dieser Obrigkeiten hatte für Palästina eine eigene Verwaltung vorgesehen oder das Gebiet als selbstständige geographische Einheit betrachtet. Auch für die Osmanen war die Region ein Teil Syriens, wohl auf die römische Bezeichnung Syria zurückgehend. Das Land wurde in drei Distrikte eingeteilt.

* * *

Durch den Sieg der Briten im Ersten Weltkrieg wurde 1917 die osmanische Herrschaft in Palästina beendet. Im Anschluss an die Konferenz von Sanremo 1920 übertrug der Völkerbund 1922 Großbritannien das Mandat für Palästina mit dem Gebiet, das heute gemeinsam von Israel und Jordanien eingenommen wird. Zu den Mandatsbedingungen gehörte, dass die Briten die Verwirklichung der Balfour-Deklaration ermöglichen sollten, die aber die Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina nicht beeinträchtigen sollte. Die Mandatsmacht war aufgefordert, die jüdische Einwanderung zu ermöglichen, diese jüdischen Einwanderer geschlossen anzusiedeln und hierfür auch das ehemalige osmanische Staatsland zu verwenden. Es sollte dabei ausdrücklich dafür Sorge getragen werden, dass „nichts getan werden soll, was die bürgerlichen und die religiösen Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und die politische Stellung, deren sich die Juden in irgendeinem anderen Lande erfreuen, präjudizieren könnte“.

Im Juli 1922 teilten die Briten Palästina in zwei Verwaltungsbezirke, Palästina und Transjordanien, das etwa drei Viertel des Mandatsgebietes umfasste. Zunächst wurden Transjordanien und Palästina noch als Verwaltungseinheit mit einheitlichen Mandatsgesetzen, der gleichen Währung und gleichen Mandatspässen betrachtet (siehe auch: Weißbuch von 1939), aber Juden war es nur noch erlaubt, sich westlich des Jordans anzusiedeln. Im östlichen Teil, in Transjordanien, dem heutigen Jordanien, setzten die Briten den haschemitischen Herrscher Abdallah ein, der von der arabischen Halbinsel vertrieben worden war.

Quelle: Wikipedia

Fakten? Wo genau stehen sie nun? Vielleicht wieder in der neuen ZEIT (3.11.23)?

Und weiter auf Seite 4 (Verschiedene Autoren):

Hier folgen als Thesen nicht unbedingt die Fakten, sondern Kernprobleme, – zu diskutierende Themen, deren Darstellung im Text nachzulesen ist. Ich lasse die Lösung offen. (Aber immer zu beachten: wer sind die Autor_innen, was haben sie gelernt und für wen arbeiten sie. Also auch hier anklicken.)

Im Krieg lügen alle Seiten /Yassin Musharbash

Bei diesem Konflikt geht es im Kern um Religion /Jan Ross

Der Nahostkonflikt ist hoffnungslos und unlösbar /Frank Werner

Die Briten sind an allem schuld /Josef Joffe

Israel ist eine Kolonialmacht /Anna Sauerbrey

Israels Geheimdienste sind die besten der Welt /Josef Joffe

Israel ist die einzige Demokratie in Nahost /Jörg Lau

Die Zweistaatenlösung ist tot /Michael Thumann

Die Hamas ist ein Werkzeug des Iran /Yassin Musharbash

*    *    *    *

Heute hört man ja immer öfter den Satz: „Das wird man doch noch sagen dürfen!“ Aber in Wirklichkeit ist das weit verbreitete Schweigen ein gesellschaftliches Problem. Daher halte ich den folgenden Artikel aus der ZEIT (2. November 2023 Seite 53) für besonders wichtig. Bitte zum Vergrößern jeweils zweimal klicken:

Autor: Thomas E. Schmidt

Gestern im Tageblatt:

Deshalb erträgt man auch Kommentare wie diesen in der Tageszeitung, nennt ihn nicht tendenziös oder „geschmacklos“ und verlangt nicht Proportionaltät, die andere Seite betreffend. Gleiches kann nicht durch Gleiches aufgewogen werden. Der 7. Oktober 2023 ist ein in das kollektive Gedächtnis eingebranntes Datum. Kein „Narrativ“, das durch ein anderes überlagert werden kann.

Seltsam: man kann das auch in 2 Minuten hören, von seiten unserer Regierung, in einer offiziellen Rede, die auch viel beachtet und gelobt wurde, mit Recht: hier von Min. 7:40 bis 9:40.

Materie, Form und Farbe

Von Toten sprechende Steine

Meine obige Anspielung auf Marius Schneiders „Singende Steine“ verstehe ich als Umleitung auf eine viel frühere Arbeit meines Doktorvaters über die Varianten der Lieder ägyptischer Fellachen. Das hat mich sehr beeindruckt bis hin zu meiner Untersuchung syrischer Volkslieder zu Anfang meiner eigenen Dissertation. Oder der „Goldberg-Variationen“. Mich faszinieren seither jedenfalls alle Serien ähnlicher und abgewandelter Dinge. Schneiders Original-Arbeit wurde nur auf Vertrauensbasis aus der Bibliothek des Musikwissenschaftlichen Instituts ausgeliehen (aus der Hand Dr. Robert Günthers), etwa 200 nicht geheftete Blätter, mit Bindfaden zusammengebunden zwischen zwei Pappdeckeln. Dieser Titel findet sich nicht einmal in dem Werkeverzeichnis von Wikipedia, das sich auf Norbert Weiss und Robert Günther stützt. Der relativ stabile Rahmen und die variablen Vorgänge innerhalb dieser Grenzen, gestützt auf gängige Vorstellungen über das „Volksvermögen“; das gehört zum Hintergrund meiner Friedhofsgänge und des Totengedenkens. Mitnichten eine quälende Melancholie.

Ohlsdorf 1.6.2011

Es bedarf auch keines bedeutenden Friedhofes wie in Hamburg-Ohlsdorf (wo die Westphals liegen) oder in Wien oder Paris. Ich spare mir kommentierende Gedanken über all die typisch hiesigen Namen, die primär zum Erinnerungskreis meiner Frau gehören, da ich erst 1965 allmählich in dieser Region, im Schatten der Kirche St. Joseph SG-Ohligs, Fuß gefasst habe, ansonsten nach Köln (WDR) orientiert blieb.

*   *   * *

zu ergänzen durch Kurz-Infos wie z.B.:

*Klaus Theyßen: jahrzehntelang Kantor an der katholischen Kirche St.Joseph, unvergesslich: ich war Ende der 60er mit ihm und seinem Jugendchor in Berchtesgaden (Geigen-Duo). Sein älterer Bruder Theo hat als Architekt viele gute Häuser in Ohligs gebaut, u.a. 1974 auch unseres. Unvergessen sein Nachfolger Leo Langer, der  sogar Biber-Sonaten begleitete, ebenfalls – schon  seit 1965 – sein evangelischer Kollege (Wittenberg Platz) Konrad Burr.

*Waltraut Schmitz-Bunse: https://hoerspiele.dra.de/vollinfo.php?dukey=1370409&SID hier

sie wurde auch Autorin unserer WDR-Abteilung „Volksmusik“, Dr. Krings schickte sie mit Ingenieur Thomas Gallia nach Kalabrien, sie machte eine wunderschöne, leider nicht abrufbare  Radiosendung über diese Aufnahmereise (Ende der 70er Jahre?). Ich dachte daran, als Freund Uli kürzlich nach Süditalien fuhr, – mit dem für ihn wesentlichen Ziel Paestum (s.u. zu Mozart).

* die Eltern von Weihbischof Manfred Melzer, von dem früher des öfteren die Rede war („war mit mir im Kindergarten“). Als professionell denkender (Musik-)Ethnologe habe ich heute vermerkt, dass es bei Youtube eine in voller Länge wiedergegebene Trauerfeier im Kölner Dom zu studieren gibt: hier .

*es gibt dort oben einen fast unleserlichen Stein, abgesehen von dem Namen MIERZWA, genau darüber erkennt man bei Vergrößerung den Namen Max Schaefer (*1906 – 1982), alle ehemals Pfarrer an der nahen Kirche St. Joseph.

https://de.wikipedia.org/wiki/Paestumhttp://s128739886.online.de/lebenslust-mozart/

http://s128739886.online.de/wp-admin/post.php?post=38223&action=edit hier

Lebenslust Mozart

Ein Grab in Bielefeld auf dem Friedhof Bethel

Musiksparten?

Wie war das noch in den 90er Jahren im WDR?

Man sprach von Programmfarben, man konnte – so glaubte man – jeweils größere Publikumsmengen an das jeweilige Programm binden, wenn man einen bestimmten Musikcharakter vorgab und durchhielt, WDR 1 „volkstümlich“, später auch „rockig“, WDR 2 „Mainstream Pop“, WDR 3 „Klassisch“ + „Konzert“, WDR 4 „Schlager, Operette, Evergreen“, WDR 5 „Wort“. Unsere Abteilung, die ursprünglich den Namen „Volksmusik“ trug (später: Musikkulturen), erweiterte seit den 70er Jahren den Inhalt des Begriffes beträchtlich: nicht nur Volksliedkantaten und Blasmusik der deutschen „unterhaltenden“ Tradition wollten wir präsentieren – es gab ja in allen Ländern und Kulturen Volksmusik, auch Folklore genannt, die ganz anders klang. Auch „fremde“ Kunstmusik, die man, da sie nicht unserer Klassik ähnelte, stillschweigend zu jenem unbekannten Genre schlug, das in unserm Radio bisher überhaupt nicht vertreten war. Das alles wurde zu unserem Arbeitsfeld und konnte – unserer Einschätzung nach – in jedem Programm vorkommen, je nachdem, welcher „Farbe“ es nahekam. Geeignet für alle musikalischen Menschen, die auch ungewöhnlichere Klänge einordnen können. Ich will jetzt nicht theoretisieren, inwieweit das überhaupt in einem solchen Massen-Medium geht, – ich selbst hatte mir Gedanken gemacht über die 12 Methoden des Hörens, die es in der Menschheit gibt, und die man nicht ohne weiteres untereinander auswechseln kann -,  jedenfalls hatten wir in der Konzertreihe, die wir seit 1974 etabliert hatten, ein Publikum im Sinn, das von bestimmten Liedformen geprägt ist, angelehnt an das, was etwa damals die „Liedermacher“ präsentierten: basierend auf unseren (westlichen) traditionellen Harmoniefolgen, die übersichtlich geformte Melodien trugen, und klanglich-rhythmisch vorwiegend von begleitenden Gitarren attraktiv, aber unauffällig ins Rampenlicht gesetzt wurden. Damit waren alle Türen und Fenster geöffnet in Richtung Süd- und Nordamerika ebenso wie nach Norden oder Osten von Irland, Skandinavien, Russland bis Rumänien, Balkan, Georgien. Das war einfach gedacht, aber beliebig erweiterbar, und wurde sichtbar von einem live anwesenden Publikum honoriert. Und parallel die „schwierigeren“ Musikkulturen, die einiger Einübung bedürfen, auch des Vorbilds prägender Figuren,  wie im Fall Indien Ravi Shankar und Yehudi Menuhin. Und natürlich in einem „klassischen“ Radiosender wie WDR 3. Auch WDR 5, das neue Wortprogramm, erwies sich als geeignet, – dort wo es sich um Musik handelt, die des Wortes und der verbalen Vermittlung bedarf. TEMPI PASSATI. Die Erinnerung lohnt sich. Fangen wir doch einfach an zu rekapitulieren. Manch einen oder eine könnte es in flagranti erwischen: es gab und gibt Sternstunden mit einer bis dato völlig unbekannten Musik. WDR 3 realisierte 2023 – 20 Jahre nach der Beendigung der Matinee-Reihe – eine großartige Idee: wenigstens 1 dreistündige Sendung des frohen Gedenkens. Davon später: zunächst die Rekapitulation in schriftlichen Stichproben.

Bericht im WDR-Blatt September 1990

Beispiel einer Programmübersicht, wie sie in unserer „Blütezeit“ monatlich verschickt wurde

Programmatische Gedanken im Blatt der Kölner Philharmonie 31.10.1992

*    *    *    *    *

WDR-Pressetext Oktober 2023:

Die WDR-Livemusik-Reihe „Matinee der Liedersänger“ gehört zu den großen Meilensteinen der Musikkulturen der Welt in der Geschichte des Radios. 1976 hervorgegangen aus der Reihe „Matinee der Liedermacher“ holte der WDR-Redakteur Jan Reichow regelmäßig Musikerinnen und Musiker verschiedenster Kulturen auf nordrhein-westfälische Bühnen und ins Radio.

Damit war sonntags vormittags um 11 Uhr die Welt zu Gast im WDR Funkhaus Köln, in der Ravensberger Spinnerei in Bielefeld oder im Museum Bochum (später im Bahnhof Langendreer in Bochum). Canciónes aus Südamerika mit dem uruguayischen Liedermacher Daniel Viglietti, der argentinischen Folk- und Protest-Sängerin Mercedes Sosa und dem chilenischen Geschwisterpaar Isabel und Angel Parra waren ebenso zu erleben wie Klezmer von Brave Old World, bulgarische Vokalklang-Landschaften vom Eva Quartet und korsische Gesänge der Gruppen A Filetta und Cantu u Populu Corsu. Auch die berühmten Taraf de Haidouks aus Rumänien, die Globetrotter der französischen Band Bratsch u.v.m. traten auf und brachten unterschiedlichste Eindrücke weltweiter Musikkulturen in das WDR 3 Sendegebiet.

Abrufbar hier: https://www1.wdr.de/radio/wdr3/programm/sendungen/wdr3-konzert/konzertplayer-matinee-der-liedersaenger-highlights-100.html LINK

Facebook Oktober 2023

Überleben (ohne Erdkruste)

Ist wirklich Rettung in Sicht?

Dirk Steffens setzt auf Abbau der industriellen Nahrungserzeugung, Optimismus sei angesagt…

Der Wald und – – – der Erdboden

https://plus.rtl.de/video-tv/serien/die-grosse-geo-story-899018/staffel-1-899019/episode-1-die-grosse-geo-story-wie-wir-die-welt-gesund-essen-899020 HIER

Ab 6:10 AMAZONAS, über Regenwald, Indigenen Landbesitz oder Landbesetzung durch Konzerne, Soja-Produktion, Kapital gegen Urbevölkerung,  – die Bedeutung der Erdkruste wo?

ab 26:50 !

Tageblatt über Buch „Eat it

Wissen Sie etwas über die Rauchschwalbe? (betr. Eva von Redecker) Oder über den Mauersegler? (betr. mich) Mir ist das Thema wichtig seit meiner Kindheit, die Schwalben auf der Lohe bei Bad Oeynhausen, später in Ftan, dem Dorf in Graubünden (ich notierte etwas über die Freude der jungen Schwalben, die auf den schrägen Blechdächern ihre Flugübungen begannen), die Mauersegler der 50er Jahre in Scharen am Himmel über der Bielefelder Pauluskirche, später auch in Solingen (2023 erstmalig nur noch vereinzelt). Leseprobe:

Leseprobe zum Leitmotiv der Schwalben

Quelle: Eva von Redecker: Bleibefreiheit / S.Fischer Verlag Frankfurt am Main 2023

Zu meinem Leitmotiv der Mauersegler 1989, der Schwalben 1982 Urlaub in Ftan

Während es in der westlichen Welt zumeist um Bewegungsfreiheit geht, die wir definiert haben wollen, thematisiert dieses Buch als erstes die „Bleibefreiheit“, die also nicht auf eine räumliche Veränderung zielt, sondern auf eine zeitliche. Ich bin an demselben Ort wie vorher, aber es weht eine andere Luft. Eva von Redecker greift zunächst zurück auf den Begriff „Solastalgie“, das mir 2019 zuerst im Zusammenhang mit Bruno Latours Heimatbegriff begegnete (hier).  Und nun stellen wir fest, mit einem Wort, das wir auch noch nicht kannten, also bei dieser Suche nach Bleibefreiheit: „Die Moderne hat uns schließlich keinen Trost versprochen, sondern Freiheit.“ Aber: „Hängt unsere Freiheit nicht vom Fortbestand der lebendigen Welt ab? Besteht sie nicht geradezu darin?“ (Seite 21) Bald darauf sind wir – wieder einmal bei Sokrates – wie schon kürzlich in Erinnerung an Oberstudienrat Dempe hier – nein, vor allem bei der dort ganz übersehenen Frau des weisen Mannes: „Wir können den Schmerz, den Xanthippe artikuliert, als Wunsch nach Bleibefreiheit deuten: der Wunsch danach, dass Sokrates noch ein wenig unter seinen Freunden weilen dürfe.“ (Seite 32 f) Und dann geht es mit einer herrlichen Formulierung auf das Problem der STERBLICHKEIT: „Stattdessen macht der overkill an Bleibefreiheit, den Platons Sokrates-Avatar einführt, auf einen Schlag die ganze Welt unwesentlich. Was zählt, ist die Seele und ihr ewiges Leben. Anders als später im Christentum ist die Welt als antiker Kosmos hier noch unendlich gedacht. Auch nicht, wie die meisten Griechen argumentiert hätten, die Polis als politische Gemeinschaft. Was allein zählt, ist die eigene Seele als Vehikel zur Todesumschiffung. Den anderen Ort, zu dem sie Zugang verschaffen soll, nennt Sokrates die »wahre Erde«. “ (Seite 33) Leider kommt dann ein großes Kapitel, das mir vorläufig unzugänglich bleibt, angefangen mit Simone de Beauvoir, fortschreitend zu italienischen Feministinnen um Luisa Muraro und „Die symbolische Ordnung der Mutter“ – die ich mir gerade eingedenk der eigenen Eltern noch nicht erschließen konnte. Um so bedauerlicher, wenn sie in einem weiteren, faszinierenden Ansatz den Blick auf das Alter der Welt und die Endlichkeit des Menschen richtet, selbst die Idee der „Selbstwiedergeburt“ plausibel macht. Zugleich passieren auf Seite 144 die ersten Fehler („Planten“ und „der Cartesianische Zweifel“ … „würde Muraro als Abwesenheit einer solchen Weltwahrnehmung einstufen.“ )

Unvergesslich die – nicht einmal ganz neuen – Gedanken zur „Theorie des Bodens“: die Pflanzen brauchen mehr als Luft und Licht. Dass sie leben, ist den Effekten der Biologie des Bodens zu verdanken. „Der Boden lebt.“ Man lese das Kapitel „Aus Gezeiten gemacht“ Seite 124 ff

*     *     *

Dieses Video https://www.youtube.com/watch?v=VbQYy5mV1CE verweist auf folgende Sendung:

https://www.zdf.de/wissen/leschs-kosmos/die-erde-die-unsere-welt-rettet-landwirtschaft-neu-denken-102.html HIER

*     *     *

https://www.youtube.com/watch?v=ZkBzbYuKZhE HIER Wo sind die Vögel?

ARTE-TEXT:

Vögel sind Nachfahren der Dinosaurier und älter als die Menschheit, doch überall verschwinden sie. Allein in Deutschland ist die Zahl der Feld- und Wiesenvögel in 30 Jahren um mehr als die Hälfte gesunken, in Frankreich mehr als ein Drittel. Die britische Vogel-Bloggerin Mya-Rose Craig hat sich auf eine Spurensuche nach den Ursachen gemacht und dabei Wissenschaftler, Landwirte und den US-Bestsellerautoren und Vogelbeobachter Jonathan Franzen getroffen. An der Universität von Exeter haben Wissenschaftler einen europaweiten Rückgang der Vögel seit 1980 um 421 Millionen Tiere festgestellt. Statt vier Vögeln pro Einwohner gibt es heute nur noch drei oder weniger. Ein Besuch bei der französischen Vogelkoryphäe Frédéric Jiguet zeigt: Es sind vor allem die Feld- und Wiesenvögel, die verschwinden. Diese Vogelgruppe lebt dort, wo früher Kühe auf Weiden standen und Bauern auf Äckern Korn anbauten. Es gab genug Kräuter und Insekten, von denen Vögel sich ernähren konnten. Heute sind Landwirte oft gezwungen, industriell zu wirtschaften und mit Pestiziden und Herbiziden zu arbeiten. Die Untersuchungen der Wissenschaftler machen deutlich, welche dramatischen Folgen, diese Art der Landwirtschaft hat. Der Filmemacher Heiko De Groot vermittelt in seiner Dokumentation eindrücklich, wie die intensivierte Landwirtschaft das Vogelsterben verursacht und welche Bedeutung Vögel für das Überleben der Menschen haben. Dokumentation von Heiko De Groot (D 2019, 53 Min)

Das Leben und der Faktor ZEIT

Quelle: SZ-Magazin 20. Oktober 2023 „Irgendwo da oben“ – „und ganz weit da unten

»Alles was ich für meine Arbeit wissen muss, finde ich im Licht der Sterne«

»Ich sehe völlig fremde Kreaturen und fühle mich bei ihnen zu Hause«

Katja Poppenhäger sucht nach Leben im All, Antje Boetius findet ständig neues in der Tiefsee. Ein gemeinsames Interview über die Enden der Welt (Interview: Marius Buhl)

Neue Ratlosigkeit

Wöchentliche Orientierung, ein Irrweg?

Begleitet von der imaginierten Kritik derer, die sich auf schnelle Intuitionen verlassen, lese ich an jedem Donnerstagmorgen die ZEIT, von vorne natürlich – also zuerst die Titelseite, dann die Rückseite dieses Teils, die Inhaltsangabe Seite 14, gehe von dort meist zuerst ins Feuilleton, dann in Wissen. Ich will heute protokollieren, was für mich lebenswichtig (?) war, – weshalb ich die möglichen antibürgerlichen Kritiker ignoriere, ohne sie zwischen den Zeilen zu übersehen. Sie schauen durchs Gitterwerk. (Könnte etwa eine Täuschungsmaschinerie am Werk sein?) Ich notiere allerdings die Zeilen, die ich markiert habe. Nicht meine Gedanken, die ich vielleicht bei Gesprächen ins Offene schicke. Manche stammen von Adorno (nach seiner Rückkehr in den 50er Jahren). Aber am späten Vormittag will ich im Garten tätig gewesen sein, zumal ich Jan Schweitzer gelesen habe, Seite 41 mit „Dreieinhalb Minuten Schwitzen“.

Die Terroristen hatten es auf Juden abgesehen, aber auch auf das, wofür Juden in ihren Augen stehen: die westliche, liberale Welt, in der es möglich ist, dass junge Menschen auf einem Trance-Festival unter dem Motto »Freunde, Liebe und unendliche Freiheit« halb nackt in der Wüste tanzen. Es ging nicht nur um den Freiheitskampf der Palästinenser. Die Hamas will einen Staat nach islamischen Regeln errichten. Ihre Mitglieder würden die säkularen arabischstämmigen Jugendlichen auf der Berliner Sonnenallee verachten, die vor wenigen Tagen gemeinsam mit der antiimperialistischen Szene »Free, free Palestine« riefen.

QUELLE Sascha Chaimowicz: Dieses Schweigen / Seite 1

Dieser Sieg der Opposition ist weit über Polen hinaus bedeutsam. Das Bündnis unter Führung des ehemaligen Premiers und EU-Ratspräsidenten Donald Tusk hat bewiesen, dass der Vormarsch des Rechtspopulismus kein unabwendbares Schicksal ist – nicht einmal unter extrem schwierigen und unfairen Bedingungen.

QUELLE Jörg Lau: Willkommen zurück / Seite 1

Zu Isoldes Liebestod, am Ende der Oper, standen sie an der Rampe, und hinter ihnen ging ein goldenes Quadrat auf, leuchtete heller und heller – wie das Tor zu einer anderen Welt. Diese Idee des Bühnenbildners Erich Wonder hat mich zusammen mit Wagners Musik schwer ergriffen. (Lemke-Matwey)

… und es musste etwas passieren zwischen diesen beiden Menschen, die von ihrer Leidenschaft noch gar nichts wissen. Auf so engem Raum! Und es passierte! Mit aller Entschiedenheit. Die Wonder-Räume duldeten keine Verlegenheit, keine Schleichgänge. Nein! Jede Aktion musste groß sein, jede Aktion musste etwas bedeuten! (Waltraud Meier)

QUELLE »Der Mensch hat so viel zu sagen!« Doch jetzt ist Schluss, die Sängerin Waltraud Meier gibt ihren Abschied. Ein Gespräch über das Leben im Rampenlicht / Seite 54

Viele wollen nicht verstehen, dass wir den Mord an 1400 Israelis nicht dulden können. Ich frage die Deutschen: Würden sie so etwas hinnehmen? Gemessen an der Bevölkerungszahl wären das 10.000 ermordete und 1000 entführte Deutsche. Mich stört die Doppelmoral: Unsere Kritiker setzen Israel und Palästina gleich, fragen nicht, wer den Krieg begonnen hat. Wir kämpfen aber nicht gegen Palästinenser, sondern gegen die Hamas und den Islamischen Dschihad. Wir kämpfen nicht gegen die Iraner, sondern gegen das Mullah-Regime. Nicht gegen den Libanon, sondern gegen die Hisbollah. Am meisten ärgert mich die Forderung nach »verhältnismäßiger« Gegenwehr. (Wieso?) Was wäre denn verhältnismäßig? Sollen wir es machen wie die Hamas? Sollen wir ein Musikfestival im Gazastreifen stürmen, Frauen vergewaltigen und Kinder enthaupten? Vielleicht am Ramadan? Ohne Vorwarnung?

QUELLE »Sie lachen, während sie uns töten« Arye Sharuz Shalicar ist Sprecher der israelischen Armee. Hier berichtet er über die Gräueltaten der Hamas, warum ihm die Bilder nicht aus dem Kopf gehen – und wie es ist, sich für die militärische Gegenwehr rechtfertigen zu müssen / Seite 62

Analyse eine neuen Welt in Aufruhr, mit Hilfe der alten Theoretiker

(Thukydides, Machiavelli, Clausewitz, Herfried Münkler)

Auf die Frage – nachdem es Hoffnung gab, den nahöstlichen Raum weiter zu befrieden – woher dieses Interesse kommt an CHAOS und UNORDNUNG…

Einige haben die Annäherung zwischen Israel, Saudi-Arabien sowie den Golfstaaten in Gestalt der sogenannten Abraham-Abkommen als Befriedung des Raumes angesehen und dabei den Iran und die Palästinenser außer Acht gelassen. Die aber wären die Verlierer der Befriedung des Raumes gewesen; also haben sie nach Möglichkeiten gesucht, diese Entwicklung zu stören, zu zerstören und dabei sind sie wohl erfolgreich gewesen. Dass auch der russische Präsident Putin ein Interesse an der Eröffnung eines zweiten »Kriegsschauplatzes« hat, weil der den Westen zusätzlich in Anspruch nimmt, spielt sicherlich auch eine Rolle. Politische Akteure, die mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden sind, profitieren von Chaos und Unordnung – also befeuern sie diese.

Zur Prognose, dass es künftig fünf Machtzentren geben werde…

Die Kandidaten auf der demokratischen Bank werden die USA und die EU sein, auf der autoritären Bank Russland und China – und Indien als »Zünglein an der Waage«. Warum fünf? Sie müssen Ordnungsaufgaben übernehmen, die für sie nicht bequem sind und Anstrengung bedeuten – etwa dafür zu sorgen, dass eine Organisation wie Hamas nicht ganze Regionen in Brand setzen kann. Dafür bekommen sie etwas zurück: Einfluss. Die fünf wollen unter sich bleiben und keine anderen dabei haben, mit denen sie Macht teilen müssen. Historisch haben solche Fünferkonstellationen eine gewisse Stabilität, in der Regel zwei gegen zwei, und einer ist das Zünglein an der Waage. (…)

Die Kategorien, mit denen Sie die Lage bedenken, sind die ganz alten: Macht, Polarität, Einflusszone (…).

Vermutlich besitzen Kategorien, die sich über Jahrhunderte bewährt haben, eine höhere Erklärungskraft, auch angesichts einer sich schnell wandelnden Welt, als Theorien, die in gerade stattfindende Entwicklungen hineingeschrieben werden, von denen man aber annehmen kann, dass sie nur intellektuelle Widerspiegelungen einer augenblicklichen Lage sind. Es kommt nicht von ungefähr, dass ich mit Thukydides oder Machiavelli Theoretiker nehme, die als Politiker gescheitert sind und die unter dem Gesichtspunkt ihres Scheiterns schrieben. Sie treten nicht mit dem Gestus der Selbstverliebtheit in ihre eigenen Ideen auf, wie so mancher, der zuletzt hoch im Kurs stand und angesichts der jüngsten Entwicklungen – Russland, Türkei, Hamas – jetzt vor einem Scherbenhaufen steht. (…)

Man hat den Raum vom Westbalkan bis zum Kaspischen Meer, von der ukrainischen Nordgrenze bis über die türkische Südgrenze hinaus bis nach Israel nicht als einen postimperialen Raum betrachtet, sondern gedacht, man könne ihn gut in Ordnung halten. Aber postimperiale Räume bringen revisionistische Akteure hervor. (…)

Ich schätze die Klassiker einer Theorie, die stark mit geschichtlichen Erfahrungen argumentiert – bei Thukydides, vor allen Dingen bei Machiavelli, aber auch bei Clausewitz, der sich mit den Hoffnungen der Aufklärung über das Verschwinden der Kriege auseinandersetzt. Bei diesen Autoren spüre ich eine Weigerung, sich täuschen zu lassen durch Wunschdenken. Denn indem man sich der Geschichte vergewissert, tritt sie als tatsächliches Geschehen an die Stelle des Gewünschten. Ich sage nicht, alles wiederhole sich eins zu eins, aber Grundkonstellationen sind bereits in der Vergangenheit immer wieder aufgetreten und werden das wohl auch in Zukunft tun. Ansonsten müsste man plausibel nachweisen, warum sich das, was sich in zweieinhalbtausend Jahren wiederholt hat, nicht mehr wiederholen wird. Für diese Erwartung gibt es keinen Grund. Mit Schopenhauer kann man sie als »ruchlosen Optimismus« bezeichnen.

Quelle: alle wörtlichen Zitate stammen aus einem Gespräch mit dem Historiker Herfried Münkler, DIE ZEIT 12. Oktober 2023 Seite 58 »Der Worst Case war nicht vorgesehen« / Gespräch Thomas E. Schmidt mit dem Politologen H.M. über Israel, Russland und das Chaos in der Welt. Wie es zwischen den großen Mächtigen ohne Kriege weitergehen könnte, beschreibt er in seinem Buch »Welt in Aufruhr«.

Eine philosophische Antwort auf die Situation in Palästina / Israel:

HIER

Für die Philosophin Susan Neiman steht fest, dass das Festhalten an der Würde aller Menschen die einzig richtige Antwort auf die Situation in Israel ist. Das bedeute, das Leid aller ernst zu nehmen. Zugleich dürfe erfahrenes Leid nicht zur Richtschnur eines politischen Handelns werden, das von Rachewünschen getrieben ist.

Sokrates, die alte Schule und eine „ungeschriebene Geheimlehre“

Die private Vorgeschichte

Bilder aus dem Lehrer-Kollegium meines Vaters, 50er Jahre (Fotos privat).

Eine Konferenz

Zentral: Direktor „Peach“ Paul Müller

Ein eher privates Treffen

Mein Vater, nach einem Chor-Konzert, entspannt mit Frau und Kind (*1950), ihm zur Seite zwei Kollegen: „Eule“ Klaus und „OWB“ Oberwahrenbrock, etwa 1956. Meine Mutter datierte Fotos oft mit dem Hinweis: „Das war nach seiner ersten (oder zweiten) Operation.“

Die offizielle Präsentation

daraus ein Ausschnitt:

1.Reihe ganz links und ganz rechts:

Artur Reichow (1901-1959) ← Ltg. Winkler → Hellmuth Dempe (1904-1990)

(Lebensinhalt: Übungen für das komplexe Klavierspiel)

(Lebensinhalt: die Wahrheit des einfachen Lebens)

„Unsere“ letzten 50er Jahre:

eine bedrückende Zeit!

Mein Vater und meine Mutter, Spätsommer 1957, im Café Freudental, vor seiner letzten Operation. Wird alles neu? Das neue (alte) Holz-Haus am Paderborner Weg 26 – auf der anderen Seite der Bielefelder „Promenade“, also der Stadt zugewandt – hatte ihm (oder vor allem ihr?) einen Lebenswunsch erfüllt. Nur zum Schein hatte er damals fürs Foto auch noch einen Pinsel in die Hand genommen.

oben Artur, unten (v.r.n.l.) Gertrud, Jan, Bernd

Es muss dieses letzte Kaffeetrinken gewesen sein, bei dem Hellmuth Dempe hinzustieß, wie meine Mutter berichtete: die beiden Kollegen diskutierten und gerieten in Streit. Worüber? Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie über pädagogische, disziplinarische Fragen völlig unterschiedlicher Ansicht waren: mein Vater autoritär, leicht aufbrausend, Dempe philosophisch, auf sokratisches Gespräch vertrauend, zumindest „offiziell“. Wahrscheinlich beide mit Hang zur Rechthaberei. Oder war es „der vegetarische Gedanke“? (Buch Seite 90). Brisant auch für meine Mutter, ebenso Dempes Verehrung für Albert Schweitzer. Dempe war 3 Jahre jünger als mein Vater, hatte aber zum Zeitpunkt des Streitgesprächs – im Gegensatz zu ihm – noch 30 Jahre der Entwicklung vor sich. Und wenn man meint, er habe sich an einige unantastbare philosophische Autoritäten geklammert, „im Anschluss an Platon“, so mag eine Passage über die“ sokratische Methode“ uns aufklären: da gebraucht er zwar ungeniert die Formulierung von einem möglichen „geistigen Führer des Volkes“, spricht aber zugleich von einer notwendigen „Reinigung [dieser Methode] von den mancherlei Fehlern und Zufälligkeiten, mit denen sie ihr Schöpfer ins Leben gerufen und entwickelt hatte.“

Ich hätte damals, als ich selbsttätig die Lektüre des Fischerbuchs „Sokrates im Gespräch“ begonnen hatte (1955), dann mit dem rde-Band „Der Tod des Sokrates“ von Romano Guardini (1958) und drei Bänden Schleiermacher-Übersetzungen fortfuhr und mich dauerhaft für das Thema begeisterte, von Dempe ernsthaft lernen können. Oder auch gerade nicht, – während es tatsächlich einem vorübergehenden Lehrer wie Karl Ernst Nipkow mit der AG „Moderne Lyrik“ spielend gelang. So dass ich mich zugleich von Albert Schweitzer und seiner Bach-Frömmigkeit verabschiedete, für die der alternde Dempe noch in diesem späten Buch treuherzige Elogen schrieb.

Die Übungen der Breithaupt-Methode, der unser Vater am Klavier anhing, lehnten wir ab (mein älterer Bruder und ich), weil sie nicht zur absoluten Selbständigkeit der Finger zu führen schien. Aber wie er schwor ich später auf eine Sammlung von konzentrierten Einzel-Übungen (André Stoyanov), mit deren Hilfe ich glaubte allen technischen Schwierigkeiten des Klaviers gewachsen zu sein. S.a. hier.

Zu Dempes Schrift

Der Herausgeber seiner Schriften wurde Frieder Lötzsch, – Theologie-Professor in Münster, interessanterweise ein ehemaliger Klavierschüler meines Vaters. Bei einem Treffen der Ehemaligen im Bielefelder Ratsgymnasium hatte er einen Tisch mit eigenen Schriften aufgestellt. Wir haben jedoch bei dieser Gelegenheit unsere Kindheitsbekanntschaft nicht aufgefrischt.

Was mich bewogen hat, jetzt plötzlich diesen Lehrer unserer Schule, dessen Unterricht ich nie unmittelbar genoss, als Pädagogen so ernst zu nehmen, wie nie zu Zeiten meines Vaters? Es war der differenzierte tiefere Zusammenhang der beiden Lebensverläufe (nach 2 Weltkriegen!). Und: z.B. der folgende ungeschminkte Erfahrungsbericht über die (korrigierte) sokratische Lehrmethode, – exemplifiziert ausgerechnet an einem berühmten Heraklit-Satz, der mit dem Krieg als Vater aller Dinge zu tun hat oder zu haben scheint: aus der Sicht meiner Generation gehört das Thema unzweifelhaft in den Kompetenzbereich der Väter, die aber hier im realen Leben wohl beide jedes Wort darüber vermieden.

Quelle Hellmuth Dempe: Philosophie als Lebensform – Zur Wahrheit des einfachen Lebens / Essays im Anschluss an Platon / Herausgegeben mit einem Nachwort von Frieder Lötzsch / Reihe „Philosophische Plädoyers Bd.4 LIT Verlag Berlin 2006 (Seite 13 ff)

Noch etwas erinnere ich: der zweite Musiklehrer an unserer Schule, der den furchtbar unfähigen Eulenstein (?) ersetzte, hieß Georg Scheel, der offenbar in Berlin Studienkollege meines Vaters gewesen war und ernsthafte Ambitionen als Komponist entfaltete. Er war eines Abends bei uns zu Gast und hatte vorher den Wunsch geäußert, einen eigenen Text vorzutragen: über die Zukunft der Musik in einem modernen Staat. Den Entwurf hatte er allerdings nach dem Muster Platons entwickelt, so dass sich starke Einwände ergaben (etwa: das sei reichlich totalitär, – wobei dieses Wort nicht gebraucht wurde, aber ob und wie von meinem Vater, weiß ich nicht). Irgendwie entsprach das dem Zug der Zeit, neue, alte Grundlagen hochzuheben, wozu vielleicht auch gehörte, dass die Hitler-Zeit eher als Unfall eingestuft wurde. Ohne der Vergangenheit auch nur mit einem Wörtchen zu gedenken, eher der Tatsache, dass Georg Scheel „aus dem Osten“ kam. Im Unterricht erregte er mit dem Vortrag eines Klavierstücks aus op.11 von Schönberg spöttische Aufmerksamkeit, das seinen dürftigen pianistischen Fähigkeiten entsprach (sehr kurz und thematisch auf Terz-Intervall beschränkt). Er selbst komponierte eher markig-kernig für Schul-Chor mit Quart- und Quintklängen: „Bemeßt den Schritt! Bemeßt den Schwung! Die Erde bleibt noch lange jung! Dort fällt ein Korn, das ſtirbt und ruht. Die Ruh iſt ſüß. Es hat es gut.“

Zu den Themen des Dempe-Buches (Inhaltsverzeichnis):

Die Nummern 2., 6., 8. und 13. bezeichnen im antiken Versmaß gehaltene Gedichte des Autor, immer nur Höchstes wollend, entfernt an Goethes „Urworte. Orphisch“ gemahnend, die ich noch gläubig auswendig lernte, – bevor Gottfried Benn kam und für Radikalität sorgte. Einige Zeilen aus Dempes Nr.8 :  „Eines im Vielen zu sein, / vieles im Einen zu tun, / Naht dann das Schöne im Sein, / reich in dem menschlichen Kreis, glänzt es im göttlichen Licht / über dem friedlosen Streit, / und das Gerechte erblüht. / Dunkelt die leidvolle Welt, / zeigt sich Gewalt überall, / Ichsucht und Torheit und  Neid. / Aber die ordnende Zahl, / Eidos und Kosmos zugleich, / weist auf den Urgrund des Alls, / der nur dem Einen gehört.“ (…)

Ich dachte und denke nicht daran, in solchen Worten über die Gegenwart nachzudenken.

In Nr. 7 „Platon und das 20. Jahrhundert“ verweile ich im Abschnitt 7.8. und vermute, dass darin die eigentlich treibende Kraft für Dempe steckt: „Gegentendenzen aus philologischer Forschung“, darin der Satz: „Die eigenartige Mathematisierung der Wirklichkeit, wie sie in der platonischen Philosophie vorliegt, wird von führenden Physikern unserer Tage, z.B. HEISENBERG, als Vorahnung heutiger atomphysikalischer Anschauungen empfunden und gewürdigt.“ (Es lag in der Zeit: JR „Einstein und das Universum“ Fischerbuch Aug.1955).

Im vorhergehenden Text geht Dempe ausführlich ein auf „Die Tübinger Schule“ mit H.J.Krämer und K.Kaiser „Platons ungeschriebene Lehre“ – zwischen Plato und Plotin, eine Sammlung, „die uns ermöglicht, die esoterische Philosophie vor Augen zu stellen“. Ich hörte zum ersten Mal, welcher Kritik die Schleiermacher-Übersetzung, der ich immer kritiklos folgte, ausgesetzt war und ist.

(Fortsetzung folgt)

https://de.wikipedia.org/wiki/Ungeschriebene_Lehre hier

Jürgen Villers hier

Plinius (Pompeji, Vesuvausbruch)

Non scholae sed vitae discimus? Na gut, es ist nie zu spät…

In der Nähe des Klaviers liegen ausgemusterte Lehrbücher. Doch die Farbe blau … nicht grau.

inliegend der Kommentar, davon nur 1 Seite, betrifft die Textseiten 15-17.  Immerhin erfährt man, dass Plinius häufig an Sodbrennen litt… (Anm.19)

Der zufällige Blick in ein altes Latein-Schulbuch erweckt widerstreitende Gefühle. Was hinderte mich eigentlich damals, den Stoff spannend zu finden? Mir fehlten die angrenzenden Wissensgebiete. Oder sie waren ohne lebendigen Anreiz. Die Plinius-Briefe hätten mich interessieren müssen, schon weil es „Briefe“ waren, die sich auf wirklich Erlebtes bezogen. Aus freien Stücken hätte ich heute hinter den Namen  in der Überschrift nicht einmal die Stichworte Pompeji und Vesuv schreiben können. Vor oder nach Christus? Plinius der Ältere oder der Jüngere? Sind sie nicht Vater und Sohn? Avunculus? Später änderte sich alles, – als alles spezifisch Lateinische schon längst vergessen war, 1970 Pompeji in Essen und auf Konzertreise in Süditalien hier. Daran erinnere ich mich, wenn ich heute als erstes bei Wikipedia nachschaue.

„Vom Vulcanusfest an [jährliches Fest des Gottes Vulcan am 22. August] begann er bei künstlicher Beleuchtung zu arbeiten, […] und zwar lange vor Tag; im Winter aber begann er um ein oder spätestens um zwei Uhr, oft schon um Mitternacht – freilich konnte er jederzeit sehr gut schlafen, manchmal auch mitten in der Arbeit, um dann sofort wieder weiterzufahren. Vor Tagesgrauen ging er zu Kaiser Vespasian, denn auch jener benützte die Nacht zur Arbeit, dann zu dem ihm aufgetragenen Geschäft. Nach Hause zurückgekehrt, widmete er den Rest der Zeit seinen Studien.“

„Daher pflege ich zu lachen, wenn mich gewisse Leute einen fleißigen Gelehrten nennen, der ich im Vergleich zu ihm der größte Faulpelz [desidiosissimus] bin – doch etwa nur ich, den teils öffentliche Verpflichtungen, teils solche meinen Freunden gegenüber zersplittern? Wer von denen, die ihr ganzes Leben der Wissenschaft widmen, müßte nicht neben ihm gleichsam als Träumer und Nichtstuer erröten?“[

HIER Wikipedia zu Plinius dem Jüngeren, der die Katastrophe üb/erlebte. In unserm Latein-Text gab es sogar die deutsche Zwischen-Überschrift Der Vesuvausbruch des Jahres 79 mit dem Zusatz (VI 20); das muss doch die jungen Leute von heute (wie damals auch?) fesseln. Scrollen Sie bitte unten zum Buch-Text und weiter zum Link der Übersetzungen, klicken Sie dort in der Liste auf Buch 6.20 und lesen Sie:

„Du sagst, der Brief, den ich Dir auf Deinen Wunsch über den Tod meines Onkels schrieb, habe Dich begierig gemacht, zu erfahren, was ich, der ich in Misenum zurückgeblieben war – an dieser Stelle hatte ich abgebrochen – , erlebt hätte, nicht nur an Ängsten, sondern auch an Geschehnissen. Obwohl ich schaudere, daran zu denken, will ich beginnen. Nach der Abfahrt meines Onkels verwandte ich den Rest des Tages auf meine Arbeit – deswegen war ich ja zurückgeblieben – ; dann Bad, Essen, unruhiger, kurzer Schlaf. Vorhergegangen waren während vieler Tage Erdstöße, kaum furchterregend, weil in Campanien gewöhnlich; in jener Nacht aber nahm das Beben so zu, daß man glaubte, es gerate nicht nur alles in Bewegung, sondern gründlich durcheinander. Meine Mutter stürzte in mein Schlafgemach; ich wollte gerade aufstehen, um sie zu wecken, falls sie schliefe.“

Die lateinischen Texte und deren Übersetzungen, Satz für Satz, findet man HIER

Wäre es damit nicht verführerisch leicht, im lateinischen Satzbau wieder Fuß zu fassen? … tibi de morte avunculi mei scripsi… .[der ich] Dir vom Tode meines Onkels geschrieben habe …  Zumal nach schlechten Erfahrungen in der Schule. Grundkenntnisse vorausgesetzt. Selbst das abweisende Druckbild entfernter Jahrzehnte rückt durch Vergrößerung psychologisch näher.

Und was nun? Mehr Grundlagen? Aber welche und wie? Ich aktiviere mir ein hervorragendes Buch (WBG):

Der Test-Text ist hier allerdings unvollständig wiedergegeben. Man kann ihn auch nicht isoliert vom Lehrbuch gebrauchen, aber er erhöht die Motivation erheblich („non scholae discimus“). Das Lehrbuch im Ganzen setzt wiederum voraus, dass man 6 -7 umfangreiche Nachschlagewerke greifbar hat, Wörterbücher, Grammatiken, Lateinische Phraseologien usw. (daher im obigen Text auch die Literaturhinweise in Gestalt von Großbuchstaben). Trotzdem: Ich nutze es ohne weitere Hilfen, weil es unzählige Anregungen bietet durch Mustersätze, kommentierte Übersetzungen und Bemerkungen zur „Andersartigkeit römischen Denkens“.

Quelle Gregor Maurach: Lateinische Stilübungen / Ein Lehrbuch zum Selbstunterricht / Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1997 ISBN 3-534-13692-6

Und was ist eine Plinianische Eruption? Am besten hier in Wikipedia selbst nachlesen!

Neue Meldung 12.08.2023

https://www.merkur.de/wissen/super-vulkan-italien-fachleute-warnen-studie-neapel-supervulkan-campi-flegrei-92334142.html hier

Neuer Film ZDF 3.4.23

HIER

Wegtauchen aus bürgerlicher Enge

Traumwelt der Kindheit, heutige ZEIT-Lektüre

Ich weiß, was man gegen ZEIT-Leser:innen und ZEIT-Autor:inn:en sagen kann und fühle mich nur halb getroffen. Alles in sich Antagonistische scheint mir per se richtig, z.B. die Doppelseite über Martin Walser (von Iris Radisch, Adam Soboczynski und Edgar Selge), also: wo es gerade intrinsisch nachvollzogen wird. So sehe ich die Kunst seit meiner Kindheit und zwar mal mit Unbehagen, mal mit Glücksgefühlen. Durch Distanz und durch Immersion. Verstehe ich dies Wort richtig? Eintauchen, Untertauchen, Aufgehen in … Es ist mir im Zusammenhang mit „Parsifal“ aufgefallen, – was meint Christine Lemke-Matwey damit? Es muss „in“ sein, wenn es so auffällig nebenbei eingesetzt wird. Gestern – eine ZEIT später – fand ich es wieder, bei Hanno Rauterberg und seinem hochmodernen Blick auf Wagners König Ludwig, der irgendwie auch in meine Kindheit gehört: ich lernte mit den Jahren, über seine Schlösser ironisch zu lächeln, während die amerikanische Seifenschaum-Disney-Kultur mich von vornherein abstieß. Eine wohlige Distanzierung von der schrecklich heilen Welt, die als Traum gekennzeichnet war. Wieder eine Ausklammerung. Es muss was Gigantisches sein, aber immer mit kuscheligen Ecken. Hat es mit Wiedergewinnung der (Klein-)Bürgerlichkeit nach den großen Kriegen zu tun? Und meinerseits: eine „Abrechnung“ mit der Generation der Väter. Oder soll ich es Wiederverzauberung nennen?

Neuschwanstein /Wikipedia © Thomas Wolf, www.foto-tw.de (CC BY-SA 3.0 DE)

Weltkulturerbe?

DIE ZEIT Ganz oben

Grimms Märchen 1945 Care aus USA 1947

Die aus engstem Kreis erweiterte Familie

1951 Im Hintergrund der Flügel, an der Wand Wagner. Weiße Bluse Tante Ruth, hinter ihr stehend: Schuldirektor Paul Müller, rechts: Hans Bernhard Reichow, vorne links mein erster Geigenlehrer Gerhard Meyer / 10 Jahre später: Hochzeit Bruder Bernd 1961, der Vater im Mittelpunkt fehlt, links neben mir eine Untermieterin, andere Seite: die Frau meines zweiten Geigenlehrers Hans Raderschatt. Die Eltern meiner Mutter, im Hintergrund der Flügel des toten Schwiegersohnes, der ihnen 1937 den schlimmen Brief geschrieben hatte – und damit bis in die übernächste Generation recht behalten hat.

Die Repräsentanten des alten Lebens (50er Jahre) „da draußen“, auch das Schulkollegium  Ratsgymnasium Bielefeld, mein Klassenlehrer (Nietzsche-Kenner) Lübbert, letzte Reihe oben, der 3. von rechts, und mein Vater: der 5. in der 1. Reihe von links:

Männergesellschaft / mein Vater in Aktion:

Statt als Kapellmeister wirkt er in der Schule und außerhalb, – im „Bielefelder Kammertrio“ – mit Gerhard Meyer und Rainer Ponten: hier – etwas deplaziert mit Arensky-Musik bei Sinalco (!) in Detmold. Lebenslang kann ich das Hauptthema singen.

←Anfang und Ende→ der 50er Jahre:

Artur Reichow (1901-1959)

In der aktuellen ZEIT las ich jedes Wort über Walsers Tod (26.07.23), zu Lebenszeiten (nach der Frankfurter Rede) wenig von ihm.  Obwohl ich mindestens 6 seiner Bücher besitze. Heute Morgen – erstes Kapitel aus „Ein liebender Mann“. Wirklich gelesen. Nie habe ich diese Seite mit den Notenlinien gesehen, die das gurrende Taubenpaar betrifft. Hat Goethe sie wirklich aufgezeichnet? Aber danach: Goethes wirkliche letzte Elegie…

Martin Walser: Ein liebender Mann / Rowohlt Reinbek bei Hamburg 2008 (S.173) Umschlaggestaltung: Alissa Walser

Zum Thema Taubenruf (Hornbostel) siehe hier.

ZEIT-ZITATE

Die kleinbürgerliche Herkunft Walsers ist in der bundesdeutschen Nachkriegsliteratur keine Besonderheit (in Frankreich ist so was bis heute eine Sensation), auch die Herren Böll, Enzensberger und Grass waren ja Schreiner-, Postbeamten- und Lebensmittelhändlerkinder. Doch gelang Walser mit seiner magischen Mixtur aus kleinbürgerlichem Strebertum, Tief- und Eigensinn plus höherem Klamauk eine literarische Tiefenbohrung kleindeutscher Gefühlslagen, die auch in dieser Liga absolut einmalig waren.

↑ Iris Radisch

Ich mochte Ein liebender Mann , aber ich verehre den Roman nicht. Ich verehre die frühen Romane, vor allem Ehen in Philippsburg, den so präzisen, kühlen Roman über den hässlichen Ehrgeiz der Nachkriegsgesellschaft. Ein liebender Mann ist warmherzig und poetisch, über weite Strecken mehr Gedicht als Roman, aber er grenzt, wie fast alle seiner Alterswerke, auch ans Kokette, ans peinlich Offenherzige. Goethe als Walser, Walser als Goethe, ein Mensch kraftvoll mit sich im Reinen…

↑ Adam Soboczynski

Und das ist deshalb etwas Besonderes, weil Erfahrungen, wie Martin Walser sie beschrieb, einen wesentlichen Widerspruch offenbarten: Sie waren einzigartig, durch und durch subjektiv, an sein persönliches Erleben gebunden und doch teilbar, also nachvollziehbar, und in der Art, wie sie Sprache wurden, im Augenblick der Formulierung so real und verbindend, dass sie für unzählige Menschen, die ihm begegneten, zu Bausteinen ihrer Welt wurden.

↑ Edgar Selge

Noch einmal zurück zur „Männergesellschaft“ des Ratsgymnasiums Bielefeld: Sie sehen, dass ich alle Anlässe wahrnehmen, um individuelle, halb private, halb übergreifende Netze zu spinnen.

Über viele von den abgebildeten Lehrpersonen könnte ich Geschichten erzählen: Kuhlmann – falsch und böse;  Oberwahrenbrock – versuchte auf Langeoog angebliche Homosexualität unter Schülern zu ahnden, Röttger – ihm verdanke ich eine schallende Ohrfeige für eine Lappalie; Fränzchen Wiese – listig, aber Alkoholiker; vorn in der Mitte Winkler – Homer-Kenner, geheimnisvoller Mensch, leise, gerecht und weise; vorn links – wie gesagt mein Vater, vorne rechts (mit Fliege) Hellmuth Dempe, Philosoph. Von den beiden Letztgenannten hat meine Mutter einen Streit überliefert, irgendeine (politische?) Prestigesache, Rechthaberei, beim zufälligen Aufeineinandertreffen im Freudental an der Bielefelder „Promenade“, also gemeinsam Kaffeetrinkend bis zum erregten Abbruch… Von diesem Philosophen Dempe ist ein Buch herausgekommen, eingeleitet von Frieder Lötzsch , der damals übrigens Klavierschüler meines Vaters war: hier. Ich besitze es (noch!) nicht. Was ich gern wüsste: Ob er „im einfachen Leben“ meinem Vater überlegen war, der einige Wochen später starb? Ob er Überlegenheit auskostete? Musste das sein?

(Nachtrag am 8.9.2023)

Ich bin heute ausgegangen von der Lektüre der ZEIT vom 3. August 2023, Thema u.a. der Tod von Martin Walser, von dem ich seit Jahrzehnten nichts mehr gelesen habe, – außer „Ein fliehendes Pferd“ -, vielleicht aufgrund seiner skandalösen Rede bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Iris Radisch geht darauf ein. Ich würde darüber nicht mehr diskutieren wollen, stattdessen lieber „Ein liebender Mann“ lesen.

Natürlich interessiert mich das lange Statement der ZEIT auf Seite 1 zur Einschätzung der AfD:

Die AfD ist eine Protestpartei. Sie wird von vielen Menschen nicht aus innerster Überzeugung gewählt, sondern aus Unzufriedenheit mit der etablierten Politik. Aber man sollte sich als Wähler schon darüber im Klaren sein, mit welchem politischen Feuer man da spielt. Sonst brennt es irgendwann. Noch legt die AfD vor allem in den Umfragen zu. Wenn ihr das bei Wahlen gelingen sollte, ist es zu spät.

Quelle ZEIT 3.8.23 Keine Alternative Die AfD radikalisiert sich zunehmend und wird damit zur Gefahr für den Standort Deutschland / Von Mark Schieritz

Und was mich ebenso interessiert, ist der andere Leitartikel. Angesichts der katastrophalen Haltung der Katholischen Kirche in Sachen Pädophilie vergisst man fast die Frage: sieht es etwa bei der evangelischen Kirche besser aus?

Quelle ZEIT 3.8.23 Sie ist nicht heiliger Erstmals lässt die evangelische Kirche Pädophilie in iher jüngsten Geschichte untersuchen. Warum so spät? / Von Evelyn Finger

Es sind doch gerade die Jahrzehnte, in denen eine neue Aufklärung stattfinden sollte; was in den 50er Jahren nicht gelungen war, sollte nun auf eine neue Grundlage gestellt werden. Und es waren nicht nur die 68er, die daran arbeiteten, es waren die Antiautoritären, die Kinseys, die Sexologen, Arno Plack mit dem Bestseller: „Die Gesellschaft und das Böse“, 1970 eine ganze rororo-Reihe, herausgegeben vom Institut für Sexualforschung an der Universität Hamburg, da erschienen „reihenweise“ Aufklärungsbücher wie „Repressive Familienpolitik“, „Sexualunterdrückung“ oder „Sexualerziehung“, dies letzte aus der Feder von Helmut Kentler !!! Siehe den hier gegebenen Wikipedia-Link, an den sich offenbar der Wortlaut dieses Leitartikels anlehnt, es taucht  auch die ZEIT mit Adam Soboczynski auf :

DIE ZEIT 3.8.23

*    *    *

Was fehlt? Es genügt nicht, auf die alten Schlösser (Neuschwanstein, Versailles, Bayreuth etc.) zurückzuschauen und zu sagen: gut für den Tourismus, gut für die Wirtschaft. Und: es ist ja doch Kultur, die wir brauchen: die großen Träume!  Wir wollen ja keineswegs die Weltzustände von damals zurück. Zur Ergänzung des AfD-Artikels gehört z.B. die Analyse im „langweiligen“ Teil der ZEIT: über das Momentum in der Politik, – die AfD ignoriert die Klimawende, auf die allerdings die Politik tatsächlich „ungeschickt“ reagiert hat. Das zu beschreiben und zu verstehen, braucht Zeit und Geduld. Verweis auf die Energiepolitik der Dänen und Schweden. Einfacher ist bloßer Protest. „Kaum etwas verunsichert die Menschen im Land mehr; man muss sich da gar nichts zurechtbiegen, um die Umfrageerfolge der AfD zu verstehen. Wollen wir nicht auch in dieses gelobte Energieland, das sich gleich hinter der Grenze im Norden erleben lässt? (…) Selten wurde für so viel politischen Einsatz und so viel gesellschaftlichen Schaden so wenig Konkretes erreicht.“

Quelle DIE ZEIT 3.8.23 Seite 25 Aus dem Takt gekommen Die Bundesregierung verschwendet ungeheuer viel politische Energie im Ringen um die Klimawende – Zeit für ein neues Zusammenspielt / Von Uwe Jean Heuser

Was hat mein Vater damit zu tun? Seine Zeit muss überwunden sein. Endgültig hinter uns liegen. Die Träume auch. Allenfalls brauchbar als eine gedankliche Übung.

Adorno noch einmal

Von der Terz und der Zersetzung der musikalischen Sprache

Adorno 1960 in Berlin

Quelle Theodor W. Adorno: Philosophie der Neuen Musik / Europäische Verlagsanstalt Frankfurt am Main 1958 (Seite 76 f)

1993 Beethoven-Buch + umgeblättert:

… „der gleiche Tatbestand nach seinen verschiedenen Aspekten. Wie aber, wenn schließlich der Ausdrucksdrang gegen die Möglichkeit des Ausdrucks selber sich kehrte?   [141]“

Quelle Theodor W. Adorno: Beethoven / Philosophie der Musik / Fragmente und Texte herausgegeben von Rolf Tiedemann / Suhrkamp Frankfurt am Main 1993

P.S. Natürlich war mir damals klar, dass man diese (hier isolierten) Äußerungen Adornos nicht grundsätzlich als gegen die Idee der „Zwölftonmusik“ gerichtet verstehen darf.

Vom Salon mit Chopin

JR 6.12.1966 Solingen

Quelle Theodor W. Adorno: Einleitung in die Musiksoziologie / Zwölf theoretische Vorlesungen / Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1962

Chromatische Tonsprache und kujawische Motivik (s.a. hier)

Tadeusz A. Zielinski Chopin Lübbe 1999

Universalität?

Museum und integrales Konzert

Ich hätte damals noch etwas ergänzen können oder müssen: aus Adornos Kritik am Persönlichkeitsideal (jetzt 24.07.23 wiedergelesen, damals in „Stichworte“ von 1969, zuvor auch im Radio gehört):

So gehört es zur eisernen Ration pädagogischer Theorien, die auf der Höhe der Zeit sein möchten, das Humboldtsche Bildungsziel des allseitig entwickelten und ausgebildeten Menschen, eben der Persönlichkeit, abzufertigen. Unvermerkt wird aus der Unmöglichkeit, es zu verwirklichen – wenn anders es je verwirklicht gewesen sein sollte -, eine Norm. Was nicht sein kann, soll auch nicht sein. Die Aversion gegen das hohle Pathos der Persönlichkeit tritt, im Zeichen eines angeblich ideologiefreien Realitätsbewußtseins, in den Dienst der Rechtfertigung universaler Anpassung, als ob diese nicht ohne Rechtfertigung bereits allerorten triumphierte. Dabei war Humboldts Persönlichkeitsbegriff keineswegs einfach der Kultus des Individuums, das wie eine Pflanze begossen werden soll, um zu blühen. So wie er noch die Kantische Idee »der Menschheit in unserer Person« festhält, hat er zumindest nicht verleugnet, was bei seinen Zeitgenossen Goethe und Hegel im Zentrum der Lehre vom Individuum steht. Ihnen allen kommt das Subjekt zu sich selbst nicht durch die narzißtisch auf es zurückgezogene Pflege seines Fürsichseins, sondern durch Entäußerung, durch Hingabe an das, was es nicht selbst ist. In Humboldts Bruchstück ›Theorie der Bildung des Menschen‹ heißt es: »Bloß weil beides, sein Denken und sein Handeln nicht anders als nur vermöge eines Dritten, nur vermöge des Vorstellens und des Bearbeitens von etwas möglich ist, dessen eigentlich unterscheidendes Merkmal es ist, Nichtmensch, d.h. Welt zu seyn, sucht er, soviel Welt als möglich zu ergreifen und so eng, als er nur kann, mit sich zu verbinden.« Den großen und humanen Schriftsteller konnte man einzig dadurch in die Rolle des pädagogischen Prügelknaben hineinzwängen, daß man seine differenzierte Lehre vergaß.

Quelle Theodor W. Adorno: Stichworte / Kritische Modelle 2 / darin: Glosse über Persönlichkeit / Suhrkamp Frankfurt am Main 1969 / Zitat Seite 54

Damals schon früher aus der Radiosendung mit Adorno notiert:

Zumindest Negatives läßt über den Begriff eines richtigen Menschen sich sagen. Er wäre weder bloße Funktion eines Ganzen, das ihm so gründlich angetan wird, daß er dovon nicht mehr sich zu unterscheiden vermag, noch befestigte er sich in seinern puren Selbstheit; eben das ist die Gestalt schlechter Naturwüchsigkeit, die stets noch überdauert. Wäre er ein richtiger Mensch, so wäre er nicht länger Persönlicheit, aber auch nicht unter ihr, kein bloßes Reflexbündel sondern ein Drittes. Es blitzt auf in der Hölderlinschen Vision des Dichters: »Drum, so wandle nur wehrlos / Fort durchs Leben, und fürchte nichts!«

*    *     *

P.S. Und heute nach 54 Jahren ein Wermuthstropfen in Adornos Hölderlin-Zitat? der – doch so ermutigende – letzte Halbsatz lautet im Original womöglich anders: nämlich so. (nein! Aufklärung folgt)

Fazit: auch angesichts höherer Autoritäten lohnt sich die Überprüfung von Zitaten ebenfalls hoher oder höherer Autorität. Oder? Am Ende behält gar die Philologie das allerletzte Wort…

Kritischer Bericht Seite 305 – 322, hier wiedergegeben Seite 316 – 319 / und die letzte Fortsetzung von „Dichtermuth“:

Neue Links zu Hölderlins Ode „Dichtermut“  1. Fassung 2. Fassung und Wikipedia hier (darin Link zu Versmaßen). Neue Ermutigung, Hölderlin selbst im Original zu suchen und verstehen zu lernen, gefunden bei Roland Reuß in dem sehr lesenswerten Buch „Ende der Hypnose“, Zitat:

Quelle Roland Reuß: Ende der Hypnose Vom Netz zum Buch / Verlag Strœmfeld Frankfurt am Main 2012 ( hier )

Patmos bei Wikipedia hier

Zum Beispiel Goethe bei Blumenberg

Einige Notizen

Siehe Blog „Blumenberg lesen“ hier (gegen Ende)

„Eckermann liest in der Bibel“ (Seite 46)

Wie Goethe seinen Eckermann hingehalten hat, um ihn nicht als getreuen Dokumentar zu verlieren (z.B. durch Heirat). Auch deshalb lockt er ihn mit Faust II. Siehe Erwähnung tags zuvor und danach.

Quelle Eckermann: Gespräche mit Goethe / Aufbau-Verlag Berlin 1956 (JR Sept.58)

Zu „Das Hohelied der Rezeption“ (Seite 16) Albrecht Schöne

„Alexis und Dora“ siehe hier (Weiland über Goethes Rätselgedicht)

Wikipedia zu „Alexis und Dora“ hier

Blumenberg „Goethe zum Beispiel“ Seite 70

In der Altersfreundschaft Goethes mit Zelter ist der Berliner Tonmeister mit seinem Part unterbelichtet geblieben. Dabei sind seine Briefe unvergleichlich, an Frische und Wahrheit der Empfindung denen Goethes im letzten Jahrzehnt überlegen. Und wäre dies alles nur zu lesen, um das einzige Rätsel lösbarer zu finden, wie er Goethes innigstes Gedicht „Um Mitternacht“ adäquat vertonen konnte, dürfte keine Mühe verdrießen, Zelters Part auszuleuchten.

Goethe/Zelter im letzten Lebensjahr S.61 Briefwechsel ?hier (geht nur bis 1827)

Um Mitternacht ging ich, nicht eben gerne,
Klein kleiner Knabe, jenen Kirchhof hin
Zu Vaters Haus, des Pfarrers; Stern an Sterne
Sie leuchteten doch alle gar zu schön;
    Um Mitternacht.

Wenn ich dann ferner in des Lebens Weite
Zur Liebsten mußte, mußte, weil sie zog,
Gestirn und Nordschein über mir im Streite,
Ich gehend, kommend Seligkeiten sog;
    Um Mitternacht.

Bis dann zu letzt des vollen Mondes Helle
So klar und deutlich mir ins [Finstere]1 drang,
Auch der Gedanke willig, sinnig, schnelle
Sich ums Vergangne wie ums Künftige schlang;
    Um Mitternacht.

Noch einmal zitiert bei Blumenberg Seite 211 („Auch ihn einmal weinen gesehen“) Zelter las ihm die Marienbader Elegie vor:

…jetzt hört er es vom Freund, der ihm so vieles hörbar gemacht, ihm »Um Mitternacht« vertont hatte: Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren, / Der ich noch erst der Götter Liebling war …

Blumenberg Seite 70 „Das unerlebbare Letzte“

Wiki Quelle hier / Friedrich Preller der Ältere

Zitat Seite 71f

Noch auf der ausgeführten Zeichnung schönster Überhöhung stand n. d. Natur gezeichnet 1832. Die dazu bekannte Skizze, die diesen Vermerk nicht trug, zeigte olympische Retusche. Erst 1949 ist Prellers ›Original‹ ans Licht gekommen, das er, vielleicht mit Rücksicht auf Ottilie, die zunächst gänzlich widersprochen hatte, für sich verbarg und gegen die sanftere Skizze vertauschte.

s.a. hier Auktionskatalog 1926 „Eine Goethe-Sammlung“ Nr.33

Blumenberg Seite 82 „Goethe, zum Beispiel“, die Nietzsche-Quellenangabe ist irreführend (Bd, XIII, 244), muss heißen: § 279. in „Menschliches, Allzumenschliches“.

279.

Von der Erleichterung des Lebens. – Ein Hauptmittel, um sich das Leben zu erleichtern, ist das Idealisiren aller Vorgänge desselben; man soll sich aber aus der Malerei recht deutlich machen, was idealisiren heisst. Der Maler verlangt, dass der Zuschauer nicht zu genau, zu scharf zusehe, er zwingt ihn in eine gewisse Ferne zurück, damit er von dort aus betrachte; er ist genöthigt, eine ganz bestimmte Entfernung des Betrachters vom Bilde vorauszusetzen; ja er muss sogar ein ebenso bestimmtes Maass von Schärfe des Auges bei seinem Betrachter annehmen; in solchen Dingen darf er durchaus nicht schwanken. Jeder also, der sein Leben idealisiren will, muss es nicht zu genau sehen wollen und seinen Blick immer in eine gewisse Entfernung zurückbannen. Dieses Kunststück verstand zum Beispiel Goethe.

Seite 76 Santa Maria della Minerva in Assisi

… denn sie ist und bleibt das Stück Heidentum im Christentum, das Goethe bleibend adaptieren wird, bis hin zum Schluß des zweiten »Faust«.

Selbst der gerühmte Palladio, auf den ich alles vertraute (Goethe)

Aus Goethes Text hier

Wenn man die erste poetische Idee, daß die Menschen meist unter freiem Himmel lebten und sich gelegentlich manchmal aus Not in Höhlen zurückzogen, noch realisiert sehen will, so muß man die Gebäude hier herum, besonders auf dem Lande, betreten, ganz im Sinn und Geschmack der Höhlen. Eine so unglaubliche Sorglosigkeit haben sie, um über dem Nachdenken nicht zu veralten. Mit unerhörtem Leichtsinn versäumen sie, sich auf den Winter, auf längere Nächte vorzubereiten, und leiden deshalb einen guten Teil des Jahres wie die Hunde. Hier in Foligno, in einer völlig homerischen Haushaltung, wo alles um ein auf der Erde brennendes Feuer in einer großen Halle versammelt ist, schreit und lärmt, am langen Tische speist, wie die Hochzeit von Kana gemalt wird, ergreife ich die Gelegenheit, dieses zu schreiben, da einer ein Tintenfaß holen läßt, woran ich unter solchen Umständen nicht gedacht hätte. Aber man sieht auch diesem Blatt die Kälte und die Unbequemlichkeit meines Schreibtisches an.

Blumenberg Seite 88

Man fragt sich, warum sich diese Seite im Goethebuch befindet und nicht in Blumenbergs „Matthäuspassion“ (1988), wo er sich von Seite 208 bis 222 mit diesem Thema befasst (›DER RUFET DEM ELIAS‹). Er verrät es hier aber doch in den letzten 5 Zeilen, wo er sich dem ›ungeheuren Spruch‹ Goethes zuwendet: Nihil contra deum nisi deus ipse – Nur ein Gott gegen einen Gott. Und da bleibt die Leserschaft von Gott verlassen, sofern sie nicht an Blumenbergs unendlicher Belesenheit teilhat oder – wie ich – unverdrossen das Internet befragt. Dort würde man fündig unter folgendem Link des Goethe Jahrbuches 13 Weimar 1952: Momme Mommsen: Zur Frage der Herkunft des Spruches „Nemo contra deum nisi deus ipse“.

Das bedeutendste Kapitel dieses ganzen posthum erstellten Goethe-Buches von Blumenberg scheint mir das dem Prometheus-Syndrom gewidmete zu sein: „Ein Geschlecht das mir gleich sey“, Seite 112 – 138. Es betrifft die Wechselwirkung mit Schopenhauer bzw. dessen Auseinandersetzung mit der Farbenlehre. Und damit einen philosophischen Diskurs angesichts der Wirk- und Fliehkräfte zwischen den Monumenten Kant und Newton.

Wunderbar auch die Richtigstellung zu dem berühmten Ausspruch Goethes über die Kanonade bei Valmy, – sein Hang, dem Sinnlosen, das ihn tangiert, durch Umwidmung eine höhere Bedeutung abzugewinnen. Seite 113ff: „Gelübde auf dem Rückzug„.