Archiv der Kategorie: Funde

Das Gehör des Richters

Ein alberner Zeitvertreib

ST Gehör des Richters

Aus: Solinger Tageblatt 7. Januar 2015 Seite 10 Olaf Kupfer „Ein atemloses Festival der Vorwürfe“

Schlager A –  https://www.youtube.com/watch?v=jh6G0q7wSng

Schlager B –  https://www.youtube.com/watch?v=7ZkejDqTuSM

Jack Whites Erklärung:

Bei Helene Fischers ‚Atemlos‘ ist in den ersten zwölf Takten der Verse nicht eine einzige Note, die nicht von meiner Komposition ‚Ein Festival der Liebe‘ übernommen worden ist. Die ersten acht Noten sind unstrittig 1:1 identisch. Die Noten neun bis zwölf sind eine Wiederholung der ersten vier Noten. Dann werden alle zwölf Noten wiederholt, bevor ‚oho oho‘ kommt, was kompositorisch ebenfalls identisch ist mit ‚oho aha‘ – was die Nation schon seit 40 Jahren mitsingt.

Viel Spaß!

Möglicherweise handelt es sich auch in Rhythmus und Tiefe des Textes um ein Plagiat?

(Goethe: „Götz von Berlichingen“, auch berühmt durch ein noch passenderes Zitat)

Es fing ein Knab ein Vögelein
Hm, hm, so, so
Da lacht er in den Käfig nein
Hm, hm, so, so

Da freut er sich so läppisch
Hm, hm, so, so
Und griff hinein so täppisch
Hm, hm, so, so

Da flog das Meislein auf ein Haus
Hm, hm, so, so
Und lacht den dummen Buben aus,
Hm, hm, so, so

Wahre Freundschaft

Wer alte Briefwechsel liest (etwa solche, die man exemplarisch im Gleimhaus Halberstadt studieren kann, siehe hier), wundert sich, was für ein inniger Ton in der Zeit der Empfindsamkeit zwischen Männern aufkam. Oder auch zwischen Geschwistern wie Fanny und Felix Mendelsssohn Bartholdy. In der heutigen, sexuell konnotierenden Zeit denkt man alsbald an Homosexualität oder inzestuöse Zusammenhänge. Weit gefehlt. Es wäre an sich selbstverständlich, von einem Wechsel der Sitten und Gebräuche auszugehen, statt immer noch wie in den 60er Jahren mit fabelhafter Sicherheit von heute auf früher zu schließen, insofern ist ein Spiegel-Artikel wie der aktuelle höchst innovativ. Silvia Bovenschen wird über zeitgenössische Karriere des Begriffs Freundschaft befragt, der offenbar den Höhenflug der romantischen Liebe ablöst.

Sehr offensichtlich vollzog sich ein solcher Wandel mit der Epoche der Empfindsamkeit im späten 18. Jahrhundert. Vornehmlich unter Literaten bildete sich ein sonderlicher Freundschaftskult heraus. Auch heterosexuelle Männer beteuerten einander die innigste Liebe. In ihren Briefen ist von wollüstigen Tränen die Rede, von herangeschwollenen Herzen und letzten Küssen.Tatsächlich haben die Männer die gleichen Wortfolgen auch in Liebesbriefen an die Frauen verwendet. Zugrunde lag eine Sprachnot. Man zelebrierte die Freundschaft im Vokabular der Liebe. Es fehlte eine Sprache, ein Programm für die Freundschaft. Sie hatte eine andere Bedeutung bekommen als ein Bündnis des neuen aufgeklärten Bürgertums, eine Angelegenheit von Gleichen unter Gleichen. Auf uns wirkt der damalige Sprachgebrauch grotesk, und auch damals konnte sich dieser Kult nur kurze Zeit behaupten.

Und heute? Gilt das gleiche wie für die Liebe:

Der Soziologe Niklas Luhmann hat einmal gesagt, dass eine Frau, die Romane gelesen hat, erkenne, wann sie liebt. Wenn man eine wortmächtige und anschauliche Beschreibung für ein Gefühl kennenlernen konnte, wird man empfindungsweiter. Vermutlich habe ich mich mit dieser Formulierung endgültig ins Unzeitgemäße verabschiedet.

Quelle DER SPIEGEL 29.12.2014 „Eine kleine Teufelei“ Spiegel-Gespräch. Die Autorin Silvia Bovenschen über Verrat, die banalen Seiten der Freundschaft und den Missbrauch eines uralten Menschheitsbegriffs (Seite 121 bis 123)

(Fortsetzung folgt)

Allerfrüheste Mehrstimmigkeit heute

Artikel in der heutigen Süddeutschen Zeitung (19. Dezember 2014 Seite 13):

Eine Terz früher / In London wurde wohl das früheste bekannte mehrstimmige Stück der Musikgeschichte entdeckt. Von Johan Schloemann.

Vielmehr … von Giovanni Varelli, Doktorand der Musikwissenschaft am St. John’s College der Universität Cambridge.

Der wissenschaftliche Artikel erschien offenbar schon am 27. September 2013, nämlich HIER, ist aber wie geschaffen für die Vorweihnachtszeit 2014, zumal man das stumme Notenbild-Denkmal seit 2 Tagen auf youtube ertönen hört, zum Leben erweckt von zwei engelgleichen Jünglingen („undergraduates at St John’s College, Cambridge“):

Historischer Zusammenhang (laut Wikipedia)

Die ersten Quellen aus dem 9. Jahrhundert beschreiben das Organum als eine aktive Praxis. Diese Praxis mag schon einige Hundert Jahre älter sein – ihre Ursprünge lassen sich nicht rekonstruieren. Bis heute ist nicht klar, ob das frühe Organum sich aus einem primitiven, strengen Parallelismus entwickelt hat oder aber aus einer recht freien, nur durch die Kirchentonarten gebundenen Heterophonie.

Das erste Dokument, das die Organumpraxis nachvollziehbar beschreibt, war die Musica enchiriadis (gegen 895), ein Traktat, das traditionell (und vermutlich inkorrekt) dem Mönch Hucbald (* um 840; † 930) zugeschrieben wird. Danach war die Organumpraxis gar nicht als Mehrstimmigkeit im modernen Sinn konzipiert: Die hinzutretende Stimme sollte lediglich den einstimmigen Gesang verstärken. Die Musica enchiriadis macht außerdem deutlich, dass Oktav-verdopplung[en] akzeptiert wurden, schließlich ließen sie sich bei gemeinsamem Gesang von Männer- und Knabenstimmen nicht vermeiden. Auch das Mitspielen einer Singstimme durch Instrumente war Praxis. Der Traktat Scholia enchiriadis behandelte das Thema eingehender.

Im originären Parallelgesang lag die originale Melodie in der oberen Stimme (Vox principalis). Die Vox organalis wurde ein perfektes Intervall tiefer parallel geführt, meist eine Quarte tiefer. So hörte man die Melodie als Hauptstimme, die Vox organalis als Begleitung oder Verstärkung. Diese Art des Organums wird heute üblicherweise als Parallelorganum bezeichnet, je nach Intervall beispielsweise als Quartorganum oder Quintorganum, obwohl in frühen Traktaten Begriffe wie Sinfonia gebräuchlich waren.

Da die Musica enchiriadis kurz vor der (Wieder-)Entwicklung einer standardisierten musikalischen Notation geschrieben wurde, sind die dort enthaltenen Beschreibungen des Organum rein verbal. Es ist nicht bekannt, wie genau sie befolgt wurden.

Vollständiger Wikipedia-Artikel HIER.

Ach, ihr beiden Engel, lasst mich die Noten sehen, damit ich glauben kann, was ich höre!

***

Eins darf man heute nicht vergessen: egal was damals notiert wurde und wie sehr es vielleicht in den Basiliken und Klosterkirchen an Farbe gewonnen haben mag, – wenn wir uns an dem orientieren, was man hier realiter hört, muss es armselig gewesen sein im Vergleich zu dem, was am Hofe Harun ar-Rashids von leidenschaftlichen Maqam-Interpreten geboten wurde. Oder zu der majestätischen Orchestermusik, die im fernen Kyoto zum Ruhme des japanischen Kaiserhofes erklang.

Nachtrag 5.1.2015

Zur Entstehung der Musica enchiriadis in der Abtei Essen-Werden, ca. 900

Es entstehen umfassende Schriften, die eine Entstehung der „Musica enchiriadis“ in der Abtei Essen-Werden äußerst wahrscheinlich machen. Der Traktat „Musica enchiriadis“ beinhaltet die früheste Notation für ein genaues mehrstimmiges Singen und bildet somit die Grundlage für alle spätere Mehrstimmigkeit in Europa.

Zwar ist die Urschrift verschollen, doch finden sich Teile daraus in einem Fragment der Schrift, dem Fragment K3:H3 der Düsseldorfer Universitäts- und Landesbibliothek – auch bekannt unter dem Namen „Düsseldorfer Fragment“ – welches die älteste Abschrift darstellt und in der Abtei in Essen-Werden entstanden ist. Kenntnisreichtum und Kreativität des Schreibers stellen diese Schrift in Autornähe. Als Verfasser oder Initiator der verschollenen Urschrift – der Vorlage, welche auch das Düsseldorfer Fragment beinhaltet haben muß – gilt mit höchster Wahrscheinlichkeit der Abt Hoger von Werden († 906). Neben dem „Düsseldorfer Fragment“ fand sich in Werden außerdem die umfangreichste und wichtigste Abschrift der „Musica enchiriadis“: die (in Bamberg aufbewahrte) „Bamberger Handschrift Var. 1“, um 1000 geschrieben. Diese Abschrift ist ebenso in Werden entstanden und steht in deutlicher Beziehung zum „Düsseldorfer Fragment“.

(Dazu: Dieter Torkewitz: Das älteste Dokument zur Entstehung der abendländischen Mehrstimmigkeit: eine Handschrift aus Werden an der Ruhr: das „Düsseldorfer Fragment“. In: Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft. Bd. 44. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 1999)

Hinweis: Prof. Dieter Torkewitz ist am 29.1. 2015 zu Gast bei Hans Winking im Bürgermeisterhaus Essen-Werden: „Der musikalische Salon“ 19.00 Uhr. „Im Schatten des Kunstwerks“ – Musiktheorie im Zwielicht.

Ohrwurm des Teufels

Eigentlich wollte ich nur etwas Fundamentales über die Rolle der Musik im Islam hören. Ich habe es notiert, und dann kam alles anders.

ZITAT

(2:43) Das ist wirklich wie eine Sucht, und das weckt in dir andere Gefühle! Glaub mir, wenn du so eine Musik hörst, das weckt in dir schlechte Gefühle. Und deswegen, Brüder, kann ich euch nur eins sagen: wer zu Hause MTV hat und zieht sich das rein, der wird es nicht schaffen, nach diesem Ramadan weiter in der Gehorsamkeit Allahs zu verweilen … und Allah richtig zu dienen. Weil diese Sache bringt dich auf einen andern Weg, glaub es mir: ich war in Marokko gewesen, und ich hab eine Nacht im Hotel … oder zwei Nächte im Hotel übernachtet, und als ich dann durch das Hotel, durch das Foyer gehen musste, da hab ich ein Lied gehört, was vor 10 Jahren oder so mein Lieblingslied gewesen ist. Wo man halt verschiedene Ereignisse mit verbindet, dieses von The Fugees, die meisten in meinem Alter, die kennen das garantiert alle – „killing me softly with this song“ – kennt garantiert jeder, der in meinem Alter ist: Glaub es mir – isch hab ja jetzt nicht gesungen, ich hab nur gesacht, wie dat Lied heißt – glaub es mir, ich hatte zwei Wochen nen Ohrwurm danach gehabt, mit diesem Lied, das heißt, es ist wirklich eine Sache vom Sheitan (Satan), um die Leute durcheinanderzubringen. Und glaub es mir, du wirst keinen finden, der sich mit diesen Sachen richtig beschäftigt, der … richtig auf dem … der es schafft, an der Religion richtig festzuhalten. Ich sage nicht, der ist kein Muslim, Quatsch, natürlich nicht, wir sind ja nicht ööhh… von dem Schlag einiger anderer (vor Lachen spricht er nun undeutlicher) Leute, bei dem jeder, der nich bei drei auf dem Baum bist, direkt zum Käfer (?Ketzer?) erklärt wird. Das ist halt einfach eine Sache, die dich vom Weg abbringt. Glaubt es mir, deshalb versucht diese Sache zu vermeiden! (4:26)

Also sprach Pierre Vogel (*1978 in Frechen) am 12.09.2009 in Düsseldorf. (Quelle)

Ich (JR) wollte wissen, ob das Lied wirklich so gefährlich ist; damals in den 90er Jahren (Cover-Version der Fugees 1996) habe ich es wohl wahrgenommen, jedoch – meiner schwächelnden Erinnerung nach – nicht zwei Wochen lang. Meistens hatte ich ja klassische Musik im Kopf, oft auch solche, die sich mit heiligen Stoffen beschäftigt.

Also habe ich nachgeschaut und nicht nur einmal: „Killing me softly“ – ein Video – Hier ! Hilfe!!!

Ich glaube, dass es das Video war, das ihm in Marokko nachging, als er die Melodie wiederhörte, nicht umsonst erwähnt er das gefährliche MTV-Fernsehen; ich aber habe nun beides am Hals, die Melodie und das Video. Den Ohrwurm und die fixe Idee, oder wie soll ich die beiden nennen?

Werde ich mich mit Hilfe klassischer Musik wieder mühsam auf den rechten Weg bringen? Ich bin ja auch ein Liebhaber von Vogel-Stimmen, ich meine: vom wirklichen Gesang der Vögel, aber der Frühling scheint weit. Auch im Islam. Es gibt dort einfach keinen hörbar aufgeklärten Kontrapunkt.

Kontrapunktus I „Syllabus“ SZ 1. Dezember 2014

ZITAT

Der Syllabus [errorum] erschien [am 8. Dezember 1864] als Anhang zur Enzyklika „Quanta cura“, in der Pius IX. zum Rundumschlag gegen die verhasste Moderne ausholte, in der er niemanden anders als den Teufel am Werk sah. Auf den Tag genau zehn Jahre zuvor hatte der Papst die Unbefleckte Empfängnis Mariens zum Dogma erhoben. Angesichts der modernen Zeit sah es Papst Pius IX. als seine wichtigste Aufgabe, die ihm anvertrauten Katholiken, die er als unmündige Schafe betrachtete, „von vergifteten Weideplätzen fern zu halten“ und alle modernen „Ketzereien und Irrtümer aufzudecken und zu verwerfen“. Von all den „verabscheuungswürdigsten entsetzlichen Meinungen“, die der Papst ausdrücklich als „irres und albernes Geschwätz“ beziehungsweise „Wahnwitz“ verdammte, stand bezeichnenderweise die Gewissens- und Religionsfreiheit an erster Stelle. (…)

Der Syllabus war kein „Ausrutscher“ des päpstlichen Lehramtes. Er fügt sich vielmehr bruchlos in eine Linie der Verurteilung der Werte der Moderne, die mit dem Breve „Quod aliquantum“ von 1791 begann. Mit diesem hatte Papst Pius VI. nicht nur die Zivilkonstitution des Klerus verdammt, die Pfarrer und Bischöfe zu Beamten des revolutionären Staates machte, sondern zugleich die Freiheitsidee der Französischen Revolution und die Erklärung der Menschenrechte. (…) Gregor XVI. verdammte insbesondere die Gewissensfreiheit als pestil[l]entissimus error, als „pesthaften Irrtum“. (…)

Aber diese ununterbrochene Tradition bildet nur eine Seite der Medaille. Katholizismus und Kirche erwiesen sich in ihrem Verhältnis zur Moderne und ihren Werten nicht als monolithischer Block. Im Gegenteil: Zwei ganz unterschiedliche Katholizismen rangen seit 1789 miteinander um die Vorherrschaft. (…)

Auf dem Fundus dieser [zweiten] Tradition konnte das Zweite Vatikanische Konzil schöpfen, als es am 7. Dezember 1965 seine Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis Humanae“ verabschiedete und feststellte, „dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat“ und „in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln“. Ferner erklärte das Konzil, „das Recht auf religiöse Freiheit in Wahrheit auf die Würde der menschlichen Person selbst gegründet ist“. Nicht mehr die Lehren der Päpste sind die Träger von Rechten, sondern ausschließlich die menschliche Person und ihr Gewissen. Der Rechtsphilosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde sprach deshalb von einer „kopernikanischen Wende“ vom „Recht der Wahrheit“ zum „Recht der Person“ […].

Quelle Süddeutsche Zeitung 1. Dezember 2014 (Seite 13) Hubert WolfUnd sie bewegt sich doch Vor 150 Jahren veröffentlichte Papst Pius IX. seinen „Syllabus errorum“ – eine „Liste von Irrtümern“. Unter anderem verdammte er Demokratie und Religionsfreiheit. Aber die Kirche hat daraus gelernt.

Kontrapunktus II „Facebook“ SZ 1. Dezember 2014

Ich lese die einprägsamen Zwischentitel:

Das Internet ist wie ein Bahnhof: ein privates Gebäude, das man als öffentlichen Raum benützt

und

Private Unternehmen garantieren Freiheit, der Staat bedroht sie, heißt es im Silicon Valley

Vorweg: Was ist mit AGB? siehe diesen Artikel (Spiegel online).

Auch hier werden also zwei Richtungen debattiert: Zum einen befürchtet man einen Verlust an Meinungsfreiheit, „solange die Plattformen des öffentlichen Diskurses in der Hand privater Unternehmen sind, die ihre AGBs jederzeit ändern können. Da ist der Glaube stark „an die Überlegenheit der demokratischen, staatlich geschützten Öffentlichkeit“, wobei es nicht zuletzt ums Prinzip des Rechtsstaates geht. Deshalb die Forderung, „dass in gesellschaftlichen Fragen ein demokratisch legitimiertes Gericht das letzte Wort haben muss.“

ZITAT

Dem gegenüber steht die Meinung der Libertären im Silicon Valley. Sie argumentieren, dass gerade die Privatheit der Firmen die Nutzer und deren Meinungen schütze, zum Beispiel vor staatlichem Einfluss und Zensur. Die Geschichte gibt ihnen zum Teil recht: Über viele Jahrhunderte wies Öffentlichkeit regelmäßig als wichtiges Kennzeichen die Abwesenheit staatlichen Einflusses auf, zum Beispiel in den Salons vergangener Zeiten, in denen das Wort offener geführt und besser geschützt war als auf den Plätzen der Städte.

Insbesondere in autoritären Staaten ist dieses Argument auch heute nicht von der Hand zu weisen. Das macht die Debatte nicht weniger komplex. Denn was gut ist für uns, muss nicht gut sein für die Nutzer in Iran oder Ägypten. Doch umgekehrt bedeutet das wohl kaum, dass ein Ägypter oder Iraner seine Meinungsfreiheit unbedingt einem privaten Konzern unterwerfen möchte; es ist lediglich der Platz für ihn, an dem er am meisten Meinungsfreiheit genießt. Der Kampf dafür, dass das auch in Zukunft so bleiben wird, beginnt gerade erst.

Quelle Süddeutsche Zeitung 1. Dezember 2014 (Seite 11) Johannes BoieFreiheit von Facebooks Gnaden Die öffentliche Debatte verlagert sich ins Internet, dort unterliegt sie aber der Kontrolle privater Firmen.

***

An diesem Beispiel würde ich ausführen, was ich – ohne überheblich argumentieren zu wollen – für mich persönlich als hilfreich ansehe: jenseits einer dialektischen Methode eine trialektische oder sogar „polylektische“ Methode zu verfolgen. Die erste Zeile der Partitur könnte relativ banal verlaufen, aber durchaus schon zweistimmig, während erst die Kontrapunkte der nächsten Zeilen den Sinn des Zusammenspiels im Ganzen erkennen lassen.

Während ich für diese Idee im Internet Nahrung suche, stoße ich auf Hinweise, dass die genannten Begriffe (die ja auch nicht so exotisch sind, dass sie dem „Zufall“ eines einzigen Blogeintrags entspringen könnten) längst in der Diskussion sind. Wie man z.B. hier sieht. (Eine Stelle, die ich aber nicht im geringsten einschätzen kann. Deshalb betone ich, dass die Idee zunächst nur für mich eine heuristische Funktion hat und mit keinem schon vorhandenen System (oder Nicht-System) im Einklang stehen muss.)

Verhexte Koinzidenzen

Vom guten Glauben und zufälligen Obsessionen

Ich will nicht verhehlen, dass ich an die tiefere Bedeutung von Koinzidenzen nicht glaube. Es soll ja Leute gegeben haben, denen aus solchen Zufällen – wie aus der Erfahrung eines Déjà vue – die Ahnung erwuchs, sie seien zu hohen Dingen berufen. Vermutlich reagiere ich aber immer wieder nur auf bestimmte Reflexe und ordne sie einander zu. Das heißt zum Beispiel: ich fahre zu einem Vortrag ganz in der Nähe, Haus Graven, weil dort ein Vortrag über Geschichte, Eigenart und Vielfalt der Kartoffel (mit nachfolgender Speisung und Tränkung der Gäste) stattfinden sollte. Ausschlaggebend: ich kenne die Referenten Herbert Ferres und Olaf Link, – den einen als Anbieter einer hervorragenden Auswahl von frischen Lebensmitteln auf dem Ohligser Wochenmarkt, den andern als Autor von heimatbezogenen Büchern sowie durch Berichte im Solinger Tageblatt. Ich kaufe eines von den ausgelegten Büchern, zufällig (?) das über die Hexenprozesse im Bergischen Land. Wahrscheinlich, weil ich hineingeschaut hatte und zufällig (?) auf ein Argument zum Hexenwahn gestoßen bin, das ich bisher nicht bedacht hatte. Es deutete auf „echten“ Glauben. Zudem erinnerte ich mich an ein Denkmal des Schreckens in Völs am Schlern (Südtirol). „Viel Spaß und Gruselstunden!“ hieß es da.

Hexen Völs 2012 Foto E. Reichow 2012

Hier und heute aber gab es ausschließlich Informationen rund um die Kartoffel, die weiß Gott nichts mit den Hexen ihrer Zeit zu tun hatten. Mein Glaube an die Kraft der Kartoffel ist gefestigt!  (Hochinteressant: die vorübergehende „Verteufelung“ der Linda in unserem Jahrhundert… s.a. unter Big-Brother-Awards.)

Kartoffel 141128

Das oben erwähnte Argument:

Die beschriebenen Torturen galten in den Hexenprozessen als „probatio probatissimi“, als „Beweis aller Beweise“. Die Folterungen sollten ermöglichen, dass die Angeklagten auch gegen den Willen des Teufels ihre Taten gestehen können. Allgemein vertraute man darauf, dass Gott die Verurteilung Unschuldiger nicht zulassen würde. Hieraus leiteten die Menschen die Gewissheit ab, dass, wer verurteilt wurde, auch schuldig war. (Seite 27)

Hexen Olaf Link vorn Hexen Olaf Link rück TextISBN 978-3-86680-319-0

Heute morgen schlage ich die Zeitung auf und sehe die folgenden großangelegten Berichte: über drei Seiten der mit farbigen Bildern versehene Artikel über die bösen Geister in Papua-Neuguinea und die taktvollerweise angehängte Rekapitulation unserer 400 Jahre unterm Zeichen des „Hexenhammers“: Die Hölle, das sind nicht nur die Anderen…

SZ Hexen Papua SZ Hexen Europa

Quelle Süddeutsche Zeitung Samstag/Sonntag 29./30. November 2014 Seite 13 ff BUCH ZWEI. Autoren: Arne Perras und Matthias Dobrinski.

Versöhnlicher Ausklang: Die Kartoffelhexe

Kartoffelhexe

(Foto: Wikipedia Commons)

Ohne Musik

Gesetzt: Ich suche einen Grund nachzudenken. Einen roten Faden. Das Thema hat sich von selbst gestellt (um 8.30 Uhr). Nicht beginnen mit der Poesie der Pflaumenblüte. Oder Kirschblüte. Etwa weil es vielleicht Winter wird und man ihm etwas entgegensetzen möchte. Kein Haiku zitieren und auch nicht nachdenklich in die Ferne schauen.

Winterregen. / Eine Maus läuft über die Saiten / der Mandoline. (Buson)

ZITAT

Nach Leibniz setzt das Sein des jeweiligen Dinges einen Grund voraus: „Setzt man ferner voraus, daß es Dinge geben muß, so muß man einen Grund dafür angeben können, weshalb sie so existieren müssen wie sie sind und nicht anders.“ Diese Frage nach dem Grund führt notwendig zum letzten Grund, der >Gott< genannt wird: „So muß also der letzte Grund der Dinge in einer notwendigen Substanz liegen, in der die Eigenart der Veränderungen nur in eminenter Weise, wie in ihrer Quelle enthalten ist: und diese Substanz nennen wir Gott.“  An diesem „letzten Grund der Dinge“ käme das Denken, das nach dem Warum fragt, zur Ruhe. Im Zen-Buddhismus wird eine andere Ruhe angestrebt. Diese wird erreicht gerade durch die Aufhebung der Warum-Frage, der Frage nach dem Grund.

Zwei Fragen nach dem Grund

Pflaumenfrucht Prunus_domestica Dies ist keine Pflaumenblüte

Blütenbau 600 WIKI Smart Dies ist keine Blüte

Jenem Gott der Metaphysik als letztem Grund wird eine blühende Grundlosigkeit entgegengesetzt: „Rote Blumen blühen in herrlicher Wirrnis.“ Auf eine singuläre Ruhe verweist das Zen-Wort: „Gestern, heute ist es so, wie es ist. Am Himmel geht die Sonne auf und der Mond unter. Vor dem Fenster ragt fern der Berg und fließt der Fluß.“

Auch Heideggersches Denken verzichtet bekanntlich auf jene metaphysische Vorstellung des Grundes, in der die Frage nach dem Warum zur Ruhe käme, eines Erklärungsgrundes, worauf das Sein jedes Seienden zurückzuführen wäre. Heidegger zitiert Silesius: „Die Rose ist ohne Warum, sie blüht, weil sie blüht.“ Dieses Ohne-Warum setzt Heidegger dem >Satz vom Grund<: Nihil est sine ratione (>Nichts ist ohne Grund<) entgegen. Es ist gewiß nicht leicht, im Grundlosen zu verweilen oder zu wohnen. Wird man also doch Gott anrufen müssen? Heidegger zitiert noch einmal Silesius: „Ein Herz, das zu Grund Gott still ist, wie er will, wird gern von ihm berührt: es ist sein Lautenspiel.“

Ohne Gott bliebe das Herz also ohne  >Musik<. Solange Gott nicht spielt, tönt die Welt nicht. Braucht die Welt also einen Gott? Die Welt des Zen-Buddhismus ist nicht nur ohne >Warum<, sondern auch ohne jede göttliche >Musik<. Auch das Haiku ist, hört man genauer hin, nicht >musikalisch<. Es hat kein Begehren, ist frei von der Anrufung oder Sehnsucht. So wirkt es fade*. Diese intensive Fadheit macht seine Tiefe aus.

Buson Mandoline

Quelle Byung-Chul Han: Philosophie des Zen-Buddhismus RECLAM 2002 ISBN 978-3-15-018185-0 (Seite 21f) Die Quellenangaben der Zitate im ZITAT wurden in dieser Abschrift weggelassen. *Zum Gebrauch des Wortes fade bedarf es aber wohl einer Erläuterung; Han bezieht sich auf François Jullien: Über das Fade – eine Eloge. Zu Denken und Ästhetik in China, Berlin 1999. (s.a. ein Gespräch über „das Fade“ zw. Stefan Fricke und Johannes S.Sistermanns hier.)

Die Bilder oben sind meine Zutat (Quelle Wikipedia) und haben mit dem zitierten Text, den ich mir einzuprägen suchte, nicht unmittelbar zu tun. Das Buson-Gedicht allerdings steht dort an Ort und Stelle, ohne als Abschluss gedacht zu sein.

Es ist 11:37, und die Sonne scheint.

Ein weiteres ZITAT:

Der Zen-Buddhismus ließe diese strikte Trennung zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten, zwischen dem Erscheinenden und dem Verborgenen nicht zu. Alles, was zwischen Himmel und Erde glänzt und blüht, tönt und duftet, steigt und kommt, geht und fällt, klagt und schweigt, erbleicht und dunkelt, wäre schon maß-gebend. Es wird nicht nach etwas Verborgenem hinter der Erscheinung gesucht. Das Geheimnis wäre das Offenbare. Es gibt keine höhere Seinsebene, die der Erscheinung, der Phänomenalität vorgelagert wäre. Jenes Nichts bewohnt dieselbe Seinsebene wie die erscheinenden Dinge. Die Welt ist ganz da in einer Pflaumenblüte. Es gäbe nichts außerhalb der Offenbarkeit von Himmel und Erde, von Pflaumenblüte und Mond, nichts außerhalb der in ihrem eigenen Licht erscheinenden Dinge.

Quelle wie oben (Seite 24)

Magnificat – Fecit Potentiam

Hören und Denken

Hier das Dokument meiner ersten Begegnung mit Bachs Magnificat (die Aufschrift stammt von meinem Bruder, wir haben „die Stelle“ gemeinsam entdeckt) und die große Wiederbegegnung im Jahre 1972 in Lenggries und Einsiedeln. (Einzelbilder zur Vergrößerung bitte anklicken!)

Concert Hall Magnificat +Magnificat Mitwirkende 1972+Magnificat 1972 Cover Ausschnitt

Wenn Sie nicht ganz nachvollziehen können, weshalb jemand ernsthaft – über Wochen, Monate, Jahre, Jahrzehnte – immer wieder zurückkehrt zu der Vertonung dreier lateinischer Worte, müssen Sie unbedingt die Musik hören, um die es geht. Leicht zugänglich sind die youtube-Aufnahmen; sie müssen nicht unbedingt die bestmöglichen sein, aber sie geben eine lebendige Vorstellung von der Musik, um die es geht. Springen Sie in die Aufnahme mit Nikolaus Harnoncourt (Kloster Melk, Österreich, 2000) – HIER – und dort genau auf den Punkt, an dem der Satz beginnt: Fecit potentiam, ab  16:00. Schauen Sie sich den Text an, und beachten Sie ganz besonders die „Inszenierung“ der Worte dispersit superbos und mente cordis sui, letztere genau ab 17:24 bis 18:00 (Ende des Satzes).

Eine andere Veröffentlichung desselben Konzertes findet man auf youtube HIER. Ab 15:40 Fecit potentiam, ab 17:06 mente cordis sui.

Ein Mailwechsel an zwei Novembertagen 

10.11.2014 8:01

Sehr geehrter Herr JR,

in der Annahme, dass Sie es waren, der sich im Internet zu „mente cordis sui“ aus dem Magnificat zu Wort gemeldet hat, hier eine Rückmeldung:
Ich habe mich umgesehen und festgestellt, dass die Vulgata sehr wohl zwischen „suus“ und „eius“ korrekt unterscheidet. Im Übrigen muss man die ganze Reihe der Aussagen betrachten:
in brachio suo
mente cordis sui
misericordiae suae.
Vivaldi, von Haus aus Priester, hat diesen Zusammenhang auch musikalisch ausgedrückt, indem er für die beiden letzten Zeilen exakt die gleiche Tonfolge angesetzt hat, nur durch die tempi unterschieden. Bach hat das „mente cordis sui“ m.E. als Tremendum gestaltet, von dem sich die lyrisch intime Stimmung der Aussage über „puerum suum“ unüberhörbar abhebt.
„Er hat die Hochmütigen zerstreut, wie er in seinem Herzen über sie dachte“ (vgl. die Geschichte vom Turmbau zu Babel).
Man muss da, denke ich, unterscheiden zwischen dem, wie man selbst über Gott reden würde, und dem, was ein antiker Text sagt.
Mit freundlichem Gruß
RB

10.11.2014 11:21

Sehr geehrter Herr RB,
vielen Dank für Ihre Aufklärung, die mir plausibel erscheint, mich jedenfalls wieder ins Wanken bringt.
Wankend, weil ich ja die griechische und die deutschen Versionen des Textes sehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Magnificat#Text
Ich sehe auch den wechselnden Gebrauch von sui oder suae und eius, ohne ihn mir erklären zu können.
Andererseits überzeugt mich der Hinweis auf das Tremendum, das Bach in der Harmonik zum Ausdruck bringen wollte und das sich direkt auf Gott bezieht und nicht auf die schreckliche Gedankensünde, der ich jedenfalls kein solches Tremendum gönne.
Können Sie sich denn vorstellen, dass die Komponisten (Sie verweisen auf Vivaldi, der ja auch in der Faktur des Crucifixus der H-moll-Messe Bachs Anreger war) eine andere Deutung bevorzugten als die übersetzenden Theologen?
Ich fände es schön.
Mit freundlichen Grüßen
JR

P.S. Erlauben Sie, dass ich Ihre Stellungnahme (mit Ihrem Namen, ohne Ihre Mailanschrift) unter den Blog-Artikel setze?

Die Kommentar-Funktion habe ich ja außer Kraft gesetzt, weil ich mit Spam aus der ganzen Welt überschüttet werde.

10.11.2014 13:05

Sehr geehrter Herr JR,
der unterschiedliche Gebrauch von sui oder suae und eius ist jeweils darin begründet, ob sich das Possessivpronomen auf das Subjekt des Satzes bezieht oder nicht. Wenn sich „mente cordis“ auf superbos beziehen würde, müsste es „cordis eorum“ heißen.
Luther griff in seiner Übersetzung des NT auf die griechische Originalsprache zurück, dianoia kardias autôn heißt zweifelsfrei „in ihres (der Hochmütigen) Herzens Sinn“. Wer den Vulgatatext auch so übersetzt, flunkert oder beherrscht das Latein nicht. Ich verfüge hier nicht über eine entsprechende Bibliothek, so dass ich nicht nachschauen kann, wie in früheren Zeiten die Vulgata übersetzt wurde.
Mit freundlichen Grüßen
RB

10.11.2014 14:14

Sehr geehrter Herr RB,
ich bin verblüfft.
„Cordis eorum“ – natürlich. Aber hätte das der von mir zu Hilfe gerufene Lateinprofessor in D. nicht auch wissen müssen?
Wenn ich Sie zitieren darf: erlauben Sie, dass ich den einen Satz (mit dem Flunkern und Nichtbeherrschen) etwas schonender formuliere?
Ich bin Ihnen dankbar.
Damals habe ich sogar den Bach-Forscher CW fragen lassen (durch einen gemeinsamen Freund), und er soll ziemlich ratlos reagiert haben.
Der Hinweis auf den musikalischen Ausdruck des „Tremendum“ hätte doch eigentlich von ihm kommen müssen.
Mit freundlichen Grüßen,
JR

10.11.2014 18:10

Sehr geehrter Herr JR,
Ihre letzte Frage kann ich bejahen, obwohl es nicht nötig ist, dass Sie mich förmlich zitieren. Ich erhebe keine Urheberrechte.
Dass der Lateinprofessor so reagiert hat, wie er es tat, hat wohl damit zu tun, dass für einen Altphilologen das Latein der Vulgata schon eher Vulgärlatein ist, dem man vieles zutraut.
Ich selbst war auf Ihren Text im Internet gestoßen, weil ich irritiert suchte, was mente cordis sui bei Vivaldi, dessen Magnificat wir gerade in einem Chor einstudieren, bedeutet. Vorher war mir die lateinische Textstelle noch nicht ins Bewusstsein getreten. Inzwischen bin ich mir sicher, dass die lateinische Übersetzung des griechischen Textes eine Interpretation, nicht eine korrekte Übersetzung ist. Solche Stellen gibt es auch sonst. Berühmt ist Lk 2,14, griechisch: den Menschen Seiner Gnade, lateinisch: den Menschen guten Willens.
Alles Gute und schöne Grüße
von RB

10.11.2014 20:32

Sehr geehrter Herr RB,
wunderbar, das hätte ich nicht gedacht: dann war ich ja auch für Sie etwas nütze.
Meine neugierige Frage angesichts Ihres Fachwissens: sind Sie der Autor, der sich mit den Qumram-Texten beschäftigt hat oder ist das ein Namensvetter von Ihnen?
Freundliche Grüße,
JR
P.S. Falls Sie sich gewundert haben: mein Blog war in der Zwischenzeit abgestürzt, aufgrund eines Updates, zu dem ich gezwungen war bzw. mein Helfer, der mit allen technischen Sachen betraut ist. Inzwischen ist alles auf dem Stand eingefroren, auf dem es war, und ich warte ab, bis ich wieder „Zutritt“ habe.

11.11.2014 8:47

Sehr geehrter JR,
ja, der angesprochene Autor bin ich.
Inzwischen habe ich auch eine alte Übersetzung gefunden, die wirklich die Vulgata übersetzt: die althochdeutsche Tatian-Übersetzung aus dem 9. Jh. (zitiert in „Theodisca“, de Gruyter 2000, S. 173):
muote sines herzen, wobei „muot“ althochdeutsch nach Köbler, Gerhard „Sinn, Mut, Zorn“ bedeutet und muote ein Genetiv ist (zornigen Herzens, im Affekt seines Herzens).
Und was schreibt der Gelehrte in Theodisca? Der Übersetzer habe die lateinische Wendung nicht verstanden und das Possessivpronomen falsch übersetzt. Offenbar aber hat er den lateinischen Text selbst nicht übersetzt, sondern eine aktuelle deutsche Übersetzung herangezogen. So läuft das auch in den CD-Begleittexten, zu dem lateinischen Text wird einfach eine englische oder deutsche Bibelübersetzung zitiert.
Mit freundlichen Grüßen
RB

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Hinweis zur Person:

Roland Bergmeier

Die Qumran-Essener-Hypothese

Die Handschriftenfunde bei Khirbet Qumran, ihr spezifischer Trägerkreis und die essenische Gemeinschaftsbewegung

Roland Bergmeier, geb. 1941, Dr. theol., ev. Religionslehrer im Ruhestand; Schwerpunkte der wissenschaftlichen Arbeit auf den Gebieten Neues Testament und Religionsgeschichte: Essener und Qumran, Johannesevangelium, Johannesapokalypse, Paulus und das Gesetz.

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Anregung zum Weiterhören: das Magnificat des Bach-Sohnes Carl Philipp Emanuel HIER

Das „Fecit potentiam“ beginnt bei 19:13, „dispersit superbos“ bei 20:30, Ende nach „mente cordis sui“ bei 23:58

CPE Bach komponiert durch, anders als sein Vater, er gibt also dem „mente cordis sui“ keinen besonderen Nachdruck. Es gehört für ihn offenbar zu den „superbos“.

Wir haben dieses Magnificat mit dem Collegium Aureum und dem Tölzer Knabenchor schon im Jahre 1966 unter Kurt Thomas aufgenommen (u.a. mit Elly Ameling). Damals habe ich merkwürdigerweise dem Unterschied in der Behandlung des „mente cordis sui“ keine Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl mir die Anlehnung des einen Magnificats an das andere sehr bemerkenswert erschien.

Das JSB-Magnificat haben wir wohl 1972 in der Pfarrkirche Lenggries aufgenommen. Aufgeführt am 21.10.72 im Kloster Einsiedeln in der Schweiz (nebst der Kantate 110 „Unser Mund sei voll Lachens“).

Magnificat Unterschriften 1 Magnificat Unterschriften 2

Zu dem im Mailwechsel erwähnten Magnificat von Vivaldi lesen Sie HIER. Man kann auch die Einzelsätze anspielen.

Eine Gesamtaufnahme unter Ricardo Muti auf youtube HIER.

„Fecit potentiam“ von 12:23 bis 12:54, – zu beachten im Blick auf JSB die motivische Behandlung des „dispersit“, dagegen fast beiläufig angefügt: „mente cordis sui“.

Nochmals vergleichen aufgrund des folgenden Nachtrags.

Nachtrag (18.11.2014): „Übrigens, als ich im Text ‚Fecit potentiam …, dispersit superbos‘ den Zusammenhang mit Gen 11,9 (dispersit eos Dominus) wahrnahm und erstmals bewusst hörte, was Vivaldi daraus gemacht hat, habe ich zu meinen Chormitgliedern gesagt, man müsste ‚mente cordis sui‘ fast übersetzen mit: ‚in der Rage seines Herzens‘.“ (privat: Roland Bergmeier)

Ausklang

Oben und unten: Unterschriften von Theo Altmeyer (Tenor), Prof. Werner Neuhaus, Günter Vollmer (Violine), Franz Lehrndorfer (Orgelpositiv) und Rudolf Mandalka (Violoncello) auf der LP mit dem Tölzer Knabenchor und dem Collegium Aureum 1972 (s.a. ganz oben rechts).

Magnificat Unterschriften 3a Rudi  Franzjosef Maier und Marc