Archiv der Kategorie: Frankreich

Exotisches bei Rousseau (vor 1770)

Aus meiner Sammlung (original)

Pindar, antike Musik + Roi de France

siehe hier „Rans de Vaches“? = „Savoyardlied“?

A Ranz des Vaches or Kuhreihen is a simple melody traditionally played on the horn by the Swiss Alpine herdsmen as they drove their cattle to or from the pasture. The Kuhreihen was linked to the Swiss nostalgia and Homesickness (also known as mal du Suisse „Swiss illness“ or Schweizerheimweh „Swiss homesickness“).

The Reverend James Wood, writing in the Nuttall Encyclopaedia in 1907, said that such a tune „when played in foreign lands, produces on a Swiss an almost irrepressible yearning for home“, repeating 18th century accounts the mal du Suisse or nostalgia diagnosed in  Swiss mercenaries. Singing of Kuhreihen was forbidden to Swiss mercenaries because they led to nostalgia to the point of desertion, illness or death. The 1767 Dictionnaire de Musique by Jean-Jacques Rousseau claims that Swiss mercenaries were threatened with severe punishment to prevent them from singing their Swiss songs. The Romantic connection of nostalgia, the Kuhreihen and the Swiss Alps was a significant factor in the enthusiasm for Switzerland, the development of early tourisme in Switzerland and Alpinism that took hold of the European cultural elite in the 19th century.

Chanson Persane

die Sitzordnung des Orchesters in der Oper zu Dresden

Wikipedia über Hasse:

Am 20. Juli 1730 heiratete Hasse die als „La nuova Sirena“ gefeierte Opernsängerin Faustina Bordoni. Vom 7. Juli bis 8. Oktober 1731 gaben beide ein Gastspiel in Dresden, wo Hasse am 13. September 1731 seine Oper Cleofide uraufführte. Unter den Zuhörern waren auch Johann Sebastian Bach und dessen ältester Sohn Wilhelm Friedemann, die auch in späteren Jahren häufig die Dresdner Hofoper besuchten, um „hübsche Liederchen“ zu hören, wie der Thomaskantor Hasses Arien leicht spöttisch nannte. König August der Starke verlieh Hasse den Titel eines „Königlich Polnischen und Kurfürstlich Sächsischen Kapellmeisters“.[2] Sein offizieller Dienstantritt fand am 1. Dezember 1733 unter dem neuen Herrscher August III. statt; bis dahin reisten Hasse und Faustina Bordoni weiterhin durch Italien und mehrten ihren Ruhm mit gemeinsamen Opernauftritten.

In seiner dreißigjährigen Amtszeit als Hofkapellmeister in Dresden formte Hasse das dortige Opernpersonal zu einem der Spitzenensembles der Zeit. Neben den Sängern mit Faustina Bordoni an der Spitze galt das von ihm neu organisierte Orchester als so vorbildlich, dass Jean-Jacques Rousseau den Sitzplan dieses Klangkörpers im Artikel Orchestre seiner Encyclopédie als Musterbeispiel veröffentlichte. Der königliche Hof in Dresden gewährte Hasse und seiner Faustina großzügige Freiheiten, damit sie auch in ihrer eigentlichen künstlerischen Heimat Italien ihre Kontakte pflegen konnten.

Erinnerung an Albert Camus

Lektüre (und parallel Audio) der frühen 1960er Jahre

 

nach (unangenehmer) Musik: ab 1:59 spricht (liest) Albert Camus  (1954)

https://archive.org/details/LEtrangerLuParAlbertCamus hier ???

Vollständiger französischer Text:

Aujourd’hui, maman est morte. Ou peut-être hier, je ne sais pas.
J’ai reçu un télégramme de l’asile : « Mère décédée. Enterrement de-
main. Sentiments distingués. » Cela ne veut rien dire. C’était peut-
être hier.
L’asile de vieillards est à Marengo, à quatre-vingts kilomètres
d’Alger. Je prendrai l’autobus à deux heures et j’arriverai dans
l’après-midi. Ainsi, je pourrai veiller et je rentrerai demain soir. J’ai
demandé deux jours de congé à mon patron et il ne pouvait pas me les
refuser avec une excuse [10] pareille. Mais il n’avait pas l’air content.
Je lui ai même dit : « Ce n’est pas de ma faute. » Il n’a pas répondu.
J’ai pensé alors que je n’aurais pas dû lui dire cela. En somme, je
n’avais pas à m’excuser. C’était plutôt à lui de me présenter ses
condoléances. Mais il le fera sans doute après-demain, quand il me ver-
ra en deuil. Pour le moment, c’est un peu comme si maman n’était pas
morte. Après l’enterrement, au contraire, ce sera une affaire classée
et tout aura revêtu une allure plus officielle.

Weiter im folgenden Link:

https://www.anthropomada.com/bibliotheque/CAMUS-Letranger.pdf HIER

Vollständiger deutscher Text (dieselbe Version, die ich damals gelesen habe)

Heute ist Mama gestorben. Vielleicht auch gestern, ich weiß es
nicht. Aus dem Altersheim bekam ich ein Telegramm: «Mutter
verschieden. Beisetzung morgen. Vorzügliche Hochachtung.»
Das besagt nichts. Vielleicht war es gestern.
Das Altersheim liegt in Marengo, vierzig Kilometer von Algier
entfernt. Ich nehme den Zwei-Uhr-Omnibus und komme am
Nachmittag an. So kann ich alles erledigen, und morgen abend
bin ich wieder zurück. Ich habe meinen Chef um zwei Tage
Urlaub gebeten; bei einem solchen Anlaß konnte er ihn mir
nicht abschlagen. Aber einverstanden war er nicht, das sah
man. Ich sagte sogar: «Ich kann nichts dafür.» Er gab keine
Antwort. Da fiel mir ein, daß ich das nicht hätte sagen sollen.
Ich brauchte mich ja nicht zu entschuldigen. Vielmehr hätte er
mir kondolieren müssen. Aber das tut er sicher erst
übermorgen, wenn er mich in Trauer sieht. Einstweilen ist es
fast noch so, als wäre Mama nicht tot. Nach der Beerdigung
aber wird alles seine Richtigkeit haben und einen offizielleren
Anstrich bekommen.

Aufzufinden im folgenden Link: HIER

(https://machtderpolitentscheidung.files.wordpress.com/2014/01/albert-camus-der-fremde.pdf)

Albert Camus‘ Rede, gehalten nach Empfang des Nobelpreises, den er im Jahre 1957 erhielt. (Untertitelt mit englischer Übersetzung):

Albert Camus: Der Mythos des Sisyphos Wikipedia hier

(Fortsetzung folgt)

Debattenkultur – was ist los?

Es geht um schwere Geschütze in den Medien

LANZ-Sendung 29.September 2022: Über das Twittern (ab etwa 40:00)

17:40 MELANIE AMANN (an Precht): Als ich Ihr Buch gelesen habe, habe ich gedacht: ich glaube, da stehen viele Dinge drin, die viele Leute so denken. Da stehen aber auch viele Dinge drin, die … etwas mehr Recherche verdient hätten. Weil: Sie haben ja nicht systematisch ausgewertet, wie wir über den Krieg berichtet haben. Sondern Sie haben berichtet, wie Sie wahrnehmen, Sie haben beschrieben, wie Sie wahrnehmen, wie wir über den Krieg berichtet haben. Es ist ja nicht so, dass Sie da irgendwie jetzt in irgend ’ner Weise qualitativ quantitativ untersucht hätten, wie haben die Medien über den Krieg berichtet. (Precht: das geht ja doch gar nicht!) Doch, natürlich geht das! Das dauert halt ’n bisschen länger als zwei, drei Monate, ich weiß nicht, wie lange Sie gebraucht haben, das Buch zu schreiben, – es ist sozusagen wie ein geschriebener Podcast, in dem mal sozusagen dargestellt wird, wie die Welt so wahrgenommen wird. Und inhaltlich – würd ich sagen – dass die Positionen, die Sie einfordern, das Zögern, das Zweifeln, das Vor-Ort-Recherchieren, das Berichten, die Unsicherheit der Berichterstattung, das wurde umfassend thematisiert. Was sich auch wiederfindet, sind die unterschiedlichen Meinungen, über die wurde extrem – beim Spiegel, ich war ja teilweise selber beteiligt -, berichtet in allen Qualitätsmedien. Also der Vorwurf, dass abweichende Meinungen nicht stattfinden, der ist objektiv falsch. (Precht: Ja, den gibts auch nicht!) Wo man drüber diskutieren kann, was ich eher sehe, ist: haben die Journalisten selber in ihren Kommentierungen mehrheitlich eine Position gehabt oder haben sie eine Fifty-Fifty-Bandbreite von Positionen gehabt? da würde ich sagen: es stimmt, dass es ein Übergewicht einer Meinung gab, aber das ist im Journalismus eher selten. Also – Ihre Unterstellung, die ja leider der Verlagsankündigung ja so ’n bisschen mit diesem hässlichen nationalsozialistischen Wort der Selbstgleichschaltung umschrieben war, (LANZ: das ist aber ein Begriff, der im Buch nicht fällt -) ja, wir alle sind hier Buchautoren, und wir sind … 19:36

HIER

41:10 PRECHT Die Frage ist sozusagen, warum man Stilmittel, – wenn man gezwungen ist, sich auf 280 Zeichen zu reduzieren -, Stilmittel wie eben die extreme Personalisierung, die Dekontextualisierung, die Sätze aus dem Kontext reißen und mal kurz die Meinung dazu geben, – warum solche Dinge als Stilmittel auch in den Leitmedien auftreten, und das hat in letzter Zeit wahnsinnig zugenommen, und meine Kritik daran ist: nicht, dass der eine oder der andere beleidigt ist, sondern die Kritik daran ist: das geht auf Kosten unserer demokratischen Debattenkultur.

https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-29-september-2022-100.html

Und eine der Reaktionen aus den Medien

Jens Jessen ist ein Journalist, den ich schätze. Precht und Lanz kommen oft genug in diesem Blog vor, ich kann nicht leugnen, dass ihre Themen mich oft beschäftigen, was nicht bedeutet, dass ich ihrer Argumentation, ihren Diskussionen oder Gesprächen stets mit einhelliger Begeisterung folge. Ausdrücklich würde ich jederzeit gute Journalist:innen wie Melanie Amann und Robin Alexander hervorheben, die mindestens ebenso klar denken und reden wie der Gastgeber und der Philosoph.

Einstweilen warte ich allerdings begierig auf das neue Buch von Jürgen Habermas: hier „Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik“ Suhrkamp Verlag – ZITAT:

Kernstück des Buches ist ein Essay, in dem er sich ausführlich mit den neuen Medien und ihrem Plattformcharakter beschäftigt, die traditionelle Massenmedien – maßgebliche Antreiber des »alten« Strukturwandels – zunehmend in den Hintergrund drängen. Fluchtpunkt seiner Überlegungen ist die Vermutung, dass die neuen Formen der Kommunikation die Selbstwahrnehmung der politischen Öffentlichkeit als solcher beschädigen. Das wäre ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit, mit gravierenden Konsequenzen für den deliberativen Prozess demokratischer Meinungs- und Willensbildung.

Etwas ganz Anderes vom 6. 10.22

Eine Meldung von heute Morgen, die mich eigentlich nicht überrascht, aber sehr gefreut hat: Nobelpreis für Annie Ernaux. Hatte ich sie womöglich vergessen?

siehe im Blog hier, hier und hier.

Ich wollte alles sagen, über meinen Vater schreiben, über sein Leben und über die Distanz, die in meiner Jugend zwischen ihm und mir entstanden ist. Eine Klassendistanz, die zugleich aber auch sehr persönlich ist, die keinen Namen hat. Eine Art distanzierte Liebe.

Daraufhin begann ich einen Roman zu schreiben, mit ihm als Hauptfigur. Mittendrin ein Gefühl des Ekels.

Seit Kurzem weiß ich, dass der Roman unmöglich ist. Um ein Leben wiederzugeben, das der Notwendigkeit unterworfen war, darf ich nicht zu den Mitteln der Kunst greifen, darf ich nicht »spannend« oder »berührend« schreiben wollen. Ich werde die Worte, Gesten, Vorlieben meines Vaters zusammentragen, das, was sein Leben geprägt hat, die objektiven Beweise einer Existenz, von der ich ein Teil gewesen bin.

Keine Erinnerungspoesie, kein spöttisches Auftrumpfern. Der sachliche Ton fällt mir leicht, es ist derselbe Ton, in dem ich früher meinen Eltern schrieb, um ihnen von wichtigen Neuigkeiten zu berichten.

Aus: Annie Ernaux: Der Platz / Aus dem Französischen von Sonja Finck / Bibliothek Suhrkamp Berlin 2019 ( Seite 19f)

Und am 7.10.22 – als aktueller Epilog – am Tag des Friedensnobelpreises

Mehr darüber: hier von Jan Dafeld / Shervin Hajipours Song „baraye“ entwickelt sich zur Hymne der Protestwelle im Iran. Tausende singen das Lied bei Demonstrationen, iranische Schülerinnen stellen ihre eigene Version ins Netz. Das Video des 25-Jährigen wird wenig später gelöscht, der Künstler festgenommen. (Quelle RTL News)

Andere Quelle: hier (DW Akademie)

*      *      *

12. Oktober 22 Habermas – Neu, endlich angekommen (schon 2. Auflage):

Allerdings: prüfen Sie doch bitte, ob die Seiten, die in meinem Exemplar doppelt vorhanden sind – Seite 81 bis 96 -, womöglich anderswo fehlen…

Und wenn Sie gerade die Lektüre unterbrechen, – informieren Sie sich vielleicht auch bei Wikipedia, was über „Deliberative Demokratie“ vorweg zu lernen ist…

 

Flaubert

Zum Abrufen

https://www.arte.tv/de/videos/100271-000-A/der-fall-emma-bovary/

HIER bis 14.3.22

Pressetext:

Der Fall Emma Bovary

„Madame Bovary“ ist der Debütroman von Gustave Flaubert und sorgt bei seinem Erscheinen 1856 für einen Sturm der Entrüstung. Die kritische Zensur macht dem Autor den Prozess. Der Anklage zufolge verherrliche der Roman den Ehebruch. Die Verteidigung argumentiert, dass er den Schrecken der Sünde darstelle. Eine Ikone der Literaturgeschichte wird geboren: Emma Bovary.

Das Leben von Madame Bovary ist bis zum letzten Atemzug ein Skandal: Mit ihren Seitensprüngen, ihren Schulden, ihrer Liebeslust und ihrem Selbstmord widerspricht sie allen Stereotypen der (Ehe-)Frauen ihrer Zeit. Gustave Flauberts erster Roman beschert ihm sogleich einen Prozess wegen Unsittlichkeit vor dem Pariser Kriminalgericht.
Der Staatsanwalt Ernest Pinard argumentiert, dass der Roman durch die Darstellung des unmoralischen Lebens einer Frau zur Sünde anstifte und eine Gefahr für Leserinnen darstelle. Vor Gericht liest er die skandalösesten Ausschnitte vor und untersucht sie minuziös auf die Absichten des Autors. In den außerehelichen Eskapaden sieht er eine Verherrlichung des Ehebruchs. In Emma Bovarys Versuchen der Rückkehr zur Religion, in der das Heilige mit dem Fleischlichen einhergeht, erkennt er eine blasphemische Dimension. Neben Flaubert sitzt auch Madame Bovary auf der Anklagebank.
Flauberts Anwalt führt die intensive, fünf Jahre währende Arbeit des Schriftstellers ins Feld. In Croisset, am Ufer der Seine, bei seiner Mutter und fernab von der übrigen Welt, von seinen Geliebten und allen Frauen, die ihn inspiriert hatten, hatte sich Gustave Flaubert mit Leib und Seele seinem Werk gewidmet, war nur selten zufrieden, oft von Angstzuständen gepeinigt.
Zum Missfallen von Pinard gewinnen der Schriftsteller und seine Heldin den Prozess. „Madame Bovary“ ist mehr als 900 Mal übersetzt worden und zählt zu den meistgelesenen Romanen der Welt, der Filmschaffende rund um den Globus immer wieder inspiriert hat. Mit vielen Filmausschnitten und Zitaten erzählt die Dokumentation die Geschichte des Falls Bovary. Schriftsteller und Schriftstellerinnen, Verleger und Verlegerinnen sowie Regisseure und Regisseurinnen beschäftigen sich mit dem Schicksal jener leidenschaftlichen Heldin, deren Leben zwischen Auflehnung gegen gesellschaftliche Konventionen und Eskapismus so leichtfertig wie tragisch verläuft.

Regie : Audrey Gordon

Der Film https://www.arte.tv/de/videos/029911-000-A/madame-bovary/

HIER  bis 5.10.21

Madame Bovary (Film)

Pressetext (ARTE):

Frankreich um 1850: Die unglücklich verheiratete Emma Bovary stürzt sich aus Langeweile in Liebesabenteuer und zerbricht an der provinziellen Enge ihres Lebens. – Mit „Madame Bovary“ hat der französische Filmregisseur Claude Chabrol 1991 den gleichnamigen Roman (1856) von Gustave Flaubert verfilmt.

Für Emma Bovary wird eine Einladung auf einen rauschenden Ball zum schönsten Moment ihres Lebens. Doch am nächsten Morgen holt sie der Alltag wieder ein. Charles weiß die Sehnsucht seiner jungen Frau nicht zu deuten: Hat sie nicht alles, um glücklich zu sein? Vielleicht fehlt ihr das Stadtleben mit seinen Abwechslungen und Zerstreuungen. Das Paar zieht schließlich nach Yonville, einem Vorort von Rouen, wo in der Tat mehr Geschäftigkeit herrscht und wo Emma neue Menschen kennenlernt, so den stets dozierenden Apotheker Homais und den jungen Léon Dupuis, der Musik und Gedichte liebt. Auch Emma schwärmt dafür, vor allem aber fühlt sie sich in Léons Gesellschaft wohl. Doch Léon reist nach Rouen, um dort seine Notarausbildung abzuschließen. Nun fühlt sich Emma noch einsamer. Auch die Geburt ihrer Tochter gibt ihr keinen neuen Lebensinhalt; sie kümmert sich kaum um das Kind. Der treu ergebene Charles geht ihr auf die Nerven, auch von Pfarrer Bournisien fühlt sie sich unverstanden. Auf der Bauernmesse lernt sie den leichtlebigen Gutsherrn Rodolphe Boulanger kennen und lässt sich von ihm verführen. Die junge Frau träumt von einem neuen Lebensglück – mit Rodolphe. Doch der denkt nicht im Entferntesten daran, sondern verlässt sie. Emma tröstet sich mit verschwenderischen Einkäufen über den Verlust hinweg und lässt sich vom Stoffhändler Lheureux teure Ballkleider fertigen. Bei einem Theaterbesuch in Rouen trifft sie zufällig Léon und wird seine Geliebte. Doch inzwischen ist sie hoch verschuldet und Lheureux droht, ihre Habe und das Haus des völlig arglosen Charles Bovary zu pfänden. In ihrer Not fleht Emma Rodolphe und Léon um Hilfe an, doch vergeblich. Völlig verzweifelt beschafft sie sich bei Apotheker Homais Arsen.

Regie : Claude Chabrol / Drehbuch : Claude Chabrol / Musik : Matthieu Chabrol / Wiki

  • Isabelle Huppert (Emma Bovary) / Jean-François Balmer (Charles Bovary)

Couperin „Prélude“

Zum französischen Stil der Bach-Zeit oder: „Premier Concert Royal“ Interpretationen

Hier folgt etwas Studienmaterial. Das besagte Prélude nicht einmal vollständig; wer es einstudieren will, wird die Noten anderswo finden. Ein Kommentar eventuell später. Ich beziehe mich auf den neuesten Band Musik & Ästhetik. Eine Fußnote darin verweist auf den folgenden, hochinteressanten Essay, der mich bereits arbeitswillig genug stimmt. Mich fasziniert an dem ganzen Projekt das Ineinandergreifen von Musikwissenschaft und Praxis. Und all dies natürlich wie immer mit Blick auf Bach. (Auf die Französischen Suiten, auf die Solo-Partiten für Violine in h und E, auf das Thema der Goldberg-Variationen. Außerdem dachte ich vorübergehend an das Thema des Mittelsatzes im Brandenburg-Concerto VI.)

https://www.forschung.schola-cantorum-basiliensis.ch/de/publikationen/menke-franzosische-satzmodelle.html hier

Letztlich ist es dieser Artikel, der den Ausschlag gibt, der französischen „Klassik“ wieder größte Aufmerksamkeit zu widmen. Lully, Rameau, Campra, Marais, Couperin, zuletzt hier. Jetzt aber auch analytisch: Eine Harmonielehre, die dem Eigenwert der Akkorde gerecht wird und Dissonanzen nicht voreilig als bloße Vorhalte deutet, – was mir näher lag. Vielleicht fällt von hier ein neues Licht auf die Fama, dass Bach sich vom System Rameau distanzierte. (C.P.E. Bach bezeichnete bekanntlich die musiktheoretischen Grundsätze seines Vaters als „antirameauisch“, was aber nicht wirklich belegt ist. Er hatte französische Musik schon in Lüneburg kennen und spielen gelernt.)

Quelle: Musik & Ästhetik Heft 99 Juli 2021 Jörg-Andreas Bötticher und Johannes Menke: »D’une autre Espèce« Überlegungen zum Prélude aus dem Premier Concert Royal von François Couperin

Hörbeispiele – dem obigen Notenbeispiel entsprechend, aber etwas planlos aus dem Youtube-Angebot ausgewählt. Die Irritation beginnt schon dort, wo ich nicht sicher unterscheiden kann, ob die Melodiestimme – mit feinsten Verzierungen – von der Flöte allein gespielt wird oder im perfekten Einklang mit der Violine oder überhaupt anderen Instrumenten. Wie ist es gemeint?

Sonstiges zur Belebung der Geschichte

… haben? hier Oder dies, ebenfalls Lully:

Dazu der Wikipedia-Artikel: HIER

Libretto (in französischer Sprache) hier

Neue Produktion 2019 hier (bei jpc mit Trailer und Anspielmöglichkeit)

Wie Goebel in Frankreich

1975 und heute

das früheste Cover (Detail)

.    .    .    .    . der Goebel-Text 1975

das Programm 1975

*    *    *

Le Parnasse Français

.    .    .    .    . .    .    .    .    . der Goebel-Text 1978

Archiv LP 1978 (Ausschnitt)

das Programm 1978 (LP Cover Ausschnitt)

Reinhard Goebel und königliche Meister

was das nun wieder ist? … ein kleiner Umweg über Innsbruck HIER

TEXT 2015 ©RG

Pars pro toto: welch eine wundervolle Idee, unter dem 1978 zweifellos recht großmundigen Titel meiner ersten „französischen“ Aufnahme für die Archiv-Produktion – Le Parnasse Français – heute die Sammlung sämtlicher französischen Musiken, die ich in den folgenden 25 Jahren dann für das Label machte, zusammenzufassen.

In der Tat ist das, was Musica Antiqua Köln und ich innerhalb eines Vierteljahrhunderts für die Archiv-Produktion aufnahmen, so etwas wie die die Blütenlese der französischen Instrumentalmusik unter dem Sonnenkönig und seinem Nachfolger Louis XV. Und sehr schwer nur, ja kaum noch kann man sich heute vorstellen, mit welchem Befremden das Publikum der 1970er Jahre dieses Idiom selbst in Frankreich zur Kenntnis nahm, wurde doch Barockmusik grundsätzlich mit maschinell ratternden Abläufen „à l’italien“ gleichgesetzt.

Nun also ein verstörend neuer Ton von Diskretion & Leichtigkeit & gespreizter Verfeinerung, eigentlich unbarocker Zurückhaltung und gezügelter Affekte. Selten wird diese Musik so elementar traurig oder auch so mitreißend jubelnd, wie die von Bach, Telemann und Heinichen, immer bleibt sie dem Theater, dem Rollenspiel und verklausulierter Gestik verpflichtet – evoziert augenblicklich bei aller Bewunderung immer auch freundliche Distanz. Weder reißt sie uns in die Tiefen tränenüberströmten Leidens hinab, noch katapultiert sie uns auf direktem Weg in den Himmel…

Schwer vorstellbar im digitalen Zeitalter ist auch, unter welchen Bedingungen man vor dieser Zeitenwende unveröffentliche Musik aufarbeitete! Filme und Fotos von Musikalien herzustellen, dauerte Wochen, manchmal Monate, – und so fuhr ich anfangs mit dem Nachtzug nach Paris und deckte mich im Lesesaal der Bibliothèque Nationale in der Rue de Richelieu mit billigen, schnell verblassenden Fotokopien der Stimmbücher ein, die gleichwohl noch in moderne Partitur übertragen werden mussten: eine extrem zeitaufwendige, aber ebenso befriedigende und vor allem beruhigende Arbeit, die mich mein gesamtes Musica-Antiqua-Leben hindurch an den Schreibtisch fesselte.

Damals, als sich die Laden-Regale der Musikalien-Handlungen in aller Welt noch nicht unter der Last hunderter überflüssiger Faksimiles bogen, als die bizarrsten Repertoire-Wünsche und sämtliche Autographe Bachs noch nicht nur einen mouse-click und ein download entfernt waren, entwickelten wir in unserem Ensemble zu jeder Komposition eine persönliche Beziehung – und wir waren enorm stolz auf unser wirklich einzigartiges Repertoire, welches Bewunderung, Neid, manchmal aber auch – besonders bei jenen hardlinern, die nach wie vor glaubten, Musik sei „die deutscheste der Künste“ – Unverständnis und Häme hervorrief.

Für meine Kollegen und mich vergrößerte sich mit jeder neuen Komposition französischer Provenienz sowohl die Liebe zu unseren lateinischen Nachbarn und ihrer wunderbaren Kultur – gleichzeitig änderte sich auch der Blickwinkel auf den heute so grotesk überbewerteten Kultur-Transfer zwischen Frankreich und Deutschland: veritable Frankreich-Begeisterung gab es zwischen 1680 und 1690. Um 1700 waren die Wellen der Begeisterung längst abgeebbt und all die Neuigkeiten, die die französische Staatsmusik den verarmten Nachbarn vermittelt hatte, bereits derartig inkorporiert und amalgamiert, daß man nur noch von einem „vermischten Geschmack“ sprechen kann.

Le Parnasse Français – ein kaum über das Stadium der Kopfgeburt hinausgekommener Plan eines Denkmals für Louis le Grand, zu ihm als Apollo seines Zeitalters aufblickend u.a. die Dichter Moliere, Corneille, Quinault , Racine und als einziger Komponist Jean Baptiste Lully – wurde im Laufe des langen Lebens seines Schöpfers Titon du Tillet (1677 – 1762) fortwährend in Buchform weiter entwickelt ( „Suite du Parnasse Français“ 1727/32/43 und 1755 ) und personell bereichert: trat Lully noch in Person auf, so wurden die Nachkömmlinge nur noch in Form von Porträt-Medaillons an den Felsen Parnass gehängt und das Projekt entzog sich durch Übervölkerung und zu erwartender Kosten-Explosion einer finalen Realisierung.

Es versteht sich, daß in den exklusiven Zirkel zu Füßen des großen Königs nur Schüler und Epigonen des bereits 1687 verstorbenen Lully aufgenommen wurden – immerhin mit Elisabeth Jaquet de la Guerre auch ein Frau !! – und alle diejenigen lange, bzw. für immer ausgeschlossen blieben, die sich irgendwelcher Italianismen verdächtig oder sogar schuldig gemacht hatten. Überhaupt fand man erst nach dem Tode Aufnahme in den Parnass – wobei für Voltaire dieses eherne Gesetz selbstverständlich gebrochen wurde.

All denjenigen Komponisten, die die Stagnation des französischen Musikgeschmacks beklagt und die Öffnung hin zum italienischen Idiom gefordert oder gar praktiziert und somit für Wandlung und Fortschritt gesorgt hatten – wie den Musikern des „Style Palais Royal“ Forqueray, Blavet, Leclair und Couperin – blieb der Parnass ebenso verschlossen wie dem im Dresdener Orchester spielenden Pierre Gabriel Buffardin. Der vermeintlichen Preisgabe veritabler französischer Werte folgte die Damnatio Memoriae als gerechte Strafe.

Unser „Parnass Français“ aus deutschem Blickwinkel ist also im Wesentlichen von Dissidenten bevölkert – Komponisten, die man noch nicht einmal aus Gnade in die zweite Reihe stellte, wie den in Rom ausgebildeten, in Paris zeitlebens marginalisierten Charpentier. Erstaunlich aber ist, daß der „Paix du Parnasse“ – ein auf enormer Stilhöhe gewähltes Kompositions-Emblem des François Couperin „le Grand“ – nur zwischen den Lateinern Lully und Corelli besiegelt wurde und die Leistungen deutscher Komponisten überhaupt nicht zur Sprache kamen. Unüberbrückbar tief waren die jahrhundertelang ausgehobenen Gräben zwischen den Franzosen und den Deutschen, die sich dennoch beide auf Charlemagne, Karl den Großen als Reichsgründer beriefen: Telemanns Gastspiel 1737/38 in Paris und Voltaires Aufenthalt in Potsdam 1750/53 blieben rühmliche Ausnahmen in einem ansonsten immer frostigen Klima zwischen den beiden Völkern.

Ohne sentimentale Übertreibung darf ich sagen, daß es meine Nachkriegs-Erziehung war, die diese anhaltende tiefe Liebe zur französischen Kultur auslöste – durchaus mitvollzogen von meinen internationalen Kollegen im Ensemble Musica Antiqua Köln. Uns alle hat die lange Beschäftigung mit der französischen Musik vor allem im ersten Jahrzehnt unserer Bühne-Präsenz ungeheuer bereichert, unsere Telemann-Interpretation bestimmt, sowie Ohren und Herz für das geöffnet, was man im 18. Jahrhundert hierzulande „vermischten Geschmack“ zu nennen pflegte.

Nach 15 Jahren Abstinenz – nach 1985 befassten wir uns fast ausschließlich mit dem Erbe deutscher Musik – dann im Jahr 2000 den Soundtrack für Gérard Corbiaus Film „Le Roi danse“ beisteuern zu dürfen, war weitaus mehr als nur ein Engagement unter vielen, es war mehr als nur die Rückkehr zu den Wurzeln, mehr als nur ein déjà-vue: ich fühlte mich veritablement in den „Parnasse Français“ erhoben – und es war eine fabelhafte Zusammenarbeit, an die ich immer mit größter Freude zurückdenken werde.

Somit erneut enthousiasmiert für die französische Kunst widmeten wir uns dem instrumentalen Schaffen Marc Antoine Charpentiers, dessen Todestag sich 2004 zum 300. Male jährte. Diese Aufnahme war der Schwanengesang des Ensembles: ich verabschiedete mich vom Parnass herab und erklomm stattdessen die Treppenstufen zur „Salle des Suisses“ im Palais des Tuileries. Aus meinem alten Leben nahm ich die Liebe zur französischen Kunst in mein neues Leben mit – und habe im Repertoire des „Concert Spirituel“ einen neuen Forschungs-Mittelpunkt gefunden.

rg

Texte wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis von Prof. Reinhard Goebel ©2021

Aktuelles Oktober 2020

Notizblogzettel (Hier aufbewahren! Erinnern!)

LANZ 8.Oktober 2020 Sahra Wagenknecht / Middelhoff hier ab etwa 55′ Zur wirtschaftlichen Zukunft unserer Welt.

 ZDF Screenshot ZDF Screenshot

PRECHT & REZO

Gestern 10.10.20 nachts zwischen 23 und 24 h gehört. Würde ich auch noch mal ansehen (oder anderen empfehlen), man versteht die beiden akustisch ungleich gut. Interessante Prognosen („die Schallplatte bleibt“).

Immerhin, der im Urlaub etwas belächelte Bildband „Kunst in 30 Sekunden“ hat mich zum ersten Mal auf Artemisia Gentilleschi gebracht. (Danach kam erst der Artikel in der ZEIT). Und die Kurzbesprechung des Velasquez-Bildes „Las Meninas“ hat mich an den wunderbaren Essayband „Meisterwerke der Malerei“ herausgegeben von Reinhard Brandt erinnert, in dem genau jenes Bild von Seite 115 bis 140 tiefgehend behandelt ist (vgl. auch Wikipedia hier), und zugleich gibt es einen aktuellen oder vielmehr akuten Anlass, ein anderes Kapitel darin (über Roy Lichtenstein von Regina Prange) aufs neue zu studieren, weil es indirekt mich und andere Leuten täglich beim Einkaufen mit Kunst konfrontiert, ohne dass wir alle dieser Tatsache die fällige Beachtung schenken. Oder? Prüfen Sie sich selbst, und zwar ganz unten am Ende dieses Artikels!!! Nebenbei: Wie banal und wie brutal darf Kunst eigentlich sein? Im Alter scheint es schlimmer. Doch es ist alles eine Sache der Auslegung!

Die Bildquellen der Pop Art entstammen Zeitungen und Illustrierten mit ihren Cartoons, Werbeanzeigen und Schlagzeilen. Sie thematisieren den strahlenden Star und das Image der Jugend, die Welt des Stehimbisses und des Supermarkts, die unpersönliche Heraldik industrieller und patriotischer Insignien und nicht zuletzt der Modell-Wohnung des exemplarischen Konsumenten. Die Pop-Künstler konzentrierten sich also auf solche Motive, die das private Leben in standardisierten Formen, das Emotionale durch Konvention dirigiert, in der Warenform verdinglicht, zeigen. Die stereotype Artikulation des Gefühls oder des sinnlichen Genusses ist das Bindeglied der imitierten Trivialmythen. Lichtensteins Beitrag zur Massenkultur ist in dieser Hinsicht […] in seiner Kunst wie in seinen Selbstkommentaren, explizit. Anders als Warhol, der sich mit seinen Äußerungen in die Oberfläche der Popkultur einfühlte und sich selbst zur Kunstfigur schuf, behandelt er, der schon relativ bejahrt zur Pop Art kam, ein Magisterdiplom in der Tasche hatte und selbst lehrte, seine Arbeit fast wissenschaftlich. Die Gebrauchsgraphik und ihr schlechter Geschmack stehen ihm ein für die Gegenwart der industrialisierten Gesellschaft. Durch ihre schonungslose Bejahung in einer Art „brutaler“ und „antiseptischer“ Darstellung will er gegen die Kunst seit Cézanne opponieren, die „außerordentlich romantisch und unrealistisch geworden ist…“ Seine Sensibilität gegen das Antisensible stellt sich gegen eine „europäische Sensibilität“, welche sich „in dicken und dünnen Farbstrichen“ ausdrückt, also durch die Künstlerhand. Die Wahrheit des Cartoon liege darin, daß er „heftige Emotion und Leidenschaft in einer völlig mechanischen und distanzierten Weise ausdrückt.“ (folgende Quelle, Autorin Regina Prange Seite 249f)

Quelle Meisterwerke der Malerei / Von Rogier van der Weyden bis Andy Warhol / von Reinhard Brandt (Hg. und Einführung) / Reclam Leipzig 2001 (2013)

 Wikipedia hier

ZITAT (Hanno Rauterberg)

Artemisia war die Kunst, und die Kunst war sie – auch diese Botschaft spricht aus dem allegorischen Selbstporträt im grünen Seidenkleid, das sie vor leerer Leinwand zeigt. Es hatte natürlich auch praktische Gründe, das eigene Gesicht in die Gemälde hineinzumalen, damit ließen sich Kosten für teure Modelle sparen. Doch ebenso verlockend schien, das auf diese Weise die Bilder nicht nur für sich sprachen, sondern aus ihnen auch Artemisia zu sprechen schien und sich so der eigene Name gleich doppelt bewerben ließ. Erwarb ein Sammler eines ihrer Werke, konnte er glauben, so auch eines Teils der Künstlerin habhaft zu werden. Sie verkaufte, könnte man sagen, ihre Kunst und sich selbst.

Allerdings wäre das eine sehr verkürzte und sehr heutige Lesart. Denn nie gibt es bei Artemisia so etwas wie ein authentisches, ein wahres Selbst. Im 17. Jahrhundert war der Begriff des Projekts aufgekommen, die Vorstellung also, etwas entwerfen, in die Zukunft hineinplanen zu können. War man sich in den Jahrhunderten zuvor sicher, mit dem eigenen Leben nur Teil eines größeren, göttlichen Plans zu sein, war diese Idee einer göttlichen Ordnung im Barock nicht länger zu halten. In Artemisias Kunst ist das unübersehbar, sie brüskiert jedes innige Bedürfnis nach Demut. Sie verweltlich das Überweltliche und macht ihre Betrachter zu Komplizen einer Geschichte, die fast immer von einer körperlich einnehmenden, das Schicksal wendenden Tat handelt. Es sind Bilder, die von Veränderung erzählen, und sei es, dass diese Veränderung zum Tode führt.

Artemisia Gentilleschi  Wiki hier

Artikel in der ZEIT mit Rauterberg hier Britische Nationalgalerie hier

Unter dem zuletzt gegebenen Link kann man den folgenden Film finden & anschauen:

Ein Essay von Kai Köhler aus der Zeitung Junge Welt wurde mir freundlicherweise zugeschickt, enthält viele, soweit ich weiß, recht unbekannte Details zu Bartóks politischer Einstellung. Macht mich zugleich nachdrücklich aufmerksam auf die linke Tageszeitung, die mir ansonsten von Berthold Seligers lesenswerten Musikbeiträgen her bekannt war.

Bartók – Volkslied und Moderne – jw 2020 09 25

Enkel-Musik

Damit meine ich Pop-Musik, die in der Enkel-Generation im Schwang ist. Ich will wissen, was diese Jugendlichen daran fasziniert, und wenn ich mit ihnen rede, muss ich die Sachen gut kennen, um „sachgerechte“ Fragen zu stellen

Reine (extern hier ) von Dadju (über den Sänger siehe Wiki hier)

Oh oh ah, Seysey

Aujourd’hui je suis fatigué, je t’ai regardé dormir
Et si ma voix peut t’apaiser
Je chanterai pour toi toute la nuit
Je t’entends dire à tes pines-co
„Dadju, j’peux plus m’passer de lui“
Hey, tout va glisser sur ta peau
C’est comme si je te passais de l’huile
Et s’ils ne sont pas nous, c’est tant pis pour eux
Et s’ils sont jaloux, c’est tant pis pour eux
Fais-le moi savoir quand c’est douloureux
Je suis là s’il faut encaisser pour nous deux

Et je le sais, je te fais confiance
Quand tu me souris, tu fais pas semblant
J’ai pas besoin d’attendre plus longtemps
Je sais qu’il est temps d’partager mon sang
Et t’élever au rang de reine
Au rang de reine, au rang de reine
J’vais t’élever au rang de reine
Au rang de reine, au rang de reine
Oh oh ah

Je…

Oder zum Beispiel (jetzt gleich im externen Fenster) der Titel Django von Dadju

Oh, oh, ah (It’s E-Kelly)

Je veux que tu portes mon nom de famille
Mais ça prend du temps
J’ai même parlé de notre avenir à tes parents mais ils m’ont dit d’attendre
J’ai fait tout ce que ton père m’a dit mais
Il est jamais content
Et s’il décide d’être l’ennemi de notre amour il sera forcé d’entendre

Quand j’briserai les chaînes comme Django, Djan-Djan-Django
J’briserai les chaînes comme Django, Djan-Djan-Django
J’briserai les chaînes comme Django, Djan-Djan-Django
J’briserai les chaînes comme Django, Djan-Djan-Django

Il veut nous éloigner
Donc il sort toutes sortes de foutaises
Et quand j’lui demande quel genre d’homme il te faut il me dit „comme toi mais pas toi“
Laisse-moi le calmer, il faut que son cœur s’apaise
Laisse-moi lui montrer qu’il a tort de…

Des weiteren wurde genannt:  Vossi Bop von Stormzy

Was soll ich davon halten? (Songtext Vossi Bop siehe hier)

(folgt)

Jahrelang habe ich immer wieder gern den Scherz gemacht: „Dein Geburtstag fällt dieses Jahr aus“ oder wahlweise „Heute steht es in der Zeitung: Weihnachten ist offiziell abgesagt!“  Aber dieses Jahr ja wirklich, ich habe es in der Hand, Corona-Schutz für alle verbindlich! Ich las es zwischen den Zeilen in der Zeitschrift FOLKER:

 Danke im voraus für alle guten Wünsche! Aber ich bin das nicht, ich kann das nicht sein, mein Geburtstag fällt aus! Wie das Oktoberfest, wie Halloween, – nein, kein Geburtstag und schon gar nicht dieser.

Ich (79) verbleibe erinnerungstechnisch das relativ junge Tragetaschengesamtkunstwerk im Eingangsbereich des Moarhofs in Völs Südtirol September 2020

Ausgang & Eingang (Fotos E.Reichow)

Couperin Pièces

Ein Zugang mit Tilman Skowroneck

Heute kam die Information per Mail, ich greife das gern auf, um meine Kenntnis der Stücke zu vertiefen, deren EMB Study Scores ich mir 1985 in Szombathely gekauft habe, um sie dann ruhen lassen. Jetzt wäre die Gelegenheit.

Aber nicht nur dafür, sondern vor allem, die interessanten Berichte aus der Praxis des Musikers Tilman Skowroneck an Ort und Stelle aufzusuchen, etwa hier und hier. Ich bin so frei, mich zu bedienen: ich suche die passenden Noten heraus, erinnere mich, dass ich ein Stück mit dem Titel „Les Niais des Sologne“ vor längerer Zeit schon einmal mit Bach in Verbindung gebracht habe (WTC II Fuge Fis-dur) und sehe hier eine Fanfare, die mich an Bach und Mozart erinnert (aber warum soll ein erfrischendes Signal nicht auch zum Allgemeingut gehören?). O.K., man kann der Sache ja mal nachgehen…

Achtung: geirrt! es war damals nicht Couperin, sondern Rameau: hier.

Und hier meine Bach- und Mozart-Beispiele zur „Fanfare“:

  

Aber nun zur Sache:

Lesenswert vor allem der MGG-Artikel, Personenteil Bd.4 Sp.1755f, Autor Denis Herlin :

ZITAT (Tilman Skowroneck)

I spent two of the last days in March 2020 before the (comparatively moderate, but still) Swedish coronavirus-stay-at-home recommendations went live, recording a harpsichord program with music by François Couperin. The program contains the first Prélude in C-major and selections from the third Ordre in C-minor from book 1 of the Pièces de Clavecin; the second Prélude in D-major and selections from the second Ordre, and the sixth Prélude in B-minor and the entire magnificent eighth Ordre in B-minor.

The recording was made in Ödenäs church on March 4 and 5, 2020, by Erik Sikkema. The Harpsichord is a 18th-century French model (5 octaves) by Martin Skowroneck (1980).

Two sound samples are here (Second Ordre, La Terpsicore and La Garnier):

La Terpsicore :

La Garnier :

 

Zum Mitlesen (eventuell die Klangbeispiele im Extrafenster aufrufen hier)

      

Versuch, einen langen Satz neu zu lesen

Die Zeit der Proust-Lektüre

In diesem Satz lebt die durch die Kunst, durch eine ungeheure synthetische Kraft und durch höchstes Sprachbewußtsein gebändigte und erlöste Monstruosität des Daseins.

Erich Köhler

Oben:  André Dussolier liest Marcel Proust

Der Anfang im Original:

Im deutschen Text „Combray“ (s.u. unter Quellen) aufzufinden Seite 7 bis 9 (endet mit „…ich vergaß das Geschöpf meiner Träume.“)

Wie kam ich eigentlich jetzt wieder auf Marcel Proust? Es war die oft wiederkehrende Erinnerung an seine eindringliche Beschreibung der Kirchtürme, eben auch während des Artikels HIER.

In Erich Köhlers „Proust“ findet man folgendes Schema eines Proust-Satzes Seite 60

 dasselbe, auseinandergenommen:

Das Buch mit diesen Analysen erwarb ich 1963, den entsprechenden Band Proust in französischer Sprache besaß ich schon, um den deutschen Band „Combray“ zweisprachig zu erarbeiten. Vielleicht habe ich nicht einmal bemerkt, dass der Autor, der dessen Nachwort geschrieben hat, Erich Köhler, derselbe war, der dieses schmale Bändchen mit dem „Satzbaum“ veröffentlicht hat, den ich nur mühsam entzifferte: das war viel zu klein gedruckt. Hier habe ich es für mich erstmals scan- und drucktechnisch ins Lesbare übertragen.

Es geht ums Einschlafen in den verschiedenen Räumen aus der Kindheit des Autors, als welcher Marcel Proust auftritt. (Ich sage es so kompliziert, weil nun mal Buch-Autor und Ich-Erzähler nicht für identisch genommen werden sollen.)

Zunächst der französische Originaltext (da mein erstes Exemplar verschwunden ist, folgt ein Blick in das eilig antiquarisch nachgekaufte in der Ausgabe GF-Flammarion 1987):

Köhler hat den Satz zunächst folgendermaßen übersichtlich gemacht (hier nur der Anfang, dann die deutsche Version vollständig, aber ohne Sperrdruck):

ZITAT

(Diese verworren durcheinanderwirbelnden Erinnerungsbilder hielten jeweils nur ein paar Sekunden an; oft gelang es mir in meiner kurzen Unsicherheit über den Ort, an dem ich mich befand, so wenig, die verschiedenen Momente des Ablaufs [ … aus denen sie bestanden, voneinander zu unterscheiden wie die sich ablösenden Stellungen eines laufenden Pferdes, die das Kinetoskop uns zeigt].

Aber ich hatte bald das eine, bald das andere der Zimmer, die ich in meinem Leben bewohnt hatte, wiedererkannt, und nach und nach rief ich mir alle in den langen Träumereien, die dem Erwachen folgten, in die Erinnerung zurück:

(I) winterliche Zimmer

(1) in denen man,

– sobald man sich hingelegt hat,

– den Kopf in eine Art Nest geschmiegt,

– das man sich aus den verschiedenartigsten Objekten herstellt:

– einer Ecke des Kopfkissens,

– der Wölbung der Bettdecke,

– einem Schalende,

– dem Bettrand,

– einer Nummer der ‚Débats roses‘ ,

– die man nach Art der Vogeltechnik zusammenklebt, indem man sich längere Zeit dagegenlegt;

(2) wo

– bei Eiseskälte

– das Vergnügen, das man empfindet, darin besteht, daß man sich von der Außenwelt getrennt fühlt (wie die Seeschwalbe, die als Nest eine Grube in der Erdwärme hat)

(3) und wo man,

– da das Kaminfeuer die ganze Nacht hindurch unterhalten wird,

– in einem großen Mantel

– aus warmer, rauchig duftender Luft schläft,

– durch den der Schein frisch aufflammender Scheite huscht,

– in einer Art von ungreifbarem Alkoven,

– einer warmen Enklave innerhalb des Raumes,

– einer heißen Zone mit veränderlichen thermischen Konturen,

– durch die von Zeit zu Zeit ein Luftzug weht, der uns das Gesicht kühlt

– und der aus den Ecken kommt

– oder aus den Gegenden am Fenster

– oder aus denen, die am weitesten von der Feuerstätte abliegen

– und schon abgekühlt sind ;

(II) oder sommerliche Gemächer,

(1) in denen

– man sich gern eins fühlt mit der lauen Nacht,

(2) wo

– das Mondlicht

– durch die halb geöffneten Läden dringt, –

– und auf dem Fußboden vor dem Bett eine Zauberleiter malt,

(3) wo

– man im Freien schläft wie die Meise, die sich im Hauch des Windes auf der Spitze eines Strahles wiegt –

(II,1) manchmal auch

– das Louis-XVI-Zimmer,

– das etwas so Heiteres hatte, daß ich mich darin selbst am ersten Abend nicht allzu unglücklich fühlte,

– und in dem die zierlichen Säulen,

– die so leicht die Decke trugen,

– sich anmutig teilten,

– um die Stelle für das Bett zu bezeichnen und freizugeben;

(II,2) manchmal

– auch jenes

– kleine

– und sehr hohe,

– das sich, nach oben verjüngt, durch zwei Stockwerke zog

– und zum Teil mit Mahagoni verkleidet war,

(1) in dem ich  mich

– von der ersten Sekunde an

– durch den mir unbekannten Vetiverduft gleichsam seelisch vergiftet fühlte,

– überzeugt von der Feindseligkeit

– der violetten Vorhänge

– und der anmaßenden Gleichgültigkeit

– der Pendüle,

– die ganz laut vor sich hin schwätzte, als sei ich gar nicht da;

(2)  wo

– ein fremder, unerbittlicher, viereckiger Standspiegel

– schräggestellt eine der Zimmerecken

– verdeckte und damit in der angenehmen Vollständigkeit meines gewohnten Gesichtsfeldes einen Platz für sich in Anspruch nahm, der nicht vorgesehen war;

(3) wo

– mein Vorstellungsvermögen,

– nachdem es Stunden hindurch versucht hatte,

– sich zu verrenken

– und in die Höhe zu recken, um genau die Form des Zimmers anzunehmen

– und schließlich die gigantische Wölbung bis oben hin auszufüllen,

– harte Nächte durchgemacht hatte,

– während ich in meinem Bett ausgestreckt lag

– mit nach oben gewandtem Blick,

– ängstlich gespanntem Ohr,

– beleidigter Nase

– und klopfendem Herzen :

bis endlich

– die Gewohnheit

– die Farbe der Vorhänge verändert,

– die Uhr zum Schweigen gebracht,

– den schrägen, grausamen Spiegel Mitleid gelehrt,

– den Vetivenduft zwar nicht völlig verjagt, aber doch überdeckt

– und die offenbare Höhe der Zimmerdecke beträchtlich vermindert hatte.

Ja, die Gewohnheit!

[Sie ist eine geschickte, wenn auch langsame Umzugskünstlerin, die zunächst einmal unseren Geist wochenlang in einem Provisorium schmachten läßt; aber man ist doch froh über ihr Vorhandensein, denn ohne sie und aus eigener Kraft wäre man außerstande, ein Heim bewohnbar zu machen.]

NB ich habe im vorletzten Abschnitt – ab „harte Nächte durchgemacht hatte“ kleine Veränderungen vorgenommen, verursacht durch die andere Satzfolge der deutschen Übersetzung, aber auch durch ein Versehen im Text Erich Köhlers, der den Satz „le cœur battant“ doppelt wiedergibt. (JR)

Quellen

PROUST: COMBRAY / (Ausgabe Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Bd. 1: In Swanns Welt. Übersetzt von Eva Rechel-Mertens.  Frankfurt am Main und Zürich 1953) hier: mit einem Nachwort von Erich Köhler. Fischer Bücherei Frankfurt am Main u. Hamburg 1962 Seite 10f

Erich Köhler: Marcel Proust / Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1958

*    *    *

Inzwischen gibt es eine Neuauflage des zuletzt genannten Buches, das ich an dieser Stelle abbilden werde, sobald es eintrifft. Es ist auf dem Wege zu mir!

Was in meiner Abschrift natürlich fehlt, ist die detaillierte Beschreibung der graphisch gestalteten Text-Analyse, wie sich „die bis zur Unerträglichkeit gestaute Spannung in der wohltuenden habitude löst, die alle Gegenstände verwandelt und ihre Feindseligkeit entgiftet. Was hier nun in wirksamer Klimax in einem einzigen Erlebnisvorgang verdichtet ist und der zusammenfassenden Erinnerung als plötzlicher Umschlag erscheint, sind in Wahrheit viele jeweils in der Zeit verlaufende Prozesse der Angewöhnung. Das Widerspiel von erinnertem Ich und die äußere Verlaufszeit überblickendem erinnerndem Ich ist in der einzelnen Periode selbst gegenwärtig und konstituiert ihre komplexe Einheit. 

Unser Satz ist auf Eindrücken und Bildern aufgebaut, deren Bedeutungsfeld sich durch Querverbindungen zwischen den Satzgliedern zu einem differenzierten Zusammenhang schließt, den die Reihung der nuancierten Motive in ständiger Intensivierung bis zum quälenden Höhepunkt und zur erlösenden Verwandlung der Umwelt durch die habitude steigern. Unsere beiden typographisch verschiedenen Wiedergaben der ganzen Periode verdeutlichen durch Sperrdruck bzw. Anführung der wichtigsten Wörter diese Verflechtung der semantischen und der syntaktischen Struktur.“  

Soweit das Originalzitat aus dem Text von Erich Köhler. Ich habe das in meiner Wiedergabe vielleicht nicht so deutlich zum Ausdruck bringen können und verweise auf die neue Ausgabe des Buches, die ich demnächst vergleichend  betrachten werde. Mir scheint jedenfalls, dass mir durch diese geduldigere Erarbeitung des Stoffes Einblicke möglich geworden sind, die mir damals (1963) vollkommen verschlossen waren, trotz des hervorragenden Materials. Und erst heute weiß ich das Nachwort zur Fischer-Ausgabe von „COMBRAY“ wirklich hochzuschätzen, nachdem sich die Fragen der Erinnerung in meinem eigenen Leben täglich stellen, und bei der Proust-Lektüre sozusagen einen weiteren, doppelten Boden schaffen und es mir verwehren, den Vorgang von außen, als literarisches Phänomen zu betrachten; was ich auch damals sicher nicht getan habe, im Gegenteil, ich habe es als Anleitung zu einem kontemplativen Leben gelesen. Aber das geschah auf einer ganz anderen Ebene als heute. Es ist dringlicher geworden, weil die Lebenszeit für eine große Proust-Lektüre heute nicht mehr bleibt, andererseits die Ästhetik der Bücher von Susanne K. Langer und Christian Grüny eine neue Energie freisetzen, die auch einem erweiterten Verständnis der Zeit-Philosophie Henri Bergsons zugute kommt, sie also nicht einfach gleichsetzt mit der, die sich aus der Proust-Lektüre ergibt.

Die „un-willentliche Erinnerung“ („mémoire involontaire“), von der „willentlichen Erinnerung“ („mémoire volontaire“) scharf zu unterscheiden, vollbringt das „Wunder einer Analogie“, das in der Identität zweier verschiedener Ichs und ihrer Empfindungen eine Wahrheit erschließt, die sonst für immer verborgen bliebe. Gerade die Zufälligkeit dieser Entdeckung ist die „Garantie ihrer Authentizität“. Die Kunst der Erinnerung folgt somit dem „Diktat“ des – anders nicht zu erkennenden – Wesens der Wirklichkeit selbst. Sie hat, den Empfindungen folgend und deren Sinn „dechiffrierend“, in den Metaphern von Sprach- und Kompositionsstil die „einzige“ Beziehung zwischen zwei in Zeit und Raum getrennten Momenten der Erscheinungswelt „aufzudecken“ und zu „übersetzen“. Jene einzige Beziehung entschlüsselt ihre Wahrheit, das Sichtbarmachen dieser Wahrheit fällt mit dem Kunstschönen zusammen. Und so, wie allein die „un-willentliche Erinnerung“ die Vermittlung zu einem vergangenen Ich und seiner Erlebniswelt herstellt, so vermag allein die Kunst die Kommunikation zwischen den abgründig getrennten Welten der einzelnen Menschen zu bewirken. „Nur durch die Kunst“ – so heißt es in der ‚Wiedergefundenen Zeit‘ – „können wir aus uns selbst heraustreten und erfahren, was ein anderer von diesem Universum sieht, das nicht das gleiche ist wie das unsere und dessen Landschaften uns ebenso unbekannt bleiben würden wie diejenigen, die es auf dem Mond geben mag. Anstatt nur eine einzige – unsere – Welt zu schauen, sehen wir sie dank der Kunst sich vervielfältigen und haben so viele Welten zur Verfügung als es echte Künstler gibt.“ 

Quelle Nachwort von Erich Köhler zu COMBRAY (Marcel Proust) s.o.

ZITAT (Erich Köhler) 

Gerade dieses Mißtrauen jeder Wahrnehmung gegenüber läßt die alle Nuancen einbeziehende Metapher zum einzig möglichen stilistischen Erkenntnisinstrument werden. Die Nuancenfülle, in welcher gleichsam alle Unterschiede in den Übergängen verschwinden, das Disparate zum Moment des Ganzen wird, sucht die Einheit hinter den Dingen aufzudecken. In immer neuem Ansatz, in der äußersten Präzision einer stets unter die Oberfläche dringenden Beschreibung will diese Sprache zum Wesen der Dinge vordringen. An unserem obigen Beispiel wird deutlich, wie Empfindung, Erinnerung und gesetzlichkeit der fließenden Zeit (in Gestalt der habitude) zueinander in Beziehung gesetzt werden, um die „Essenz“ der evozierten Vorgänge zu erschließen. Die Metapher, die – […] – das Unterscheidende zwischen den Dingen aufhebt, fügt eine zerrissene Welt wieder zusammen unter Hereinnahme der Zerrissenheit in die Einheit eines Satzes. „Was wir die Wirklichkeit nennen, ist eine bestimmte Beziehung zwischen den Empfindungen und den Erinnerungen, die uns gleichzeitig umgeben … jene einzige Beziehung, welche der Schriftsteller wieder auffinden und deren zwei verschiedene Enden er für immer in einem Satz verknüpfen muß … Die Wahrheit beginnt erst in dem Augenblick, da der Schríftsteller zwei verschiedene Gegenstände nimmt, ihre Beziehung herstellt und diese Gegenstände in die notwendigen Ringe eines schönen Stils einschließt.“ Die bei Proust einen großen Reichtum der Synästhesien einbeziehende Metapher fördert die „zwei Dingen gemeinsame Essenz“ zutage und „entzieht sie der Kontingenz der Zeit“. 

Erich Köhler „Marcel Proust“ (s.o.) Seite 62

Ausklang:

Nicht vergessen, dieser Endlos-Satz, künstlich unterteilt, ist in Wahrheit ein gleichmäßig dahinfließendes Continuum. Ich fühle mich stark an den musikalischen Satzbau Max Regers erinnert, die Duos entstanden vielleicht zur gleichen Zeit (um 1913). Jedenfalls fließen in meiner Vorstellung diese beiden Sphären (Musik und Dichtung) ineinander.

Und wenn ich mich überhaupt so oft erinnere, muss ich nicht dem Gerücht Glauben schenken, dass es eine pure Alterserscheinung ist (wie wenn mein Großvater in den 50er Jahren aus dem Frankreich-Feldzug erzählte, um 1916, die einzige Zeit, die er für viele Monate außerhalb seines Dorfes verbrachte, zugleich die einzige Zeit, in der er wirklich jung und offen für alles war). Es ist für jeden Menschen die Möglichkeit, sich „der Kontingenz der Zeit“ zu entziehen. Und wenn es mir mit Marcel Proust leichter wird, so durch den Zufall, dass die Musik – die so stark im Unterbewussten verankert ist – den gleichen Brückenschlag über die gleiche Zeitspanne hinweg nahelegt: das Datum der Vortragsstunde mit den Reger-Duos 26.07.1962 und das Datum im Buch COMBRAY, dem „Eine Liebe von Swann“ folgte, das ich als meine eigene las, zugleich mit vielen anderen Büchern, die sich – ausgehend von „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ – vorwiegend mit Japan befassten. Das Wort von der „Monstruösität des Daseins“, auf mich bezogen, hätte ich nicht übertrieben gefunden, wenn ich es denn aufmerksam gelesen hätte.

Ich erinnere mich an eine Situation im Kölner Hauptbahnhof, als Dietmar Mantel und ich bis zur Zugabfahrt eine halbe Stunde Zeit  totzuschlagen hatten und wie so oft in der Buchhandlung Ludwig landeten (die dort am Hauptausgang in Richtung Dom seit den 70er Jahren nicht mehr existierte) die Treppe ins Untergeschoss hinunterstiegen, wo sich die Taschenbücher befanden. Er bemerkte, dass ich mich sofort in die Ecke begab, wo die „exotische“ Literatur zu finden war, und er regte sich – für meine Begriffe – ganz unangemessen auf, indem er böse zischte: „Brauchst Du denn immer was Chinesisches?!“ Ich hätte ihm erwidern können, dass mich seine Dauerthemen „Menuhin“ und „Heifetz“ erst recht nervten. Aber an sich blieb unser Umgangston etwas förmlich, bis es über geigentechnische Dissenzen zum Bruch kam (für immer).

Nachtrag 31. Dezember 2019

Der schönste Jahresausklang kam mit der Post:

   

Als nützliche Ergänzung lesen: hier

„Wer Ouessant sieht, sieht sein Blut“

Der Film der Filme: Bild, Leben, Ton

Dass ich diesen Eindruck festhalten muss, fiel mir wie Schuppen von den Augen: als ich Bachs Mittelsatz des Italienischen Konzertes hörte, diese unglaublich schöne, todtraurige Melodie, und dann den Cis-moll-Satz aus Schuberts Klaviersonate, nein, der Moment, wenn diese ergreifende Musik ausgeblendet wird, –  da weiß jemand, von welchen Emotionen wir leben (Mensch und Musik). Eine Frau natürlich… würde ich nicht sagen, aber nun steht es da. Ein ganzer Film zur Verherrlichung eines unerbittlichen Elementes, des Wassers und des Windes.

Ich denke an den Ärger, den einmal ein anderer, visuell sehr schöner Film ausgelöst hat, siehe hier.

Und nun dies! Der folgende Link führt zum Film, die Bilder unten sind nur gescannte Momente des Films!

HIER  bzw. https://www.arte.tv/de/videos/069762-000-F/ouessant-wo-der-wind-waltet/

Ein Film von Raphaëlle Aellig Régnier

O-Ton des Wetterfahnen-Machers:

3:45 Der Wind ist auf der Insel ein ständiger Begleiter. Überall dringt er hervor, bis in die Seele der Menschen hinein. Unablässig ist die Insel mit ihm konfrontiert. Im Guten wie im Schlechten. „Der Nordwind geht durch die Türritzen. Das pfeift ganz schön. Es ist wie mit einem Sturm. Am Anfang findet man ihn toll, aber irgendwann soll er einfach aufhören. Es gibt einen Wind, der dich verrückt macht, die Tiere reagieren ganz stark auf ihn, sie flippen richtig aus, rennen, machen Bocksprünge. Wir kennen das ja, deshalb warten wir, bis er vorbei ist, denn mit den Tieren ist dann sowieso nichts anzufangen. Irgendwann wird dieser ständige Wind anstrengend. Teile der hiesigen Kultur sind immer noch lebendig. Dazu gehören auch die Wetterfahnen.“ 4:55

 Scan Momentaufnahme
53 Min.
Verfügbar von 22/06/2018 bis 21/07/2018
Live verfügbar: ja
Nächste Ausstrahlung am Mittwoch, 27. Juni um 17:40
 Scan Momentaufnahmen
Ab 21:00
„Wind scheint ja substanzlos zu sein. Aber ich habe noch nie einen Unterschied zwischen Geräuschen, Klängen und Musik gemacht. Für mich ist alles Musik. Und im Wind hörte ich Melodien an- und wieder abschwellen. Da war etwas Konvulsivisches, das meinem Schreiben einen Rhythmus gab und mich gleichzeitig in eine Art Hypnose oder Trance versetzte. Ich erzähle hier keine Geschichten mit meinen Texten, ich versuche eher, Emotionen einzufangen. Der Wind lieferte mir alles das. Ich hatte ein bisschen das Gefühl, nach seinem Diktat zu schreiben.“ Alexis Gloaguen
*   *   *   *
Gegenbeispiel 29.07.2018 3sat Unsere wilde Schweiz „Das Verzascatal 4/4“ –
großartige Landschaft, und dazu eine Musik, die mich wütend macht.
Retorten-Produkt. Verantwortlich: Ole Fensky
bzw. die Regie, die auch das Bild verantwortet…
 noch abrufbar HIER