Auditive Haltungen

So werden sie von Peter Sloterdijk genannt und mit vier Typen aktueller Musik in Verbindung gesetzt. Ich neige dazu, sie mit den „Methoden des Hörens“ kurzzuschließen.

1.  Die authentische Neue Musik existiert vor allem als eine Expertenpraxis, in der es kaum um ein Singen und Spielen im Sinne der traditionellen naiven Musikalität geht, sondern um die Exploration der Klangproduktionsmittel und der kompositorischen Verfahren. (…)

2. Die performance-Musik versucht, sich mit offensiven Mitteln den Weg zum Publikum zu bahnen. Auch sie hält am Primat der Hervorbringung fest, in dem sie die Klang- und Bühnenereignisse den Hörerwartungen aggressiv überordnet; jedoch kämpft sie bei der Zuspitzung der Darbietung immer noch um das Mitgehen des Publikums. (…)

3. Die sogenannte Unterhaltungsmusik, die eigentlich Zerstreuungsmusik oder sedative Musik heißen müsste, kann eines Massenpublikums sicher sein, weil sie die Aufgabe wahrnimmt, die Hörer vor dem Risiko des Hörens von Neuem zu schützen. (…)

4. Die funktionelle Musik arbeitet Partialwirkungen musikalischer Strukturen heraus und macht Klänge definierten Zwecken nutzbar. Traditionelle Stücke zum Marschieren, zum Aufziehen von Ankerwinden oder zum Einlullen von Kindern haben die funktionelle Tendenz der Musik antizipiert. (…)

Quelle Peter Sloterdijk: Wo sind wir, wenn wir Musik hören (Seite 58-60), in: Der ästhetische Imperativ. Schriften zur Kunst. Suhrkamp Verlag Berlin 2014 (übernommen aus: P.S. Weltfremdheit 1993)

Einstweilen bleibt mir unklar, was die unter 3. angeführte „sogenannte Unterhaltungsmusik“ hier zu suchen hat (offenbar nur auf Grund der Vorgabe „aktueller“ Musik einbezogen).

Unter 2. sollte das Faktum erwähnt werden, dass Neue Musik eine andere (günstigere) Wirkung erzielt, wenn man die Ausführenden bei ihrer Arbeit sieht. (Was Sloterdijk natürlich auch voraussetzt.) Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, auf die zu pochen wir verlernt haben, da das bloße Hören ein Primat des reinen Geistes suggeriert, das der Neuen Musik teuer ist.

Übrigens gibt es auch ein ziemlich risikofreies Hören von Neuem, wenn es nur in der Verfremdung des Bekannten besteht. Man nimmt auch böse Ironie gern hin, wenn sie erkennbar ist und einen nicht allzu dumm erscheinen lässt.

Zudem kommt Neue Musik der modernen Tendenz entgegen, voraussetzungslos zu hören, und das heißt auch: ohne sich auf Bildungsrelikte zu stützen. Man entgeht der Gefahr, sich kompetent äußern zu müssen.

(Fortsetzung folgt)