Archiv für den Monat: Dezember 2018

Zurück zum Neuen Jahr

EE 2018 – eine Methode der Erinnerung

Ich ziehe keine strenge Bilanz, das wäre weder für mich noch für andere interessant. Kein Vorsatz darf so streng sein, dass die Nichterfüllung einen demütigt und lähmt. Die ungefähre Linie genügt. Und der gewöhnliche Fleiß muss dazukommen, das geht nur, wenn man einen Überschuss spürt. Wenn man keine Last mit Krankheiten hat, die sich zum Beispiel als Barriere vor die Quelle aller Ideen wälzen könnte, kann man jederzeit mit Motivierung rechnen: einfach indem man die Dinge länger anschaut. Sie bieten von selbst Fragen an, Aufgaben! Eine Bach-Fuge zum Beispiel. Samt Praeludium natürlich. Die gewohnte Beethoven-Aufgabe habe ich irgendwie aus den Augen verloren, der letzte Anstoß kam hier. Das Problem war wohl, dass unser eigenes (mehrjähriges Adhoc-) Quartett nicht mehr tagen konnte. Zuletzt wohl hier. Am Klavier wird es sich neu entwickeln. Aber neuerdings kam der Reiz dazu, die letzten Brahms-Stücke op. 117 bis 119 noch einmal systematischer vorzunehmen. Ein Nonplusultra anderer Art, übrigens auch was die Differenzierung (Minimalisierung, Ökonomisierung der Mittel) im Alter angeht. Von mir aus gesehen war Brahms allerdings – den Jahren nach – nicht „alt“.

Bei Bachs Wohltemperierten Klavier Bd. II bin ich in der Mitte angelangt, Fis, dem Gefühl nach jedenfalls, die Rückwärtsabfolge begann ja bei H, nicht bei C, dort wird es enden und über einige Fugen laufen, die ich von den 80er oder 90er Jahren her in den Fingern habe. Philosophie – gut, da gab es andere, zusätzliche Wege (Jaspers). Heute nur eine Stunde mit Bach, G-dur BWV 884 liegt hinter mir, die formale Analyse ist leicht gelöst, interessant bleibt die Frage, wie die leichtfüßige Fuge sich zur frühen Version, der Fughette (BWV 902,2) verhält. Ein Vergleich der beiden Praeludien liegt weniger auf der Hand, da die Substanz des einen nicht aus der anderen abgeleitet ist.

Der Übergang von Seite 1 auf Seite 2 ist in der folgenden Kopie der Fughetta BWV 902 durch einen Pfeil gekennzeichnet.

Wo bleibt die musikalische Basis?

Mehr Bildung durch Ausbildung

Das wäre meine Formel, wenn ich gefragt würde. Eine Lehrformel, aber auch eine Leerformel. Denn sobald es in die Details gehen soll, beginnt die Diskussion. Und zwar auf der untersten Stufe: Die Musik kommt doch von selber. Mein Kind ist so musikalisch! Mag sein, – und wenn es sich fürs Fliegen interessiert, kaufen Sie ihm einen Segelflugschein, und los gehts… Viel Spaß dort oben!

Spaß beiseite. Jeder ahnungsvolle Laie müsste doch darauf kommen, vom Lernen zu sprechen, von einer Ausbildung, von einem komplizierten Prozess des Hineinwachsens und dergleichen. Und von der Methode. Es geht um Theorie und Praxis, auch in der Musik, – vielleicht hätte ich nie von einer Zeitschrift dieses Titels gehört und würde sie nicht bei der AWO (Arbeiterwohlfahrt) suchen. Daher auf diesem Wege. Dank des anregenden Interviews, das jemanden zum Reden brachte, der nun wirklich sein ganzes Leben der Musik widmete und nicht nur davon, sondern (frei nach Eisler) auch von vielen anderen Dingen was versteht.

Freiheit, Gleichheit, musische Bildung
Der versierte Musikkenner Berthold Seliger erklärt im TUP-Interview unter
anderem die Bedeutung von ernster Musik für die innere Freiheit des
Menschen und warum es ein massives Umdenken in der Bildungsarbeit
geben muss, damit Kinder und Jugendliche eine wirkliche musische
Bildung erfahren und nicht nur mit Blick auf wirtschaftliche Effizienz und
Nutzen für den Arbeitsmarkt ausgebildet werden.

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Weitere Informationen dort als PDF oder auch anschließend an dieser Stelle direkt. Das Interview mit Berthold Seliger erscheint in Heft 4-2018 der TUP Anfang Dezember 2018.

PDF HIER

ZITAT Berthold Seliger:

Wenn Helene Fischer an einem Samstagabend eine große Dreistundenshow im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat, dann finde ich das okay, das gehört ja auch, ob man das will oder nicht, zur kulturellen Vielfalt unserer Gesellschaft. Aber dann sollte am nächsten Samstag eine tolle Hip-Hop-Show gezeigt werden, am Samstag darauf eine tolle Klassiksendung mit einer wirklichen Bandbreite von verschiedensten Musikstilen, dann eine Rockshow und eine mit Weltmusik. Nur dann bildet sich eine kulturelle Vielfalt ab und kann auch hergestellt werden. Letztlich können die Leute dann ja immer noch sagen: Helene Fischer war mir aber am liebsten. Aber es wird andere geben, die sagen: Den Beethoven, den Mahler, den Bartok, den Henze oder die afrikanische Band da – das fand ich aber auch klasse!
Aber das ist ein weiter Weg. Da darf man sich keine Illusionen machen.

Unkorrektes Nachwort

Aus frischem Erleben muss ich etwas hinzufügen: Heute Nacht habe ich Helene Fischer im Fernsehen gehört und gesehen, ca. eine halbe Stunde, als Pflichtübung, aber was soll ich bloß sagen, wie soll ich Fairness zeigen? Ich kann es nur als eine Helene-Fischer-Parodie wahrnehmen. „O Tannenbaum“ zum Beispiel, da fehlen einem die Worte, soviel Gefühl am falschen Platz. Es kommt wie aus der Spraydose. Loriot sagte: „Früher war mehr Lametta!“ Auch das war Parodie. Nie war mehr Lametta als heute! Vielleicht nicht am Baum, aber in der Weihnachtsbäckerei, ach, und die lieben Kleinen auf der Bühnentreppe, das entzückende Mienenspiel, wer will sie schelten? Allerdings ist zu bedenken: schon der lange Abend vorher war erfüllt vom falschen Glanz André Rieus, „der Klassiker zum Klingen bringt“. Helene Fischer und Gäste „präsentieren Weihnachtsklassiker“. Wer hält das aus? Ich vermute, in der Fernsehstatistik läuft der ganze Abend unter Klassik, das wird ein guter Schnitt, zumal „schließlich noch einmal der tiefere Sinn des Festes spürbar“ wird. Wer will denn sowas kaputtmachen? Natürlich hat Aufklärung auch immer etwas Arrogantes, und zur Bildung gehört zuerst das Taktgefühl. Keinem lieben Menschen, der Helene Fischer wirklich verehrt, könnte ich ein böses Wort sagen. Und auch nicht den Besuch der H-moll-Messe empfehlen. Die Rede ist also von einem Projekt der Zukunft. Geschmacksbildung. Einerseits ein elitäres Wort, andererseits von bleibendem Wert.

Das Musterbeispiel eines festlichen Samstagabendprogramms:

H.F. ist übrigens ein recht deutsches Phänomen, das in der Perspektive von außen eher befremdlich oder auch leicht komisch wirkt, – wenn es nur nicht um so viel Geld ginge. Hier geht es zu einem amüsanten Artikel in „The Guardian“ 22 Nov 2018. Titel: