Archiv für den Monat: Juli 2017

Aus dem Leben einer Forscherin (3)

Constance Scharff (SCH)  im Interview mit Michael Rüsenberg (RUE) (Fortsetzung)

[Abschluss des Podiumgesprächs / Gäste stellen Fragen]

SCH: … damit zufrieden wäre. Deshalb habe ich das auch noch nicht geschafft. (RUE: Sie sind auch mehr Kritiker Ihrer Kollegen?) Ne ne, das ist vorhin falsch rübergekommen. Es muss unterschiedliche Typen geben. Es gibt Sprachrohre für die Wissenschaft, und die – vielleicht notwendigerweise – verschleifen vielleicht die Details n bisschen. Da ist man als Eingeweihter immer n bisschen unduldsam. Aber das heißt nicht, dass sie nicht gute Forschung machen und dass das auch legitim ist. Man kann nicht immer alles perfekt rüberbringen, besonders nicht, wenn man ein Synthetiker ist, also, viele von den Leuten, die dann auch wirklich bekannt werden, ziehen sehr viel Forschung und Wissen aus anderen Bereichen zusammen und synthetisieren das, und dabei geht es dann manchmal nicht…, man kann es dann manchmal nicht vermeiden, dass es n bisschen oberflächlich wird.

RÜ: … resümierender Ton, das passt mir sehr gut, denn … was ist eigentlich der Zweck, der… was ist der tiefere Grund, warum Sie sich mit den Zebrafinken etc. beschäftigen. Was wollen Sie rausfinden? Wo soll das hinführen? Ist das Grundlagenforschung?

SCH: Ja, es ist auf jeden Fall Grundlagenforschung, es ein Interesse an … ursprünglich: wie ticken Tiere? Also: mein Vater hatte ein unglaublich gutes Auge für Verhalten von Tieren, der wär auch gern Tierarzt geworden, ist aber dann irgendwie in einer kaufmännischen Laufbahn versandet, aber hat mir das weitergegeben, der konnte Tiere ankucken und hat gewusst, wie man das erstmal so verstehen muss, – so die kleinen Ohrstellungen von Hunden und sowas, das hat mich fasziniert, so, andere Tiere, andere Sprache, was bedeutet das, ist die Interpretation richtig? Denke ich jetzt nur … in die rein, und wie kommt man da ran? Und dann ist mir klar geworden, dass ich auch jemand bin, der sehr gerne präzise Sachen wissen möchte, da wurde mir irgendwie zu Anfang meines Doktors bewusst, dass ich nicht die reine, klassische Verhaltensforschung machen möchte, die beobachtet und immer correliert, ich sehe das und sehe das, hat wohl miteinander zu tun, ich möchte gern mechanistische Antworten haben, und dafür muss ich experimentieren, dafür muss ich den Tieren an den Kragen. Und ich möchte gerne wissen, wie funktioniert im Gehirn dieses Audio-Hören, Vokal-Laute, diese Integration. Auf ner relativ runtergebrochenen Ebene, und dann hat sich das ergeben, dass wir n Gen bearbeiten, das was mit Menschen zu tun hat, und dann fängt man natürlich an, viel genauer zu kucken, wie gut kann man Sprache und Tierlaute vergleichen, sind Vögel eigentlich eher relevant als Modell für Sprache oder letztlich für Musik oder für beides? Und inzwischen lernt man ne Menge Sachen, die man vorher nicht unbedingt wissen wollte. Inklusive den Respekt vor diesem Anderssein, und ob man… also: Wittgenstein hat ja mal gesagt: If a lion (nein, hat er deutsch gesagt) also: Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir würden ihn nicht verstehen. Das ist für mich immer son Motto, – wenn ich das alles rauskriege, – es ist trotzdem gut möglich, dass wir das tiefgehend nie verstehen, sondern immer nur die menschliche Version dessen, was da ein anderes Lebenwesen macht. Das fordert einem auch zunehmend den Respekt ab, da frag ich mich: Ist das überhaupt o.k., müssen wir die nicht lieber in Frieden lassen und dran freuen, wie toll das klingt? Ein bisschen spät in meiner Karriere! (lacht)

RUE: Letzte Frage, bevor wir ins Publikum gehen: Gibt es eine Erkenntnis – vielleicht gibt’s ja ganz viele – aber gibt es eine Erkenntnis, von der Sie sagen: das ist meine? Ich hab dazu beigetragen…

SCH: Ja, ich glaub ich hab dazu beigetragen, also …, in meinem Forschungsfeld hab ich … wofür stehe ich im Textbuch? Dafür, dass man über die Wirkweise eines menschlichen Gens bei der Sprache was maßgeblich bei den Vögeln herausfinden kann.

Ab 4:26 RUE: Dankeschön an Frau Sch. An dieser Stelle! Etc. etc.

Fragen aus dem Publikum:

1) Haben Sie je versucht, – Sie vielleicht mehr als ich – einen Buchfink nachzumachen?

SCH: (Tatatatadiiiia) (Lachen etc. ) Also n Buchfink ist auch nicht super für seine musikalische Virtuosität so bekannt. Aber er spielt halt – “spielt“ also wieder sehr menschlich gesehen – mit seinem begrenzten Repertoire, und die Frage ist eben – man kann das, wenn man das ganz mechanistisch sieht – wir wissen im Kopf, wo der conductor… Dirigent sitzt, also wir wissen tatsächlich, wie ein Ensemble von Zellen alle sieben Millisekunden das Los trifft, das einen gewissen Ton macht. Wir können das wie einen Computer sehen. Da ist so n Netzwerk, manchmal die Reihenfolge, und dann sitzt manchmal einfach der Strom son bisschen anders beim nächsten Mal, und dann kommt die Reihenfolge, – das ist die Computerversion. Dann kann man natürlich auch sagen: das ist bei uns ja auch so. Da unten passiert jetzt ganz viel sowas, X X X X, und dann kommt das raus, was ich jetzt sag, auf der andern Seite habe ich irgendwie Kontrolle über das, was ich da tue, und kann also zum Beispiel jetzt …… aufhören zu sprechen. Wie doll hat der Vogel das unter Kontrolle zu sagen, jetzt habe ich dreimal das Gleiche gesungen, das ist jetzt genug! Ich will jetzt mal die nächste Version singen, weil das sonst einfach langweilig wird. Also diese Frage zwischen Automaton und Selbstbestimmung… ist natürlich sehr sehr schwer rauszukriegen, bei Tieren, die nicht sagen können: das habe ich mit Absicht gemacht, das bringt mir Spaß, das finde ich schön. Wir können nur sagen: Folgt das menschlichen ästhetischen Prinzipien? Bei vielen Vögel irgendwie ja, besonders wenn man die schnellen Vögel verlangsamt. Wie – das ist der Preview für den Blackbird… Plötzlich hören sich Sachen an, die sonst nur so kratzig wirken, die hören sich dann ganz toll an, so xxxx wie Walgesänge, oder auch wieder für unsere Ohren interessant. Aber, anschließend, – der Papagei, der sprechen konnte, der berühmte Alex, dem wurden menschliche Worte beigebracht, und der konnte dann mit denen kommunizieren. Nicht wie Sprache, aber er konnte sagen: Alex want apple. Ne? Gib mir n Stück Apfel, kraul mich, bye bye, und die hat er auch richtig, im richtigen Kontext benutzt, da würde man sagen… Da gibt’s auch Bücher drüber, „My life with Alex“ von Irene Peppercorn, das ist super interessant, weil in dem Moment, wo wir mit dem Tier in unserem Kanal kommunizieren können, findet man heraus, dass die tatsächlich Kontrolle darüber haben, was sie dann sagen. Und was sie damit wollen. In dem Fall von Papageien auf jeden Fall. Das heißt nicht, dass jetzt die andern viereinhalb tausend Arten von Singvögeln das auch tun, aber das Potential dafür ist im Prinzip da.

Gast: Kann ich noch was anhängen? (Ja) Nämlich das Gegenteil, vieles von dem, was Sie sagten n Pendant da… wie weiß ich, zwischen Menschen auch so ganz großen philosophischen Fragen, bin Steuerberater, kein Philosoph, wie weiß ich, dass mein Gegenüber es so verstanden hat, was ich sagte, was ich meinte, was passiert in dem und dem Augenblick…

Genau. Was macht der mit dem, was ich gesagt hab?

SCH: Ja, wenn zwei Leute das gleiche…, manchmal hat man das Gefühl, man ist in dem neudeutsch Flow, wo man sich total gut versteht, wo ein Wort das andere gibt, und man baut was auf, manche Konversation … man benutzt die gleiche Sprache und hat das Gefühl, man redet voll aneinander vorbei, – das hat natürlich viel damit zu tun, dass bei uns der Geist und die Sprache so eng miteinander verwoben sind, – wieder ne andre Sache als bei Tieren, die haben ja keinen Geist, also… es kommt da auch nicht der Geist raus so über die Laute – das ist also … bei vielen Linguisten der „Casus knaxus“, nicht? Also wir denken mit unserer Sprache, weil Tiere nicht denken, who says, weil Tiere nicht denken, ist das bei denen auch keine Sprache. Das können Sie in ganz vielen Büchern lesen, und dass die manchmal aneinander vorbeikommunizieren, das könnte man möglicherweise untersuchen, ich frag mal so, – die eine Sache ist fragen, die andere Sache ist: kommt man daran? Viele Vögle kommunizieren miteinander, in Territorialkonflikten, um sich nicht zu schlagen. Also, die machen, bevor sie sich tatsächlich physisch in die Haare, in die Federn kriegen,viel schon mit dem Gesang ab. Manchmal führt es aber trotzdem zu physischen Auseinandersetzungen, die kloppen sich dann trotzdem. Die, könnte man postulieren, die kloppen sich trotzdem, weil es mit der Kommunikation nicht gepasst hat, und das könnte man natürlich mal kucken, da könnte man immer ganz viel aufnehmen und kucken, kloppen die sich? und dann versuchen zu korrelieren, was hat dazu geführt, dass es zum Kampf gekommen ist. Es dauert, ist nicht über Nacht zu machen, aber im Prinzip könnte man da rankommen. Wenn Tiere sich missverstehen.

Gast (JR): Meine Frage betrifft das Auflösungsvermögen der Vogelohren. Also es gibt beim Drosselgesang zum Beispiel Endungen, die unheimlich leise sind, die eigentlich nicht auf Entfernung ne große Rolle spielen. Aber spielt das ne Rolle, oder kann man annehmen, dass die Drossel ihren Gesang, die Töne, ungefähr so hört wie wir auch? (ne!)

SCH: Ne, kann man nicht, weil – da gibt es sehr viele psycho-physische Studien zu, wo man Vögel tatsächlich fragt: ab wann kannst du was hören, wie hoch kannst du was hören und wie leise kann das sein? Und da ist unser Ohr teilweise viel unempfindlicher. Unterschiedliche Vogelarten haben unterschiedliche Hörschwellen, das muss man also im Einzelfall kucken, wenn es z.B. diese Zebrafinken, relativ leise, ist wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum sie tanzen, wenn sie balzen, damit sie schon bevor das Weibchen hören kann, dem Weibchen sagen: Hey, ich mein dich, ich mein dich, ich mein dich, und wenn er dann näher kommt, kann sie ihn auch hören, man würde immer annehmen, dass der Sender, also der Drosselmann, eigentlich den Empfänger im Sinn hat, und wenn die so weit weg ist, dann wäre es nicht so sinnvoll, wenn sie so leise am Ende singt, es sei denn, … entweder ist es son Beiprodukt, wie wir manchmal, auch wenn wir miteinander reden, plötzlich anfangen so zu nuscheln, ist ja auch nicht sehr sinnvoll, tut man ja trotzdem, oder dass er vielleicht auch noch in der näheren Umgebung andere Leute erreichen will, wo auch jemand zuhört, aber a priori …

Gast (JR): oder er nimmt Anlauf (oder er nimmt Anlauf, genau, er muss sich erst warm singen) dass sie erst leise anfangen (und dann lauter werden) vielleicht ist das ganz Leise auch dem Weibchen längst bekannt (Lachen)…

SCH: Jaja, ich weiß schon… (Lachen) Aber, ach so, das ist aber n guter cue – das ist auch, was wir machen, die Rolle der Weibchen, die nicht singen, ob die überhaupt Rückmeldung geben. Ist auch noch nicht richtig untersucht bis jetzt, zum Beispiel Gesten bei Vögeln, es gibt zwei Vogelarten, wo man weiß, dass die Weibchen – eine Vogelart nur gut untersucht – dass die Weibchen durch Körperbewegungen den Männchen mitteilen, ob sie den Gesang nun gut finden oder nicht. Es gibt so ganz schnelles Flügelwischen… und das finde ich gut, und das benutzen sie auch, um z.B. ihren Söhnen zu zeigen, ob sie gut singen lernen. Obwohl die Weibchen selber nicht singen, sagen sie ihren Jungen: ja, das gefällt mir. Und in der Forschungsrichtung gibt es mehrere Sachen, und Gesten können natürlich ne Rolle spielen, der Drosselmann, wie Sie gerade gesagt haben, und das Weibchen mach von weitem den (Geste) „o.k.“ (Lachen). Und den Rest brauche ich jetzt nicht mehr so im Detail…

Fragestellerin: Sie sagten eben, das hat auch viel mit Kommunikation zu tun, also so ne Art Dialog. Gibt es da (13:03)… ne Situation beobachtet, in denen das gar nicht der Fall ist. Müßiggang. Weiß ein Vogel, dass er allein ist, sucht er dann? Oder- wir wir – Musik machen, völlig zweckfrei , also weil es einfach so schön ist?

SCH: Also: mehrere Fragen. Weiß der Vogel wohl, dass er alleine ist? In Bezug auf Gesang, ja! Da gibt es Versuche, wo z.B. gezeigt wird, dass ein Männchen und ein Weibchen sind zusammen, dann singt er nicht so viel, aber wenn man sie jetzt wegnimmt, dann fängt er an, ganz viel zu singen. Das wird interpretiert als: sie ist jetzt weg, jetzt muss ich sie wieder ranlocken. Also er ändert seinen Gesang davon abhängig, ob er allein ist oder nicht. Und dann singen die auch als Müßiggang, das ist also z.B. …. der berühmte Linguist Chomsky, der sagt einfach, ne, die denken nicht mit der Sprache, also wir denken mit der Sprache, auch wenn wir alleine sind, reden wir vor uns hin manchmal, ne, Mensch, das war ja blöd, das tun Tiere nicht, und so Zebrafinken, die Männchen, auch wenn sie allein sind, singen, und zwar ziemlich viel. So, dann kann man aber wieder mechanistisch sagen, das müssen sie tun, damit sie nicht vergessen, wie sie singen. Und das wissen wir auch auf der Gehirnebene son bisschen, da ist was dran. Also wir wissen, dass ein Schaltkreis im Gehirn nur dann an ist, wenn das Männchen allein singt vor sich hin, wenn er das Weibchen ansingt, dann ist der aus, d.h. dann ist der gar nicht aktiv. Und wir wissen, dass dieser Schaltkreis fürs Lernen oder fürs Erhalten von Gesang wichtig ist, d.h. dieses Üben … gibt’s Befunde, die dafür sprechen, dass der übt. Wenn er übt, findet er das auch so … wenn wir alleine sind und sprechen, nach drei Tagen keinen Kontakt, wir wandern alleine irgendwo in den Pyrenäen, da fangen wir auch an – also nicht wir alle – aber viele Leute fangen dann an, mehr zu quatschen. Machen wir das, weil wir üben? Damit wir hinterher nicht so ungelenkig sind mit unserer Sprache, machen wir das, weil wir ne stille Konversation mit uns führen, weil wir vermissen den Gegenüber, machen wir das, weil schön… da gibt es sicher viele Antworten drauf. Aber: Müßggang bei Tieren und was die dann tun, in Bezug auf Laute, da denke ich häufig drüber nach, andere Arten, die so vor sich hin … machen, also z.B. Katzen, schnurren die auch wenn sie nur in der Sonne liegen und keiner ihnen…? wenn die sich wohlfühlen und nicht gerade in Sozialkontakt sind. (15:15) Ich bin kein Katzenbesitzer. Da müsste man mal n bisschen mehr drüber nachdenken: Gibt es Tiere, die bei Müßiggang sich irgendwie lautmäßg äußern? Wäre super, drüber mehr zu wissen.

FRAGERIN: auch so ne Bitte, die in eine ähnliche Richtung … auch in der Lage sind, die unterschiedliche Wahrnehmung auch zu berücksichtigen. Weiß ja, dass die Erdmännchen sich für uns als Laien immer gleich anhören, da kommt n dicker Mann im blauen T-Shirt und da kommt ne schnelle Frau im roten T-Shirt – das kann man vielleicht mit technischen Hilfsmitteln auseinanderhalten. Aber die Wahrnehmung umfasst ja sehr sehr viel mehr. Wir gehen sogar davon aus, dass die Wahrnehmung bei Tieren genau so ist. Vielleicht kann man das ja gar nicht so zusammenhalten.

SCH: Doch das kann man, aber das ist n superwichtiger Punkt, weil traditionell ganz viel Forschung nicht den Empfänger gefragt hat, sondern wir als Empfänger das beurteilt haben. Viel Vogelforschung hat den Vogelgesang sichtbar gemacht, zweidimensional auf diesem Sonogramm mit dem kleinen schwarzen Squeaker [? s. hier], das ist so wie Noten, und dann haben wir gesagt: das ist ne Note, das ist n Motiv, da-da-da, wir haben aber nicht gefragt: hörst du das auch so? Also, wenn man Sprache z.B.analysiert, so wie wir Vogelgesang analysieren, dann würde man das ganz anders einteilen, als wir die Sprache wahrnehmen. Also ein Satz, den wir sprechen und den wir dann sichtbar machen per Maschine, der hat da keine Informatiomnen, wo wir was hören, und da, wo wir nix hören, ist tatsächlich Lautinformation. Und unser Gehirn verändert das, was da tatsächlich auf uns einfließt, ganz anders, und es heißt, das man immer auch die Empfänger fragen muss, erstmal muss. Und das ist gar nicht einfach, aber es geht – man kann die dazu kriegen, dass die einem sagen: Hörst du den Ton genauso wie den Ton? Indem man die konditioniert und sagt denen, wenn du den Ton kennst, dann kriegst du, dann machst du mit dem Schnabel bitte den Knopf, dann kriegst du hinerher auch n bisschen Belohnung dafür, und jetzt spielen wir dir alle möglichen Töne vor, die so ähnlich klingen, für uns, und du sagst uns, ist das immer noch der gleiche Ton? Und diese Forschung wird gemacht, aber lange nicht genug, d.h. häufig werden Lautäußerungen von Tieren einfach eingeteilt nach unseren Kategorien. Das ist der Pfiff, der sieht so ähnlich aus, da wird das wohl die Pfiff-Gruppe A sein, dann wird das wohl B sein, was nicht besonders sinnvoll ist, denn, wie Sie richtig sagen, der Empfänger ist derjenige, der beurteilt, ob was gleich oder anders oder schön oder schlecht ist…

Fragerin: aber das heißt dann ja immer noch, dass man davon ausgeht, dass es auf das Hören ankommt, aber vielleicht gibt es ja noch ganz andere Wahrnehmungen, stehen …..(??)

SCHARFF: Ja, also Sinne, die wir noch nicht kennen, nie auszuschließen! Also ich denke immer, nur weil man was noch nicht gefunden hat, heißt das nicht, dass es das nicht gibt, ist mein Grundgefühl …. Elektromagnetischen Sinn hat man auch lange nicht … oder Ultrasounds von Fledermäusen, die hat man lange nicht gewusst, dass die singen wo wir nicht hören. Kann man aber natürlich auch testen, grade so Sachen, in welchem Hörbereich, aber wenn es noch andere Sinne gäbe, – kann man nicht ausschließen. Aber wenn sie natürlich reagieren auf die Sachen, die wir auch hören, oder die wir denen vorspielen können, könnte man sagen: das ist schon relevant. … Oder?

RUE: So, wir haben eine ganze Reihe von Wortmeldungen, es geht dort hinten weiter.

SCH: Ich versuch mich mal kürzer zu fassen, damit mehr rankommen.

FRAGERIN: Also wenn nun so ne Grasmücke viele Gesänge oder Motive von andern Vögeln lernt und nachsingt, … dann könnte das ja auch son bisschen in die Richtung gehen. Also was wie son Nachdenken ist, hat das schon son Revierverteidigungssinn…

SCH: also Sie meinen jetzt so Vögel, die so mimicken können, so Vögel wie die Stare mit den Handy-Tönen, also es gibt ja Vögel, die machen nicht nur ihre eigene Art nach, sondern die machen alles Mögliche nach. Das ist ne super interessante Frage, da haben sich viele Leute drüber Gedanken gemacht, was soll das?! Und eine der Ideen ist: die zeigen einfach, wie virtuos sie sind, „kuck mal, was ich kann! Ich kann Jazz und Klassik, und Barock“, möglich, dass das irgendwie, weil es so toll und variabel ist, und so gut rüberkommt, es könnte, es gab so eine „beau geste“-theorie, dass der Vogel so tut, als ob … dass so ganz viele andere Vögel in seinem Revier leben, und die sagen: hier ist besetzt, da ist ne Grasmücke, und dann ist da auch noch n Kleiber, und dann ist da auch noch sonstwas, da gibt’s aber nicht soviel andere, das ist zwar ne gute Idee, hat nicht so gut funktioniert, in dem verfolgen, und spielen die damit, weil sie da einfach Bock drauf haben, das ist schwer zu sagen „nein“, aber es ist auch schwer zu wissen, welche Bedingungen würden das rauslocken. Also es gibt z.B. auch die Butcherbirds: die singen eben drei, vier Stunden lang diesen schönen melodischen Gesang, und plötzlich machen die alle möglichen Arten in ner ganz kurzen Zeit nach, – nicht immer! Das ist selten, aber sie tun das. Und dann fragt man sich: was hat denn da jetzt oben den Knopf angetriggert, dass die da jetzt fünf Arten nachmachen, was ist da der Auslöser, – weiß man nicht. Das machen die eher am Ende, ja. „Und das kann ich auch noch!“ (20:41) (Lachen)

FRAGERIN: … ist meine Frage schon son bisschen beantwortet. Sich eben Vogelgesänge son bisschen beeinflussen, verschiedene Vogelarten, die sie hören, andere Prioritäten haben, bzw. Forschung eben sagt, ich stimm mich jetzt auf Zebrafinken ein, wie die singen, was die fürn Takt haben, und dann mach ich per Computer – verschiebe ich das mal… Zebrafinken

SCHARFF: Wie lange findet n Zebrafink das noch zebrafinkig… (lachen) Ja,ja, die Forschung gibt es auch, das kann man so sagen, was ist es eigentlich, dass das als Arterkennungsmerkmal ausmacht, und dann kann man sagen, wir spielen jetzt hier mal mit so allen möglichen Sachen, also wir schieben das mal in der Frequenz hoch und runter, dann wird das mal höher und… oder wir machen das länger, und solche Froschung gibt es auch zu sagen: sind es jetzt eher die Noten, die wichtig sind, oder sind das eher die Pausen, oder ist das beides? Das ist wieder von Art zu Art unterschiedlich, und wie bei uns auch, wie man – was nicht mehr das gleiche… was nicht mehr ne Kategorie bildet, sagt: das ist jetzt was andres, unser Gehirn hat ne Tendenz, immer Kategorien zu bilden, und die Zwischentöne zu ignorieren, da gibt es auch schöne Forschung, z.B. bei Vokalen, also z.B. „daaa“ und „deee“, das kann man mit dem Computer so verändern, über viele Grade, dass es ineinander übergeht, dass es über „daaa“ über viele Stellen zu „deee“ geht. Wenn ich Ihnen das vorspiele, und sage, dass wir den Knopf drücken und wenn es „deee“ ist, den. Dann drücken Sie fast die ganze Zeit „daaa“, und irgendwann dann „deee“, aber die ganze Mitte, wo es also weder-noch ist, das hören wir nicht. Weil unser Gehirn das natürlich kategorisiert, denn wir wollen ja grade duuu als duuu hören, und diii als diii, weil alles, was dazwischen ist, ist ja kein Wort. Ne? (22:33)

FRAGERIN: (??)

SCH: Irgendwann sagen sie: Ne, das ist ja kein Zebrafinkengesang mehr.

Ja, aber das hängt wieder total ab von dem, was sie so machen in ihrem Leben. Also wenn da andere Vögel sind, die um die gleichen Ressourcen buhlen, z.B. um das gleiche Futter wollen, sie wollen ja nicht das gleiche Weibchen, oder das gleiche Männchen, die verpaaren sich ja nur in der gleichen Art. Es muss schon um was anderes gehen, um Nistmaterial oder Nistplätze, wenn die sich da in die Quere kämen, wäre es natürlich auch sinnvoll, wenn sie miteinander kommunizieren könnten, das tun die aber eigentlich nur… also artübergreifende Laute sind Warnrufe, ne? Die sind fast bei allen Vögeln ähnlich, das hat sich so entwickelt, die können sich gegenseitig hören, die können sie gegenseitig benutzen, wahrscheinlich ist das aber so, weil wenn man einen Warnruf machen will, dann muss der gewisse Qualitäten haben, den muss man zum Anfang nicht hören, dasmit der Feind das nicht lokalisieren kann, das kommt ganz ganz leise, wird das lauter, sssssssssssS und das ist n Laut, den andere Vögel hören können, aber der, vor dem man warnt, nicht. Deswegen sind die alle ähnlich wahrscheinlich, und deswegen können sie auch von allen Vögeln benutzt werden. Und selbst von andern, die zuhören. Aber meistens ist die innerartliche Kommunikation nicht so das, was die Evolution vorantreibt. Deswegen können wir auch vielleicht nicht mit Elefanten reden und nicht mit Schweinen, weil wir wollen mit denen ja nicht soviel kommunizieren (lacht). Bis wir das dann doch wollen…

RUE: Nur mal die letzten Wortmeldungen: …. (30:14) vier…

FRAGER: interessieren ziemlich alle Vögel? (Nein!) Ist da der Kranichschrei nicht angeboren, nicht angelernt. Und wie ist das da mit diesem FoxP2- Gen, betrifft das auch alle Vögel?

SCH: Genau, also nochmal zurück: nicht alle Vögel sind Vocal Learner, sondern nur im Moment bekannt drei Abzweigungen: die Papageienartigen, die Kolibris und die Singvögel. Bei den Singvögeln sind es viereinhalb tausend Arten, unterschiedliche Arten, die können alle singen; aber es gibt auch eben , den Kranich zum Beispiel, der lernt seinen Ruf nicht. FOXP2: gibt es bei allen Vertebraten, nicht nur bei uns, die wir sprechen lernen, oder bei Vögeln, die singen lernen, in allen möglichen unterschiedlichen Gehirnregionen, nicht alle werden wohl was mit diesem Laut machen zu tun haben. Die Idee, dass Menschen einzigartiges Verhalten wie Sprache – Musik oder was sonst nur wir machen, wenn es das gibt, von besonderen Genen kontrolliert werden, ist genetisch ehhh Nonsense – wie heißt das? ehh Quatsch! Also es gibt zwar ganz wenige Gene, die wirklich nur bei uns vorkommen, aber die Mehrheit der Sachen, die wir besonders machen, liegt dadran, dass irgendwelche neuen Zusammen…spiele passieren. Irgend n Gen plötzlich irgendwo anders im Kopf erscheint, also die Tatsache dass es FOXP2 überall gibt, heißt nicht, dass es nicht beim Menschen irgend ne besondere Rolle spielen könnte. Und zu spielen scheint. Ist das das Gen, mit dessen Hilfe wir Sprache evolviert haben? Sehr unwahrscheinlich! Deswegen ist es auch nicht das Sprachgen, also es gibt nicht ein Heureka-Gen, das plötzlich uns zum Menschen macht.

RUE: Nächste Frage…

FRAGER: Ja, zwei kurze Fragen: Zum einen zur Forschungslandschaft und dann eben auch zur Stille. (Zur Stille? Ja, sehr gut.) 26:20 Also Forschungslandschaft. Zu hören, dass ein Gutteil der publizierten Ergebnisse zur Forschung im englischsprachigen Raum abspielt. Wie sieht das aus mit der Einbindung z.B. der Kultur- und Sprachräume, die in sich z.B. Japanisch, Chinesisch, Koreanisch etc. sehr nuanciert vorgehen, dass diese Forschungen oder die Forschungen zu Vogelstimmen zur Wahrnehmung dann immer auch in der englischsprachigen Literatur geeignet sind. Das ist die eine Frage.

Die zweite Frage zur Stille. Es ist heute natürlich viel die Rede vom aktiven Kommunizieren. Sie sprechen auch an das Beispiel der Rhythmen, der Pausen, der Intervalle. Inwieweit ist bei Vögeln diese nicht-aktive Kommunikation, also die natürlich dann für die Kodierungen eigentlich mitgeteilt werden, nicht ganz unmaßgeblich, sozusagen eine aktive Zeit und zu welchen Momenten z.B. in Kompositionen, also in musikalischen Kompositionen (???)…

SCH: Erste Frage: Ist die Mitteilung der naturwissenschaftlichen Forschung auf meinem Gebiet und allgemein der naturwissenschaftlichen Forschung in englisch? Ja! Was hat das für Einflüsse darauf…? Ich hab jetzt nicht… Sie meinen nuanciert… weil der asiatische Sprachraum, der ja sehr vielfältig ist, – warum ist der nuancierter? (in der Sprache! Wenn man z.B. Japanisch mit Deutsch vergleicht, klassisches Beispiel: Schriftbild, unterschiedliche Phonetik, sozusagen 3, 4, 5 verschiedene Ebenen, die allein durch…) ah, durch die Prosodie (ja!) genau! Also es geht um diese Tondifferenz. Genau. Was hat das… Geht das, wenn sie in englisch publizieren verloren? Ist das die Frage?

FRAGER; Beziehungsweise – wird, werden Forschungen aus diesen Kulturräumen wir sprechen da nuanciert, artikulieren, wird das dann auch adäquat im Englischen abgebildet? Also in der Forschungsliteratur?

SCH: Aber ich glaube, da ist n gewisser Kurzschluss, weil z.B. die Tatsache, dass im Mandarin Chinese zwei verschiedene Worte, also Wortinhalte, nur durch die Tonhöhe kodiert werden, das heißt ja nicht, dass, was das Wort bedeutet, jetzt im Englischen nicht übertragen werden kann. Also das ist ja nur ne andere Kodierung, das ist zwar tonal nuancierter, aber semantisch, vom Inhalt her, ist es total gut ins Englische übertragbar. Die Frage ist natürlich immer: Kann man alle Sprachnuancen der verschiedenen Sprachen in der Welt adäquat in einer anderen Sprache ausdrücken? Ich glaube: nein, (können vielleicht besser drüber nachdenken) ehh, also das ist ja wurscht, die Tatsache, wie stark beeinflusst unsere Sprache, unser Denken – das ist n super kontroverses Thema, da gibt es viele Linguisten, die sagen, überhaupt nicht! Und da gibt es andere, die sagen: natürlich! – diese berühmten Worte für „Schnee“ bei den Inuit, das gar nicht stimmt, also da kann man sich stundenlang drüber unterhalten, – aber hier ist die Frage: Hat eine nuancierte Aussprache, eine nuancierte Kodierung von Sprache einen Einfluss dadrauf, in den Nuancen, was das mitteilen kann, geht da was verloren, wenn man es ins Englische überträgt, bin ich keine Experte, kann weder Japanisch, noch Mandarin, noch Kantonese noch irgendwas spreche, bestimmt, ich würde das einfach annehmen, jedes Mal wenn man was aus der eigenen Sprache, der Muttersprache. in eine andere Sprache überträgt, dann ist das nicht so nuanciert, es sei denn, man ist total bilingual, wie es sein könnte wahrscheinlich, spielt das in der Wissenschaft eine Rolle, ich glaube nicht, weil da sind wir so grob, da hauen wir mit großen, dicken Hammern auf Sachen drauf, vielleicht nicht in der Philosophie, aber in der Naturw …. (Abbruch des Aufnahme-Takes) 30:14 (Niederschrift nach der Tonaufnahme: Jan Reichow).

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Aus dem Leben einer Forscherin (2)

Constance Scharff (SCH)  im Interview mit Michael Rüsenberg (RUE) 

SCH: … selbst bei den Arten, wo die Weibchen nicht singen, wie bei unsern Zebrafinken, da kann man mit ner kleinen Hormongabe, wenn die gerade geschlüpft sind und noch ganz winzig, dann kann man denen kleine Hormon-Pellets einbauen, und dann werden deren Gehirne plötzlich zu Männchengehirnen. Und dann hat man einen weiblichen Vogel, und die singt dann wie n Männchen. Weil alles, was man zum Singen braucht, da oben mit relativ wenig experimenteller Manipulation losgetreten werden kann, so dass dann die ganz hide ware (?), der ganze Schaltkreis dann da ist. Das spricht dafür, dass alles angelegt ist, nur manchmal nicht umgesetzt wird.

RÜ: Das heißt also: wenn Weibchen auch singen – kann man von dieser Funktion „den-andern-anlocken“ eigentlich noch ausgehen oder locken die ihrerseits auch?

SCH: Da sind relativ wenige Arten untersucht, wo Weibchen und Männchen singen. Da wo sie das tun, z.B. das Rotkehlchen bei uns, das ist der einzige Vogel, der das bei uns macht, da verteidigen sie gemeinsam ihr Revier. Wie stark die Männchen die Weibchen aussuchen danach, ob sie singen und wie gut sie singen, ist noch relativ unterbelichtet. Weil überhaupt in den Arten, wo die Weibchen mehr zu verlieren haben in Bezug auf Investition, – das ist ja in der Biologie immer so: wer wählt stärker aus? Der Partner, der mehr investiert. Das ist bei den Säugetieren das Weibchen, denn das trägt die Tiere aus, da kann sie nicht so schnell rennen, wird eher gefressen, dann muss sie die auch noch säugen, das ist alles super kostspielig, biologisch gesehen, also ist sie auch wählerischer. Bei den Tieren, wo das so ist, da wurde bis jetzt eigentlich vernachlässigt, dass die Männer trotzdem mitreden. Das Weibchen hat sozusagen das Erstwahlrecht, weil sie die teueren Eier produziert, und weil sie hinterher irgendwie sich drum kümmern muss; aber die Männchen reden schon mit. Und das ist n Forschungsfeld, das erst in den letzten Jahren gekommen ist. Also wie stark sind Männchen an Weibchensongs interessiert, da …. können Sie n Doktor drauf machen. (Lachen)

RUE: Also, jetzt tret ich nochmal n Schritt zurück, und das ist für mich, als Besonderheit mich mit dem Thema zu beschäftigen, ne Überraschung gewesen, – Sie haben schon die Unterscheidung gemacht: Singvögel und Vögel. Es gibt, korrigieren Sie mich: 9000 Vogelarten, wenn ich es recht sehe, aber nur 4000 davon sind Singvögel: was macht denn die Mehrh…

SCH: Nur??? Das ist ja erstmal knapp die Hälfte, das ist ja ne Menge, – warum lernen einige Vögel ihre Gesänge nicht? Ist das die Frage?

RUE: Das heißt… (Lachen) nein, das ist nicht meine Frage. Da sind ja viel zu viel Voraussetzungen drin. Meine Frage ist: Warum kommen 5000 ohne Gesang aus? Wie balzen die denn? Wir sagen doch immer: die Singvögel balzen. Was machen denn die andern? Singvögel sind in einer wenn auch kleinen Minderheit.

SCH: Wir wollen mal gemeinsam singen, wir singen mal was gemeinsam, dann hören wir uns die an, die vielleicht nicht so ganz gut affiniert sind im Ton, n bisschen schräg im Ton, und fragen, ob die auch n Partner gefunden haben (Lachen). Es gibt ja noch andere Qualitätsmerkmale als den Gesang. Es gibt unglaublich viele Sachen, wonach Tiere sich aussuchen. Die singen zwar, aber vielleicht ist die Qualität des Gesangs gar nicht so ausschlaggebend, sondern es ist eher das Gefieder, die Buntheit, wie gut die tanzen können, wie sie fliegen können, das sind alle möglichen Sachen, (der Pfau!) ja, der Pfau, der braucht nicht singen, der hat andere Qualitäten. Vielleicht … (3:32)

RUE: Gehört der überhaupt zu den Vögeln?

SCH: Zu den Vögeln, aber nicht zu den Singvögeln. Aber es gibt ja auch Vögel… die Singvögel müssen das lernen, die Papageienartigen und viele Arten, die Kolibris, das sind ja Vögel, die sind ja geboren, ohne dass sie genau schon wissen, was sie später singen werden. Die müssen das so lernen wie wir. Das ist ja auch der Grund, dass wir denen an den Kragen gehen, weil es wirklich wenige sind, deren Gehirn in der Lage ist, Geräusche zu hören, zu identifizieren: das ist meine Art, denn wir machen ja Menschensprache nach und nicht Hundequieken, das ist meine Art, so will ich reden, – das dann von Babbeln zu modifizieren, bis irgendwann mal „Mama, Papa, Milch, Auto, Hund, ich möchte“ kommt, das – und Singvögel machen das auch -, das ist der Grund, weshalb wir daran so interessiert sind. Nicht nur Jazz. Manche Vögel singen, ohne dass sie das müssen, die haben das angeboren, so wie Hunde, und Katzen, die das angeborenerweise wissen, wie man miaut.

RUE: Das heißt, es gibt also unter Vögeln, unter 9000 Arten eine unglaublich breite Variation. (Ja!) Und diejenigen, die nicht singen, haben die denn die Grundlagen dafür, und die singen nicht, weil sie es nicht brauchen, oder wie ist das zu verstehen?

SCH: Ja, – nochmal zurück: bei den Singvögeln singen Männchen und Weibchen häufig beide, aber oft auch das Weibchen dann nicht, da gehen wir inzwischen davon aus, oder ich gehe inzwischen davon aus, dass das eigentlich angelegt ist, rudimentär noch existiert, genetische … Architektenpläne, das Gehirn hat eigentlich die Kenntnis dafür, aber sie wird nicht benötigt, also wird sie auch nicht ausgeführt. Das sind die Singvögel. Bei den andern Vögeln, die ehh auch nicht ihre Laute lernen und teilweise auch keine Laute groß machen, da weiß man sehr wenig über deren Gehirne, da hat man auch noch nicht viel gekuckt. Viele Vögel können, auch wenn sie noch keine Gesänge machen, sich mit andern Lauten verständigen, sie machen Rufe zum Beispiel. Und da ist die Annahme, dass so wie bei Primaten – außer uns können ja sonst keine Affen so elaborat gelernt kommunizieren wie wir – dass es ältere Gehirnteile gibt, locker gesagt, die eben diese Laute, die mehr für „Feind“, „Futter“, solche Sachen existieren, dass die angelegt sind bei allen Wirbeltieren, würde ich mal sagen, und dafür da sind, dass das Überleben garantiert ist. (6:15) Darauf aufbauend ist dann so diese Sahnehaube.

RUE: Ich möchte diesen Teil so langsam abschließen mit einem Gedankensprung von unserm letzten Gast Kurt Gerhard, der war am 16. März hier. Kurt Gerhard, ein pensionierter WDR-Moderator, der sich engagiert in Afrika auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe, aber ein großer Kritiker der organisierten Entwicklungshilfe ist, und der wird wie auch Frau Scharff heute immer gebeten, einen Gedankensprung, eine Frage an den nächsten Gast zu richten. Und Kurt Gerhard lässt Sie also folgendes fragen. Erstmal, als ich ihm das Thema nannte, kam er sofort auf die „Kraniche des Ibykus“ von Schiller: „Von euch, ihr Kraniche, dort oben, wenn keine andre Stimme spricht, sei meines Mordes Klag‘ erhoben, er ruft es, und sein Auge bricht.“

Der ist ja gestorben, der Ibykus, und der Kranich ist dabeigewesen, und die Frage, die er mit diesem Zitat verbindet, er hat es eingeleitet: Es gibt so viele schöne Vogelstimmen, und dieses fürchterliche Gekrächze der Kraniche und der Krähen – sind die zu kurz gekommen oder was?

SCH: Fürchterlich ja nur wieder nach Schillers Ohr. Also wir können halt nicht aus unserm Raster raus. Und wir finden das fürchterlich, aber die Kranichfrau findet das vielleicht super attraktiv, so wie inzwischen auch Musik perzipiert wird, die für die Nicht-Eingeweihten als erstes mal fürchterlich klingt. Und wenn man sich das erstmal lange genug anhört, dann hört man da Nuancen, und findet eben auch zum Beispiel Krach interessant. Wir sind ja flexibel in dem, was wir schön finden. Abhängig davon, wie wir groß geworden sind, sozialisiert worden und wie offen wir sind für Neues, ist „schön“ sehr sehr unterschiedlich ausgeprägt.

RUE (8:10): Das Interessante, – wir haben eben darüber diskutiert im Vorgespräch -, das Einzige, wo wir inhaltlich diskutiert haben, – normalerweise machen wir das nicht, müssen wir nicht die Inhalte vorbesprechen, – war nämlich der deutsche Name für den Butcherbird, der ja so wunderbar singt und klingt, Würgerkrähe, da haben Sie herausgefunden, dass der in der Taxonomie der Vögel nicht zu den Krähen gehört, sondern ein rein deutscher Name ist. Hätte man ja hier in Verbindung bringen können. Dann fällt mir noch was ein, Bernie Krause hat ja auch mal hier einen großen Vortrag gehalten, der im Museum König – heißt das so? – genau, der hat ja so n Buch geschrieben, wo die These drinsteht, dass also sozusagen die Welt eine Sinfonie ist, und die Behauptung, die er macht, – Frage an Sie jetzt, ob das zutreffend ist -, die Tiere sozusagen in diesem ganzen Schwall an Klängen, diesem Orchester, wie er es nennt, sich sozusagen mit ihren Klängen ihren Platz suchen. Da gibt’s Leute, die sagen „Quatsch, jeder singt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist“, und sozusagen der Gesamtklang, der sich formt, ist ein Zufallsprodukt. Sie würden sagen, die Leute suchen sich…, die Vögel suchen sich akustisch eine ökologische Nische…

SCH (9:18): Also es gibt dazu zwei Antworten, und die sind komplementär: die strikte naturwissenschaftlich, sozusagen verhaltensökologische Antwort, und die ist gut untermauert, ist, dass Vögel, dass Tiere im Urwald sich wirklich ne Nische suchen, zwar evolutionär gesehen, die sind also nicht in der Lage zu sagen, heute singe ich mal hier und morgen singe ich mal in der Tonlage, aber die Frösche z.B.: gewisse Frösche sind adaptiert, die neben nem Wasserfall leben, nicht da zu quaken, wo der Wasserfall-Dezibel-Grenzbereich ist, das wäre ja auch nicht sehr sinnvoll, denn der Frosch quakt, wo die Froschfrau ihn findet, und wenn er jetzt von dem Wasserfall maskiert wird, dann findet die Frau ihn nicht. Also singt.. hat er langsam über die vielen Generationen der Evolution ein Quaken entwickelt, das da hörbar ist. So, das ist die unbestrittene naturwissenschaftliche Antwort auf : es gibt Gründe, warum Tiere so singen oder so Laute machen, wie sie das tun. Zum Beispiel die Meise in der Wüste singt anders als die Meise im Laubwald, weil die Töne in der Wüste sich anders fortsetzen können als im Laubwald. So, jetzt ist die andere Frage, gibt es auch möglicherweise noch andere Prinzipien, die ne Rolle spielen, wie unterschiedliche Arten oder selbst in der gleichen Art Tiere miteinander Musik machen. Und das ist im Großen und Ganzen noch nicht gut untersucht, zum Beispiel wird immer gesagt: es gibt die Nachtigallen, da singt die eine, da singt die andere, das ist klar, dass die miteinander kommunizieren, in der Art und Weise, wie sie auch ihre Melodien auswählen, kann man zeigen. Zebrafinken scheinen vorwiegend so vor sich hinzusingen, entweder n Weibchen an oder man weiß nicht warum, aber keine hat gekuckt, ob es z.B. Prinzipien gibt, wie eine Gruppe von zehn Finken miteinander singt. Und das ist auch gar nicht so einfach, wenn man zehn 2 Sekunden singende Roboter produzieren würde, die alle mehr oder weniger willkürlich was produzieren, dann würden die irgendwann auch so aussehen, als ob sie was zusammen tun. So ähnlich wie wenn wir alle anfangen zu klatschen: zu Anfang ist das ne Kakophonie und nach ner Weile schwingt sich das so ein, ohne dass wir das unbedingt merken. Ob solche Sachen auch in Tierverbänden z.B. im Urwald passieren, hat noch keiner gekuckt. Teilweise weil es die Methoden auch gar nicht dafür gab, heute könnte man da 7 Stunden am Tag oder 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche (11:41) alles aufnehmen, „big data“ heißt das heutzutage, mit sehr viel Computerauswertungskraft kucken. Aber sie wissen es nicht.

RUE: Es bleibt ne Künstlerthese einstweilen…

SCH: Ja, aber eine, die durchaus interessant wäre, sich mal anzukucken.

RUE: Ja, wir wollen den zweiten Teil nochmal einleiten mit einem sehr sehr schönen Vogelsound, der kommt aus Brasilien, der Vogel, und der heißt Oropendula.

KLANGBEISPIEL OROPENDULA 12:07 bis 13:05

RUE: Kannten Sie den Klang?

SCH: Ja! (Und?) Also: warum interessieren den Menschen manche Vögel mehr als andere? Dann, wenn Sie was damit anfangen können, es klingt, als ob er ne Tonleiter macht, das fasziniert dann Leute, die sagen: das ist doch Musik! Und es hat vor noch nicht langer Zeit ne Analyse gegeben: wie gut ist denn die Tonleiter? Und die Veröffentlichung sagt: die ist nicht so toll. (Lachen) Aber das ist ja die andere Sache, dass … also… wenn ich etwas ziemlich falsch singe, aber es ist ne bekannte Melodie, dann hören Ihre Gehirne trotzdem, was sie hören wollen. Und das ist bei uns mit Vögeln im Prinzip auch möglich. Es klingt tonleiterartig, und auch wenn das keine perfekte Tonleiter ist, dann ist es immer noch ne Tonleiter für uns. Und das ist natürlich… auch so jemand, der n Saiteninstrument spielt, es muss ja nicht unbedingt ne Tonleiter sein, man wird immer noch sagen, ja, ist okay, irgendwann ist es dann: au nein! Aber es gibt ja immer noch ne Variabilität, was wir zulassen als Musik und was wir nicht zulassen. Und.. es klingt super. Und die andere Sache, die man auch dran aufhängen kann, und wir auch n bisschen selber forschen, erstaunlich, wie wenig Leute sich über die Rhythmik bei Vögeln jetzt Gedanken gemacht haben. Also…dieses jjjjjjjjjup … das sagt Hollis immer: die haben auch ein rhythmisches Gefühl, die so synkopisch Zebrafinken auch, synkopisch, dass da ne Menge (14:37) in der zeitlichen Abfolge passiert. Und es hat trotzdem bis jetzt – also wir waren die ersten, die überhaupt gekuckt haben. Gibt es möglicherweise einen stetigen… nicht Takt im Sinne von „wir hören den Takt“, sondern eine isochrone Einteilung der Zeit, bei Zebnrafinken. Und dann haben wir uns gesagt „warum soll das so sein“ warum synchron, warum gleichmäßig, es gibt ja soviel verschiedene Rhythmen, Bingo! Die Vögel, wenn man sich nur mal so die Notenanfänge ankuckt, dann sind die sehr sehr regelmäßig, auf ner sehr kleinen Ebene, die machen mal ne Note, die ist 5 Takte lang, und mal ne Note, die ist 2 Takte lang, ne Pause, die ist 4 Takte lang, hätte man nie erwartet, muss man sich ankucken. Da ist glaube ich noch ganz ganz viel Platz für interessante Parallelen mit menschlicher Musik und Rhythmen in Tier-Äußerungen, und wenn man drüber nachdenkt, wofür ist das überhaupt da. Wir leben alle – obwohl Zeit ein Konstrukt angeblich ist – wir müssen uns mit der Zeit abfinden, und unsere ganzen Bewegungen und alles was wir tun hat zeitliche Komponenten, und unser Hirn schwingt in verschiedenen Zeitabfolgen, was wir so tun, ist wahrscheinlich ne Reflexion davon, dass es n relativ regelmäßigen Rhythmus wie unsern Herzschlag und all diese Dinge gibt. Warum sollten Tierlaute nicht auch in solchen zeitlichen regelmäßigen Wellen organisiert sein?

(16:03) RUE: Wir haben uns viel jetzt mit ästhetischen Fragen beschäftigt, teilweise biologische auch schon gestreift, ich möchte gern nochmal, oder überhaupt erstmal auf die Grundfragen gehen: Warum betrachten wir das überhaupt, warum beschäftigen wir uns damit, was haben wir gemeinsam? Andersrum gefragt: Vögel haben ja die … nicht nur die Möglichkeit sondern die Grundäußerung, die wir als musikalisch betrachten, sondern sie haben damit auch die gleiche Anlage wie wir, sagen wir, der Vokaltrakt, der ist bei Vögeln, wenn ich das richtig verstehe, ganz ähnlich wie beim Menschen, und dann kommen wir später auch dazu, was Sie da interessiert, was da auch für Rückwirkungen auf möglicherweise Krankheiten beim Menschen gibt, dass man die sozusagen am Vogel studiert, beim Menschen korrigieren kann. Ist es richtig, dass wir mit den Vögeln diesen Apparat, diesen Vokalapparat der Lautäußerung teilen?

SCH: Also, unhöflich gesagt: Nein (lacht), also, nicht ganz so, – was braucht man, damit man Laute machen kann, so wie Hören, das muss ins Gehirn rein, man muss produzieren, Laute machen können, das muss aus m Gehirn raus, zum Stimmapparat, der Stimmapparat muss irgendwas haben, was – in unserm… in beiden Fällen – da haben Sie recht – ist schwingende Membran, wo die Luft beim Durchfließen durch das Schwingen andere Tonhöhen geben, beim Vogel gibt es zwei Schallquellen, der hat im Gegensatz zu unserem Larynx hat der … zweimal vibrieren die Membranen, und wir haben nur eine, deswegen können Vögel, also Singvögel auch zweistimmig singen, die können mit dem… das heißt Syrinx beim Vogel, nach dem Pan und Syrinx aus der griechischen Mythologie, die können mit dem einen Syrinx, einer Syrinxhälfte, einen Ton machen und deswegen auch ganz schnell abwechseln, also der Syrinx und der Larynx, die sind relativ anders, die Vögel haben auch einen Larynx, die machen aber da keine Musik mit. Jetzt in Bezug auf die Gehirne wurde früher immer angenommen, die sind ja so anders, weil das sind ja keine Säugetiere, und da kann man also überhaupt nichts vergleichen. Dann ja Erich Jarvis, den Sie vorhin schon erwähnten, und Kollegen herausgefunden, dass die Reizleitbahnen im Gehirn, als da, wo tatsächlich auch die Töne dekodiert werden, also analysiert werden, alles was ich so höre, und wo sie komponiert werden, kodiert, wie die Neurowissenschaftler sagen, dass da erstaunliche Ähnlichkeiten sind. Das heißt so die Logik und wie aus dem Gehirn Töne produziert werden, vom Ingenieursprinzip her, da sind wir sehr ähnlich. (18:39) Und da haben auch die Singvögel wirklich ihre Nische, denn die beliebten weißen Mäuse, die sonst so Neurowissenschaftler forschen, die machen zwar auch Laute, die können auch singen, aber die werden nicht gelernt. Aber deswegen haben die auch nicht diese Schaltkreise im Gehirn, mit denen wir lernen und mit denen Vögel lernen, und wenn man rauskriegen will, wie sowas Lernen auf ner Einzelzellebene funktioniert – also wie macht denn so ne Nervenzelle das eigentlich, oder ne Hundertschaft von Nervenzellen, dann kann man aus den Vogelgehirnen – und idt über die letzten 30, 40 Jahre auch wirklich maßgebliche und bahnbrechende Befunde rausgekommen: wie macht n Gehirn das, dass es was hört und dass es das dann nachmachen kann? (19:10)

RUE: Das haben Sie schon angesprochen, das sind also Vocal Learners, etwas ganz Entscheidendes, dass der Vogelgesang, also die Lautbildung sg ich mal lieber, bei Vögeln und beim Menschen gelernt wird, und wenn man, wenn ichs richtig sehe, Vögeln eine Lernquelle abklemmt, gewissermaßen, dann lernen sie das auch nicht, dann bleibt diese Fähigkeit … liegt die brach.

SCH: So ist es, ja! Also das…, ich weiß nicht, ob Sie in diese Richtung gehen, das ist also auch da, wo erstaunlicherweise Singvögelforschung und menschliche Sprechen-Kapazität, also das ist es, woran wir forschen, sehr parallel sind, weil ein Gen ist, das, wenn es mutiert ist beim Menschen, dazu führt, dass die nicht richtig reden können, wenn wir das bei Vögeln experimentell manipulieren, dann können die auch nicht richtig singen lernen, und zwar in erstaunlich ähnlicher Art und Weise. (20:12)

Also diese Menschen, die die Mutation haben, inzwischen relativ viele von inzwischen auch eine große Familie, andere Individuen, die sprechen sehr sehr undeutlich, das kann man sich auf den Videos ankucken, man kann die verstehen, wenn man sie kennt, aber wenn man sie nicht kennt, versteht man sie erstmal nicht, sprechen erstmal sehr undeutlich, sehr einfache Sätze, das was sie sagen, ist viel variabler als bei uns. Wir reden ja auch variabel, ich sag (unterschiedlich im Ton:) heute, heute, heute, heute! Und es ist für Sie immer noch „heute“, aber es gibt halt auch Leute, die dann so variabel reden, dass man das nicht mehr versteht. (ganz dumpf:) heute. (ganz hoch:) heute. Und diese Patienten haben genau das Problem, dass sie variabler sprechen, einfacher und sehr undeutlich. Und wir haben dieses Gen bei Vögeln manipuliert, die Vögel singen weniger Noten, die, die sie singen, singen sie schlechter imitiert, und wenn sie die gleiche Note zehnmal singen, singen sie sie variabler, als es normal ist bei Zebrafinken. Das hätten wir nie erwartet, dass wir so eine Ähnlichkeit finden, und das erlaubt es uns dann, seit dem letzten… das haben wir 2001 gefunden, in den letzten 15 Jahren tatsächlich sehr sehr mechanistisch reinzugehen und rauszukriegen: was ist denn das nun mit dieser Mutation bei den Menschen, was ist denn da kaputt? Warum funktioniert die Zelle nicht so? Und im Endeffekt ist das nicht der Anlass gewesen, warum ich Vogelforscherin geworden bin, aber man findet dann Sachen, die es einem ermöglichen zu sagen, ja vielleicht können wir tatsächlich beim Menschen was bewirken. Zum Beispiel: wusste man, als diese Familie zu Anfang besprochen, also gefunden wurde, nicht: ist das primär ein Entwicklungsdefekt, dass das Gehrin sich nicht richtig entwickelt, im Uterus schon und als Kleinkind, oder ist das n Problem, dass wenn die Sprache gelernt wird, nicht die richtigen Lernprozesse stattfinden können? Und unsere Forschung hat dann gezeigt, dass es wahrscheinlich beides ist, auf jeden Fall auch das Lernen selbst durch diese Mutation beeinträchtigt ist. Wenn man erstmal weiß, was die macht, könnte man sagen, man kann wenigstens beim Lernprozess selber möglicherweise nachliefern, und das Dopamin, das Sie vorhin erwähnt haben, von Erik Travis, das uns glücklich macht, ist auch n Botenstoff, der beim Lernen extrem wichtig ist, weil er sagt „richtig gemacht, richtig gemacht“ zu den Zellen, zwei Zellen machen was richtig, und n kleiner Dopaminstoß kann denen möglicherweise sagen, dass die das auch weiter richtig machen sollen, und dieses Gen, das heißt FOXP2, spielt ne Rolle im Dopamin….schaltkreis. Global gesagt. Also da wo Dopamin ne Rolle spielt, spielt dieses Gen auch ne Rolle.

RUE: Das würde ja bedeuten, dass man über dem Umweg der Vögel (22:50) was über den Menschen gelernt hat.

SCH: Auf jeden Fall gelernt hat, im menschlichen Gehirn vorhersagen, wo man noch kucken sollte und was man postulieren sollte, was da möglicherweise kaputt sein soll.

RUE: Noch ne andere Gemeinsamkeit zwischen klassischen Vögel und Menschen: das Tanzen. Das können andere Tiere wie z.B. Affen nicht, die können auch gar keinen Beat erkennen,

SCH: das ist jetzt kein Tanzen…

RUE: dass Affen, die können keinen Beat erkennen, weil sie den Beat nicht vorwegnehmen können. Jetzt tue ich so, als wenn ich son Schlauer wär, (Lachen) nein, aber Beat-Erkennen heißt ja Beat vorwegnehmen, und Affen nehmen jeden Schlag in einem 4/4-Takt als ein Einzelereignis wahr, das unabhängig ist von dem davor und dem danach, und wenn ich mich recht erinnere, haben im 19. Jahrhundert, ich glaub, zwei Deutsche, festgestellt, dass Beat erfassen antezipieren. Aber ich wollte auf diesen andern Bereich, weil der auch ne Anwendung auf n andern Bereich hat, vielleicht auf Krankheiten beim Menschen, Vocal Learners, haben: d.h. irgendwo muss das ja mit der Motorik zusammenhängen.

SCH: Also, gehen wir nochmal zurück: weil, das ist superwichtig zu sagen: wo kommen denn solche Befunde her: Affen können keinen Beat erkennen, ja? Was wissen wir wirklich? Wir wissen, dass im Gegensatz zu andern Tieren Affen, wenn man ihnen menschliche Musik vorspielt, oder Töne präsentiert, nicht automatisch mitschwingen. Wohingegen gewisse Tiere das machen, also der berühmte Kakadu – ich weiß nicht, ob Sie den kennen. Snowball, dem spielt man irgendwelche Popmusik vor, und ob er das spontan macht oder ob man es ihm beigebracht hat, aber er kann sich drauf einlassen, dass er mitschwingt, und zwar richtig. Man kann die Musik schneller machen, und dann springt er schneller mit. Sowas (RUE er macht ja sogar …) genau, und wenn er rauskommt, dann macht er ganz toll, dann macht er so kurz mal ehhhh, wumm, also wieder genauso wie in der Tanzschule, also wenn man rauskommt … irgendwie und dann geht’s wieder los, und das macht Snowball auch, d.h. Der kann spontan mitschwingen. Dann gibt es andere Tiere, denen man das beibringen kann, am Anfang mit n bisschen Belohnung, sagen: du sollst bitte mit dem Beat mitmachen, und wenn sie das kapiert haben, was sie machen sollen, zum Beispiel Seelöwen, – Affen, mit denen ist bisher erst ein Versuch gemacht worden, wo man versucht hat ihnen beizubringen, immer wenn ein Ton kommt, dann machst du bitte n Tipp, Tipp, tipp, und wenn der Ton aufhört, dann machst du im richtigen Takt tipp tipp weiter. Davon ist jetzt die Take-home-Message, also was wir über alle Affen denken: die können keinen Beat erkennen, ne? Also: bis jetzt wissen wir nur, dass sie das nicht spontan machen, und dass sie nicht besonders gut sind in diesem einen Experiment. Nehmen wir mal an, das ist wahr, Affen können das nicht, gewisse Vögel können das: hat das jetzt was mit diesem Vocal Learning zu tun? Das ist ne These, die aufgestellt worden ist, die ist von Anipatel, weil halt der Kakadu, der auch n Vocal Learner ist, das konnte, hat der gedacht, ach, dann hat das bestimmt damit zu tun, dass der auch Laute nachmachen kann, also ein Vocal Learner ist. Jetzt gibt es zunehmend Forschung, wo man versucht zu hinterfragen, und z.B. Zebrafinken, die können super Laute nachmachen, die lernen ihren Gesang vom Vater, die können auf jeden Fall, wenn man ihnen beibringt, tipp mal, das können die auch nicht besonders gut weiter mitmachen, aber sie tippen, wenn der Ton aufhört, noch zweimal weiter, mehr oder weniger im richtigen Takt. Die Frage ist natürlich, was wir damit… was wollen wir da rauskriegen? (26:20) Wollen wir da rauskriegen, ob Gehirne im Prinzip in der Lage sind, Zeit vorauszusagen, wenn es ne Tonzeit ist, dann ist es ne sehr interessante Forschung. Wollen wir herauskriegen, warum manche Tiere so elaborat tanzen, es gibt tolle Tänze bei Vögeln, die Flamingos, die sich gegenseitig … solche Tänze machen und synchron funktionieren. Es gibt den Lyra Bird in Australien, der macht auch Supertänze, es gibt Finken in Japan, die machen so schnell mit ihren Füßen auf der Stange, dass man das mit menschlichem Auge gar nicht sehen kann, man muss das mit der Kamera aufnehmen, mit ner schnellen Kamera, dann runterspulen und plötzlich sieht man, dass die den hier machen (….), und dass die Weibchen auch wieder zukucken, – es ist nicht so überraschend, dass so etwas existiert, weil häufig wird in zwei Kanälen kommuniziert, also Sprechen, Kucken, Sprechen – Bewegung ansehen, Sprechen und Riechen, also die Biologie hat das so angelegt, dass häufig ne wichtige Nachricht in mehr als einem Kanal rübergebracht wird. Und deswegen sehen Vögel bunt aus und singen, traditionell wurde immer gesagt, Geruch ist bei denen nicht so wichtig, das ist gar nicht wahr, die können auch ziemlich gut riechen, vielleicht kriegen wir da auch noch demnächst raus, dass da Pheromone ne Rolle spielen, wir wissen jetzt schon, dass Vögel ihre Jungen teilweise am Nest erkennen können durch Riechen, die Sinne Hören, Sehen, Riechen, Spüren, die werden häufig parallel benutzt, und Tanzen ist eine der Versionen, die man an denen man wieder zeigen kann, was man so kann…

RUE: Was Sie da sagen, zeigt ja die Vorläufigkeit der Erkenntnisse…

SCH: Auf jeden Fall…

RUE: man sozusagen als Laie … produziere, weil sie ja für mich sehr einleuchtend sind, argumentativ ganz gut untermauert sind, aber dem berühmten Patel ist ja durch den Seelöwen nun auch schon widersprochen worden. (Genau!) und konnte trotzdem den Takt halten. Das ist ja das Spannende daran, dass es in der Naturwissenschaft Fortschritt richtig gibt, nicht nur Wandel, sondern auch Fortschritt, nämlich dass Erkenntnisse von gestern ad acta gelegt werden.

SCH: Ja, das zeigt natürlich auch: wir sind alle Menschen, auf die Art und Weise, wie wir uns profilieren, indem wir was Neues erfinden und ne neue These, – also wir haben nen Befund, und dann machen wir da gleich ne Theorie draus, und die Geisteswissenschaftler machen das auch, die haben auch permanent neue Ideen, wie man alte Sachen neu verkaufen kann, und dann steht man plötzlich für eine Idee, eine These, und bei jedem Paper, – die Leute, die besonders daran interessiert sind, dass die mit ihrem Namen da stehen, kommen dann gleich immer ne neue … ach, habe ich nen tollen Namen, noch ne neue Theorie. Und das ist erstmal toll, weil man dann ahhhh! „nur Vocal Learner können tanzen!“ so, und dann kommen die nächsten Paper, „ist ja Blödsinn“, dann sind wir aber trotzdem draußen mit dieser tollen These, das dauert dann noch zehn Jahre, bis sie sich durch die Presse und durch die populärwissenschaftliche Sache durchgepflügt hat, dass das gar nicht mehr stimmt, das ist nicht ihr Fehler, aber das ist natürlich… so ist Wissenschaftspolitik, halt.

RUE: Ziehe ich daraus den richtigen oder falschen Schluss, dass hier nicht heute abend schon ein Buch von Ihnen zu dem Thema gibt…?

SCH: Das ist schon richtig, ich finde… ich liebe Bücher, besonders gute. Und ich bin auch begeistert davon, wenn gute Wissenschaftler ihre Wissenschaft gut erklären können. Ich weiß, dass das auch n großer Markt ist, es wäre wahrscheinlich beinah ein Lebenswerk, das so zu machen, dass [….] ENDE [30:04] Niederschrift nach der Tonaufzeichnung. Jan Reichow.

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Aus dem Leben einer Forscherin (1)

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Die Berliner Naturwissenschaftlerin und Verhaltensbiologin Prof. Dr. Constance Scharff war also zu Gast in der Reihe „Gedankensprünge“ von Michael Rüsenberg. Am 4. Mai 2017 in der Buchhandlung buchladen 46, Kaiserstraße 46 53115 Bonn. Thema: Vogelstimmen. Mein bevorzugtes Thema. Ich war dort und fand den Abend faszinierend. Einen so ungeschminkten Einblick in ein Forscherleben habe ich noch nie miterlebt: unprätentiös, ideenreich, uneitel, sprachlich dicht am Zuhörerkreis, ohne den Ehrgeiz, druckreif oder kongressgerecht zu formulieren. Zuweilen hatte man den Eindruck, als sei man unmittelbar Zeuge bei der Entstehung  von Gedanken und Assoziationen, die zugleich relativiert oder unterbrochen werden – im realen Prozess des Nachdenkens. Das sollte man bedenken, wenn man all dies schwarz auf weiß vor sich sieht; der Skribent, der den Vortrag im Ohr hat, fühlt sich nicht berechtigt, den Text zu redigieren, Wortwiederholungen zu tilgen, Wortfindungsprozesse zu glätten, saloppe Wendungen zu nobilitieren, – es gehört alles zur Lebendigkeit der Situation. Um dies in Erinnerung zu halten, sind auch die allgemein üblichen phonetischen Verschleifungen („-nen“ statt „einen“, „kucken“ statt „gucken“) wiedergegeben. Man denke sich auch Unterschiede im Sprechtempo hinzu, Zögern, Beschleunigen, beiläufig Nachgetragenes. Keine Lehrveranstaltung, obwohl es unendlich viel zu lernen gab. Es war dieser inspirierende Gesamteindruck, der mich veranlasst hat, viele Stunden mit der Niederschrift zu verbringen. Mir könnten dabei Hör- und Verständnisfehler unterlaufen sein, – aber mein Vorsatz war, so getreu wie möglich die Denkweise einer Wissenschaft nachzubuchstabieren, von der man wenig ahnt, wenn man sich dem Vogelgesang hauptsächlich im Garten oder bei Wanderungen in der Natur widmet. – Dieser Text erscheint in vier Teilen, vielleicht aber nicht unmittelbar hintereinander. Und (mit weiteren Korrekturen und einzufügenden Links) als work in progress … alle noch vorhandenen Fehler gehen natürlich auf mein Konto. Die eingefügten Zeitangaben dienten der Orientierung innerhalb der Originalaufnahmen, die mir Michael Rüsenberg freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. (Jan Reichow)

Zebrafink Taeniopygia_guttata Foto: WIKI Maurice van Bruggen 2009

RUESENBERG:

0:57 Herzlich willkommen, Sie sind Naturwissenschaftlerin, Sie sind Verhaltensbiologin, und es gibt ja so eine schöne unterschiedliche Charakterisierung, zwischen Geisteswissenschaftlern und Naturwissenschaftlern. Von den Geisteswissenschaftlern heißt es ja immer, sie lieben ihre Gegenstände, das heißt also, der Goethe-Forscher interessiert sich für Goethe, er liebt, er schätzt Goethe. Bei den Naturwissenschaftler ist das aber ganz anders: man kann nicht sagen, dass derjenige, der den Regenbogen studiert, den Regenbogen auch wirklich liebt. Was ist mit den Zebrafinken bei Ihnen, lieben Sie die Zebrafinken oder haben Sie da ein völlig neutrales Verhältnis zu denen?

SCHARFF:

1:41 Also ich würde zwei Sätze zurückgehen und sagen, das hängt davon ab, wie man Liebe definiert, und ich bin auch nicht sicher, dass der Regenbogenforscher nicht den Regenbogen liebt. Ich glaube, der Hauptunterschied ist vielleicht eher der, dass man sowas als Naturwissenschaftler immer hinterfragt: was meint der damit, was will der eigentlich jetzt so genau wissen, em, liebe ich meine Zebrafinken? Ehhh sicher anders als meine Familie (Lachen), aber natürlich gewinnt man seine Objekte der Begierde, der Wissensbegierde, in einer Art, wie auch Liebe funktioniert, in der Intensität, lieb, ja…

RUE: Obwohl Sie denen ja wirklich nach dem Leben trachten.

SCH: Manchmal trachten wir ihnen nach dem Leben, genau. Also, da sind wir auch gleich an einem Kernpunkt des Problems des Naturwissenschaftlers, der an Tieren arbeitet: der muss über diese Hürde springen und sagen: nehme ich mir das Recht, den Tieren auch das Leben zu nehmen, weil ich etwas darüber wissen will, was das erfordert. Das ist ne Frage, die ich mir immer wieder neu stelle, die auch unterschiedlich ausfällt, aber im Endeffekt habe ich das gemacht, darauf hat sich meine Forschung aufgebaut, und ich bin immer froh, wenn wir Sachen machen, wo man die nicht … den Körper hinterher sehen muss. Denn wir machen ja auch viel verhaltensbiologische Forschung, die primär … da geht’s um die Gesänge, um die Analyse von Gesang und Tanz, und… Weibchenwahl. Wie wählen die ihre Männer aus, also ihre Finkenmänner, und .. da bleiben die am Leben, da bin ich immer froh drüber, wenn das sein kann. Aber natürlich wollen wir auch Sachen rauskriegen, wofür sie nicht am Leben bleiben können. Dafür … das ist so wie wenn ich nicht Vegetarierin bin, jedes Mal, wenn ich n Hühnchen ess, habe ich mir das rausgenommen, dass dieses Hühnchen für mich gestorben ist.

RUE: Sie haben das schon angesprochen, ihre Profession. Sie sind Verhaltensbiologin, das heißt, Sie beobachten Verhalten, um nicht allzusehr ins Detail zu gehen, wir haben ja noch einen musikalischen Teil heute Abend, und noch einen biologischen Teil. Da können wir dann noch mehr über den manuellen Teil Ihrer Tätigkeiten, – was macht eine Verhaltensbiologin so am Tage?

SCH: Wenn ich im Labor ankomm (lacht), vorher lassen wir das mal, das ist der nicht naturwissenschaftliche Teil, ehmmmm, irgendwie hat man ja auch immer noch ein Restleben, – in meinem jetzigen Zustand der Forschung bin ich sehr viel damit beschäftigt, Probleme aus dem Weg zu räumen, so dass andere forschen können, also meine Gruppe, meine Wissenschaftler, sehr viel damit beschäftigt zu lehren, junge Studenten für Biologie zu begeistern, Papers zu editieren, die Doktoranden geschrieben haben, dass sie Hand und Fuß haben. Daten zu analysieren, aber auch sehr sehr viel Administration, die einfach nötig ist in so nem Universitätsbetrieb, damit das Schiff irgendwie weiter auf dem Kurs bleibt. Geld anzuschaffen, (RUE: das ist ne rein bürokratische Tätigkeit, die Sie gerade beschrieben haben), nee, also ich würde sagen, es sind ja 50% Lehre, 50% Forschung, theoretisch, ich bin Hochschulprofessor, das wäre schön, wenn die Balance immer so wäre. Keiner redet über Administration, wo die dann noch bleibt, ich würde sagen, am guten Tag mache ich 50 % Denken und irgendwie 50 % den Rest. Denken, entweder lehrend oder forschend. An schlechten Tagen ist man mit 80% Administration und 20 % mit dem Rest beschäftigt.

ZebrafinkTaeniopygia_guttata_-_front_view_-_dundee_wildlife_park Zebrafink

Foto: Wikipedia Peripitus 2009 Dundee Wildlife Park, Murray Bridge South Australia.

RUE: Wir haben eben auch mal ne Aufnahme aus Ihrem Labor gehört – ich weiß nicht, ob Ihnen das aufgefallen ist – (ja, na klar!) (heftiges Gelächter) -, die geräuschvollen Finken – im November war ich mal aus nem ganz anderen Anlass in Berlin, um Sie mal persönlich kennenzulernen. Wir haben im Sommer letzten Jahres mal ein Gespräch geführt, von Köln nach Berlin per Leitung nach Berlin, ich kann auch darauf aufmerksam machen, nächsten Donnerstag um 23.03 auf SWR2 läuft eine Reihe von mir „Ein Prinzip des Lebens – Improvisation von Keith Jarret bis Angela Merkel“, die Folge 4, Evolution wird im wesentlichen von ihr gestaltet werden, da geht es um einen Spezialaspekt, den wir heute Abend möglicherweise streifen oder auch nicht: Improvisation und Evolution, um den wichtigen Unterschied zwischen Zufall und Evolution. Und ich bin dankbar, dass in dieser Reihe Frau Professor Scharff sozusagen auch die Grenzen des Improvisationsbegriffes zeigt, nämlich dass sie sagt: in der Evolution gibt es keine Improvisation, weil es keinen Handelnden gibt; die Zellen, in denen Mutationen passieren, sind keine Handelnden, da passiert etwas durch Zufall. Kleiner Exkurs! Ich wollte etwas ganz anderes fragen, ich wollte fragen: in dem Käfig, wo ich drin war, – war’s en Käfig?

SCH: Ne, das ist ja n Raum, Sie waren in der Voliere…

RUE: Wie oft sind Sie da drin?

SCH: Oh, so alle zwei Wochen, manchmal alle Woche, also wenn da was los ist, dann bin ich da häufig, aber dann … leben die da happy vor sich hin, und im Moment haben wir auch ne super Tierpflegersituation, wir haben endlich mal genug Tierpfleger, weil wenn wir nicht genug Tierpfleger haben, dann stehen wir da alle selber und helfen da mit, inclusive mir selber. Dann ist man da manchmal auch jeden Tag. Also über die letzten paar Jahre habe ich relativ viel in diesen Tiervolieren und andern Käfigen einfach mitgearbeitet, weil – die müssen jeden Tag gepflegt werden, gefüttert, gewässert, Eifutter kriegen, Grasfutter kriegen, damit sie glücklich sind, Schalen, damit sie sich den Schnabel abwetzen, und ich bin da auch wirklich am längsten im Gewerbe, ich bin mit diesen Vögeln groß geworden, mehr oder weniger, ich weiß, wie es denen gut geht und wie sie leben müssen. Und immer wenn da neue Leute kommen, lege ich da selber Hand an.

RUE: Wir wollen mal einsteigen mit einem andern Klang eines Vogels, der uns heute Abend sehr beschäftigen wird, nämlich der Butcherbird, aus Australien, wir hören den erstmal, und werden uns dann auf den konzentrieren, weil der Eigenschaften hat, die umwerfend sind.

Pied_Butcherbird._Cracticus_nigrogularis_(15207948764) „Würgerkrähe“

Foto: Wikipedia – gailhampshire from Cradley, Malvern, U.K

HÖRBEISPIEL BUTCHERBIRD ab 7:47 bis 8:50

RUE: Die Aufnahme haben Sie nicht selber gemacht, sondern die hat Ihnen eine Musikwissenschaftlerin zur Verfügung gestellt, die sie gemacht hat. Der Vogel hat einen in direkter Übersetzung erschreckenden Namen, nämlich Metzger-Vogel, die deutsche Übersetzung ist nicht minder erschreckend, Würgerkrähe, aber auch Flötenvogel, wobei das natürlich eine lautmalerische Übersetzung ist. Was ist denn das für ein Vogel? Ist das nun wirklich ein so gefährlicher, ist das eine Würgerkrähe, ein Metzgervogel?

SCH (9:33): Na wie alle Sachen, je nachdem von wo man draufguckt, wenn man sich ansieht, wovon der lebt, was er frisst, der frisst andere Wirbeltiere und Insekten, also der frisst auch kleine Mäuse zum Beispiel, und weil abgehangenes Fleisch nun mal besser schmeckt als frisches Fleisch, weil dann ist es schon mal n bisschen mürbe, spießt er das auf Dornen oder andere Hilfsmittel auf, so dass es da schon mal n bisschen vorverdaut werden kann, bevor er sich das dann genehmigt. Er frisst das ja auch teilweise sofort, und daher kommt dieser Metzgervogel-Ausdruck, er ist also ein Fleischfresser, und gleichzeitig ist er aber ein sehr sozialer Vogel, er interagiert sehr viel mit anderen seiner Art, außerdem singt er eben, wie Sie eben grade gehört haben, extrem melodisch, und wie Hollis Taylor, die das aufgenommen hatte, mit der ich im Busch also gewesen bin und auch selber Aufnahmen gemacht habe, gefunden hat als Musikerin, hat der musikalische Fähigkeiten. Also die war völlig unvoreingenommen, als die vor 12 Jahren mit ihrem Mann durch den Busch gefahren ist, es sind beides Künstler, und da hat sie den gehört, die singen so wie bei uns die Nachtigall nachts, das heißt, es ist ganz still und man hört plötzlich diesen Gesang, und dann hat sie gesagt: Mensch, der ist ja jazzig, – sie ist auch Jazz-Musikerin – warum sagen die Leute immer, dass nur Menschen Musik machen, das ist keine Musik, und hat angefangen sich darum zu kümmern. Und hat letztendlich eine Universität auch davon überzeugt, ich glaub sie war schon im reiferen Alter von etwa 55. als sie angefangen hat, eine Doktorarbeit in Musikwissenschaften anfangen zu können mit dem Vogel als Musiker. 11:09

Und gesagt hat: ich will den untersuchen nach musikalischen Gesichtspunkten. Und hat dann musikwissenschaftliche Untersuchungen an diesen Gesängen gemacht, und ihre Doktorarbeit befasste sich eben damit, dass er musikalischen Prinzipien eigentlich folgt, die den Vögeln immer abgesprochen werden. Und das ist auch, wo ich ins Spiel komme, weil ich das immer schon mal gefragt hab, warum werden gewisse Sachen den Tieren abgesprochen, ohne dass man darüber was weiß. Macht doch erstmal die Forschungen, bevor ihr sagt, Tiere können nicht, überhaupt: wer sind Tiere? Tiere sind Tausende und Tausende von verschiedenen Arten, wie kann man einfach mal Tiere vom Tisch wischen? Und Hollis und ich haben uns da einfach auf dieser Ebene getroffen, und sie forscht seit 12 Jahren an den Butcherbirds, als Eine-Mann… Eine-Frau-Show. Sie hat keine Gruppe, sie hat keine Doktoranden, sie fährt jedes Jahr in den Busch mit ihrem riesigen Pick-up-Truck und nimmt diese Vögel stundenlang nachts auf. Und zwar bevor sie anfangen zu singen bis vier Stunden später, wenn sie aufhören zu singen, um eben auch musikalische Konturen möglicherweise erkennen zu können, dass eben ne Sinfonie, die zu Anfang anders ist als eben in der Mitte und am Ende, wollte sie immer den gesamten Gesang haben und hat das jetzt auch in einem Buch… ist gerade herausgekommen, jetzt alles zusammengefasst, Naturwissenschaftler – und nicht nur ich – sind darauf aufmerksam geworden und haben gesagt, so, wir möchten jetzt nochmal wissen, Vogel nach bio akustischen Qualitätsmerkmalen – stimmt das alles, was sie sagt? Sind die wirklich kreativ? Sind die wirklich eh eh haben die wirklich immer neue Versionen wie die Sprache, die immer wieder neue Sätze bilden kann, wie sie immer wieder postuliert hat und auch sagt. Und darüber ist dieses Interesse entstanden und jetzt ist auch im letzten Jahr die erste Veröffentlichung von ihr, plus Naturwissenschaftlern, also Kollegen von ihr und mir, die da zeigen, dass immer wieder der Vogel, also: diese Vögel Fähigkeiten haben, die man früher Vögeln und Tieren abgesprochen hat.

RUE: Aber hat es das nicht früher auch schon bei anderen Vögeln gegeben. Also Sie betreten da vielleicht bei dieser Spezies Butcherbird Neuland, aber ansonsten hat es diese These, dass Vögel Musik machen – wir kommen gleich noch auf diese Problematik des Begriffes, dass es die früher auch schon gegeben hat. Ich denke z.B. an Komponisten wie Messiaen, von Mozart ganz zu schweigen, der diesen Vogel möglicherweise nicht kannte, aber Messiaen hat sich in seinen Werken auch auf diesen Vogel hier bezogen.

SCH: Jaja, solange Menschen Sachen schriftlich überliefert haben, hat es dazu Gedanken gegeben, und die Frage natürlich, was ist Musik – ist ein sehr weites Feld, ja nachdem wie man das definiert, ich finde, auch Insekten machen Musik, das hängt davon ab, wie man das definiert. Musikwissenschaftler haben ja klare, ganz starke Kriterien. Zum Beispiel, dass nur wir Melodien transponieren können, also (singt) „Happy Birthday too you“ (und singt 1 Oktave höher) „Happy Birthday too you“, das ist alles immer noch „Happy birthday“, und Vögel, Tiere können das angeblich nicht. Sie können zwar was singen, aber sie können das nicht ne Oktave höher oder darunter machen. Messiaen hat das nicht gezeigt, er hat zwar gesagt, das klingt wie Musik für mich, ich benutze Vögel als Inspirationsquelle, ich benutze deren Gesänge teilweise transkribiert, sehr lose in meinen Kompositionen, aber er hat nicht gezeigt, inwiefern musikalische Prinzipien tatsächlich bei Tieren auch vorkommen. Und es gibt in letzter Zeit, ich würde sagen, die letzten fünf Jahre halt Ansätze zu sagen: was können denn Tiere wirklich in Bezug auf Musik? Und da kommen zunehmend Befunde heraus, wo die Musikwissenschaftler sagen: Oh ja, da haben wir immer gesagt, das können die nicht: können die! Transponieren, zum Anfang langsamer und am Ende dann wieder ritardando, zum Beispiel, dass am Ende was langsamer wird, ehmm, dass sie … Variationen eines Themas benutzen, – und da kommt zum Beispiel Hollis und die Butcherbirds ins Spiel – das ist die erste ? Untersuchung über Variationen zu einem Thema, die abhängig davon, wie groß deren melodisches Repertoire ist, eh unterschiedlich ist.

RUE: Darf ich zitieren? Wir haben am Beispiel einer Spezies von Singvögeln, das war dieser hier, dass die Komplexität dieses Gesangs ist „balanced“, ich habs mir übersetzt: ist „ausgewogen“ durch die Regelmäßigkeit der zeitlichen Struktur. Ist das das … sozusagen das eher wissenschaftliche Pendant zu dem Satz: Würgerkrähen benehmen sich fast wie Jazzmusiker, die im Spannungsfeld von Wiederholung und Variation improvisieren.

SCH: Genau! Also ich hab das versucht, mal so zu formulieren, weil wenn man das die naturwissenschaftlichen Begriffe sind sperrig, das will präziser sein und eröffnet vielleicht nicht so, was wir damit meinen, aber diese Würgerkrähen … die, die ein sehr großes Repertoire haben, also sehr viele verschiedene Gesänge haben, die balancieren Wiederholung und Abwechslung in einer besonderen Art, so dass über Stunden hinweg es nie langweilig wird und auch nie zu chaotisch. Das heißt jetzt natürlich nicht, dass die da sitzen und sagen, ich muss jetzt mal wieder den Lick da reinbringen, das muss nicht bewusst, nichts von diesen Sachen muss bewusst ablaufen, aber mann kann natürlich argumentieren, dass auch bei Jazzmusikern, die auf der Bühne stehen, wenn die plötzlich ne neue Kurve machen, das ist auch möglicherweise nur halb bewusst. Die sitzen da ja nicht und sagen „jetzt mach ich mal das, jetzt mach ich mal das“, das kommt ja auch teilweise aus dem Körper, und bei Tieren – würde ich argumentieren – kommen viele Sachen aus dem Körper, da ist diese Trennung zwischen bewusst, kognitiv, geplant, und der Körper weiß, was er tun soll, noch viel stärker verwoben als bei uns.

RUE: Nun sprechen Sie hier von Song, im musikalischen Vokabular, und ich habe hier ein Zitat für Sie: „Die Zuordnung des Wortes Song im vokalen Kommunikationsverhalten von Vögeln und Walen beruht auf einer problematischen Romantisierung dieses Phänomens.“ Kennen Sie die Autorin? Oder das Zitat? (Ne, war ich nicht.) Doch! (Heftiges Lachen: Aber auf deutsch nicht.) Ja, Scharff et alii, ich glaube, der 15. Aufsatz „Evolution and Creativity …Motivation“ (Ja ja, ) Und Sie haben den Satz wahrscheinlich geschrieben, aber mit zwei weiteren (Doch ich habe den Satz geschrieben, aber auf englisch, daher klang er…) Lachen. Kann ich so schlecht übersetzen? (Nein nein. Aber es klang irgendwie…) Aber im Kern sagt doch die Frau Scharff hier 2015 auf englisch, dass man sehr vorsichtig sein soll mit dem Begriff „Song“, das Kommunikationsverhalten von Vögeln und Walen, auf die kommen wir ja auch später noch, wenn es auf das sogenannte „vocal learning“ – es gibt ja nicht nur bei Vögeln, die singen oder musizieren, sondern auch Wale und Elefanten, beruht auf einer problematischen Romantisierung, denn auch wir machen ja – jetzt nehme ich es vorweg – die Zuordnung, wir machens ja mit Musikwissenschaft mit dem westlichen System, wir wissen nicht, was indonesische Musikwissenschaftler dazu sagen.

SCH: Tja, ehhhh, also … problematisch auf jeden Fall, weil auch wir als Naturwissenschaftler permanent anthropomorphisch unterwegs sind. Wir benutzen uns immer als Messlatte ? machen ? denken natürlich – altes philosophisches Problem – mit unserm Kopf, und wir können da nicht raus, und auch Leute, die versuchen strikt zu sein, lassen immer wieder dieses Gefühl, dass sie einfach enmorph haben, das wir alle enmorph haben, was Tiere zum Beispiel können, mitspielen und nennen deswegen z.B. diese „Gesänge“, das klingt halt wie Gesänge und dann sagen wir aber auch ganz schnell: Ja aber das kann ja nicht so richtig wie unser Zeug sein… (19:10) Da muss doch…, das ist doch bestimmt anders! Das ist eigentlich die Herangehensweise, mit der wir starten, mit der viele Leute starten und auch viele Wissenschaftler gestartet sind: „Ho, die können das ja, die können das ja…, aaaaber die machen das ja nicht kreativ, dabei hatte noch nie jemand gekuckt, ehhhh, was ist denn eigentlich Kreativität, was wäre dann … also wir können das natürlich sagen, ja, das habe ich mir ausgedacht, das war jetzt … ein musikalisches Motiv, das habe ich variiert, da habe ich die Goldberg-Variationen draus gemacht. Aber der Vogel, wenn er das so tät, der kann sich natürlich nicht mitteilen und sagen, was er da denkt: und deswegen sprechen wir es ihm erstmal ab. Und ich behaupte auch gar nicht, dass die Vögel da so sitzen und das tun wie wir, ich sage mir: Sagt es doch einfach nicht, lasst es doch offen. Und ob es jetzt romantisch ist, das kann man vielleicht for effect sagen, dass wir auch gerne romantisch denken, und natürlich auf der andern Seite genau so Tieren Sachen zusprechen, die genau so unbekannt sind. Was heißt tatsächlich Freude bei einem Tier? Alle würden wahrscheinlich sagen: Mein Hund, der wedelt mit dem Schwanz, der freut sich gerade so doll… Ich denk das auch, aber was bedeutet genau Freude für den Hund. Ist das wie unsere Freude, ist das genau so das gleiche, wie unser Lila ist wie ihr Lila, ist mein Lila, ist meine Liebe ist wie ihre Liebe, das überträgt sich direkt auf die Tiere. (20:28) Wir können nicht in andre Köpfe rein, und wir können nur die äußeren … also wir können schon, wir gehen ja in die Köpfe rein, selbst was was wir da tun, angenommen wir finden im Kopf, das den gleichen Botenstoff, der bei mir Glück auslöst, bei einem Tier in der ähnlichen Gegend im Gehirn existiert, ist dann, was das hervorruft, Glück? Oder ist das was andres? Da wird es sehr sehr problematisch, und man sollte sich das, so gut es geht, immer vor Augen führen, bevor man sagt, das Tier ist unglücklich, das hat ja nur so nen kleinen Käfig, ja, vielleicht ist es unglücklich, aber vielleicht ist es auch nicht unglücklich, woran machen wir solche Sachen fest? Ist uns zuerst einmal geholfen, wenn wir uns klarwerden darüber, dass die Begriffe, die wir den Tieren und ihren Lauthervorbringungen zuordnen – ich will mich mal ganz neutral äußern -, dass das Hilfskonstruktionen sind, weil wir ja gar nicht wissen, was dahintersteht. Denn bei uns sind ja Begriffe aus der Kunst, wir wissen ja, was Kunst ist und wir nehmen ja an, dass die Tiere – wir nehmen es an – dass die Tiere keinen Kunstbegriff haben, also keine Kunst produzieren, sondern ihre Laute aus zwei Gründen produzieren: wenn ich es richtig sehe, eh die Balz, Sexualverhalten, Sexualpartner anlocken. Und das zweite ist: Revier verteidigen. Beides bei uns im Prinzip keine künstlerischen Tätigkeiten. (21:53) Ist das richtig?

SCH: Die Tatsache, dass Tiere ihre, alles mögliche Verhalten zur Balz und zur Revierverteidigung und zur Revierabsteckung benutzen, das ist sehr sehr gut unterstützt, – ob sie das auch für andere Sachen machen,wissen wir nicht, weil wenn der Vogel auf dem Baum sitzt und nur singt, weil es ihm Spaß bringt, dann sagt er mir das ja nicht. Und eine der Sachen , die z.B. häufig gesagt wird, das ist, dass Vögel nicht alleine singen, oder dass Tiere alleine nicht Lautäußerungen machen, zumindest bei Vögeln stimmt das nicht. Ein Vogel, gewisse Vögel singen auch ganz alleine, und zwar relativ viele. So, macht er das jetzt, weil er übt, macht er das jetzt, falls doch jemand zuhört, macht er das jetzt, weil sich das gut anfühlt, – das ist dahingestellt. (22:38)

Der berühmte Laubenvogel, den viele von Ihnen vielleicht kennen, der in Australien diese sogenannten Lauben baut: das sind nicht seine Nester, das sind tolle Gebilde aus Zweigen und anderm … Vegetationsmaterial, den Vorhof der Laube dekoriert mit blau und gelb, je nach dem von welcher Art, oder mit weiß und grau, der sogar perspektivisch den so anordnet, dass die großen Teile nach hinten gelegt werden, damit das Weibchen, das in der Laube sitzt, diesen Vorhof als größer erkennt. Das hat er nicht gemacht, „damit“, aber der Effekt ist „damit“. Hat der ein ästhetisches Bewusstsein oder nicht? Ist das nur wie ein kleines Atomaton, das wissen wir nicht, aber es wird immer erst angenommen, dass die Tiere machen das wie Atomata, und ich denke immer, wenn wir jetzt einen Marsianer hätten, und der kuckt auf das Gesamtrepertoire der Menschlichen Verhalten, der könnte viele Sachen so erklären, wie wir das für Tiere erklären und läge völlig daneben. Wir machen unglaublich viel Sachen so wie Tiere. Balz! Wenn der jetzt so zukuckte, der würde jetzt denken, wir balzen hier grade. Wer sagt, dass wir das nicht tun?! Ehm, wir kommen da mit so ner voreingenommenen Idee hin, und das ist hier unsere Großfamilie, die sind irgendwie ganz entfernt miteinander verwandt und die haben Interesse daran zu sehen, dass das auch klappt, dass die Gene …, man kann das alles so sehen wie mit Tieren, oder man kann das … anders sehen. Aber man muss mal versuchen, uns aus unserem Gedankengebäude herauszubringen, und einfach mal ne andere Version von Denkwarte einzunehmen, und dann hinterfragen: Ist es fair, dass es bei Tieren immer so n bisschen automatisch und angeboren und dass die keine Kunst haben. Tatsache ist, dass wir als einzige soviel Bücher geschrieben haben, und dass wir die Dinge als Artefakte gebaut haben, und dass wir riesige Opern geschrieben haben, genau ein Pendant davon gibt es in der Tierwelt nicht. Es gibt nicht so wahnsinnig viel Tierkünstler, aber die bauen z.B. tolle Nester. Machen sie das nur wieder wie son Automat oder machen sie das auch, weil sie n bisschen Ahnung haben, wie das gut aussieht? (24:46)

RUE: Es gibt eine Unterstützung Ihres Argumentes von einem der Kollegen, die Sie für seriös erachtet haben und die ich teilweise in meinen Arbeiten Leute zitiere, ich nenne die jetzt nicht, von denen Sie glauben, dass die mal so aus der Hüfte schießen, aber Erich [Jarvis] tut das nicht, deshalb zitiere ich den hier mal, auch wenn ich ihn aus einem Buch von David Rothenberg zitiere: „Vögel schütten Dopamin beim Singen aus, also ist es realistisch für uns zu sagen, sie haben Spaß am Singen, sie lieben es möglicherweise sogar.“ Würden Sie das unterstützen?

SCH: Na ja, wenn man sagt, Dopamin ist bei uns auch ein Botenstoff, der was mit Belohnung zu tun hat und mit Sichwohlfühlen, dann könnte man das sagen, dass es wahrscheinlich ist, als wenn das jetzt n Stresshormon wäre. Also, könnte durchaus so sein. (25:33) Aber Dopamin spielt also alle möglichen Rollen in unserm Leben, nicht nur Glück und Wohlfühlen, ja, ist plausibel, erstmal ne gute Hypothese, – ob das dann wirklich so ist, ist dann …, weitere Versuche wären gut in die Richtung.

RUE: Sie habe eben gesagt, der Butcherbird und auch andere gehen kreativ vor, – wie stellen Sie das fest, was ist das für ein Kriterium für Kreativität? Ist das … Variation taucht da ja auch auf, was ist mit Vögeln, die nicht so häufig variieren: sind die dann weniger kreativ?

SCH: Na, bei der Definition, wenn man der Definition dann folgt, dann ja. Weil es gibt halt Vögel, die tatsächlich ein sehr invariables Repertoire haben, und da kann man dann sagen, vielleicht ist die Variabilität da auf einer Subtilitätsebene, die wir nicht so richtig wahrnehmen. Also z.B. die Zebrafinken, an denen wir arbeiten, die dieses Geschnatter machen, das wir vorhin gehört haben so n bisschen so wie ne Nähmaschine, die singen eine relativ nichtvariables Motiv, mämämämä – so und da ist die Variabilität so, dass manche Noten hinten wiederholt werden oder mal ausgelassen werden, da ist nicht so viel da. Aber wenn die jetzt mehr wie so n Morser unterwegs wären, ihre 5 Motive , 1 2 3 4 5 das Grundsubstrat wären, dann könnte man sagen, dass sie superkreativ sind in der Art, wie sie sie anordnen. Wenn man denen ne Stunde zuhört, dann machen die auch mal 1 1, 1 5, 1 5, 1 5 – dann sind sie wieder kreativ, eh, aber unsere Integration ist natürlich immer relativ kurz, wir wollen was Tolles hören, in dem Zeitfenster, in dem wir funktionieren. Wir funktionieren so auf Satzebene, wir haben z.B. schon Schwierigkeiten bei ner Sinfonie, die zwei Stunden dauert, wenn wir nicht vorgebildet sind, die Bögen zu hören oder die wiederkehrenden Melodien oder die Umkehrung von wiederkehrenden Melodien, ne? Das klingt doch alles gleich. Klassik! Also, he? Vielleicht haben wir nicht den richtigen Filter. Für die Kreativität selbst von den Tieren, die weniger kreativ zu sein scheinen.

RUE: Gibt es auch innerhalb einer Species Wettbewerbe unter Vögeln, also dass Männchen durch kreativeren, ausufernden Gesang um Weibchen konkurrieren? Gibt es das?

SCH: Ja, es gibt auf jeden Fall Wettbewerbe, also Gesangswettbewerbe, eh, und Weibchen hören da zu. Also: Nachtigallen sind ja in Norddeutschland weit verbreitet. In Berlin im Treptower Park hat ne Kollegin von mir, in der gleichen Abteilung, über Jahre hinweg Nachtigallen aufgenommen, und sie und andere haben gefunden, dass Nachtigallen entweder sich abwechseln können mit Gesängen, also mit kurzen Sätzen, Gesangssätzen, oder sie können sich ins Wort fallen. Und dieses Ins-Wort-fallen ist bei ner andern Art bekannt als eher aggressiv, also dieses Nicht-Ausreden-lassen. Was ja auch bei uns so n bisschen ist, wenn ich reinquatsche, ehe Sie fertig sind, ist das nicht unbedingt aggressiv, aber ungeduldig. Ich weiß, was du sagst, also weiter! Und bei Nachtigallen ist das so, dass das Weibchen die Männchen bevorzugen, die den andern ins Wort fallen. Das heißt, die hören zu, das kann man experimentell tatsächlich zeigen, indem man nämlich mit nem Kassettenrecorder oder heutzutage so nem Electronic-Ding ehhh einem Nachtigallmännchen im Treptower Park immer einen Gesang überlappt, den nicht ausreden lässt. Und dann geht das Weibchen dahin, wo der Kassettenrecorder steht. Und man kann den andern den dominanten sein lassen, indem man ihn immer aussingen lässt mund erst dann was spielt. Und dann geht sie tatsächlich zu dem Männchen im Baum, der der Gewinner war. Weibchen – und da gibt es unglaublich viel Befunde – dass tatsächlich Singvögelweibchen an allen möglichen Aspekten von Gesang interessiert sind: wie variabel ist der, wie lange kann der singen, wie gut singt der, wenn es immer das gleiche ist, tausendmal nacheinander, häufig sind sie auch an Stereotypie interessiert, so n bisschen wie „I dig you Baby, I dig you Baby!“ Also immer nochmal das gleiche, scheint bei einigen Arten zu funktionieren. Andere wiederum sind mehr an der Virtuosität interessiert, also: Ja, Wettstreit. Und ja, Weibchen hören zu.

RUE: Und jetzt kommt das Interessante. Bei Nachtigallen und nicht nur dort, aber bei einer Minderheit, wenn ich es recht sehe, singen die Weibchen selber auch, wir nehmen ja immer an, Weibchen hören zu, Männchen produzieren sich, sind auf der Balz, singen, – bei Nachtigallen und anderen singen die aber auch, was ist das denn dann nun auch wieder?

SCH: Ja, das ist wunderbar, das ist auch so n Dogma, das sich irgendwo durchgesetzt hat, dass die Männchen singen und die Weibchen nicht, das ist eigentlich so n richtiges White-Man-Research, wo kommt die Vogelforschung her? Also aus den nördlichen Breiten des Globus, vor allem Nordamerika, Europa, da singen die Männchen von vielen Arten entweder ausschließlich oder mehr,. Wenn man jetzt südlich vom Äquator geht, singen beide gleich viel, und ne Kollegin von mir, Katharina Riebel, und Karan Odum in Holland haben neulich n Paper [vgl. hier] veröffentlicht, wo sie alle Singvogelarten, ne: alle Vogelarten untersucht haben, also nicht selber, auch die Literatur durchgewälzt, und gekuckt: wer singt und wer singt nicht, Weibchen, Männchen, und es sind mehr Arten, wo Weibchen und Männchen singen, und wenn man so einen phylogenetischen Stammbaum macht, wer war früher, wer war erster, sieht es so aus, als ob der Urzustand so ist, dass Weibchen und Männchen singen, und dass das dann bei manchen Evolutions verloren gegangen ist und dass das der Normalzustand ist. Und das passt jetzt auch wieder super mit der Hirnforschung. (Ende des ersten Files 31:28).

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Dhruba Ghosh lebt nicht mehr

Alle, die ihn kannten, sind sehr traurig. Ein großer Künstler und ein wunderbarer Mensch. Er starb viel zu früh, mit noch nicht 60 Jahren, im Zenit seiner musikalischen Entwicklung.

Wir begegneten uns zum erstenmal in den 70er Jahren (mit seinem Vater und seinem Bruder, dem TRAYA NIKHIL GHOSH), und nun zuletzt am 21. Januar 2017 in der Hamburger Elbphilharmonie. Dort erfuhr ich, dass seine Frau, die ihn jahrelang begleitet hat, auch oben im Video von 2009, Roselyne Simpelaere, im Jahre 2015 gestorben ist.

Siehe in diesem Blog hier, hier und HIER .

Unten: Pandit Dhruba Ghosh mit Prof. Dr. Gert-Matthias Wegner, der bei dem Tabla-Meister Nikhil Ghosh studiert hat und sozusagen zur Familie Ghosh gehörte, bei unserer Wiederbegegnung in der Hamburger Elphilharmonie (Foto: Uscha Wegner)

Dhruba Ghosh & Gert-M Wegner in Hamburg kl

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Dhruba Afghan Song

Hamburg – nach dem Desaster

Was DIE ZEIT kurz vorher schrieb (hellsichtig)

KapitalismuskritikDie linke Lust am Untergang

Die Protestbewegung beim G20-Gipfel ist gespalten. Die einen wollen den Kapitalismus reformieren, die anderen warten auf seine Selbstzerstörung. Eine Vorschau auf die Denkmuster des kommenden Aufstands.
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All dies dient keinesfalls dazu, Sie, liebe Blog-Leserinnen und -Leser, zu überreden, mit einer bestimmten Ansicht zu sympathisieren, eine andere zu verabscheuen.
Sondern vor allem dazu, mich selbst (und andere) in eine innere Bewegung zu versetzen, die man zuweilen als Denken erfährt. Auch wenn man geneigt ist, mit Spontan-Reaktionen vorlieb zu nehmen und diese für authentische Meinungsäußerungen zu halten. (Wie es mir zum Beispiel oft passiert.)
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Und nun? Wieder zurück zum Artikel: Kapitalismuskritik (s.o.). Einfach gründlicher lesen!
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Nachtrag 13.07.2017
Zur weiteren Meinungsbildung zu empfehlen:
Maischberger (gestern und in verschiedenen Wiederholungen) siehe HIER 

Ebenso erste Berichte über die Sendung: hier (Spiegel) und hier (FAZ).

Hans Henny Jahnn

Alle 30 Jahre stoße ich von neuem auf ihn, mindestens. Und nach einer gewissen Zeit der Dauer-Lektüre hört es auch wieder auf. Vielleicht also jetzt zum letzten Mal. Ob 1986 oder später der erste Band der dreibändigen Ausgabe „Fluss ohne Ufer“ in meinen Händen lag (Verlag Hoffmann und Campe), rund 1000 Seiten, kann ich nicht sagen, noch einmal beginnend mit „Das Holzschiff“- vermutlich erst nach der Re-Lektüre des letzteren. Im Reger-CD-Booklet 1990 habe ich Jahnn-Sätze zitiert, die mich verfolgten. Auf der vorletzten Seite von Band I aber stand: „Varianten und Anmerkungen sowie das Nachwort am Ende von Band III“, – warum bin ich nie über den ersten Band hinausgeschritten? Mit Sicherheit würde ich heute auch einen Reger-Orgel-Text nicht mehr so ausklingen lassen.

Reger Phantasien Booklet Jahnn 1 Intercord 1990 Reger Phantasien letzte Booklet Ende des Textes

Jahnn Holzschiff Jahnn Holzschiff 2

Jahnn Holzschiff 3  Jahnn Holzschiff 4

Jahnn Holzschiff z  Jahnn Holzschiff 5

Wie komme ich heute dazu? Ich habe in der ZEIT das Peymann-Interview gelesen. Und schon ist alles wieder da. Peymann spricht:

Ich bin ein Anachronist, eine lächerliche Figur, die sich jede Blöße gibt – das Einzige, was mich unangreifbar macht und mich bestätigt, ist die Liebe der Zuschauer. Spazieren Sie mal mit mir durch Stuttgart, durchs dunkle Bochum, durchs imperiale Wien – oder laufen Sie mit mir morgens im Wald von Köpenick – selbst die Wildschweine wollen ein Autogramm!

ZEIT: Bei Hans Henny Jahnn steht folgender Satz: „Es ist mir der köstlichste Gedanke, daß die Form unseres Leibes, seine Schlankheit oder süße Üppigkeit von dem Bewußtsein unserer Geschlechtlichkeit abhängt, von dem geheimen Werk, das wir an unseren Testikeln oder Ovarien abdienten oder wirkten.“ Daraus abgeleitet die kühne Frage: Haben Sie sich je gefragt, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie eine Frau wären? Ist Karriere eine Folge unseres Triebs? War alles nur Männerkampf?

Peymann: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich war mit Hans-Henny Jahnn befreundet. Ich war beeindruckt von seinem Roman Die Niederschrift des Gustav Anias Horn. Mein Sohn heißt Anias nach dieser Titelfigur. Zu Ihrer Frage: ich hatte nie das Bedürfnis, ein anderer zu sein oder mir vorzustellen, eine Frau zu sein. Da würde mir was fehlen. Mein Leben ohne die wundervollen Frauen, die ich traf, wäre nicht vorstellbar…

Quelle DIE ZEIT 6. Juli 2017 Seite 38 „Die Wildschweine wollen ein Autogramm“ Der 80-jährige Theatermacher Claus Peymann war sein Leben lang Intendant – in Stuttgart, Bochum, Wien und zuletzt am Berliner Ensemble. Jetzt ist er abgetreten. Ein Bilanzgespräch (mit Peter Kümmel, ZEIT).

Vor ein paar Jahren schrieb Ulrich Greiner – ebenfalls in der ZEIT – einen Artikel über seine Jahnn-Lektüre; ich fand das gut getroffen, weil es auch das Befremdliche betrifft:

Immer wieder geschieht es mir, dass ich, wenn ich Jahnn lange nicht gelesen habe, bei erneuter Lektüre stutze und verharre wie ein Pferd, das sich seines Reiters erst entsinnen muss. Und ich gebe zu, dass mich manche der Jahnnschen Obsessionen, etwa in seiner Erzählung Die Nacht aus Blei, abstoßen. Was auch für seine Theaterstücke gilt. Es sind verstörende Überschreitungen. Ich könnte nicht sagen, was ich daraus gelernt habe. Oft weiß man erst sehr viel später (manchmal gar nicht), was gewisse Erfahrungen, und eben auch Leseerfahrungen, bewirkt haben.

In einem Vortrag aus dem Jahr 1946 hat Jahnn die großen, die vergessenen Werke der Literatur mit einem Wal verglichen, der in flaches Wasser geraten ist. Jahnns Werk, so kommt es mir vor, gleicht ebenfalls einem gestrandeten Wal. Nun kann man sehen, wie monströs und zugleich wirklich groß es ist.

Quelle siehe HIER.

Laut Wikipedia hatte Greiner schon 1994 einen interessanten Artikel über Jahnn geschrieben, was mir damals entgangen ist, siehe HIER.

Als siebte „Todsünde“ Jahnns nennt Greiner die „Erschöpfung der Sprache“. Jahnns Sprache bleibe „hinter dem Erkenntnisanspruch derart zurück, daß die Unerreichbarkeit, die Unbegreiflichkeit des Angezielten bewußt wird.“

Es lohnt sich, diesen kritischen Ansatz – gerade den Vergleich mit Thomas Mann – gründlich nachzuvollziehen. Interessant, weil hier auch die (expressionistische) Sprache bezeichnet wird, die wohl mich letztlich ermüdet hat und mich auch gehindert hätte, Jahnn in einem Atemzug mit Musil oder gar mit Proust zu nennen. (Seine Behandlung der Musik und seine Orgelaktivitäten standen auf einem anderen Blatt.) Von Robert Musil allerdings kannte ich noch nicht mehr als den schmalen Erzählungsband „Drei Frauen“. Und damit hätte ich das Stichwort für eine lange Geschichte, die letztlich auch dazu führte, den Studienort zu wechseln. Wien war mein Traumziel, aber zu meinem Glück war Köln realistischer, führte vor allem – trotz indischer Perspektiven – zu einer besseren Erdung.

(Fortsetzung folgt vielleicht)

Ist es Tommy Potts?

Der große Fiddler aus Dublin

Das Foto stammt wohl aus dem Jahr 1983. Fran O’Rourke hatte mich in einen Folk-Pub in Dublin geführt. Auch Tommy Potts war dort, nie werde ich diese Begegnung vergessen. Aber ich wusste nicht einmal mehr, dass ein Foto davon existiert. Wahrscheinlich habe ich es vernachlässigt, weil ich mich selbst so nicht wahrhaben wollte („the last pint“?). Aber der Mann neben mir, – er könnte es wirklich sein; und da wenig Fotos von ihm im Netz zu finden sind, gehört es hierher. Jedenfalls nicht in meine Zigarrenkiste.

Tommy Potts + JR (Foto:privat)

Tommy Potts RTE (Foto: RTE)

Ist es derselbe? (In dieser Schreibweise? Man sehe unten im Titel beider Arbeiten von „MOS“: Einmal Tommy, ein andermal Tommie, und er muss es wissen!) Vielleicht hat der Fiddler da gerade begonnen, die Haare nach vorn zu kämmen. Aber ältere Folk-Haudegen erinnern sich so an ihn:

Tommy Potts Kitchen Concerts Tony MacMahon (Foto: Kitchen Concerts Tony MacMahon)

Und so kennt ihn jeder, der Irish Folk liebt. Nämlich von dieser Schallplatte (1971):

Tommy Potts The Liffey Banks (Foto: Jeffrey Craig)

Damals im Pub war Tommy Potts nicht zum Spielen zu bewegen, er wurde respektiert und ließ die andern fiddeln und singen; er lachte nicht, sprach kaum, wirkte fast depressiv. Er war sehr freundlich zu mir, ich hoffte, dass er sich doch noch erweichen ließe. Irgendwann jedoch musste ich selber ran, bekam eine Geige in die Hand und spielte Bach, den dritten Satz aus der Solosonate a-moll, zwei- bis dreistimmig also, mit dem getupft angedeuteten Bassgang. Ich bilde mir ein, dass dies ausschlaggebend war für Tommy, nun auch zu spielen, und was dann kam, hatte ich am wenigsten erwartet. Er schüttelte es nicht aus dem Ärmel, er stampfte auch nicht dazu, wie andere, er wand und krümmte sich, sein Bogen kratzte zuweilen, verschluckte fast manche Motive, seine Arabesken quälten sich ans Licht, – und es war atemberaubend. Ein ganz außergewöhnlicher Musiker!

Die Melodie, die beim letzten Link oben („diese Schallplatte“) zu hören war, heißt „The Butterfly“; sie stammt von Tommy Potts selbst. Er wollte damit den schwankenden Flug eines Schmetterlings andeuten. Im Fiddle-Buch von Martin Keck steht die folgende Kurzfassung:

Irish Fiddle Butterfly +

Es ist die Version, die ich gern spiele, sooft ich gefragt werde, – ohne den leisesten Versuch, Tommy Pott zu imitieren. Ich hatte mich vor Jahren schon einmal mit seiner Kunst beschäftigt (der Blog ist abgestürzt, irreparabel), und gehe jetzt nochmals auf die Vorlage von damals zurück. Sie stammt aus einer Arbeit  von Michael O’Suilleabhain, dessen Transkription von „My Love is in America“ ich auf meine Art nochmal abgeschrieben habe, ebenso die Standard-Version. Ich empfehle, sie später mitzulesen, was nicht ganz leicht ist. Die Original-Aufnahme finde ich (außer auf der Schallplatte oder der CD „The Liffey Banks“) auf youtube, jedoch gekoppelt mit einer bescheuerten Film-Tanzszene, die nicht im geringsten dazu passt, man muss sie ignorieren. Kommen Sie nach dem Anklicken sofort zurück! HIER.

Kleine Anmerkung: Glauben Sie nicht, dass der Ton fis „unsauber“ gespielt ist. Hier gilt das gleiche wie am Ende des Norwegen-Artikels für die Hardingfele-Skalen.

Dies ist die Standard-Version (sie folgt am Ende der transkribierten Version noch einmal):

My Love America Standard

My Love America Potts notiert 1 My Love America Potts notiert 2 My Love America Potts notiert 3

Diese analytische Abschrift ist meine Version, sie wäre aber nicht möglich gewesen ohne die detaillierte Transkription von Michael O’Suilleabhain, deren erste Seite hier wiedergegeben sei:

My Love is in America Analyse kl Michael O’Suilleabhain in An Fhidil Ghaelach 1980

Interessant ist der Hinweis auf programmatische Elemente in Tommy Potts‘ Interpretationen: Beispiele aus der CD The Liffey Banks in den Tunes „The Butterfly“, „The Drunken Sailor“ und „The Fisherman’s Lilt“. Im vorliegenden Stück sind es rhythmische Besonderheiten, die mit dem Stichwort America zu tun haben. Zum einen die starke Synkopierung in den Takten 3, 75 und 107, die sich auch in der Tendenz zeigt, in den ersten Schlag des Taktes überzubinden, wie in den Takten 5, 9, 13, 29, 37 usw.; zum anderen ist der Gebrauch dessen, was in der Jazz-Terminologie als Riff bezeichnet wird. Das begegnet in den Takten 9/10 (Sitz der Triole), 17/18 (Bindung!), 42/43 und 81/82 (=Wiederholung der Takte 17/18). Ein Riff, so O’Suilleabhain, sei gekennzeichnet durch aufeinanderfolgende Repetitionen eines melodischen Fragmentes in unterschiedlich akzentuierten Gestalten.

Viele Jahre später hat  Michael O’Suilleabhain eine umfangreiche Arbeit über dieses Thema veröffentlicht, die glücklicherweise im Internet als pdf abrufbar ist. Darin findet man auch Zitate aus Gesprächen mit Tommy Potts, die einen interessanten Einblick in seine musikalische Vorstellungswelt geben:

Ó Súilleabháin, Mícheál. The Litany of the Saints: Musical Quotations and Influences in the Music of Tommie Potts. Inbhear, Volume 1, Issue 1. © Inbhear, Journal of Irish Music and Dance, 2010. www.inbhear.ie / abrufbar: HIER.

Eine interessante Einschätzung ist im Artikel „style and authenticity“ des großen Nachschlagewerks von Fintan Vallely zu finden:

Tommy Potts Lex

Quelle: The Companion to Irish Traditional Music edited by Fintan Vallely / Cork University Press 1999 / Seite 388

Und man kann „MOS“ auch in Aktion am Klavier erleben:

Du musst zuhören!

Noch einmal Szendy (und ich)

Ob kritisch oder gläubig, ich habe Anlass, von seinem Buch des Hörens aus aufs Neue eine Archäologie meiner Kindheit zu betreiben, und nur in diesem einen Punkt: Musik. Und nicht die früheste Kindheit (Kinderlieder, Kanonsingen in Greifswald, Bad Oeynhausen), sondern die spätere, ungefähr datierbar durch den Wechsel der Häuser und Orte (Bielefeld Nordstraße, Große Kurfürstenstraße, ab 1950 Paulusstraße, ab 1955 Paderborner Weg bis 1960, dann umbenannt in Furtwängler-Straße, 1960 Berlin, 1961 Köln, 1965 Solingen).

Peter Szendy beginnt sein Buch mit der Erinnerung an sein frühes Hören, – „der Moment, als ich begann, Musik als Musik zu hören.“ Wichtig ist für ihn die Erfahrung,

dass das musikalische Zuhören, das sich seiner selbst bewusst ist, bei mir immer von einem Gefühl der Pflicht begleitet wurde. Von einem Imperativ: Du musst zuhören, man muss zuhören. (Seite 19)

Davon kann bei mir (JR) keine Rede sein. Vielleicht würde ich bei einer Untersuchung meiner frühen Zeit am Instrument (Geige, später auch Klavier) auf allerhand Imperative stoßen. Aber die klangen in jedem Fall anders: Achte auf die Halbtöne, sie sind enger! (Geige). Zähle mit, gleichmäßig und genau, nicht stammeln oder schwanken! (Klavier). Ich wollte schneller spielen als ich konnte. Hören jedoch (Musik aussuchen, wiederholen, festhalten, präferieren), das war meine eigene Sache. Ich hörte meinen Vater am Klavier. Und hatte ein Lieblingsstück, das mich bis heute in die Kurfürstenstraße zurückversetzt, wo er am Flügel übte. Während sich mit negativen Vorzeichen ein anderes eingrub, das mein älterer Bruder lernen sollte:

Guter Mond usw.

Unvergesslich, weil die zaghaften Wiederholungen von den Zornausbrüchen unseres Vaters gezeichnet waren (Vonwegen: „Guter Mond, du gehst so stille“!!!). Aber wenn dieser selbst spielte, klang eine liebliche Welt zu mir in den Nebenraum, am Schreibplatz in der Wohnküche: Beethovens G-dur-Sonate op. 14, Nr. 2. Es war wie ein Rufen…

Beethoven G-dur

Später (Paulusstraße) Klaviertrio-Proben. Beethoven „Erzherzog“. Nur ein einziges Mal hörte ich mit dem Vater gemeinsam oder vielmehr gleichzeitig Musik aus dem nagelneuen Grundig-Stereo-Radio: Bach Matthäus-Passion. Er las im Klavierauszug mit. Er lud mich nicht ein, neben ihm zu sitzen. Aber später gab es darin Lieblingsstücke, die mein Bruder und ich gemeinsam für uns entdeckten: „Erbarme dich“ natürlich. Oder wir spielten Choräle, er, am Klavier, verlangte lachend, dass ich die Melodie auf der Geige mitspielte, und zwar extrem hoch auf der tiefsten Saite, „mit schnellem Vibrato!“, rief er. Diese Art Aneignung war auch Opposition gegen den Vater. Gewiss, er kannte diese Musik, aber wir, wir fühlten sie – Dies und vieles andere fiel mir ein, als ich den folgenden Abschnitt bei Szendy las (Seite 20):

Es ist eine vielleicht auf später zu datierende Erinnerung, die mir heute jedoch mit jedem meiner Zuhörerlebnisse genauso eng verbunden scheint, wie dieses archaische Du musst: der Musik in dem Gedanken zuhören, dieses – mein – Zuhören zu teilen und es an eine(n) anderen zu adressieren. Beispielsweise erinnere ich mich an das faszinierende Zuhören des langsamen – „nächtlichen“ – Satzes der Musik für Streicher, Percussion und Celesta von Bartók, im Zimmer meines Onkels in Budapest. Wir lauschten ihm am Abend beide in aller Stille, durch die Grillen im Garten kaum gestört, eher bestätigt in unserem Zuhören. Wir hörten ihn in einer Fassung, die ich vergessen habe, sie befindet sich auf einer Kompilation mit dem Titel: „Mögen Sie Bartók?“ (Szereti ön Bartókot?). Intensives Zuhören, gewiss, bevölkert von Abenteuern, seltsamen Ereignissen, Träumen… das aber erst nachträglich zu sich selbst kam, als wir uns dazu entschlossen hatten, es an jemand anderen zu adressieren. Dieses war meine Cousine: Mit ihren Kinderohren (sie war fünf und ich acht Jahre alt) hörte sie mit Schrecken etwas, das in den ersten Takten einem Mechanismus fantastischer Insekten gleichen musste.

Genau in diesen Momenten, als wir, mein Onkel und ich, uns nicht ohne einen Schuss Perversion an der furchterregenden Macht der Musik über ein Kind erfreuten, genau in diesen Momenten wurde unser Zuhören, adressiert an jemand anderen, wirklich zum unsrigen: ein Merkmal der Komplizenschaft, ein Werk der Kollaboration.

Quelle Peter Szendy: Höre(n) / Eine Geschichte unserer Ohren / Wilhelm Fink Verlag Paderborn 2015

Ich kenne diese Komplizenschaft, aber ich kann sie nicht schätzen. Zu glauben, dass man durch die Kenntnis eines Werkes, die Liebe zu ihm, etwas Besonderes sei. Klar, dass man Bündnisse schließen kann, indem man einander beim Hören unterstützt, flüsternd Beobachtungen austauscht, um Wiederholung einer Stelle bittet, auch, dass man all dies überbewertet, als sei jegliche Deutung nicht im einmaligen Werk angelegt, sondern immer in der einmaligen Psyche des hörenden Subjekts. Ist es noch besser, wenn es zwei sind, die zum Einverständnis kommen, sich darob gut verstanden und stärker zu fühlen, und diese Stärke, dieses Wohlbefinden, gegen einen Dritten richten zu können, der weniger informiert ist und nicht anwesend war? Wie dort, bei Szendy, in der einvernehmlichen Abendstille mit den Grillen. Und mit dem großen (starken) Onkel. Ich kann das nicht gut finden und erst recht nicht nachträglich zum Muster des Hörens erwählen.

Ich erinnere es anders, da war ich allerdings ein paar Jahre älter: ich war allein, auf Langeoog, im Landschulheim, im Schlafzimmer meiner Eltern und durfte dort Radio hören. Mozart Klavierkonzert A-dur, KV 488, und der langsame Satz ergriff mich so, dass ich am liebsten geweint hätte; vielleicht habe ich es sogar getan, jedenfalls war klar, dass es ganz allein um mich ging. Mir wurde etwas eröffnet, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Habe ich mich als Hörenden gehört? Oder habe ich mich nicht vielmehr als Fühlenden gefühlt? Jedenfalls war es mein Erlebnis, verbunden mit dieser Musik, sie gehörte mir. (Ich wusste noch nicht, dass ich ein Stück ausgewählt hatte, das Millionen andere Menschen auch ausgewählt hätten oder längst ausgewählt hatten. Genauso ging es mir später mit dem langsamen Satz der Dvorak-Sinfonie „Aus der Neuen Welt“. Und Millionen Anderen vor mir.) Gern hätte ich mein Geheimwissen an einzelne Freunde weitergegeben, aber es gab noch keinen Plattenspieler, es gab nur die Notenschrift. Später notierte ich mir also die Melodien, merkte aber, dass es mit Vorsingen nicht getan war. Oder ich identifizierte die Sachen in Reclams Konzertführer. So waren sie wenigstens wiederzufinden. Etwa als ich das Mendelssohn-Violinkonzert in der Oetkerhalle mit Christian Ferras gehört hatte, und es zu meiner Freude im Notenschrank meines Vaters entdeckte („Kriegsausgabe“ seltsamerweise). Es war mein Konzert, es gehörte mir, und ich hatte ja irgendwie recht, die meisten Menschen meiner Umgebung kannten es nicht, nur mein Geigenlehrer. Aber für den war es „ein alter Hut“. In solchen Fällen wurde am ehesten meine Mutter zur Komplizin. Sie sah mich auf dem Weg: ich hatte die Noten und den Zugang zu den Instrumenten.

Peter Szendy (Seite 20):

Später, und einfacher, wollte ich meine Zuhörerlebnisse teilen, ich liebte es, dies zu tun. Als ob ich ihnen eine dauerhafte Marke aufdrücken wollte, die sie als die meinen kennzeichnen und die sie, wenn schon nicht ausdauernd, so zumindest auf andere übertragbar machen würden.

Es stimmt, ich möchte jedesmal mein Zuhören signieren. (…)

Nein, einfach als Hörer möchte ich mein Zuhören signieren: Ich möchte dieses Klangerlebnis, das kein anderer außer mir, dessen bin ich mir sicher, jemals so gehört hat wie ich, punktieren*, identifizieren und teilen. Darüber gibt es keinen Zweifel. Und ich bin sogar davon überzeugt, dass es musikalisches Zuhören nur unter der Bedingung dieses Wunsches und dieser Überzeugung gibt, anders gesagt: dass das Zuhören – und nicht das Anhören oder die Wahrnehmung – mit diesem legitimen Wunsch, signiert oder adressiert zu werden, beginnt. An andere.

(*mit dem Wort „punktieren“ – frz. ponctuer – kann nur „interpunktieren“ im Sinne von „gliedern“, „übersichtlich machen“, gemeint sein. JR)

Es wird deutlich, dass ich Szendy lese, um seine musikalischen Gedanken und Erinnerungen für mich  –   n a c h b a u en zu können. Und bin daher zugleich vom Widerspruch begleitet, denn bei ihm fehlt die Rolle der Instrumente (ich weiß, dass er Klavier gelernt hat, aber es kommt nicht vor). Das liegt daran, dass er seine prägende Zeit eine Generation später erfahren hat. Als die Medien schon omnipräsent waren. Ich kann meine frühen Radioerlebnisse einzeln aufrufen, ich kann einzelne Schallplatten in der Reihe ihres Auftauchens bei uns benennen, ich weiß, wo die ärgerliche Wendestelle in Edwin Fischers „Pathétique“ war (im zweiten Thema  der Expositionswiederholung). Ich konnte das Märchen vom Froschkönig mit der Stimme und dem Tonfall des Mathias Wiemann auswendig nachsprechen. Dieses Märchen gehörte mir.

In einem Punkt unterschied sich nach wie vor mein Hören von dem, das Szendy beschreibt: obwohl ich es – wie er sagen würde – auch signiert habe, niemals habe ich dabei ein Du musst empfunden. (Erst einige Jahre später habe ich gelegentlich die Forderung des Kunstwerkes im Sinne Rilkes verstanden: Du musst dein Leben ändern!) Ich fühlte mich angeregt, selbst auch etwas zu erfinden: ich schrieb kleine Melodien für Sologeige und entdeckte am Klavier Terzen- und Sextenparallelen. Ich hielt das für kleine eigene Kompositionen, legte auch Wert darauf, es so zu bezeichnen. Und nun stoße ich bei Szendy auf einen Schritt (Seite21), den ich nicht im geringsten nachvollziehen kann:

Als Hörer habe ich manchmal den Eindruck, alle Berufe der Musik, wie man sagt, ausgeübt und alle Posten besetzt zu haben: abwechselnd Komponist (kleiner vergessener, bloß imaginierter, flüchtig gesehener Meisterwerke), Herausgeber oder Kopist (wenn ich dir das von mir so geliebte Thema als ein auf eine Postkarte gekritzeltes Stück eines Notenregisters schicke), Improvisation eines Augenblickes (wenn ich mich darin versuche, dem Orchester der Brandenburgischen Konzerte von Bach einige konzertante Klaviertöne hinzuzufügen, ähnlich einem ein wenig frevelhaften Karaoke-Fan), ja, sogar Dirigent (den Takt an- und die Einsätze vorgebend, gnadenlos die Nuancen von diesem oder jenem Lieblingsstück in meiner Musikbibliothek anzeigend)…

Die Stelle mit dem „Notenregister“ ist höchstwahrscheinlich eine Fehlübersetzung, aber der Vorgang, dass man sich für eins der Brandenburgischen Konzerte begeistert (man kann sich nur dafür begeistern!) und zugleich veranlasst fühlt, „einige konzertante Klaviertöne hinzuzufügen“ – etwa nach Karaoke-Art -,  ist völlig absurd. Selbst wenn ich einige Stücke aus meiner Bach-Sammlung („Mein gläubiges Herze freuet sich“, oder ein Menuett, ein Marche aus dem Notenbüchlein der Anna Magdalena Bach) auswendig konnte, hätte ich es als grässliche Mogelei empfunden, einzelne Töne zu verändern. War dies mein „Du musst“? Oder auch jenes, das Szendy meint? Vielleicht eine Vorform der Werktreue, die darauf beruht, dass ich jedenfalls keinen Moment lang denke (denken kann oder denken darf?), ich könne das Stück verbessern.

An etwa diesem Denkübergang beginnt Szendy von Hörerrecht zu sprechen, und wie ich es auch drehe und wende, diesen Übergang finde ich verkrampft oder an den Haaren herbeigezogen. Hätte ich denn, außer Bewunderung zu empfinden, auch noch meine Rechte gegenüber Bach geltend machen können? Woher sollte mir eine solche Idee kommen? Selbst wenn ich damals erfahren hätte, dass die Menuette, die ich liebte, gar nicht von Bach stammten, sondern bei Petzoldt abgeschrieben waren. Wie leicht hätte ich eine Rechtfertigung gefunden! Aber die Idee, dieses Stück durch Manipulation meinerseits zu meinem eigenen zu machen, lag so fern wie der Mond. Es war mein eigenes aus Bachs Gnaden, sobald ich es in den Fingern hatte. Dann erst wollte ich es meinen Freunden vorspielen. Allerdings habe ich mich wohl auch mal, wenn ich etwas auf der Geige gespielt hatte, zur Erheiterung meiner Mutter vor dem Ofen verbeugt.

Nun spricht Szendy schon sehr bald von einer anderen Phase der Adoleszenz oder sogar von der Gegenwart (wenn er – wie in einem Brief  – ein Du anspricht, vielleicht die Widmungsträgerin des Buches), es ist auch die Zeit der allgemeinen Verfügbarkeit von Musik über die Medien: er spricht nicht von Noten, sondern von Aufnahmen: nicht nur Takten aus Don Giovanni, dem Hämmern aus Sacre du Printemps, sondern auch vom (hörbaren) Atemzug Glenn Goulds, dem hörbaren Murmeln während einer Improvisation Keith Jarretts, dem Akzent und der Stille bei Bill Evans. Er spricht von Lieblingsmomenten in seiner eigenen Musikbibliothek (er meint: Tonträgersammlung) und: wie er sie übermitteln möchte:

Einfach, um dich darauf vorzubereiten, diese Momente zu hören, wie ich sie höre, beginne ich, sie dir mit Worten zu beschreiben, doch vergeblich. Sogleich beginne ich, sie zu verlieren. Wenn wir zuhören, wir beide; wenn ich wie durch Telepathie fühle, dass das, was du hörst, so weit von dem entfernt ist, was ich dich gern hätte hören lassen, dann sage ich mir: Dieser Moment war letztendlich vielleicht gar nicht meiner. Denn ich wollte dich meinem Zuhören zuhören hören – ja: dich beim Zuhören hören (t’entendre écouter)! Vielleicht ein unmöglicher Wunsch – das Unmögliche selbst.

Ich habe irgendwo davon gelesen, dass Peter Szendy Klavier spielt, aber es ist nicht sein „Medium“, seine Schilderung erinnert mich stark an solche von Musik-Laien, die sich in Musiker hineinversetzen. Z.B. in meiner Studienzeit, als ich mit dem Geigen-Kollegen Dietmar Mantel des öfteren bei dem gleichaltrigen Soziologiestudenten Elmar W. saß, der uns begeistert seine Schallplatten des Trios Heifetz, Feuermann, Rubinstein vorführte und deren Nuancen auf Luftgeige mitmimte. Was für ein Musiker – ohne Handwerkszeug! Und nun Szendy (Seite 23):

Ich stelle mir vor, dass ein Pianist, ein Komponist, kurz: Musiker, der sich im Gegensatz zu mir nicht mit dem Spielen von Worten oder dem Abspielen seiner Anlage begnügt, dass dieser Musiker ebenfalls in erster Linie den Wunsch verspürt, ein Zuhören zum Hören zu bringen. Sein Zuhören.

Was kann ich also tun, um dieses mein Zuhören zum Hören zu bringen? Ich kann wiederholen oder einige Takte in Endlosschleife wiedergeben, und was ich höre, kann ich beschreiben und nochmals beschreiben. Manchmal gelingt es. Manchmal hörst du meinem Zuhören zu. Ich höre dich, der meinem Zuhören zuhört. Aber dies passiert so selten.

Wäre ich Musiker, mehr Musiker als ein einfacher Hörer oder Spieler von Musikanlagen und Worten, dann begänne ich wahrscheinlich erneut zu schreiben. Zu bearbeiten und zu arrangieren. Diesen Satz würde ich unterstreichen, jene Note verdoppeln, diesen Takt verkürzen, um den Akzent auf jenes Motiv zu setzen, ich würde mir vielleicht das virtuelle Orchester, das ich höre, vorstellen und umschreiben, damit es dir, unter meiner Führung, die genaue Veränderung des Moments vorspielt, ordnungsgemäß vorbereitet und mit Kunst verabschiedet, exakt so wie er in meinem Ohr erklingt. Ich würde mich zum Bearbeiter, Kopisten, Instrumentalisten, kurz, zum Arrangeur machen, um mein Zuhören im Werk eines anderen zu signieren und zu notieren.

Bei der gründlichen Lektüre dieser Abschnitte, die ich mir durch sorgfältiges Abschreiben zueigen mache, – sie sind mir etwas rätselhaft geblieben, sollen aber offenbar den Schlüssel zum ganzen Buch liefern – begreife ich allmählich, dass der Hörer sein Hören dem des Komponisten entgegenstellt. Ich habe den leisen Verdacht, dass es um schöne Stellen geht, die der Komponist törichterweise in ein Ganzes eingebettet hat. Der Autor aber, mit besonderer Imaginationsfähigkeit begabt, spürt offenbar eine große Nähe zu den Arrangeuren. Liszt, der Beethoven transkribiert, Schönberg, der Bach orchestriert, Gould, der Wagner für Klavier adaptiert. Wobei zu beachten wäre, dass Bearbeitungen für Klavier im 19. Jahrhundert, als es noch keine Tonaufzeichnungen (oder Welte-Mignon-Apparate) gab, eine ganz andere Funktion hatten als in späterer Zeit, als die Aufzeichnungsgenauigkeit auch das Nachdenken über die Originale und deren Interpretation veränderte. Das weiß Szendy selbstverständlich, und dennoch zieht er die Trennungslinien ganz anders, um zu anderen Folgerungen zu kommen.

Um in der Archäologie meiner Jugend fortzufahren: von den gemeinsamen Hörerlebnissen (Bad Oeynhausen) würde ich einige Schlager festhalten, z.B. „Der Wilddieb“ („Ein Schuss und gleich drauf ein Aufschrei, und der Förster lag sterbend im Sand“), vom vielen Hören konnten wir es beide mit allen Strophen auswendig. Später (Paulusstraße) war die Zentralfigur meines Bruders der blinde Sänger Wolfgang Sauer. Titel wie „Glaube mir“ und „Du hast ja Tränen in den Augen“ waren ihm Ausdruck tiefster Menschlichkeit, für mich übertrieben, es war sein Hören und Projizieren, ich liebte meine Telemann-Sonatinen, dann Händel F-dur, dann D-dur. Ich kam mir edler vor, las auch noch Heldensagen und Tierbücher, malte misslungene Rehe, sah im Kino „Lied der Wildbahn“, mein Bruder zeichnete amerikanische Straßenkreuzer und Stromlinien-Züge. Seine Pubertät befremdete mich. Natürlich versuchten wir uns gegenseitig das jeweils eigene Musikhören als überlegen zu suggerieren; man brauchte den anderen, um sicher zu gehen. Später, bei Wagner (Lohengrin) und Puccini (Butterfly) kamen wir wieder überein.

Und eines Tages, damit wäre ich wieder bei Szendy, hörten wir beide das Hören eines anderen: im Untermieterzimmer, das neben unserm Kinderzimmer lag, nur durch eine mit Regalen zugestellte Verbindungstür getrennt, wohnte ein Herr, der den Namen unserer Stadt Bielefeld trug, minimal anders geschrieben, ich glaube mit -t am Ende, was wir schon als Makel ansahen. Er war uns nicht sympathisch, zumal er sich beschwert hatte, dass mein Bruder abends vor dem Einschlafen Schlager sang oder gar amerikanisches Silbenkauderwelsch (bub-bap-baluma). Und dann bekam Herr B. eines Abends Besuch, wir hörten den Gesprächspegel auf und ab wallen, und plötzlich wurde es laut: Herr B. schwärmte in höchsten Tönen von einer Sängerin, „sie ist sooo klein. Und sie singt!!!“ – Maria Stader – „du glaubst es nicht! Man möchte sterben!“ usw., „ich muss das mal auflegen!“ Danach Sesselrücken, Getrappel und kurz darauf die Schallplatte: „Bald sind wir auf der Höhe“ und „Eines Tages seh’n wir“, es waren unsere Butterfly-Gesänge, unsere Aufnahme, die wir tagsüber unentwegt hörten. Und unser Bild des Herrn Bielefelt drehte sich um 180 Grad, die Schreibweise war korrekt, wer so Musik hört, musste ein guter Mensch sein. Wir hatten ihn beim Hören gehört, wir hatten sein Hören gehört.

***

Seltsamerweise erscheinen bisher hauptsächlich hörende Kleinstgruppen. Aber bei meinem zentralen Früh-Erlebnis (mit Ferras und dem Mendelssohn-Violinkonzert) war auch die Menschenmenge in der Oetkerhalle eindrucksvoll, und wie der Solist da in der Ferne auf der Bühne stand und mit der Geige jeden Winkel des Saales erreichte. Ein andermal erschrak ich über meinen Geigenlehrer, der während eines modernen Werkes (Henzes „Ode an den Westwind“) türenschlagend den Saal verlassen haben soll. (War ich anwesend? Es stand sogar in der Zeitung). Eine peinliche Demonstration. – Heute würde ich als erstes die Relation des Einzelnen zur Masse untersuchen. Ich liebe es, Streichquartett in einem gleichgestimmten Publikum zu erleben, es gibt keine mächtigere Stille als die der geballten Aufmerksamkeit. – Oder auch ganz ohne Publikum, zu viert? Oder auch allein mit Kopfhörern vor dem Bildschirm?

***

Szendy kommt noch einmal auf seinen Onkel zurück, um dann vor allem die Kunst der Arrangeure im weitesten (allzu weiten) Sinn und deren rechtliche Situation zu behandeln. Diese ist aber nur dann relevant, wenn eine große Öffentlichkeit beteiligt ist, die dann – so meine ich – vor allem für den Fluss von Geldern zuständig ist. Was man privat hört oder (ab)spielt, der eine mit seinem Onkel, der andere mit seinem Bruder, ist rechtlich uninteressant. Der Kreis der Hörer und Nutznießer muss also definiert werden, wenn das Besitzrecht an der Musik diskutiert wird. Und wenn dann von Hörregime die Rede ist und von einer Unterwerfungsfigur gegenüber dem Werk u. dgl., bedarf es genauer Definitionen. Ich bin nicht sicher, ob die Geschichte von Allegris Miserere und Mozarts heimlicher Niederschrift in diesen Rahmen gehört. Es müsste dargelegt werden, wieviel Mystifikation im Spiel ist, einmal was die Geheimhaltung anging (es gab durchaus schon einige Abschriften, siehe Maynard Solomon und Martin Geck), zum anderen in Leopold Mozarts Brief, wo es u.a. auch um die Sakrifizierung des Wunderkindstatus‘ seines Sohnes ging.  Doch weiter mit Szendy (Seite 24):

In der Tat gibt es in der Geschichte der Musik Hörer, die ihr Zuhören aufgeschrieben haben. Es sind die sogenannten Arrangeure, die mich seit langer, so langer Zeit faszinieren.

Das Thema von XY im Stil eines anderen arrangiert, Ellington in Monk, Bach in Webern, Beethoven in Wagner… Der Arrangeur (der von Zeit zu Zeit außerdem Autor sein kann) ist nicht nur ein Virtuose der Stile: er ist ein Musiker, der ein Zuhören aufschreiben kann; der, egal mit welchem klanglichen Werk, dieses zum Zuhören bringen kann wie… Es ist ein bisschen wie bei meinem Onkel und mir, mit dem Zusatz der Schrift und der Kunst. Es ist ein wenig so, als ob mein Onkel und ich entschieden hätten, unser Zuhören offenkundig zu machen, es nicht auf eine Einzelne zu beschränken, auf ein Kind; als hätten wir es, unser Zuhören, an eine wirkliche Öffentlichkeit adressieren wollen. Und genau aus diesem öffentlichen Charakter des Arrangements ergeben sich all die juristischen Fragen (…).

Wieso ist ein Arrangeur ein Virtuose der Stile? Wenn Webern Bachs Ricercare bearbeitet, als sei es ein Stück von Webern? Wenn Wagner Retuschen an Beethovens Sinfonien vornimmt, indem er z.B. Motive, die von einem Instrument zum anderen wandern, in eine durchgehende „wagnerische“ Linie verwandelt? Nennt man so einen, der nur das Eigene gelten lässt, einen Virtuosen der Stile? Nebenbei: niemand verlangt das. Ein Virtuose der Stile wie Siegfried Ochs (Kommt ein Vogel geflogen) will gar nicht ernst genommen werden. Die großen Opernparaphrasen jedoch, die großen Variationswerke (Mozart in Chopins Klavierhand oder in Regers Orchester) – werden sie nicht immer dem Geschmack der „Verwerter“ angepasst? Ist ihre kreative Mozartverehrung strafwürdig? Ist ihre Leistung vergleichbar mit dem bloßen „Zurechthören“ eines Musikstücks, das natürlich kaum nachweisbar ist und wenn doch, sich als höchst uninteressant erweisen würde? Das Adagio, das der kleine Szendy mit seinem Onkel gehört hat, wenn es mit Zauberhand verschriftlicht würde, wäre mit Sicherheit als das Adagio aus der Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Orchester von Bartók erkennbar. Allerdings ohne Grillen und ohne verängstigte Schwester.

Soviel für heute. Es wird weitergehen. Auch die nur angedeutete eigene Hörgeschichte, deren weitere Rekapitulation ergiebig sein könnte. Wie die jedes Menschen.

(Zu Mozart und Allegri wird ein Extra-Artikel folgen)

Gerade in diesem Moment (4.7.2017 um 17.16) erreicht mich die zum Thema passende Liste eines Antiquariats. Was für ein Markt das einmal gewesen ist! Auch ohne Kauf-Intention eine wunderschöne Anregung:

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