Archiv für den Monat: März 2017

Megapötte

Was hat mich nach Hamburg geführt?

Und wieder zurück? Natürlich die Deutsche Bahn, das Mega-Unternehmen. Zuverlässig und preisgerecht. Ein Billigflug käme mir nicht in den Sinn. Kaum wieder zuhaus, schlage ich die Zeitung auf und sehe den Megapötte-Bericht, der aber kaum das Gigantomanische aufs Korn nimmt, das auf der Hand liegt. Er könnte auch als Empfehlung gelesen werden. (In meinem Scan so verkleinert, dass es gar nicht lesbar ist, auch das Bild seine Qualität kaum entfalten kann, so dass die Wiedergabe hoffentlich rechtlich nicht bedenklich ist. Das dpa-Foto stammt von Christian Charisius, der Bericht von Michael Zehender.) Bitteschön, da drüben liegt auch das bunte Zelt „König der Löwen“, und auch dafür, obwohl Ziel für Hunderttausende, habe ich keinen Sinn. In Hamburg ist vieles „mega“, und es keine Schande, darüber zu staunen. Wer will die Pyramiden kritisieren, nur weil sie so gewaltig dastehen. Übrigens weiß man nicht, ob die Größe dort (die Menge der Steine) auch in Relation zu einem Geschäft mit den Göttern stand, wie hier etwa die Menge der Kabinen. Und wieder steht das Wort Elbphilharmonie im Raum und im nächsten Moment das Wort Akustik. (Nein, nicht hier!)

Kreuzschiffe ST mikro So zu lesen als Sonderveröffentlichung im Reisemagazin meiner Tageszeitung (Solinger Tageblatt), und zwar am 18. März, genau an dem Tag, an dem ich in der Elbphilharmonie zu sprechen hatte. Vom schönen Restaurant des Hotels Hamburger Hafen hatten wir genau diesen atemberaubenden Ausblick, wenn auch ohne Megapott im Zentrum. Der stand weiter links, gewissermaßen im Versteck, erschreckend, wenn man ihn identifizierte. Und so soll er auch – sagen wir – in Venedig auftauchen? Der Artikel hält sich mit Bewertungen zurück: „Durch die Größe des Schiffs kann man die Reise für den einzelnen Kunden billiger anbieten“, wird der Chef vom Kreuzfahrtverband Deutschland zitiert. Genauso wird die Fleischqualität und ihr Preis auf dem Markt kalkuliert, er hat nichts mit dem wahren Wert des Produktes zu tun. Der wird anders diskutiert und definiert. Übrigens findet man den für Solingen ohnehin gekürzten Artikel in voller Länge an ganz anderer Stelle online: Hier

Ein Freund, der diese Schiffe vor Jahren ausgiebig genutzt hat, schrieb mir dazu:

Ja, wir haben, glaube ich, vier Fahrten mit der Aida gemacht. Die beste war natürlich die nach N.Y. 2009. Aber dann waren wir es irgendwie leid, meine Lebensgefährtin eher als ich, versuchte ich doch bis zuletzt die Größe der Schiffe als schwimmenden Klein-Kosmos zu verklären, ohne die damit verbundenen Nachteile sehen zu wollen: invasionsartige Landgänge, die sich dann aber in einzelnen Busgruppen zu irgendwelchen Besichtigungszielen trennten. Nicht einmal wirtschaftlich brachte das Anlegen z.B. den Einwohnern Grönland etwas, denn niemand kaufte oder verzehrte etwas, gab es doch alles an Bord meist besser und umsonst. In Grönland blieb das Schiff weit draußen auf dem Meer, und der Transfer vollzog sich in kleineren Motorbooten. Also nicht in dieser überfallartigen Wucht wie in Venedig, wo das ganze Stadtbild zum Negativen relativiert wird. Ach, ich könnte mich noch lange über Vor- und Nachteile auslassen, aber das Entscheidende ist wohl, dass nichts richtig haften bleibt bei diesen kurzen Landgängen. Und der freie Alkoholkonsum an Bord ist natürlich auch so ein Problem.

Ich finde, man sollte auch kundige Kunden-Beurteilungen zur Kenntnis nehmen. Denn das bloße Erschrecken über die schwimmfähigen, flach liegenden Hochhäuser im Hamburger Hafen erschiene vielleicht unbegründet und provinziell. Man könnte aber leicht noch andere Aspekte hinzufügen, die ebenfalls einiges über die Kollateralschäden des Gigantismus aussagen. Denn natürlich geht es nicht nur um den Tourismus, – ein Stichwort soll genügen: Elbvertiefung.

Nun zum Ernst des Lebens, der übrigbleibt, wenn er eigentlich größtenteils ausgeblendet wird oder sich aufs ganz Private beschränkt: der einfache Blick nach draußen (um es kompliziert auszudrücken). Gleich hinter der Kuppel des Eingangs zum alten Elbtunnel: die AIDA.

Hamburg Hafen März Aida 35 Hamburg Hafen März Regen Hotelausblick 34

Hamburg Hafen Ausblick von Hotelhöhe 3 Hamburg Hafen März Hotel 2 Hotel Hafen Hamburg

Hamburg Hafen März Regen 8a Regen reichlich

Hamburg Hafen März Elphi 21 Ein orkanartiger Sturm bahnt sich an

Hamburg Hafen März Blaues Schiff Die Elbphilharmonie, das Ziel der Reise

Hamburg Hafen März Michel ua Andere Seite, durchs Fenster der Tower-Bar

Mein Ziel war allerdings eher eine Reise ins Innere, nicht nur ins Innere der Elbphilharmonie, sondern auch meiner eigenen Erinnerung, nämlich die Zeit, als ich mich mit syrischer (libanesischer, arabischer) Musik zu befassen begann, ohne unsere klassischen Musik, mit der mich die Geige verband, aufgeben zu wollen: 1967. So hatte es nicht nur praktischen Wert, die Geige auch hier einzubeziehen, sondern vor allem symbolischen. Nebenbei: die Geige ist der Gegengott des Gigantismus. Auch wenn sie bei Bach in seinen Solissimo-Werken ein ganzes Universum umfasst. Sie kann es ebenso mit der phantastischen Entfaltung arabischer Melodik aus einem Mikro-Element von drei Tönen. Zum Beispiel im Genus Sikah oder Segah, der Basis des gleichnamigen Maqams. Oder auch des Maqams Huzam…

JR in HH 170318

Am 18. März 2017 im Kleinen Saal der Elbphilharmonie, thematisch anknüpfend an die Arbeit, die ich vor fast genau 50 Jahren (nach einer Orient-Tournee als Geiger) begann und die im Jahre 1971 als Dissertation mit Notenband veröffentlicht wurde.

JR Dissertation

(Fotos: E.Reichow)

Flug nach Faro

Sub specie aeternitatis 25.Februar 2017

Portflug 1

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ZITAT

Auch die Größe der Erde begünstigt das Leben. Sie ist groß und damit massereich genug, um dank ihrer Schwerkraft eine Atmosphäre zu halten, aber wiederum so klein, dass die Lufthülle nicht zu dick und undurchsichtig ist. Größe sowie felsige Beschaffenheit sind auch ausschlaggebend für weitere lebensfreundliche Bedingungen: etwa die Klimaregulierung durch Plattentektonik und für die Existenz eines Magnetfelds, das die Biosphäre vor schädlicher kosmischer Strahlung schützt.

Wenn wir jedoch genauer hinsehen, differenziert sich das Bild. Über den gesamten Erdball gesehen variieren die Bedingungen sehr. So sind weite Bereiche der Oberfläche wie die ariden Wüstengebiete, der nährstoffarme offene Ozean oder die eisigen Polarregionen beinahe frei von Leben. Auch ändern sich die lebensfreundlichen Bedingungen mit der Zeit. Während des Karbons etwa, der Zeit vor 350 Millionen Jahren, war die Atmosphäre wärmer, feuchter und sehr viel sauerstoffhaltiger als heute. In den Meeren gediehen Schalentiere, Fische und Korallen, große Wälder bedeckten die Kontinente, und Insekten und andere Landbewohner entwickelten sich zu unglaublicher Größe. In seinem damaligen Zustand könnte unser Heimatplanet deutlich mehr Biomasse beherbergt haben als heute. So gesehen ist er jetzt unwirtlicher.

Außerdem wissen wir, dass uns eine noch weitaus unangenehmere Zukunft bevorsteht. In rund fünf Milliarden Jahren wird die Sonne ihren Vorrat an Wasserstoff verbraucht haben und damit beginnen, in ihrem Innern das energiereiche Helium zu fusionieren. Dabei wird sie zu einem roten Riesenstern anwachsen und die Erde in Schutt und Asche legen. Doch wahrscheinlich wird es bereits lange vorher kein Leben mehr geben. Noch während die Sonne Wasserstoff verbrennt, wird die Temperatur in ihrem Inneren nach und nach ansteigen, so dass auch ihre Leuchtkraft um etwa zehn Prozent pro einer Milliarde Jahre zunehmen wird. Die lebensfreundliche Zone um die Sonne ist also nicht statisch, sondern dynamisch. Mit der Zeit entfernt sie sich immer weiter von unserem Zentralgestirn. Schließlich wird sie über die Erde hinauswandern und diese unter äußerst unwirtlichen Bedingungen zurücklassen. Es steht sogar noch schlimmer um uns: Wie aktuelle Berechnungen zeigen, befindet sich die Erde bereits heute am inneren Rand der lebensfreundlichen Zone und damit schon nahe der Überhitzung.

Quelle Spektrum der Wissenschaft Spezial 4.16 Seite 74 f René Heller: EXOPLANETEN Besser als die Erde. Im Universum dürfte es reichlich Planeten geben, die noch lebensfreundlichere Bedingungen bieten als unser eigener.

Portflug 20 Portflug 21 Portflug 22 Portflug 23 Portflug 24 Portflug 25 Portflug 26 Portflug 27 Portflug 28 Portflug 29 Portflug 30  Portflug 32 Port 33 Port 34 Port 35 Port 36 Port 37 Port 38 Port 39 Port 40Port 41 Port 42 Port 43 Port 44 Port 45 Port 46 Port 47 Port 48 Port 49 Port 50 Port 51 Port 52 Port 53 Port 54  Portflug der Tag danach 20170226 Am Tag danach.

Die gesicherte Aussicht auf 5 Milliarden Jahre Sonnenschein hatte mich schon mal sehr beruhigt. Oft genug verlangt man ja von mir, ich solle mich mehr um die Ewigkeit kümmern. Und im Flugzeug war gewiss der rechte Ort. Auch die Zeit ist ja prinzipiell da. Wann sonst wenn nicht JETZT ?!

(Alle Fotos Huawei Smartphone ©JR)

Sharfadinah usw.

In neuem Kontext (Bigband)

Bevor man sich dieser alternativen Version widmet, sollte man die andere, am Ende des vorigen Beitrags, gut studiert haben. Denn die Frage lautet: wohin geht die Reise jetzt? Verträgt das emotional facettenreiche Stück eine solche Aufblähung durch ein massives westliches Instrumentarium? Und wie kann ein Erweiterung von 6 auf 13 Minuten funktionieren? Wohlgemerkt: es geht nicht um ein Werturteil! Auch die erweiterte Version wirkt ja auf Anhieb überzeugend, weil der Sänger die große Bühne zu nutzen versteht. Wenn man also die Aufgabe angeht, in einer „fremden“ Musik sinnvoll zu differenzieren, statt sich einfach hinreißen zu lassen (was auch eine sinnvolle Verhaltensweise sein könnte), sollte man sie für sich präzisieren: wie gelingt die Erweiterung,  wieviel Abschnitte gibt es eigentlich, und was ist letztlich aus unserm inzwischen vertrauten „Sharfadinah“ geworden?

Tatsächlich ist das Lied „Sharfadinah“ hier keine zwei Minuten lang, ab 1:51 klingt es aus, und bei 1:55 geht Keivo kunstvoll zu einem anderen Motiv über: es gehört zu dem kurdischen Tanzlied „Khanemeh“ (das auf Keivos Solo-CD in Tr. 8 „Dabkeh from Al-Jesireh“ als zweites von 4 Stücken enthalten ist). Es wird nur angedeutet, wie eine Erinnerung, mit einer gesprochenen Bemerkung, unter der bereits die Ney-Flöte ab 2:02 mit einem melismatischen Solo beginnt, das einen anderen Maqam anklingen lässt (Hijaz). Neuer Gesangseinsatz bei 2:37. Hier handelt sich um einen „Yesidi epic song“, überschrieben mit  „Dalal Darwish Abdi“ (auf Keivos Solo-CD Tr. 9, identischer Einsatz bei 0:22), hier ab 3:01 unterbrochen von der Flöte, bis 3:13 im vorher schon angestimmten Maqam, erregte Stimmung, vom Sänger fortgeführt bis 4:02 (= Übergang zum neuen Motiv), Rhythmus setzt ein. Melodie (mir) unbekannt. Bis 8:16 (Gen.pause). Weiter (anderer Rhythmus, andere Melodie)  – Ney-Improvisation (fremde Maqam-Anklänge) 9:52 bis 10:42 – alle frei – uferlos – Melodie bleibt – Temposteigerung bis Schluss + Auslauf (13:49).

Ich zähle also mindestens 5 selbständige Melodien und dazu die maqambezogenen Ney-Improvisationen, das heißt etwa 8 Abschnitte.

Ibrahim Keivos Solo-CD auf jpc (mit Anspielmöglichkeit der einzelnen Titel): HIER. (Achtung: noch nicht überprüft, da ich mit den Titeln so gearbeitet habe, wie sie auf Spotify aufgelistet sind. Irrtum nicht ausgeschlossen.)

Spotify Screenshot 2017-03-13 11.09.23 Spotify Screenshot

Die Vorarbeit ist noch lange nicht beendet. Aber ob überhaupt jemand den kleinen Hinweis entdeckt? Dann sitze ich zumindest als gut vorbereiteter Hörer im 18-Uhr-Konzert. Jedoch: Einführung ist um 17 Uhr, wenn sie denn gewünscht wird…

Syria Keivo + Einführung

Und auf jeden Fall werde ich den folgenden Text vorlesen, auch im leeren Saal:

Sharfadina – „Der heilige Prophet“

Aus der religiösen Tradition der Yesiden, wie sie während der Zeremonien im Lalish-Tempel vorgetragen wird, dem Pilgerziel aller yesidischen Gläubigen in der Welt. Der Tempel von Lalish liegt in der Nähe von Mossul.

Der Gesang evoziert ein Gespräch zwischen der Mutter und dem großen Yesidi-Propheten.

„Oh sanfte Mutter! Im Namen Gottes und seiner allmächtigen Stärke, erzähle mir, wie der Yesiden-Sultan im Universum erschien.“

Die Mutter ruft laut: „Was soll ich sagen, es war wie ein morgendlicher Albtraum, aus dem ich erwachte mit einem furchtbaren Schrei um Hilfe.“

„Was hast du gesehen?“

Sie fuhr fort: „Der Prophet Yezid erschien mir in jedem und jeglichem winzigen Teil des Universums … in der Wüste, in der Weite des Meeres, in den Dörfern und in den Städten, ein schimmerndes Licht, das über allem lag.

Schau hinauf, der du unser Prophet bist! Du bist weder groß noch klein an Gestalt… aber in all deiner Stärke und Vollkommenheit.“

Hier fuhr der Yeziden-Prophet fort, meine Mutter zu fragen: „Was für ein erschreckender Morgen… Ich bitte dich und frage dich im Namen dessen, der Tag und Nacht schuf: wer ist mein Vater? Sprich und sage es!“

Die Mutter sagt: „Dein Vater ist Tawoos Malek, der König der Könige, sitzend auf dem Thron von Zeit und Raum… alles ist unter seinem Befehl … und sein großer Tempel, Lalish der Leuchtende, wurde auf seinem Namen errichtet.“

Aktuelles in Kürze (2)

Zukunftsperspektive

Ich beziehe mich auf den vorigen Beitrag mit gleichem Titel (hier).

Dort hatte ich u.a. eine längere Passage von Richard David Precht zur aktuellen gesellschaftlichen Lage wörtlich zitiert (dargelegt in einem Gespräch mit Nikolaus Blome).

Offenbar referierte er damals aus seinem Buch „Die Zukunft der Arbeit“, das im Gespräch mit Markus Lanz vor zwei Tagen (am 9. März) wieder zu ausführlichen (interessanten!) Erörterungen und Prognosen führte. Wer es also lieber hört statt liest, kann es HIER ab 33:10 nachholen. Auch das vorhergehende Gespräch mit Edzard Reuter (unter Beteiligung von Precht) über die Verhältnisse in der Türkei ist hörenswert.

Übrigens findet man unter dem Titel „Zukunft der Arbeit“ bereits seit dem 19.10.2014 Sendungen (auch auf youtube abrufbar s.u.), z.B. ein Gespräch mit Sascha Lobo:

Wirklich neu erscheint mir das, was ich im folgenden verlinke, um es regelmäßig zu verfolgen (ich verdanke es dem Hinweis im Presserundbrief von Berthold Seliger (s.a. hier), der selbst mit einem schönen Beitrag über Konvention in der Klassik u.a. vertreten ist):

ZITAT

Selbsterwähnungsbusiness III:
In der soeben erschienenen März-Ausgabe der sowieso großartigen und einzigartigen österreichischen Zeitschrift „Versorgerin“ steht mein Artikel „Weltzustimmungsmusik. Über Musik, die gänzlich Konvention sein will und nichts anderes“ (das Schwerpunktthema der Ausgabe ist „Konventionen“). Auch schon online. –

Soweit das Zitat aus dem Presserundbrief von Berthold Seliger, dessen Empfehlung ich mich anschließe, insbesondere auch aufgrund des Artikels von Felix Riedel: Untergangsriten. Zum Relativismusproblem nicht nur in der Ethnologie. Direkt: Hier.

Das private Blog-Angebot von Felix Riedel, das einen durchaus viel Zeit kosten kann, findet man HIER.

Und da auch ich mich ein wenig im Selbsterwähnungsbusiness übe, weise ich – halb incognito – heute noch auf das Festival in der Hamburger Elbphilharmonie hin, das allerdings längst ausverkauft ist:

»Salām Syria«: The Voice of Ancient Syria

HIER Klassische und traditionelle arabische Musik (Einführung JR) oder … besser Hier ?

Ein Beispiel:

WAS TUN?

Hören! Hören! Hören! (Ignorieren Sie die deutschen Infos, die youtube einblendet!)

Das Wort, das der Sänger immer wieder ruft und singt, ist „Sharfadinah“ – „Der heilige Prophet“. (Es geht mir nicht um die Vermittlung einer Religion, sondern um die Wahrnehmung der musikalischen Überzeugungskraft, – wie stark die bloße Musik durch die Rhetorik dieses Sängers ist! Daher zu Beginn nur phonetisch, nicht inhaltlich.)

Versuchen Sie doch, auch den weiteren Text (siehe unten) akustisch zu „entziffern“ und melodisch zuzuordnen, – das erste Wort Makeh beginnt nach den „Auftakt-Signalen“ (0:50) bei 1:18. Nach keniani (Ende 3. Zeile) folgt Sharfadinah, Sharfadinah genau ab 1:28.

Nächste Zeile ab maka (1:33), nächster Komplex 3 Zeilen bis  gazineh (dies Wort 4mal) gefolgt von Sharfadinah, Sharfadinah genau ab 1:44 (sehr leise). Als Refrain bis 2:42 incl. Zwischenspiel. Neuansatz (unvermittelt) mit der Zeile Ayezid kerbo kawnan okara bei 2:43. Ab hier mit Interjektionen, Pausen, Wiederholungen bis detchena (3:30), gefolgt von Sharfadinah, Sharfadinah genau ab 3:31(leise). Wie ein Refrain bis 4:41 incl. Zwischenspiel. Neuansatz mit der (viertletzten) Zeile tchehsbaki jekhawlaia sultan Ayezid ab 4:42. Wiederum mit Interjektionen, Pausen, Wiederholungen (lalesh, lalesh) bis Ende des Textes bei 5:21 (avaya) und Sharfadinah, Sharfadinah plus Text-Wiederholungen (?) und zum Ausklang wieder Sharfadinah, Sharfadinah (kurz), Ende bei 5:57.

Keivo Sharfadinah Text Teil 1 Keivo Sharfadinah Text Teil 2

Wenn die melodisch-textliche Struktur klar geworden ist, kann man fortfahren mit der nächsten Aufgabe (dem nächsten Vergnügen) im folgenden Blog-Eintrag, überschrieben mit Sharfadinah usw. – wobei das usw. besonders interessant wird.

Nachtrag

Natürlich möchte ich nicht im Ernst den inhaltlichen Hintergrund des Liedes unterschlagen: es stammt aus der Überlieferung der Jeziden, über die man sich bei Wikipedia informieren kann. Auch die Bedeutung des Wortes Lalesh oder Lalish wird dort geklärt. Der nächste Beitrag soll sogar mit einer linearen Übersetzung des Liedes enden.

Der lebendige Zugang zu diesen Musiken, ihre Präsenz auf Tonträgern ist letztlich Michael Dreyer zu verdanken, dem Organisator des Morgenland-Festivals in Osnabrück und Kurator des Syrien-Schwerpunktes in der Elbphilharmonie Hamburg. Meine Bemühungen hier im Blog gelten allein der musikalischen Struktur, – ohne jeden Anspruch auf echten Durchblick. Nur ein Versuch mehr zu hören…

Vor allem möchte ich der üblichen Ausrede den Boden entziehen: man müsse erst den Text verstehen, ehe man mit der Musik etwas anfangen kann. Das gilt hier ebenso wenig wie bei Schubert.

Nachtrag post factum

 Die Veranstaltung hat stattgefunden, auch die Einführung. Es fühlte sich aber alles etwas anders an. Eine subjektive Einordung könnte noch folgen, heute nur zwei  Beweisfotos.

JR in HH 170318 In der Elphi, Kleiner SaalHH Aida 170318 Düsterer Blick aus Hotel Hafen Hamburg

Schubert und das lebende Bild

Schubert Kupelwieser

Vorne sitzt Schubert, mit der linken Hand auf der Tastatur des Flügels. Oder? Was trägt er bei zum Spiel? Was geht hier überhaupt vor? Der Maler gehört zum engen Freundeskreis, es handelt sich um ein authentisches Bild, was kann es Wertvolleres geben? Manche mögen es als ein albernes Spiel abtun, – so vertrieb man sich halt die Zeit, in einer Zeit, als es noch kein Fernsehen gab. Aber nichts ist albern, nichts unwesentlich, wenn es um Schubert geht. 1997 (zum Schubert-Jahr) hat man dies Bild als Vorlage einer Briefmarke verwendet: wurde Schubert dem Volk dadurch näher gebracht. Wäre das überhaupt wichtig?

Ich habe es kennengelernt in einer Zeit, als es (von mir und den Präsentatoren) kaum wichtig genommen wurde, und zwar in einem Ausstellungskatalog, in dem es folgendermaßen beschrieben wurde:

Schubert-Scharade Text a

Heute stören mich die sprachlichen Fehler: es gehörte nicht „scheinbar“, sondern wenn schon, dann „anscheinend“ zu den beliebten Unterhaltungen nicht nur der Schubertianer, sondern wohl der Schubert-Zeit. Und worin der Spaß lag, sollte wenigstens andeutungsweise zum Vorschein kommen. Warum schauen alle so ernst und sinnend?

Das Wort (S)charade führt schon etwas weiter (in den 80er Jahren hätten gewiss nur aufwändigere Recherchen geholfen). Man findet einiges bei Wikipedia hier. Zusätzliche Hinweise gibt es unter dem Stichwort Tableau vivant. Und schließlich kann man noch ein wunderbares Buch durcharbeiten, das die Universität Heidelberg ins Netz gestellt hat: LEBENDE BILDER Körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit. Von Birgit Jooss (Berlin 1999), HIER.

Auch im Bildanhang des großen Schubert-Buches von Peter Gülke (Laaber 1991 – Pflichtlektüre!) ist das obige Kupelwieser-Aquarell wiedergegeben. Mit erläuternder Notiz (die allerdings unter das Bild auf der Gegenseite geraten ist), darin der Satz: „Schubert sitzt daneben, am Klavier. Diese Situation findet sich nicht nur auf dieser Darstellung.“ Ich halte das für eine Fehlsuggestion. Schubert sitzt in diesem Fall noch weniger „daneben“ als alle anderen, die z.T. ähnlich in Nachdenken erstarrt sind wie er. Vor allem der Mediziner und Philosoph Philipp Karl Hartmann, der hinter dem Flügel steht (sich aufstützend, nicht „lehnend“, wie in der Bildunterschrift erwähnt), die linke Hand in sinnender Pose über den Mund gelegt.

Das Bild bleibt ein Rätsel: auch wenn man weiß, dass es sich um die Darstellung des Sündenfalls handelt, – so dass die Deutung von Baum, Schlange, Adam und Eva sowie dem Cherub mit dem Schlangenschwert wohl zutrifft -, bleibt die Frage, ob hier ein reales Kunstwerk nachgestellt wird, aber vor allem: warum alle beteiligten Personen so ernst schauen, als ob sie nachdenken oder noch auf etwas warten. Ist Kupelwieser als Baum keine komische Figur? Niemand lächelt. Wissen die anderen, nicht direkt Beteiligten noch gar nicht, was die unbewegliche Gruppe bedeutet? Der Satz „Rechts vorne sitzend Joseph v. Spaun und unter ihm stehend Anton Freiherr v. Dobelhoff“ muss wohl korrigiert werden durch „über ihm stehend“, vor allem aber wäre interessant, was er da zu tuscheln hat, während alle andern schweigen. Oder – im Gegenteil – hat er gerade innegehalten, um ebenfalls zu überlegen, wie es weitergeht? Nein! beide Männer sind auf die Dame im rosa Kleid konzentriert, die ihnen zugewandt sitzt. Ich glaube, es ist kein Spiel, sondern eine Bildungsangelegenheit. Vielleicht stellen die scheinbar unbeteiligten Zuschauer(innen) auch etwas dar? Und die Dame und der Herr hinter der Sündenfallgruppe, was tun sie? Der Herr schaut in den Hintergrund, in die Ecke, wo der „Säulenheilige“ steht, der – mit dem Schrubber in der Hand, was soll das? Vielleicht eine Ersatz-Sichel oder -sense in der Hand des Merkur, der für die Vergänglichkeit zuständig ist? Gruppe aus dem Tartarus fällt mir ein, und Zerberus (Kerberos), der dreiköpfige Hund, der sich vorm Eingang der Unterwelt herumtreibt. Ich wage kaum darauf aufmerksam zu machen: Hinter Schuberts Stuhl sitzt ein Hund, nicht mit drei Köpfen, aber immerhin… Vermutlich war Kupelwieser ein ziemlich hintersinniger Maler. Die Geschichte ist noch lange nicht zuende…

Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens. (Moses I „Genesis“ Kapitel 3, 24)

„Gruppe aus dem Tartarus“ hören und Schillers Text lesen: HIER. Zum Cocytos hier. („Vollendung“ = ob es noch nicht vorüber sei…)

Fragen sich einander ängstlich leise,
Ob noch nicht Vollendung sei!
Ewigkeit schwingt über ihnen Kreise,
Bricht die Sense des Saturns entzwei.

Schubert Tartarus Ende

Ja, wenn da nicht der letzte Akkord wäre, hätte Schubert etwas Ähnliches mit der linken Hand zur Untermalung spielen können…

(Fortsetzung folgt)

Felsenfest

Felsenfest ab

Felsenfest c

Felsenfest bb

Felsenfest b

Felsenfest d

Felsenfest bc

Felsenfest Mozart 4 Personen, die sich unterhalten…

Nicht vergessen: Brahms über „Wann der silberne Mond durch die Gesträuche blinkt und sein schlummerndes Licht über den Rasen streut und die Nachtigall flötet“… dazu Gottfried Benn über die Entstehung einer zweiten Strophe (in den Statischen Gedichten).

Virtual Reality und Mozart im Kopf

„Bilder in einer Welt ohne Rahmen“

Die Idee jedenfalls, Mozarts virtuelle Realität der Musik, beispielsweise das unbegreifliche Streichquartett KV 499, sie lag ziemlich nahe, als ich den anregenden Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gelesen hatte: er ist zweigeteilt, betrifft zunächst eine Ausstellung, die nur noch bis 8. März in Basel zu erleben ist, im Mai aber z.B. auch in einer neuen VR (Virtual Reality) – Abteilung im NRW-Forum Düsseldorf, sie heißt: „Die ungerahmte Welt. Virtuelle Realität als Medium für das 21. Jahrhundert“. Und betrifft des weiteren die Ausstellung „Unter freiem Himmel. Landschaft sehen, lesen, hören.“ In der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, bis 27. August.

JR Reizthemen März 17

Bei Mozart – mit Kopfhörern auf den Ohren, hatte ich mir Gedanken gemacht, ob oder wie man diese Welt aus Tönen, deren Zeuge ich immer wieder werde, nicht in Worte fassen könne. Und zwar nur so, dass ein zweiter Mensch, der vielleicht keine Noten zu lesen vermag, – das Geschriebene kann einen ja auch enorm beschäftigen und (ja!) ablenken (man glaubt musiknah analytisch tätig zu sein, in Wahrheit zerteilt man seine lebendige Aufmerksamkeit) -, also ich meine: dass ein anderer inspiriert wird, diesen 4 Stimmen, den instrumental maskierten Persönlichkeiten, Melodien, Themen, Motiven, Geweben adäquat zuzuhören. Was auch immer das ist: „adäquat“. (Lassen Sie sich in dieser Frage nur nicht von Adorno einschüchtern!) Was bedeutet es denn, einem Fußballspiel adäquat zuzuschauen?

Nebengedanke:

Eine adäquate Aufgabe für den virtuosen Notenleser könnte sein, ohne Kopfhörer, ohne real klingende Musik, die Musik in der Imagination ablaufen zu lassen, aber wirklich den vollen Klangverlauf, nicht einfach den Melodiestimmen folgend, sondern alles Gleichzeitige zugleich wahrnehmend, eine Riesenaufgabe, gerade für Musiker, die bekanntlich auch im Alter – wie Beethoven schon viel früher – das Pech haben können, ihr Gehör zu verlieren. Akustische IMAGINATION aber kann man rechtzeitig üben, so wie in alter Zeit die meist allzu manuell verstandenen Etüden. Inneres Hören.

Dies nur vorweg, um in Erinnerung zu rufen, dass wir Musiker schon seit Menschengedenken mit virtuellen Welten gearbeitet haben, die plötzlich als moderne Errungenschaft der bildenden Künste behandelt werden. Nun versuchen sie Bildwerke auf eine Weise zum Sprechen und uns Betrachter zum mentalen Interagieren zu bringen, wie es in der Musik seit Jahrtausenden üblich ist. Und in einer modernen, lauten, „reizüberfluteten“ Welt muss man – so scheint es – künstliche Mittel zuhilfe nehmen: wenn man an die Präparation der Hörenden durch das Duo Levit/ Abramović denkt. Siehe hier. Da müsste man allerdings auch daran erinnern: selbst nach einer halben Stunde mentaler Ohrenreinigung durch Stille ist die Initiation zu den Goldberg-Variationen mitnichten gegeben. Es sei denn, man kennte sie längst detailgenau.

Ich memoriere ein wenig den FAZ-Artikel von Ursula Scheer:

ZITAT

Die VR-Kunst könnte sich als größte Veränderung des künstlerischen Bildraums seit Vasaris Zentralperspektive erweisen, denn sie stellt den Betrachter nicht mehr vor eine visuelle Illusion, sondern mitten in diese hinein. Das haben schon Panoramen, Dioramen und Linsenstereoskope versucht, die man vorzugsweise einsetzte, um Momente der Historie, touristisch reizvolle Orte oder spärlich bekleidete Frauen in Szene zu setzen. Doch erst die digitalen Brillen der Gegenwart können glaubhaft in Gegenden entführen, die es nur virtuell gibt. Der Rahmen fällt weg, und mit ihm verschwindet jede Distanz, fürchten Kritiker, die hinter der Technik einen Jahrmarkt der Emotionen fürchten.

Immersion heißt das Eintauchen in den virtuellen Raum im Jargon, und es liegt nahe, dass sich die VR-Künstler zunächst darauf konzentrieren eben diesen Raum zu gestalten. Virtuelle Kunst ist vielfach Landschaftskunst (…).

ABER:

Es ist oft sehr einsam in den virtuellen Welten. Wenn man eine(n) Schritt zu weit nach rechts oder links wagt, zeigt ein ungnädig aufscheinendes Gitter, wie begrenzt sie sind. Der Rahmen ist mitnichten gesprengt, er ist der Bilderwelt nur inhärent. Endlich sind auch die Möglichkeiten der Interaktionen. VR hat etwas Klaustrophobisches. (…)

Quelle Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Februar 2017, Seite 11: Bilder in einer Welt ohne Rahmen Eintauchen in künstliche Welten, sie erleben und formen – was die virtuelle Realität verspricht, geht nicht ohne eine alte Technik: das Erzählen. Fensterblicke in aktuelle Ausstellungen und das Internet. Von Ursula Scheer.

Zum Thema siehe auch HIER. http://www.peertospace.eu/

oder auch hier bzw. durch Klick unten:

Die ungerahmte Welt

Es gibt, so heißt es später in Ursula Scheers FAZ-Artikel, ein grundlegendes Problem. Ich zitiere noch einmal:

VR kann schrecklich langweilig sein. Weil es nicht reicht, einen Menschen an einen Ort zu versetzen. Der Ort muss eine Geschichte erzählen, er muss ikonographisch gesättigt sein, und das in einer dramaturgisch sinnvollen Chronologie.

Dann kommt die Autorin auf die andere (Karlsruher) Ausstellung zu sprechen, in der tatsächlich Texte eine besondere Rolle spielen.

Vor acht Bildern, so die Aufforderung, soll man sich als Besucher seine eigenen Gedanken machen. Vor den übrigen darf man per Audioguide den in Gedichte, Essays oder Kurzgeschichten gefassten Gedankengängen zum Bild von Anita Albus, Cornelia Funke, Arno Geiger, Peter Härtling, Brigitte Kronauer, Friederike Mayröcker und anderen lauschen – oder diese im Katalog nachlesen, dem eine Audio-CD beiliegt. Das Narrativ der Bilder wird sprachlich potenziert, und so öffnet auch dieses multimediale Projekt einen virtuellen Raum: Nicht im Bild selbst, sondern im menschlichen Vorstellungsvermögen. Und das ist bekanntlich grenzenlos, ganz gleich, ob der jeweilige Autor nah am Bild bleibt oder kühn mit einer Bildidee ausbricht.

Meiner Ansicht nach zeigt sich die Problematik dieser Sehweise, sobald man sie auf die Musik zu übertragen sucht: die Musik – zumindest die erwähnte von Mozart – beansprucht den Zuhörer vollkommen, zumindest wenn man sie in jedem Detail ernst nimmt und sie sich gewissermaßen mimetisch „anverwandelt“. Warum sollte das bei einem Bild nicht ähnlich sein? Oder besteht der Trick darin, dass ein Narrativ zum Bild einen zwingt, länger zu verweilen, mehr zu sehen, mehr auf sich einwirken zu lassen, dem bloßen Bild eine zeitliche Komponente einzufügen: die einen schlicht hindert, allzu früh weiterzuwandern. Wie wäre es, wenn der Maler seinem Bild einfach eine Vorschrift beifügte, wie lange es zu betrachten sei? Gewiss unerträglich. Auch zu puristisch gedacht: als ob die Dauer der Betrachtung automatisch sinnvolle und zum Bild passende Gedanken produziert. – Und so ist es kein Wunder, dass der Artikel uns mit einem Segen der Freiheit entlässt, zu dem ich mich im Fall Mozart nicht entschließen könnte. (Zu schwierig ist es, die Freiheit Mozartscher Musik wirklich zu erfahren, außer durch gute Kenntnis der klassischen Sprache und durch ungeteilte Aufmerksamkeit.)

Die virtuelle Kunst nimmt für sich in Anspruch, erstmals für jeden Betrachter ein individuelles, unwiederholbares Kunsterlebnis zu schaffen. Wie wer was in welcher Reihenfolge im virtuellen Raum betrachtet und erlebt, ist unvorhersehbar. Das Kunstwerk entsteht erst durch den „User“. Doch was im Kopf und Herzen eines Menschen vorgeht, der ein Bild betrachtet, ist ebenso unabsehbar. Wir werden in den virtuellen Welten heimisch werden, weil wir seit jeher in ihnen leben.

Quelle Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Februar 2017, Seite 11: Bilder in einer Welt ohne Rahmen Eintauchen in künstliche Welten, sie erleben und formen – was die virtuelle Realität verspricht, geht nicht ohne eine alte Technik: das Erzählen. Fensterblicke in aktuelle Ausstellungen und das Internet. Von Ursula Scheer.

Nochmals also die Quelle, und noch ein Link zum Weiterarbeiten und Termine machen…

http://www.kunsthalle-karlsruhe.de/de/ausstellungen/unter-freiem-himmel.html HIER

Lachen mit Schopenhauer?

Man möchte meinen, ein großer, ernster Philosoph sei leichter zu verstehen, wenn er über das Lachen spricht. Sind wir nicht insgeheim der Meinung, dass wir auf diesem Gebiet selber Fachleute sind, da wir doch im Leben schon viel gelacht haben und auch zu verstehen meinen, was einen guten Witz ausmacht. Natürlich: die Pointe. Aber wie funktioniert sie, was wird uns klar in dem Moment, wo sie zündet und wir loslachen, ob wir wollen oder nicht? Die meisten meinen, Philosophen erklärten prinzipiell zu weitschweifig, was aber nicht stimmt: man findet ja durchaus ganz prägnante, kurze Sätze, die eigentlich als Erklärung ausreichen, – aber wir verstehen sie nicht. Oder nur so ungefähr. Selbstverständlich will ein Philosoph aber nichts nur so ungefähr aussagen und erst recht nichts in Dunkelheit hüllen, – gestehen wir ihm dies einfach zu und suchen wir den Fehler bei uns selbst, die wir im Umgang mit Worten und Begriffen nicht so geschult sind. Denken wir nur an die Sprache der Juristen, die aus Gründen der Klarstellung und Präzision zu Definitionen neigt, die für uns recht umständlich klingen, deren Umständlichkeit aber am Ende Sachverhalte klärt, bei denen es um Leben oder Tod geht. Oder wenigstens um den Unterschied von 4 Monaten Haft oder lebenslänglich. (Man denke nur an den jüngsten Falle der tödlichen Autoraserei in Berlin.) Glücklicherweise haben wir es hier nur mit dem Lachen zu tun, bei dem wir meist – selbst wenn es sich um zweifelhafte Fälle des Auslachens handelt – straffrei ausgehen.

Schopenhauer in aller Kürze:

Das Lachen entsteht jedesmal aus nichts Anderem, als aus der plötzlich wahrgenommenen Inkongruenz zwischen einem Begriff und den realen Objekten, die durch ihn, in irgend einer Beziehung, gedacht worden waren, und es ist selbst eben nur der Ausdruck dieser Inkongruenz.

Bitteschön! Warum – um Gottes willen – soll ich über eine Inkongruenz lachen? Um wieviel angemessener fängt doch Charles Baudelaire seine Untersuchung über das Lachen an, wenn er sich mit uns verwundert fragt, was denn z.B. daran lächerlich sei, wenn ein Mensch auf einer Bananenschale ausrutscht und zu Boden fällt. Zumindest die Kinder lachen darüber. Und wir seriösen Erwachsenen auch, wenn wir uns nur ausmalen, der Mensch sei übertrieben hochmütig daherstolziert, sagen wir: als wolle er zum Ausdruck bringen, dass er ein vornehmerer Mensch sei als jeder andere. Und so hätten wir tatsächlich eine auffällige Inkongruenz: seine Überheblichkeit und den banalen Bananensturz. [Um es korrekterweise nachzutragen: von einer Banane ist bei Ch.B. nicht die Rede. Ich gehe am Schluss dieses Artikels kurz darauf ein.]

Also: warum kann Schopenhauer uns dies nicht auch ganz einfach vermitteln? (Ich weiß gar nicht, ob Baudelaire so argumentiert, aber ich werde ein andermal bei ihm nachschlagen und ihn zitieren.) Also schauen wir uns einmal den ganzen Abschnitt bei Schopenhauer an:

Alle diese Betrachtungen sowohl des Nutzens, als des Nachtheils der Anwendung der Vernunft, sollen dienen deutlich zu machen, daß, obwohl das abstrakte Wissen der Reflex der anschaulichen Vorstellung und auf diese gegründet ist, es ihr doch keineswegs so kongruirt, daß es überall die Stelle derselben vertreten könnte: vielmehr entspricht es ihr nie ganz genau; daher, wie wir gesehen haben, zwar viele der menschlichen Verrichtungen nur durch Hülfe der Vernunft und des überlegten Verfahrens, jedoch einige besser ohne deren Anwendung zu Stande kommen. – Eben jene Inkongruenz der anschaulichen und der abstrakten Erkenntniß, vermöge welcher diese sich jener immer nur so annähert, wie die Musivarbeit [Mosaik] der Malerei, ist nun auch der Grund eines sehr merkwürdigen Phänomens, welches, eben wie die Vernunft, der menschlichen Natur ausschließlich eigen ist, dessen bisher immer von Neuem versuchte Erklärungen aber alle ungenügend sind: ich meyne das Lachen. Wir können, dieses seines Ursprunges wegen, uns einer Erörterung desselben an dieser Stelle nicht entziehen, obwohl sie unsern Gang von Neuem aufhält. Das Lachen entsteht jedesmal aus nichts Anderem, als aus der plötzlich wahrgenommenen Inkongruenz zwischen einem Begriff und den realen Objekten, die durch ihn, in irgend einer Beziehung, gedacht worden waren, und es ist selbst eben nur der Ausdruck dieser Inkongruenz. Sie tritt oft dadurch hervor, daß zwei oder mehrere reale Objekte durch einen Begriff gedacht und seine Identität auf sie übertragen wird; darauf aber eine gänzliche Verschiedenheit derselben im Uebrigen es auffallend macht, daß der Begriff nur in einer einseitigen Rücksicht auf sie paßte. Ebenso oft jedoch ist es ein einziges reales Objekt, dessen Inkongruenz zu dem Begriff, dem es einerseits mit Recht subsumirt worden, plötzlich fühlbar wird. Je richtiger nun einerseits die Subsumtion solcher Wirklichkeiten unter den Begriff ist, und je größer und greller andererseits ihre Unangemessenheit zu ihm, desto stärker ist die aus diesem Gegensatz entspringende Wirkung des Lächerlichen. Jedes Lachen also entsteht auf Anlaß einer paradoxen und daher unerwarteten Subsumtion; gleichviel ob diese durch Worte, oder Thaten sich ausspricht. Dies ist in der Kürze die richtige Erklärung des Lächerlichen.

Quelle Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Band I – Kapitel 15 (= §13) Verlag Philipp Reclam jun. Stuttgart 1892, zitiert nach http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-als-wille-und-vorstellung-band-i-7134/15 bzw. hier.

Zunächst ist wichtig zu wissen, dass es hier nicht in erster Linie um das Lachen geht, sondern um das Denken, das die Abstraktion braucht. Es ist also möglich, einen Oberbegriff zu verwenden, der von der Verschiedenheit der Dinge, die er subsumiert (die er als Sammelbegriff umfasst), abstrahiert (er muss sie nicht weiter berücksichtigen). Das ändert aber nichts daran, dass sie in der Realität existieren: wenn ich „Vieh“ sage, meine ich die Gesamtheit der Kühe, Schafe, Ziegen und Schweine, deren Unterschiede aber weiterhin gelten. Sobald ich dies aber auf rein verbaler Basis ignoriere, kann eine Inkongruenz entstehen. Wenn etwa der Bauer mich hinausschickt mit dem Auftrag, das Vieh zu melken, wäre es falsch, wenn ich mich den Schweinen zuwende und behaupte, er habe das doch gesagt. Es liegt fast auf der Hand, wie daraus ein Witz zu konstruieren wäre. Schopenhauer verschmäht es daher an dieser Stelle, sich näher darauf einzulassen.

Ich werde mich hier nicht damit aufhalten, Anekdoten als Beispiele desselben [des Lächerlichen] zu erzählen, um daran meine Erklärung zu erläutern: denn diese ist so einfach und faßlich, daß sie dessen nicht bedarf, und zum Beleg derselben ist jedes Lächerliche, dessen sich der Leser erinnert, auf gleiche Weise tauglich.

Dennoch lässt er sich in einem späteren Erläuterungsbande dazu herab, die entsprechenden Witze zu erzählen…

Schopenhauer-Theorien des Lächerlichen ZUSATZ

Also: Dank sei dem großen Philosophen für diesen Entschluss:

Ich habe, im ersten Bande, für überflüssig gehalten, diese Theorie an Beispielen zu erläutern; da Jeder dies, durch ein wenig Nachdenken über ihm erinnerliche Fälle des Lächerlichen, leicht selbst leisten kann. Um jedoch auch der Geistesträgheit derjenigen Leser, die durchaus im passiven Zustand verharren wollen, zu Hülfe zu kommen, will ich mich dazu bequemen.

Es ist ein Ton, den Konsumenten unserer Zeit ungern widerspruchlos hinnehmen. Ich kann dazu nur sagen, dass Philosophie eben kein Konsumartikel ist, an dem man herummäkeln kann, wenn er nicht höflich genug dargereicht wird: es ist allemal ein Geschenk, egal ob wir es zu schätzen wissen oder nicht.

Um heutigen Lesern entgegenzukommen, beschränke ich mich im folgenden Text auf die Wiedergabe der Witze und werde vielleicht im Nachhinein versuchen, sie auf die Theorie zu beziehen; vielleicht auch nicht, weil ich die Praxis des mehr oder weniger ausgedehnten Lachens vorziehe. So dumm es erscheinen mag, wenn niemand in meiner, in unserer Nähe hörbar einstimmt. (Im Ernst: der Witz jener Zeit ist auch ein paar stille historische Gedanken wert.)

***

Um nun Beispiele (…) des Witzes zu betrachten, wollen wir zunächst die allgemein bekannte Anedote nehmen vom Gaskogner, über den der König lachte, als er ihn bei strenger Winterkälte in leichter Sommerkleidung sah, und der darauf zum König sagte: „Hätte Ew.Maj. angezogen, was ich angezogen habe; so würden Sie es sehr warm finden“, – und auf die Frage, was er angezogen habe, „meine ganze Garderobe“. –

Schopenhauers Erläuterung:

Unter diesem letzern Begriff ist nämlich, so gut wie über die unübersehbare Garderobe eines Königs, auch das einzige Sommerröckchen eines armen Teufels zu denken, dessen Anblick auf seinem frierenden Leibe sich jedoch dem Begriff sehr inkongruent zeigt. –

Das Publikum eines Theaters in Paris verlangte einst, daß die Marseillaise gespielt werde, und gerieth, als dies nicht geschah, in großes Schreien und Toben; so daß endlich ein Polizeikommissarius in Uniform auf die Bühne trat und erklärte, es sei nicht erlaubt, daß im Theater etwas Anderes vorkomme, als was auf dem Zettel stehe. Da rief eine Stimme: Et vous, Monsieur, êtes-vous aussi sur l’affiche? welcher Einfall das einstimmigste Gelächter erregte. Denn hier ist die Subsumtion des Heterogenen unmittelbar deutlich und ungezwungen. –

Das Epigramm:

„B a v ist der treue Hirte, von dem die Bibel sprach:                                              Wenn seine Heerde schläft, bleibt er allein noch wach“,

subsumirt unter dem Begriff des bei der schlafenden Heerde wachenden Hirten den langweiligen Prediger [Bav war ein damals bekannter Prediger JR], der die ganze Gemeinde eingeschläfert hat und nun ungehört allein fortbelfert. – Analog ist die Grabschrift eines Arztes: „Hier liegt er, wie ein Held, und die Erschlagenen liegen um ihn her“: – es subsumirt unter den dem Helden ehrenvollen Begriff des „von Getödteten umringt Liegens“ den Arzt, der das Leben erhalten soll. – Sehr häufig besteht das Witzwort in einem einzigen Ausdruck, durch den eben nur der Begriff angegeben wird, unter welchen der vorliegende Fall subsumirt werden kann, welcher jedoch Allem, was sonst darunter gedacht wird, sehr heterogen ist. So im R o m e o, wenn der lebhafte, aber soeben tödtlich verwundete M e r c u t i o seinen Freunden, die ihn Morgen zu besuchen versprechen, antwortet: „Ja, kommt nur, ihr werdet einen s  t i l l e n Mann an mir finden“, unter welchen Begriff hier der Todte subsumirt wird; im Englischen aber kommt noch das Wortspiel hinzu, daß a grave man zugleich den ernsthaften, und den Mann des Grabes bedeutet. – Dieser Art ist auch die bekannte Anekdote vom Schauspieler Unzelmann: nachdem auf dem Berliner Theater alles Improvisiren streng untersagt worden war, hatte er zu Pferde auf der Bühne zu erscheinen, wobei, als er gerade auf dem Proscenio war, das Pferd Mist fallen ließ, wodurch das Publikum schon zum Lachen bewogen wurde, jedoch sehr viel mehr, als Unzelmann zum Pferde sagte: „Was machst denn du? weißt du nicht, daß uns das Improvisiren verboten ist?“ Hier ist die Subsumtion des Heterogenen unter den allgemeineren Begriff sehr deutlich, daher das Witzwort überaus treffend und die dadurch erlangte Wirkung des Lächerlichen äußerst stark. – Hierher gehört ferner eine Zeitungsnachricht vom März 1851 aus Hall: „Die jüdische Gaunerbande, deren wir erwähnt haben, wurde wieder bei uns, unter obligater Begleitung, eingeliefert.“ Diese Subsumtion einer Polizeieskorte unter einen musikalischen Ausdruck ist sehr glücklich; wiewohl sich schon dem bloßen Wortspiel nähernd. – Hingegen ist es ganz der hier in Rede stehenden Art, wenn S a p h i r, in einem Federkrieg gegen den Schauspieler Angeli, diesen bezeichnet als „den an Geist und Körper gleich großen Angeli“ – wo, vermöge der stadtbekannten winzigen Statur des Schauspielers, unter den Begriff „groß“ das ungemein Kleine sich anschaulich stellt: – so auch, wenn derselbe S a p h i r  die Arien einer neuen Oper „gute alte Bekannte“ nennt, also unter einen Begriff, der in andern Fällen zur Empfehlung dient, gerade die tadelhafte Eigenschaft bringt: – ebenso, wenn man von einer Dame, auf deren Gunst Geschenke Einfluß hätten, sagen wollte, sie wisse das utile dulci zu vereinigen; wodurch man unter den Begriff der Regel, welche vom Horaz in ästhetischer Hinsicht empfohlen wird, das moralisch Gemeine bringt; – eben so, wenn man, um ein Bordell anzudeuten, es etwan bezeichnete als einen „bescheidenen Wohnsitz stiller Freuden“. – Die gute Gesellschaft, welche um vollkommen fade zu seyn, alle entschiedenen Äußerungen und daher alle starken Ausdrücke verbannt hat, pflegt, um skandalöse, oder irgendwie anstößige Dinge zu bezeichnen, sich dadurch zu helfen, daß sie solche, zur Milderung, mittelst allgemeiner Begriffe ausdrückt: hierdurch aber wird diesen auch das ihnen mehr oder minder Hetererogene ausgetrieben, wodurch, in entsprechendem Grade, die Wirkung des Lächerlichen entsteht: Dahin also gehört das Obige utile dulci: desgleichen: „er hat auf dem Ball Unannehmlichkeiten gehabt“, – wenn er geprügelt und herausgeschmissen worden; oder „erhat des Guten etwas zu viel gethan“, wenn er betrunken ist; wie auch „die Frau soll schwache Augenblicke haben“, – wenn sie ihrem Mann Hörner aufsetzt; u.s.w. Ebenfalls gehören dahin die Aequivoken, nämlich Begriffe, welche an und für sich nichts Unanständiges enthalten, unter die jedoch das Vorliegende gebracht auf eine unanständige Vorstellung leitet. Sie sind in der Gesellschaft sehr häufig. Aber ein vollkommenes Muster der durchgeführten und großartigen Aequivoke ist die unvergleichliche Grabschrift auf den Justice of peace von Shenstone, als welche, in ihrem hochtrabenden Lapidarstil, von edeln und erhabenen Dingen zu reden scheint, während unter jeden ihrer Begriffe etwas ganz Anderes zu subsumiren ist, welches erst im allerletzten Wort, als unerwarteter Schlüssel zum Ganzen hervortritt und der Leser laut auflachend entdeckt, daß er nur eine sehr schmutzige Aequivoke gelesen hat. Sie herzusetzen und gar noch zu übersetzen ist in diesem glattgekämmten Zeitalter schlechterdings unzulässig: man findet sie in Shenstone’s Poëtical works, überschrieben Inscription. Die Aequivoken gehen bisweilen in das bloße Wortspiel über, von welchem im Text das Nöthige gesagt worden.

Auch wider die Absicht kann die jedem Lächerlichen zum Grunde liegende Subsumtion des in einer Hinsicht Heterogenen unter einen ihm übrigens [ansonsten JR] angemessenen Begriff Statt finden: z.B. einer der freien Neger in Nordamerika, welche sich bemühen, in allen Stücken den Weißen nachzuahmen, hat ganz kürzlich seinem gestorbenen Kinde ein Epitaphium gesetzt, welches anhebt: „Liebliche, früh gebrochene Lilie“. [Lilie als das übliche Symbol der Reinheit, Weißheit – unter Weißen. JR.] –

Wird hingegen, mit plumper Absichtlichkeit, ein Reales und Anschauliches geradezu unter den Begriff seines Gegentheils gebracht, so entsteht die platte, gemeine Ironie. Z.B. wenn bei starkem Regen gesagt wird: „das ist heute ein angenehmes Wetter“; – oder, von einer häßlichen Braut: „der hat sich ein schönes Schätzchen ausgesucht“; – oder von einem Spitzbuben: „dieser Ehrenmann“; u. dgl. m. Nur Kinder und alte Leute ohne alle Bildung werden über so etwas lachen: denn hier ist die Inkongruenz zwischen dem Gedachten und dem Angeschauten eine totale. Doch tritt, eben bei dieser plumpen Übertreibung, in der Bewerkstelligung des Lächerlichen, der Grundcharakter desselben, besagte Inkongruenz, sehr deutlich hervor. –

Dieser Gattung des Lächerlichen ist, wegen der Uebertreibung und deutlichen Absichtlichkeit, in etwas verwandt die P a r o d i e . Ihr Verfahren besteht darin, daß sie den Vorgängen und Worten eines ernsthaften Gedichtes oder Dramas unbedeutende, niedrige Personen oder kleinliche Motive oder Handlungen unterschiebt. Sie subsumiert also die von ihr dargestellten platten Realitäten unter die im Thema gegebenen hohen Begriffe, unter welche sie nun in gewisser Hinsicht passen müssen, während sie übrigens denselben sehr inkongruent sind; wodurch dann der Widerstreit zwischen dem Angeschauten und dem Gedachten sehr grell hervortritt. An bekannten Beispielen fehlt es hier nicht:

Ich breche genau an dieser Stelle meine Abschrift ab. Die Schopenhauersche Argumentation sollte klar geworden sein. Ich kehre kurz zum Anfang zurück, wo ich mich des „Bananensturzes“ bei Baudelaire erinnerte, ohne im Originaltext nachschlagen zu können. Es ist in der Tat ein beliebter Ansatz, – ob mit oder ohne Banane.

Was ist denn so Erfreuliches im Anblick eines Menschen, der auf das Eis oder das Pflaster hinfällt, der am Rande eines Gehsteigs strauchelt, daß sich das Antlitz seines Bruders in Christo auf ungehörige Weise verzerrte, daß seine Gesichtsmuskeln wie eine Uhr zu Mittag oder wie eine aufziehbares Spielzeug mit einem Male zu spielen beginnen?

Quelle Charles Baudelaire: Aufsätze / Das Wesen des Lachens / u.a. / Übertragen von Charles Andres / Goldmann Verlag München 1960 (Seite 12)

Ein Mann läuft auf der Straße, stolpert und fällt. Die Passanten lachen. Ich glaube, man würde nicht lachen, wenn man annehmen könnte, er habe sich plötzlich entschlossen, sich hinzusetzen. Man lacht, weil er sich unfreiwillig hingesetzt hat.

 Quelle Henri Bergson: Das Lachen / Ein Essay über die Bedeutung des Komischen /  Übersetzung: Roswitha Plancherel-Walter / Verlag Die Arche Zürich 1972 (Seite 15)

Ein Mann fällt zur Erde, und neben ihm stürzt ein Kind. man lacht über den ersten, weil man seiner Größe Stärke genug zutraute, um sich vor dem Fall zu bewahren; letzteres im Gegentheil weckt Mitleid.

Quelle Justus Möser (Harlequin, oder Vertheidigung des Grotesk-Komischen, 1761) zitiert bei Peter L. Berger: Erlösendes Lachen / Das Komische in der menschlichen Erfahrung / Walter de Gruyter, Berlin New York 1998 (Seite 29)

Und bei Berger endlich kommt auch die Bananenschale zu ihrem Recht, ausgerechnet wenn er sich mit Hegels Beitrag zum Komischen befasst (Seite 32):

Versucht man, diese gewichtige Prosa mit einem Bild zu verbinden, wie sich die „freie Heiterkeit aus dem Untergang erhebt“, so könnte man sich eventuell einen Clown vorstellen, der nach dem Ausrutschen auf einer Bananenschale wieder aufspringt. Dieses Bild hilft jedenfalls beim Verständnis dessen, was Hegel ausdrücken möchte.

Und etwas später fügt Berger einen Satz hinzu (a.a.O.), der fast zu Schopenhauers Formel führen könnte, obwohl Berger diesen Hegel-Gegner keiner Erwähnung würdigt:

Ganz allgemein ergibt sich die Komik aus dem Widerspruch zwischen der menschlichen Subjektivität und der Wirklichkeit, dem „Substantiellen“ – wenn man so will, zwischen der wirklichen Welt, die sehr, sehr schwer ist, und der leichten, gewichtslosen Welt, welcher der Menschengeist entgegenstrebt. Es ist möglich, daß dieser letzte Satz eine Überinterpretation Hegels ist, was nicht unbedingt schlimm wäre.

Und in diesem Buch liegt ein Zeitungsausschnitt, in dem der Kognitionspsychologe Matthew Hurley befragt wird „Und was ist daran witzig?“, und er erzählt einen Witz, dessen Pointe er anschließend erläutert:

Unser Gehirn produziert ständig Vorhersagen. Es berechnet, wo ein Fußgänger hingeht, was eine Person sagen wird, was passiert, wenn wir auf einen Knopf drücken. dazu muss es aber unter Zeitdruck Annahmen machen, die sich gelegentlich als falsch herausstellen. Und es ist wichtig, dass diese, wenn nötig, so schnell wie möglich korrigiert werden. Da hilft es, wenn wir es genießen, diese Fehler zu entdecken. (…) Heiterkeit und Lachen sind die Belohnung für diese Korrektur.

Quelle Süddeutsche Zeitung 10./11. September 2011 „Und was ist daran witzig?“ Wieso Scherze lustig sind, Slapsticks komisch und was Kitzeln mit Humor zu tun hat – Matthew Hurley im Gespräch (mit Hubertus Breuer).

Wie sagte es noch Schopenhauer?

Das Lachen entsteht jedesmal aus nichts Anderem, als aus der plötzlich wahrgenommenen Inkongruenz zwischen einem Begriff und den realen Objekten, die durch ihn, in irgend einer Beziehung, gedacht worden waren, und es ist selbst eben nur der Ausdruck dieser Inkongruenz.

Nein, Matthew Hurley’s vorher erzählten Witz muss ich noch folgen lassen:

O’Connell ist zu spät dran für eine Besprechung und sieht sich panisch nach einem Parkplatz um. Er wendet seine Gesicht zum Himmel und sagt: „Gott hilf mir. Wenn Du mir einen Parkplatz verschaffst, werde ich für den Rest meines Lebens jeden Tag zur Kirche gehen und aufhören, irischen Whiskey zu trinken.“ Genau in diesem Augenblick, wie aus dem Nichts, entdeckt er einen Parkplatz. O’Connell blickt sofort zum Himmel und sagt zu Gott: „Ah, gib dir keine Mühe. Ich habe schon einen gefunden.“

Seine Erklärung: Der Witz verleitet uns dazu, zu glauben, dass O’Connell sein Versprechen einlöst, sollte er einen Parkplatz finden. Aber er macht genau das Gegenteil. Gott ergeht es ebenso – auch er hat O’Connell vermutlich Glauben geschenkt und den Parkplatz herbeigezaubert. Die Denkfehler [die Inkongruenzen zwischen einem Gedachten und der Realität JR] unterlaufen also einem selbst oder einer Figur im Witz.

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