Archiv für den Monat: Mai 2015

Das Ideal der Maschine

Ich will niemandem etwas verkaufen. Und wenn Sie die im folgenden Beispiel angegebene Web-Adresse anklicken, tun Sie es auf eigene Initiative. Ich wähle dieses Video nur, weil man hier ein etüdenartiges Stück hört, das man in Noten mitverfolgen kann und dessen Wiedergabe nicht den geringsten Versuch einer Beseelung erkennen lässt. Spielt nicht sogar ein Automat? Trotzdem ist natürlich zu erkennen, dass es eine gute Komposition ist.

Auch die Abwesenheit jeglichen Gefühls im romantischen Sinne schließt ein ästhetisches Erlebnis nicht aus. (Ich erinnere an Strawinskys Äußerung über Czerny. Siehe hier.)

Wie schon angedeutet: ich empfehle durchaus nicht, aus solchen Noten Meisterwerke zu erarbeiten. Dafür gibt es Urtext-Ausgaben, ergänzt durch Fingersätze, historische Einordnung und Kommentare zum Gebrauch des Pedals oder zur Ausführung der Ornamente. Trotzdem ist die Reduktion der Informationen auf einen einzigen (rein technischen oder mechanischen) Zweck nicht ohne Erkenntniswert. Was es mit dem „Solfeggietto“ des Bach-Sohnes  auf sich hat, erfährt man leicht, wenn man dieses Wort mit dem Zusatz „Wiki“ googelt. Warum nicht?

Aber ein Vergnügen besonderer Art ist es, wenn man erlebt, wie sich das Stück in bloß mechanischer Vervielfältigung ausnimmt. Wobei man nicht fehlgeht zu vermuten, dass dieser Pianist das Werk in der Urfassung auch mit seinen 10 Fingern interpretieren kann und ebenfalls in einem atemberaubenden Tempo. Empfehlenswert wäre darüber hinaus, sich ein wenig über den Komponisten Conlon Nancarrow informieren.  Und über den fabelhaften Pianisten Marc-André Hamelin.

Aber hören und sehen Sie nur genau hin. Was geschieht hier nun wirklich?

Mehr davon? Siehe auch den Link zu Pop. Und die Übersicht bei Jürgen Hocker HIER. Und zur Bedeutung von Jürgen Hocker HIER (Denhoff-Nachruf).

„… they all used the superhuman possibilities of the Player Piano…“ (Jürgen Hocker)

Nachtrag 27. Mai 2015

Inzwischen ist die CD, die ich natürlich „physisch“ besitzen musste, bei mir eingetroffen. Was für ein Glück!  Player Piano 6 Original Compositions in the Tradition of Nancarrow. Musikproduktion Dabringhaus und Grimm. MDG 645 1406-2.

MDG Hocker- Hamelin-CD Cover

„Conception, Instruments and Piano Rolls by Jürgen Hocker“. Ebenso die Texte und die Fotos (Dr. Jürgen Hocker & Beatrix Hocker). Im Zusammenhang mit dem oben behandelten Solfeggietto nach C.P.E. Bach ist vor allem die Auflösung spannend: wie die Fassung von Marc-André Hamelin nun wirklich gearbeitet ist, sofern wir es wenigstens einigermaßen mit dem Ohr nachvollziehen wollen. Eine Überraschung!!! Hier ist seine eigene Beschreibung (in der Übersetzung von Beatrix Hocker):

(…) im Fall des Solfeggiettos, bei dem sich fünf Stimmen allmählich akkumulieren, ist es die Wahrnehmung der Entwicklung und Verwandlung, die meiner Meinung nach das Stück besonders interessant macht. Für mich war es besonders faszinierend zu sehen, welche Wirkung die fünfte (oberste) Stimme auf die gesamte Struktur hat, wenn sie endlich einsetzt; gerade diese Passage macht auf ideale Weise deutlich, dass – wenn die Grundharmonien stark genug sind – die Musik selbst dann tonal klingt, wenn das vorherrschende Element (in diesem Fall die oberste Stimme) vollständig atonal ist. Ich darf noch hinzufügen, dass jeder einzelne Kontrapunkt in diesem Stück durchkomponiert ist, ohne sich auf Muster oder irgendwelche Wiederholungen von Bausteinen zu stützen.

Ich gestehe: ein bisschen beschämt bin ich doch, wie schlecht ich all dies bisher mit dem Ohr erfasst habe; auch die von mir oben gegebenen Hinweise sind defizitär (um es vornehm auszudrücken). Es handelt sich also keineswegs um eine Addition des Immergleichen in verschiedenen Oktaven (wobei ich die höchst kompakte Wirkung der Additionen der etwas „verschobenen“ Klavierstimmung anzulasten bereit war. Ich sollte noch einmal von vorne beginnen. Den Einsatz der 5. Stimme merke ich mir vor: bei 3:08.

Was der Produzent Werner Dabringhaus (MDG) über seine Sicht des „modernen“ Player Pianos schreibt, sollte als Einführung in den Sinn dieser CD-Geschichte allgemein zugänglich und vor allem: besser lesbar sein, daher lasse ich es hier kurzerhand in vergrößerter Form folgen:

CDMDG Dabringhaus Prolog Player Piano bitte anklicken!

Intoleranz tolerieren?

Inzwischen kehrt sich die Meinung von dem besinnungslosen „Ich bin Charlie“-Bekenntnis, das auf einem spontanen Mitgefühl für die Opfer von Gewalt beruhte, zu einer differenzierteren Betrachtung der Machtverhältnisse. Derjenige, der partiell die Macht übernimmt, weil er im Besitz von Waffen ist, kann sich, aufs Ganze gesehen, in einer Position der Ohnmacht befinden. Seine Lage ist hoffnungslos, er weiß, dass seine Gegenmeinung keine Chance hat, und die Anderen, die diese Meinung mit Füßen treten oder der Lächerlichkeit preisgeben, wissen es auch. Sie sind in einer Position der Stärke.

Man fragt sich jedoch, „ob der höchste Gebrauch, den man von der Meinungsfreiheit machen kann, ausgerechnet in der absichtsvollen Beleidigung einer Religion und in der Kränkung einer Minderheit bestehen muss…“.

Dass beide Prinzipien, das der Toleranz und das der Meinungsfreiheit, derselben Quelle entstammen, verhindert allerdings nicht, dass sie in der Praxis heftig aneinanderstoßen. Man kann aber das eine nicht zurückdrängen, ohne das andere zu beschädigen. Der polnische, seinerzeit in Oxford lehrende Philosoph Leszek Kołakowski hat schon vor Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass hier eine echte Aporie vorliege. Toleranz gegenüber einer fremden Kultur wird zum Problem, wenn sich diese Kultur ihrerseits durch Intoleranz auszeichnet, wie beispielsweise der Islamismus unserer Tage. Vollendete Toleranz müsste eigentlich den Respekt vor der Intoleranz einschließen. Ist der Respekt vor der Intoleranz aber einmal gewährt, gibt es keinen Grund mehr, der eigenen Kultur nicht ebenfalls das recht auf Intoleranz zuzugestehen. Man könnte also sofort zurückschießen. Oder, anders gesagt: die vollständig tolerierte, einschließlich ihrer Feindseligkeit akzeptierte Minderheit wäre die, die man auch vollständig entrechten könnte. Respekt für einen radikalen Islamisten hieße dann – Guantánamo.

Quelle DIE ZEIT 7. Mai 2015 Seite 47  In den Sackgassen der Toleranz. Sind Mohammed-Karikaturen imperialistisch? Warum zweihundert Schriftsteller in New York gegen die posthume Ehrung der ermordeeten Mitarbeiter von „Charlie Hebdo“ protestieren. Von Jens Jessen

Ein Nachruf auf Kołakowski  (18.07.2009 FAZ) endete mit dem schönen Satz:

Der Selbstvergötterung des Menschen, so Kołakowski, habe der Marxismus den gültigen philosophischen Ausdruck verliehen. Auch diese Idolatrie ende „wie alle individuellen und kollektiven Versuche der Selbstvergötterung. Sie erweist sich als der farcenhafte Aspekt der menschlichen Unzulänglichkeit.“

Mit einem leider etwas komischen musikalischen Bild beginnt Jens Jessen die hörenswerte Coda seines Berichtes über den New Yorker Protest der Schriftsteller:

Den von Minderwertigkeitsgefühlen Gepeinigten sollte man die Melodie ihrer Minderwertigkeit nicht immer aufs Neue vorspielen. Es ist auch richtig, dass der Streit universaler Prinzipien nie im machtfreien Raum ausgetragen wird. Was sich in der philosophischen Logik nicht befriedigend auflösen lässt, könnte sehr wohl in der gesellschaftlichen Wirklichkeit wenigstens ausbalanciert werden, durch Sinn für Fairness – und sei es, dass die Mehrheit ihre Macht einmal nicht dazu einsetzt, die Minderheit zu verspotten, sondern ihr zu neuem Selbstbewusstsein zu verhelfen.

Insofern haben die zweihundert Autoren, die sich dem Konsens der Karikaturenverehrung entzogen, in New York etwas Großes getan. Sie haben die von Kołakowski bezeichnete Aporie nicht aus dem Weg schaffen können, aber sie haben den Umweg gezeigt, den man auch gehen könnte – und den die politischen Pragmatiker sei Langem schon gehen, auch wenn sie dafür von den Intellektuellen bis vor Kurzem verachtet wurden.

Quelle s.o. DIE ZEIT „In den Sackgassen der Toleranz“ (Jens Jessen)

Noch einmal: Muss der Respekt vor der anderen Kultur – ob wir sie nun in der Ferne als Mehrheitskultur oder bei uns in der Nähe als Minderheitskultur erleben – soweit gehen, dass wir z.B. auch ihre Frauenverachtung respektieren?

Natürlich nicht. Genügt es – frei nach Diderot – den anderen die Möglichkeit zu geben, ihre Meinung über die Stellung der Frau zu artikulieren?

Jens Jessen meint (a.a.O.):

Das Dilemma lässt sich nur lösen, wenn man das Prinzip der Toleranz an seiner Vollendung hindert. Daher die berühmte, schon von Voltaire und anderen im 18. Jahrhundert erdachte Formel: Die Toleranz müsse ihre Grenze an der Intoleranz finden. Mörderischer Fanatismus muss nicht toleriert werden. Für unsere Tage und unseren Konflikt mit der islamischen Welt könnte das aber auch heißen, das eigene Toleranzideal nicht auszureizen, bis es den intoleranten Kern der fremden Kultur erreicht. Wo aber sollte die Grenze sein? Erst bei offener Blasphemie? Oder schon beim Kopftuch oder der notorischen Unterdrückung der Frau?

Pop-Stenogramm

„Take me to Church“ (Eine Übung)

Buchstaben A bis I nacheinander anklicken

A Lena Meyer-Landrut (Cover-Version)

B Hozier (Original)

C Englischer Text

D Deutsche Übersetzung

E Hozier-Biographie

F Hozier-Interview (+ Live-Version „Church“)

G Ed Sheeran (Cover „Church“)

H Kiesza (Cover „Church“)

I Zur Interpretation Text & Video

Zurück zu A ? (Nein!)

Diese Übung wird gelöscht, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt hat.

(Aber zunächst soll noch eine Notenskizze folgen. Und danach kann ich mich vermutlich nicht mehr trennen. Zumal erst damit der analytische Vergleich zwischen den verschiedenen Versionen auf festeren Füßen steht.) Was den überwältigenden Erfolg des Stückes ausmacht, wird natürlich durch keine musikalische Analyse verdeutlicht; der entscheidende Punkt war wohl das Video: die Botschaft, Homosexualität betreffend. Zu dieser persuasiven Haltung passt der fast leiernde Parlando-Ton der Melodie, das Auf- und Abwogen, das erst allmählich eine rein melodische, fast hymnische Wirkung entfaltet; aus dieser ökonomischen Anordnung weniger Töne entsteht Hozier’s Glaubwürdigkeit. Der Text – oder jedenfalls die Explikation des Inhalts – scheint mir völlig zweitrangig. Das „Amen“ sogar albern. Ein Manko im Fall Lena ist vielleicht die unverkennbare Blasiertheit, im Fall Kiesza trotz allen Engagements das allzu hoch gesteckte „Kunst“-Ziel.

Hozier Noten aa

Hozier Noten b''

Dank an Eos!

Kenya Anthem

Der aktuelle Anlass, Kenya musikalisch wahrzunehmen, könnte die CD RANG’ALA sein, die den Vierteljahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik erhielt: siehe HIER und HIER.

Allzu kurz ist die Musik Kenya’s abgehandelt im MGG-Lexikon („Afrika südlich der Sahara“), daher machte ich mich auf die Suche, wurde fündig in The New Grove Dictionary (Edited by Stanley Sadie 1980) Band 9 „Kenya“, Autor: Washington A. Omonde.

Mehr über den Autor HIER, vor allem auch der Hinweis, dass er für die Kenyanische Nationalhymne (mit)verantwortlich ist: unter Punkt 11. patents (if any). Sie wurde etabliert zur Staatsgründung am 12. Dezember 1963.

Nächster Schritt: youtube. Eine bezaubernde Version.

ZITAT

Athieno (formerly annieSoul), a singer from Nairobi, performs her vocal arrangement of the Kenyan National Anthem. „This truly is my favorite Kenyan song. I wish I wrote those powerful lyrics.“

Was liegt näher, als nach dem Text zu suchen? Hier ist er (zum Mitlesen):

Ee Mungu nguvu yetu——————O God of all creation
Ilete baraka kwetu———————–Bless this our land and nation
Haki iwe ngao na mlinzi—————Justice be our shield and defender
Natukae kwa Undugu——————-May we dwell in unity
Amani na uhuru—————————Peace and liberty
Raha tupate na ustawi.—————–Plenty be found within our borders.

Amkeni ndugu zetu———————-Let one and all arise
Tufanye sote bidii————————-With hearts both strong and true
Nasi tujitoe kwa nguvu——————Service be our earnest endeavour
Nchi yetu ya Kenya———————-And our homeland of Kenya
Tunayoipenda—————————-­–Heritage of splendour
Tuwe tayari kuilinda———————-Firm may we stand to defend.

Natujenge taifa letu———————–Let all with one accord
Ee, ndio wajibu wetu———————In common bond united
Kenya istahili heshima——————Build this our nation together
Tuungane mikono————————-And the glory of Kenya
Pamoja kazini——————————The fruit of our labour
Kila siku tuwe na shukrani————-Fill every heart with thanksgiving.

Quelle https://www.youtube.com/watch?v=-UI8l7N-76I (s.u. als Link)

Unter diesem Link findet man auch einen ausführlichen und lesenswerten Text zur Geschichte des Kenya National Anthems, darunter die folgenden Zeilen:

The government therefore constituted a five-member commission headed by the then Kenya Music Adviser, Graham Hyslop, with George. W. Senoga-Zake, Thomas Kalume, Peter Kibukosya and Washington Omondi as members.

This method of preparing a national anthem was completely new in Africa. It was the first time a group of local musicians were given the task of preparing an anthem for consideration by the Government.

Die Musik wird in diesem Fall vom Slovak State Philharmonic Orchestra (Kosice) gespielt. Die quasi offizielle Fassung für den internationalen Einsatz.

Washington A. Omondi:

On the whole, music in Kenya is associated with particular social occasions, which determine its style and nature. Song is the essential musical form and instruments are generally used for accompaniments which are subservient to song. The words of songs are of prime importance, for music is regarded as an enhanced form of speech. A full appreciation of the different music therefore requires knowledge not only of social customs, but also of language, and for this reason even neighbouring peoples may not appreciate each other’s music.

Quelle Artikel Kenya in The New Grove Dictionary (a.a.O. Vol. 9, 867)

Aktuelles zum Thema Kenia in WDR 5 (Radio) am 31. Mai 2015 DOK5 „das ARD radiofeature“ – Wie Terror entsteht – Von Johanna Braun Sonntag 11.05 / Wiederholung Montag 20.05

privat lokal regional global

Ich bin nicht schuld, dass die Themen so ungeordnet auf uns einstürzen! Oder als leiser Vorwurf liegenbleiben und sich sporadisch wieder melden… Unberechenbar. Zum Beispiel der Garten. Freunde. Eine Musiklandschaft. Oder ein ganzer Kontinent. Oder… statt einer schönen Evolution ein Chaos.

Turn up Africa  Turn up Widmung WH

A Celebration of African Music / Editor: Jacqueline Cogdell Djedje / Los Angeles 1999

Prüss Waterkant  Prüss Widmung

ISBN 978-3-00-049234-1 ©Rainer Prüss 2015 Flensburg

Rainer Prüss Hardanger gr

Foto: ©Rainer Prüss 2010 Hardangerfjord

Das sechste Sterben

ISBN 978-3-518-42481-0 Elizabeth Kolbert

ZITAT (anlässlich der Höhlenzeichnungen im Tal der Dordogne)

Es wird häufig spekuliert, dass die Menschen, die diese Zeichnungen an den Wänden der Grotte des Combrelles schufen, ihren Bildern magische Kräfte zusprachen, und in gewisser Weise hatten sie damit wohl recht. Die Neandertaler lebten über hunderttausend Jahre in Europa und hatten in dieser Zeit nicht mehr Auswirkungen auf ihre Umgebung als andere große Wirbeltiere. Es besteht durchaus Grund zu der Annahme, dass die Neandertaler wie auch die Wildpferde und die Wollnashörner noch immer existieren würden, wenn die Menschen nicht auf der Bildfläche erschienen wären. Mit der Fähigkeit, die Welt in Zeichen und Symbolen darzustellen, geht die Fähigkeit einher, sie zu verändern, und somit auch die Fähigkeit, sie zu zerstören. Ein winziger Satz genetischer Variationen unterscheidet uns von den Neandertalern, aber genau das ist der entscheidende Unterschied. (Seite 259 f)

Diese Fähigkeit des Menschen ist älter als die Moderne, wenngleich sie in der Moderne ihren umfassendsten Ausdruck gefunden hat. Tatsächlich ist sie wahrscheinlich gar nicht von den Eigenschaften zu trennen, die uns erst zu Menschen gemacht haben: unsere Rastlosigkeit, unsere Kreativität, unsere Kooperationsfähigkeit bei der Lösung von Problemen und komplexen Aufgaben. Sobald Menschen anfingen, Zeichen und Symbole zur Darstellung der natürlichen Welt zu benutzen, drängten sie über die Grenzen dieser Welt hinaus. (…) Wenn man nachvollziehen will, warum Menschen für andere Spezies so gefährlich sind, kann man an einen afrikanischen Wilderer mit einer Kalaschnikow denken, an einen Holzfäller, der mit einer Axt im Amazonasgebiet unterwegs ist, oder auch an sich selbst, wie man mit einem Buch auf dem Schoß auf der Couch sitzt.  (Seite 267 f)

Quelle Elizabeth Kolbert: Das 6. Sterben / Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt / Suhrkamp Berlin 2015

Hervorhebung in Rot durch JR, in Erinnerung an die erste Lektüre des Buches „Philosophie auf neuem Wege – Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst“ von Susanne K. Langer (Fischer Wissenschaft Frankfurt am Main 1992 / 1984)

Denn die Idee, etwas mit einem Namen zu belegen, ist der fruchtbarste Gedanke aller Zeiten; sein Einfluß mag durchaus imstande gewesen sein, das gesamte Leben und Fühlen der Gattung binnen weniger Generationen zu verwandeln. (…) Kaum war der erste Funken geschlagen, so war auch das Licht der Vernunft entzündet; ein Zeitalter phänomenaler Neuerungen, Veränderungen, vielleicht sogar zerebraler Entwicklungen hatte begonnen, als aus der nichtigen Affenkreatur, die er gewesen, der Mensch hervorging. (Langer S.144)

Dies nur, um in dem Chaos wenigstens äußerlich einen roten Faden aufzuzeigen. Eine Funktion, Leben zu retten, wie im Fall der Ariadne, kann man ihm nicht zusprechen.

Was eine afrikanische Sängerin erzählt

Kenya Ogoya Ehepaar

Ogoya Nengo, [siehe auch hier], der preisgekrönte Edelstein der Dodo-Musik in Kenya, ist im Begriff, ihren Kreis zu vollenden. Nach mehr als einem halben Jahrhundert auf der Bühne scheint Nengo gerade erst ihre Karriere zu starten, sich ihren Weg hineinzusingen in die Herzen der vielen Menschen in den Dörfern und großen Städten rund um die Welt. Bobastles Nondi plauderte mit ihr vor dem Auftritt im Goethe-Institut Nairobi am 4. April 2009.

Wer ist Ogoya Nengo?

Ogoya Nengo ist Musikerin, Interpretin, Großmutter, Pflegekraft und Ehefrau, auch wenn mein Mann inzwischen verstorben ist.

Ist Ogoya Nengo dein richtiger Name?

Mein Name ist Anastasia Oluoch Akumu. Akumu ist mein Ehemann. Ogoya Nengo ist mein Bühnenname und so werde ich auch in dem Dorf genannt, wo ich geheiratet habe. Ogoya ist abgeleitet von Magoya, dem Dorf, wo ich geboren bin, es liegt nahe bei dem Fluss Nzoia in der Provinz Nyanza in West-Kenya. Du weißt: wo ich herkomme, werden Frauen selten bei ihrem Namen genannt. Die Leute nennen dich nach dem Namen, den dein Clan trägt, dein Stamm, das Dorf, der Distrikt, nach geographischen Besonderheiten wie Bergen, Seen oder Ebenen, nach deinen prominenten Verwandten oder prominenten Leuten in deinem Dorf und später nach deinen Kindern. Es wird als respektlos angesehen, eine Frau bei ihrem realen Namen zu nennen, wenn sie verheiratet ist.

Nengo meint andererseits ganz einfach „der Preis“. Ogoya Nengo soll daher bedeuten „die mit einem Preis bedachte Tochter des Magoya“.

Warum nennt man dich „die mit dem Preis bedachte“?

Erstens bin ich eine Frau und jede Frau hat einen Wert. Wie hoch oder niedrig dein Wert ist, hängt davon ab, wie du dich selbst einschätzt. So auch in meinem Fall: schon als junges Mädchen wusste ich, dass ich „hochpreisig“ war. Zweitens galt schon seit meinen frühen Tagen, dass man etwas zu zahlen hast, wenn man mich für eine Aufführung bekommen will. Und in den Dörfern konnte jede Sache, die mit einem kleine Preis verknüpft war, als kostspielig wahrgenommen werden, einfach wegen der allgemeinen Armut der Bevölkerung.

Wann hast du dein Talent entdeckt?

Vor langer Zeit, als ich noch ein kleines Mädchen war! Das ist schon mehr als 50 Jahre her. Als wir noch kleine Mädchen waren, hatten wir unsere Mutter oder ältere Verwandte zum Fluss zu begleiten, um Wasser zu holen oder um zu baden. Wir fühlten uns eigentlich wie auf einer Vergnügungsreise, wir spielten, sangen und tanzten den ganzen Weg über und auch am Ufer des Flusses, vor oder nach dem Baden. Als Kinder konnten wir aus vollem Herzen singen und tanzen bis wir völlig außer Atem waren. Und auch wenn wir zu den Feldern gingen, um nach dem Vieh zu sehen: wenn das Vieh graste, war alles, was wir taten – spielen, singen und tanzen. Aber immer und überall war man einhellig der Meinung, dass meine Stimme hervortrat aus all den Mädchen, von denen einige meine Schwestern waren, und sie wuchsen auch auf, um große Dodo-Sängerinnen zu werden. So befand ich mich, als ich eines Tages die Pubertät erreichte, schon in einer Position, dass ich in öffentlicher Funktion sang. Das war in den 1950er Jahren.

Es ist also richtig zu sagen, dass du dich selbst durch die Spiele der Kindheit entdeckt hast?

Nicht wirklich! Selbst als Kinder waren wir keine Krachmacher. Wir ahmten gewöhnlich ältere Frauen und Männer nach, die bei Begräbnissen sangen, oder bei Trink-Parties, Hochzeits-Zeremonien und vielen anderen familiären oder sozialen Anlässen im Dorf. Dabei waren meine Mutter und mein Vater beide schon von sich aus perfekte Sänger. Ich muss also sagen: das Singen liegt in unserm Blut. Ich bin die zuletzt geborene, und all meine fünf Schwestern und der einzige Bruder waren schon Interpreten.

Soll das heißen, dass Dodo-Singen etwas ist, das in diesem Teil der Welt weithin von verschiedenen Leuten praktiziert wird?

Ja und nein! Ja: weil es damals, als ich aufwuchs und sogar bis weit in die 1980er Jahre, viele solche Funktionen gab, zu denen Interpreten verschiedenster Formen eingeladen waren. Wir hatten sogar Wettbewerbe. Die Leute befassten sich allgemein damit. Das Land war übersät mit traditionellen Interpreten. Aber die Dinge haben sich seitdem geändert. Jetzt gibt es nur noch wenige Anlässe, bei denen man etwas aufführt. Und das hat den Wettbewerb viel höher gepuscht, umgekehrt auch manche Interpreten für immer von der Bühne runtergepuscht.

Was hat dich fähig gemacht, all das erfolgreich durchzustehen?

Meine Stimme und die Komposition meiner Lieder. Siehst du: du kannst eine große Stimme haben, aber wenn das, worüber du singst, ohne Relevanz für die Gemeinschaft ist, oder wenn du eine schlechte Sprache verwendest, werden sich die Leute von dir abwenden. Als Dodo-Sängerin weiß ich sogar, dass es eine gewisse Klasse von Leuten ist, die meine Musik hört. Ich muss ihre Sprache zu sprechen, ich muss ihre Themen berücksichtigen, muss ihren Stil tanzen. Und ich muss schon sagen: Dodo Fans sind eine sehr spezielle Sippschaft in der Gesellschaft.

Traditionelle Musik, insbesondere des Luo Volkes, wird assoziiert mit schlechter Sprache und einem gewissen Grad von Vulgarität. Kann Dodo sehr unterschiedlich sein?

Es hängt davon ab, wo du herkommst und in welchen Funktionen du zuhaus bist. Alles wird in einem Kontext gesehen und beurteilt. Dodo ist in dieser Hinsicht nichts völlig Außergewöhnliches. Du hast eben deine Gedanken zu jedem besonderen Zeitpunkt mit deinem Publikum zu verbinden.

Worüber singst du?

Ich singe über alles! Ich singe über das Leben, wie ich es sehe und lebe, ich singe über Leute, die ich treffe und mit denen ich zu tun habe. Ich singe über politische Dinge, wie sie sich für mich darstellen. Ich singe über alles, einschließlich dem Aufstieg des US-Präsidenten Barack Hussein Obama; Obama wuodwa (Obama, unser Sohn). Ich singe über Dinge, wie sie um mich herum geschehen.

Was sind einige deiner Lieblingsthemen und was sagst du darüber?

Gare Matatu, das bedeutet „Autobus“, insbesondere die Autobusse, die auf Kenyas Straßen berüchtigt sind, da stehen die Passanten einander auf beiden Seiten gegenüber, und der Einstieg ist von hinten, und das beleuchtet die dunkle Seite des Fahrgasttransports und die Belästigung, denen Frauen ausgesetzt sind, in einer solch unkontrollierten Gesellschaft. Passagiere besteigen diese Wagen von hinten, und wenn du Frau bist, stößt dich der männliche Kartenverkäufer oder Chauffeur nach hinten, so dass du rüber steigen musst, um reinzukommen. Manchmal ist der Wagen gefüllt bis zur Tür, wobei die Frauen hinten wieder rausgestoßen werden und Männer, die ausgestreckt drüberhängen, reiben sich gegen die Rückseiten der Frauen, so wie der Wagen schlingert und schleudert. Und das sind Männer, die deine Söhne oder Schwiegersöhne sein könnten. Es passiert heute noch.

Dhiang Okelo Masira (die Kuh ist Ursache all dieser Leiden), das erzählt von der Notlage der Frauen nach der Heirat, wie sie über die Jahre hinweg in Gebrauchsartikel verwandelt werde. Es ist wie mit Kühen.

Wenn einmal eine Kuh als dein Brautpreis bezahlt ist, hörst du auf, ein eigenes Wesen zu sein, stattdessen bist du in eine Sache für den Mann verwandelt, der dich oft genug wie eine Fußmatte behandelt. So befindest du dich in der Ehe, statt für das eigene Glück und das der Familie, ganz einfach in der Situation der Kuh, die wahrscheinlich längst geschlachtet oder verkauft wurde von deinen Leuten.

Die meisten Dodo-Sängerinnen sind auf ihre Dörfer eingeschränkt. Wie hast du den Weg hinaus zur Stadt gefunden?

Wieder: durch meine Stimme und den Zufall! Die Leute suchen mich für Aufführungen bei Begräbnis-Zeremonien, Hochzeiten und andere soziale Zeremonien, politische Funktionen und Kampagnen, Graduiertenfeiern und vieles andere. So kam dann dieser Tag, an dem ich eingeladen war, einen Ehrengast zu unterhalten (den Schwiegersohn) in Alego, im Siaya District, und das Schicksal wollte, dass der Ehrengast sich als Musikproduzent aus Nairobi entpuppte, William Tabu Osusa vom Katebul Production House [s. Anmerkung am Ende dieses Beitags]. Ich hatte keine Ahnung, dass ich für meinen nächsten Boss sang! Tatsächlich, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich wirklich auf bestmögliche Weise präsentiert. So, aber nach diesem Treffen kam Tabu ins Dorf, um nach der alten Frau zu schauen, die sich auf ihre Art in sein Herz gesungen hatte, und er fragte, ob sie bei ihm Aufnahmen machen könnte. Ich sah, wie sich eine neue Welt für mich öffnete.

Während ich in den Katebul Studios des GoDown Arts Centre in Nairobi war, hörte ein anderer möglicher Interessent namens Opiyo Okatch, ein zeitgenössischer Tänzer, meine wunderbare Stimme, während er seinen Tanz probte, und er verliebte sich auf der Stelle. Er dachte einfach, dass dieser Tanz besser gehen würde, wenn er ihn zu dieser Stimme tanzen würde. So nahm er Kontakt auf, und ich, als die Musikerin, die ich bin, gab ihm eine Chance, und gut: Tabu Osusa verstand es.

Und die Dinge liefen dann sogar noch besser, wie du hier sehen kannst, ich bin flankiert von einer jüngeren Generation von Männern: Olith Ratego und Makadem [das sind die zwei Ketebul Afro-Fusion Musiker, die im Augenblick Ogoya Nengo in der Stadt begleiten und bei ihrer Goethe-Instituts-Tour als ihre Interpreten arbeiten].
Mit Katebul und Opiyo Okatch bin ich durch Kenya (speziell Nairobi), Uganda, South Africa, Mozambique, Deutschland, Frankreich und Brasilien getourt. Ich habe auch ein Album mit Katebul aufgenommen, es sollte bald heraus sein. Sie haben das Mädchen in mir wiedererweckt!
Mit diesem Album hoffe ich, auch auf Video produziert zu werden; ich wünsche auch mich selbst auf der Leinwand zu erleben wie andere Musiker.

Was hat sich über die Jahre verändert in deiner Welt der Musik?

Sehr viel hat sich verändert in der Musikwelt. Zum Beispiel wurden wir, als wir anfingen, nicht direkt bezahlt. Stattdessen wurden wir von unseren Zuhörern mit Beweisen ihrer Wertschätzung bedacht: das konnten Maiskörner sein, Sorghum, Hirse, Erbsen oder dergleichen; Ziegen, Schafe, Kühe und Bullen und solche Sachen. Dann begannen sich die Dinge zu ändern und wir fragten nach ganz bestimmten Sachen. Und dann wurden wir mit Geld bezahlt.

Eine andere Sache, die passierte, ist, dass soviel Lärm in die Musik eingeführt wurde. Zum Beispiel hatten wir immer Ohangla, Tung, Orutu, Nyatiti und sogar Grammophone dabei, was alles laut genug war. Noch konnten wir also mit unseren puren Stimmen singen neben diesen Instrumenten auf einer konkurrenzfähigen Bühne, wo jeder sein Publikum erreichen und sogar die Aufmerksamkeit der Mehrheit gewinnen konnte. Wir konnten klar inmitten dieser Musikformen herausgehört werden. Das gelang uns, weil jeder seine Musik spielte und das Publikum so sehr auf musikalische Qualität, nicht auf Quantität ausgerichtet war.

Aber heutzutage kannst du nur eingeladen werden auf eine Bühne, wo du in Konkurrenz trittst mit Lastwagenladungen von Sound-Systemen, so dass es, wenn die angeschaltet sind, nicht nur deine Stimme verschlingt, sondern dir auch Kopf, Herz und Magen umdreht und Schmerzen verursacht. Das ist Lärm!

So viele Dinge sind in unsere Musik eingeführt worden. Dodo-Musik wurde eigentlich nur mit Poko (Kürbis), Peke (Bottle-Tops), Kayamba und Whistle gespielt. Aber man sagte mir, dass jetzt die meisten Instrumente und viele andere Effekte von einer Maschine produziert werden können, was bedeutet, dass einige von unsern Leuten, die diese Instrumente spielen, überflüssig werden, wenn wir diesen Weg mitmachen.

Was ist gleich geblieben?

Die Hörerschaft. Ob in den Dörfern von Kenya oder in den großen Städten der Welt, – du findest immer noch ein passioniertes Publikum, das nach deiner Musik verlangt und dir Aufmerksamkeit schenkt.

Was würdest du gern ändern, wenn du fortfährst mit Musik?

Den Lebensstil der Musiker in meiner Kategorie! Siehst du, wenn die Leute sehen, wie du überall herumreist, in Flugzeugen, wie du umgehst mit den Hohen und Mächtigen, schwarz und weiß, dann erwarten sie, dass du Geld hast. So viel Geld, dass du in einer Position bist, mit ihnen zu teilen! Aber das ist nicht der Fall.

Wieder ist es so, wenn die Leute kommen und mich in meinem Haus besuchen, sollten sie ein wunderschönes Haus finden, das dem Status eines Musikers zukommt, von dem sie hören und lesen. Aber das ist nicht der Fall.

Wie könnte dies deiner Meinung nach geändert werden?

Indem man für uns viele Jobs schafft und viele Tourneen vermittelt, durch die wir gutes Geld bekommen können. Auf diese Weise muss ich mich nicht  um die Bewirtschaftung meines Landes sorgen, wofür ich ja jemanden beschäftigen könnte, während ich mich auf die Musik konzentriere.

Wir können sogar mit einer großen Band voller traditioneller Musikinstrumente auftreten, die wir in unseren Shows einsetzen, und wir werden gemietet, wenn wir nicht gerade irgendwo beschäftigt sind.

Ich denke, die Leute lieben es, alte Frauen als Entertainer zu erleben, wann immer sie in die Tage von früher zurückkehren wollen; die älteren jedenfalls. Und die jüngeren könnten auch den Weg der Erinnerung gehen, sehen und hören, was für eine Musik ihre Vorväter und Mütter gemacht haben.

Gibt es irgendetwas Negatives über Musik zu berichten?

Es hängt alles davon ab, wie du dich außerhalb der Bühne und auf der Bühne benimmst. Wenn du dich selbst in einer Weise aufführst, die dich als negativ kennzeichnet, wird die Musik negativ für dich sein. Aber wenn du es ernst nimmst als Karriere, wird die Musik dich ebenfalls mit Respekt behandeln.
Sicher, – überall gibt es Leute, die Musikern und besonders Frauen mit Verachtung begegnen. Aber daher kommt gerade der Unterschied. Traditionelle Musik wird doch weithin mit Respekt und Würde behandelt. Und ganz besonders Dodo hat ein erstklassiges Publikum. Wir bringen eine besondere Unterhaltung für besondere Leute bei besonderen Gelegenheiten. Das bringt uns durchaus einen gewissen Level von Respekt.

Was können wir von dir in kommenden Tagen erwarten?

Musik, Musik und noch mehr Musik! Ich werde gerade immer besser!

Kenya Ogoya Frauengruppe

Quelle Fotos: Sven Kacirek und Stefan Schwander 2013 / Text: Bobastles Nondi in dem Journal Artmatters (Kenya, Nairobi) am 8. April 2009 / Übersetzung JR

ZITATE aus der Wissenschaft

In einer mit anderen traditionellen Kulturen kaum vergleichbaren Weise wird Musikkultur in afrikanischen Gesellschaften vom einzelnen Musiker geprägt. Gemeint sind hier Gesellschaften mit oraler oder besser gesagt auraler Tradition, denn die musikalische Tradierung von einer Generation zur nachfolgenden ist überwiegend aural oder verbal. In traditionellen afrikanischen Musikkulturen wird Musik im Spannungsfeld zwischen den Musikern und der Gesellschaft gestaltet, wobei der eine Teil nicht ohne den anderen existieren kann. Die Gesellschaft kennt verbindliche Verhaltensmuster, denen sich keiner entziehen kann, auch nicht der traditionelle Musiker. Die auf dieser Basis bestehende ’sonische Ordnung‘ ist für alle Beteiligten verbindlich und erst dann gefährdet oder im Wandel begriffen, wenn sich einige der sie prägenden Voraussetzungen, vor allem die sozialen Bedingungen, geändert haben. Diese Entwicklung ist in Afrika durch den Kolonialismus und dessen Folgen wie die später einsetzende Urbanisierung eingeleitet worden.

(…)

Jede Musik besteht in einem kulturellen Kontext. In der Vergangenheit haben manche Autoren die hohe ‚Funtionalität‘ der Musikpraxis in Afrika als diskriminierendes Merkmal gegenüber der Kunstmusik Europas hervorgehoben. Solche Perspektiven beruhen jedoch auf einer Fehleinschätzung und gehen darauf zurück, daß vielen abendländischen oder abendländisch geschulten Beobachtern die ähnlich hohe Funktionalität der europäischen Musikpraxis und ihre Einbettung in einen komplexen sozio-kulturellen Rahmen längst unbewußt geworden war. Bezüglich Afrika kann daher die Frage nach dem kulturellen Kontext nur danach ausgerichtet sein, zu untersuchen, welche spezifischen Kontexte in den einzelnen Musikkulturen und für einzelne Musikgenres hier verbreitet sind. Es geht nicht darum, ein Mehr oder Weniger von Kontext im Vergleich zu anderen Weltkulturen festzustellen.

Quelle MGG (Musik in Geschichte und Gegenwart, neue Fassung, Sachteil Band I 1994) Afrika südlich der Sahara, Sp. 131 f und Sp. 121 f Autoren: Artur Simon, Gerhard Kubik.

Einblicke in den Kontext der Dodo-Musik, – sie gehört zum Volk der Luo. Dazu siehe die Wikipedia-Artikel zur Ethnie,zur Sprache und zur Gliederung der Luo-Sprachen.

Anmerkung zu William Tabu Osusa vom Katebul Production House 

I’ve recently moved to Nairobi and so earlier this week had the pleasure of visiting the Ketebul offices in the downtown industrial area and meeting the super-cool team. Tucked away in an unassuming street, Ketebul is situated in the Go Down Arts Centre, a graffited music enclave of made up of some seriously hip outlets.

Fortsetzung HIER („Meeting Katabul: an interview mit Tabu“) http://www.singingwells.org/meeting-ketebul-an-interview-with-tabu/

Siehe auch den am 18.08.2014 veröffentlichten Youtube Film:

Dodo Group feat Ogoya Nengo – The Singing Wells project

Recorded on the 28th November 2011 in Rang’ala village, Nyanza, Kenya, as part of the Singing Wells field trip to record the music of the Luo of Kenya.

Welche Menschen stecken hinter dem Projekt? Wie sehen sie aus? Bitte weiterklicken – HIER.

Schöne Stimmen 1. Mai

Zum Kuckucksruf

Dass er nicht immer eine kleine Terz (wie im Kinderlied), sondern auch eine große (wie in Beethovens Pastorale) umfasst, war leicht zu bemerken. Bei dem rumänischen Panflötenspieler Georghe Zamfir habe ich mich zum erstenmal über den Kuckucksruf als klares Quartenintervall gewundert. (In Ciocarlia, was allerdings „Lerche“ heißt: nach dem großen Lerchensolo – bei 1:27). Habe aber später auch oft in der Natur (z.B. 2013 oberhalb Villanders/Südtirol) verschiedene Intervallvarianten gehört.

WDR5 hat das im vorigen Jahr mal thematisiert:

Bekannt ist, dass der Kuckuck auch in der großen Terz und in der Quarte rufen kann. Nicht belegt ist aber, ob ein einziger Vogel unterschiedliche Intervalle abwechselnd hervorbringt oder im Laufe seines Lebens überhaupt sein Intervall ändert. Wenn, dann nicht kurzfristig, sondern höchstens von Jahr zu Jahr, glaubt Karsten Gärtner, der sich seit 45 Jahren mit dem Kuckuck befasst und sogar über ihn promoviert hat. Belegen lässt sich diese These nicht, denn um die Kuckucke eindeutig voneinander zu unterscheiden, müssten sie entsprechend markiert werden, räumt Karsten Gärtner ein. Das ist bisher noch nicht passiert.

Jetzt habe ich meine alten Notizen wiedergefunden (mein Kuckuck verschwand 1992 für immer):

Kuckuck 1988

Kuckuck 1989

Kuckuck 1992

JR Eiche 1992 JR Goldregen1992 1992

Die todgeweihte Eiche lebt immer noch, wenn auch hauptsächlich als gewaltiger Efeu-Träger: ein Vogelparadies. Der Inhalt der Voliere bestand damals wie heute nur noch aus Gartengeräten. Über den Verbleib des Goldregens siehe hier und hier.

Ein Lamento wegen des Kuckuck-Verschwindens ist offenbar unangebracht (siehe folgendes ZEIT-Detail & Quellenangabe weiter unten).

Kuckuck LBV 2015 ZEIT

ZITAT aus Wikipedia

Die Tonhöhen der beiden Silben liegen meistens eine kleine Terz auseinander, das Intervall kann aber auch eine Sekunde bis eine Quinte betragen. Die Töne liegen zwischen den Halbtönen der Tonleiter und entsprechen etwa f2 (678 Hz) und d2 (565 Hz), wie aus den Rufen von sieben Kuckucksmännchen ermittelt wurde. Der Schnabel ist bei der ersten Silbe leicht geöffnet, bei der Zweiten geschlossen. Die Pausen zwischen den Rufen hängen vom Erregungszustand des rufenden Männchens ab. Je erregter, desto kürzer die Pausen. Bei sehr hoher Erregung kann es auch zu mehrsilbigen, sich überschlagenden „kuckuckuck…“-Rufen kommen.

Das Weibchen lässt bei Erregung zur Brutzeit einen trillerartigen Laut hören, der aus einer hart betonten, schnellen Folge von Tönen besteht und etwas an den Zwergtaucher erinnert. Seltener äußert es ein lautes Kichern, das etwa wie „hach hachhach“ klingt. Jungvögel betteln ab dem vierten Tag nach dem Schlupf mit „zisisis“ oder „srisrisri…“. Mit zunehmendem Alter wird dieser Bettelruf zu einem „gigigi…“. Bei Abwesenheit der Wirtseltern wird dann auch der Distanzbettelruf „ziii ziii“ oder „sriii sriii“ abgegeben.

Vorbemerkung: ich weiß, dass ich in meiner CD-Sammlung der Vogelstimmen Jungvogelgeschrei (aus dem Nest) gehört habe, dass nach einer viel höheren Anzahl von Individuen klang als im Nest vorhanden sein konnten. (Tonbeispiel noch nicht wiedergefunden. Es war kein Beispiel zum Kuckuck.)

ZITAT aus ZEIT-Artikel von Hans Schuh über Kuckucke (s.u.)

Kopiert wird nicht nur die Eioptik, sondern auch die Akustik. Denn für die Parasiten ist die Kommunikation mit ihren Wirten lebenswichtig. Die Fütterungsaktivität von Singvögeln wird erstens durch aufgesperrte Jungschnäbel und zweitens vom typischen Tschilpen und Bettelgeschrei der Küken stimuliert. Stimmanalysen haben ergeben, dass Jungkuckis besonders intensiv lärmen: aus voller Kehle, als bettele eine gesamte Brut. Die beeindruckten Gasteltern erbringen dann Höchstleistungen. Mit fünffacher Zaunkönigration gedeiht ein massiger Jungkuckuck.

Den ultimativen Beweis, wie der Jungparasit seine Stiefeltern akustisch reinlegt, lieferten Nick Davies und Kollegen mit einem pfiffigen Experiment: Sie ersetzten die Küken im Nest von Teichrohrsängern durch ein einziges Amselküken und prüften, wie es gefüttert wurde. Doch bald stellten die Forscher fest, dass die Baby-Amsel sich gar nicht füttern lassen wollte: Sicherlich verschreckt kauerte sie im schwankenden Schilfrohrnest am Boden. Also wurde das Prüfnest mit einem dicken Bambusstock stabilisiert. Prompt verdrängte Hunger die Seekrankheit und das Amselchen begann laut zu betteln. Die Teichrohrsänger brachten ihm Futter, aber viel weniger als einem Kuckucksjungen. Erst als die Forscher zu jedem Tschilpen über einen Minilautsprecher das Bettelgeschrei eines Jungkuckucks abspielten, erhöhte sich die Fütteraktivität. Die Musik macht’s.

QUELLE DIE ZEIT 29. April 2015 Seite 37 Triumph der Schlawiner Der Kuckuck und seine Opfer liefern sich einen Wettlauf des Schreckens – voller Täuschung, Tarnung und Spionage. Von Hans Schuh.

Ein alter ZEIT-Artikel vom 26. Juni 1987 über den Kuckuck ist dankenswerterweise online abzurufen, und zwar hier.

ZITAT FAZ über akustische Täuschung

In den Regenwäldern von Sumatra wurde beobachtet, dass die Menschenaffen einen charakteristischen Warnruf ausstoßen, wenn ihnen Menschen oder Raubtiere beunruhigend nahe kommen. Seltsamerweise halten sich einige Orang-Utans eine Hand vor den zum Rufen gespitzten Mund. Dass sie dadurch die Stimmlage stattlicherer Artgenossen erreichen, belegen detaillierte Analysen von Tonaufnahmen.

Quelle HIER ( http://www.faz.net/aktuell/wissen/natur/orang-utans-die-lautspiele-der-halbstarken-13549265.html )